Behandelter Abschnitt Joh 3,1-3
Wir haben nun die Wertlosigkeit des Glaubens an Christus aufgrund von Beweisen gesehen. Aber in der Menge solcher Menschen mag es solche geben, in denen das Empfinden der Not geweckt wurde, das sie zu Jesus persönlich führte. Und in Ihm war das Leben: nicht nur alle Dinge, die durch Ihn ins Leben gerufen wurden, und Zeichen, die gewirkt wurden, und Dinge, die von Jesus getan wurden, die, wenn sie einzeln in Büchern niedergeschrieben würden, jenseits der Macht der Welt wären, sie zu begreifen, sondern, über alles hinaus, Leben im Sohn für den Gläubigen. Und das ist die Tatsache, die hier im Einzelheiten aufgezeichnet wird.
Es war aber ein Mensch von den Pharisäern, sein Name Nikodemus, ein Oberster der Juden. Dieser kam zu ihm bei Nacht und sprach zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen, denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust, wenn Gott nicht mit ihm ist. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen (3,1‒3).
Es war ein führender Mann aus dem orthodoxesten Teil des auserwählten Volkes; ernst genug, um Jesus bezüglich der Wahrheit zu suchen, und doch schätzte zugleich die Welt genug, um ihre Verurteilung und Verachtung zu fürchten. So kam er in der Nacht zu Jesus. Allerdings stand er auf dem Boden einer Überzeugung, die er mit seinen Mitmenschen wegen der Zeichen teilte, die der Herr gewirkt hatte. Er wusste nicht, dass in seinem Inneren ein tieferes Werk vor sich ging, das ihn, nicht sie, zu Jesus zog. Er, der Lehrer Israels, erkannte in Jesus jemanden, der von Gott gekommen war, und mit dem Gott war. Für jeden anderen, der von einer Frau geboren war, war das eine besondere Ehre; für Jesus war das der Beweis, dass seine wahre Herrlichkeit unbekannt war. Noch irrte Nikodemus, was ihn selbst, was die Juden und was Jesus betraf. Kurzum, der wahre Gott war unbekannt.
Daher unterbricht der Herr ihn sofort mit der Erklärung, dass der Mensch, ja, jeder Mensch, von neuem geboren werden muss. Nicht die Lehre ist gefragt, sondern eine neue Natur, eine neue Quelle des geistigen Daseins, um das Reich Gottes zu sehen. Keine noch so logische Schlussfolgerung ist wirklicher Glaube. Sie ist nicht einmal eine Überzeugung des Gewissens. Es mag eine Schlussfolgerung sein, die aus zuverlässigen Voraussetzungen, aus vernünftigen Tatsachen der wichtigsten Art vor dem Verstand gerecht gezogen wird; aber weder ist Gott bekannt, noch ist er selbst schon gerichtet.
Der neue Charakter des Lebens, der dem Reich Gottes entspricht, ist für den Menschen noch nicht vorhanden. In einem solchen Zustand würde eine Belehrung nur die Gefahr verschlimmern oder neues Übel hervorrufen. Das Wort Gottes ist nie in das Herz des Nikodemus eingedrungen. Er wusste nicht, dass er selbst völlig unrein und geistlich tot in Sünden war. Was ihm fehlte, war, dass er Leben bekam, nicht, frische Nahrung für die Ausübung seines Geistes zu haben. Und Jesus, anstatt auf seine Worte einzugehen, antwortete auf sein wahres Bedürfnis, das er auch selbst gesucht hätte, wenn er es nur gewusst hätte.
Wenn Nikodemus nun seine eigene Fähigkeit, so wie er damals dastand, für selbstverständlich hielt, von der Wahrheit zu profitieren und Gott zu dienen und sein Reich zu erben, so versichert ihm der Herr mit unvergleichlichem Ernst, dass die neue Geburt unerlässlich ist, um das Reich zu sehen. Denn Gott belehrt oder verbessert nicht die menschliche Natur. Er hat sie bereits geduldig erprobt; und die Erprobung wird bald absolut abgeschlossen sein.
Es geht um das Reich Gottes und nicht um irgendetwas im gefallenen Menschen. Das Reich Gottes war noch nicht errichtet oder in Macht auf der Erde gezeigt, wie es bei der Erscheinung Jesu sein wird. Es wurde den Heiden noch nicht gepredigt, wie es nach dem Kreuz geschah. Aber es war zum Glauben an die Person Christi gekommen, dem Unterpfand dafür, dass es nach und nach in seinem ganzen Umfang, seinen „irdischen“ und seinen „himmlischen Dingen“ aufgerichtet werden wird. Das Reich Gottes war unter ihnen in Christus, der seine Macht entfaltete, wobei die sichtbaren oder unsichtbaren Feinde selbst Richter waren. Warum also hat Nikodemus es nicht gesehen? Es fehlte nicht am Gegenstand des Glaubens oder an seinem Zeugnis, auch nicht an der allgemeinen Überzeugung und dem Bekenntnis, auch fehlten nicht Zeichen, die die Gegenwart und Macht Gottes bezeugten. Der Mangel befand sich im Menschen, und für den Menschen ist er unheilbar, denn wer kann seine Natur ändern? In der Tat, wenn es möglich wäre, würde es ebenfalls nichts nützen. „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (V. 3). Gott kann nur eine neue Natur geben, und zwar eine Natur, die zu seinem Reich passt. Ohne diese kann niemand das Reich Gottes auch nur sehen.