Behandelter Abschnitt Phil 1,1-2
E i n l e i t u n g
Der langersehnte, heiße Wunsch des Apostels Paulus, Rom zu sehen und auch dort zu wirken, war erfüllt. Allerdings wird er sich die Romreise ganz anders gedacht haben; denn er kam nicht als freier Evangelist nach Rom, sondern als Gefangener Jesu Christi. Über die näheren Umstände berichtet Lukas am Schluss der Apostelgeschichte. Dem wohlwollenden Hauptmann Julius waren auf jener Romreise die Gefangenen zur Bewachung übergeben worden. Es ist anzunehmen, dass Julius den Apostel dem Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache mit einer besonderen Empfehlung übergab (Apg 28,16). Julius wusste, dass er und alle Mitreisenden ihre heile Ankunft letzten Endes Paulus zu verdanken hatten. Nun durfte Paulus während seiner zweijährigen Gefangenschaft in Rom in einem gemieteten Hause wohnen; er musste also nicht in einem römischen Gefängnis schmachten. Allerdings war Paulus ständig von einem römischen Soldaten bewacht; jedoch konnte er, weil er eine eigene Wohnung hatte, alle aufnehmen, die zu ihm kamen. Hier wurde vielen gedient und etliche, wie z. B. Onesimus, fanden den Herrn. In jenem gemieteten Hause wird mancher Soldat seine Bekehrung erlebt haben, und im ganzen Prätorium sprach man von diesem einzigartigen Gefangenen. Hier wurden auch einige Briefe geschrieben, unter anderen der an die Philipper. Hier musste Paulus geduldig warten, bis der damals junge, weltlustige Herrscher Nero geneigt war, Paulus vor Gericht anzuhören, um ihn entweder freizulassen oder hinzurichten. Letzteres geschah wohl in den meisten Fällen, wenn es Gotteskinder betraf. Paulus war zweimal in römischer Gefangenschaft, doch in der zweiten ließ er sein Leben um Jesu willen.
Wie aus Vers 1 hervorgeht, hatte Paulus viele Mitarbeiter bei sich, so Timotheus, aber auch Lukas, Aristarchus, Epaphroditus und andere. Diese Männer werden in der Gemeinde in Rom gedient haben. Auch werden sie wichtige Besprechungen mit dem Apostel gehabt haben. Und durch Gemeinschaft im Gebet und Dienst hatten sie sich gegenseitig ermuntert.
Der Philipperbrief führt uns auf den Boden göttlichen Wirkens. Dabei handelt es sich aber nicht um das Werk Gottes für uns, sondern in uns.
Anfänger dieses Werkes ist allein Gott (Kap. 1, 6); denn nur Er kann die Herzen der Menschen auftun (Apg 16,14), wie z.B. das der Lydia.
Fortführer dieses Werkes ist ebenfalls Gott (Kap. 2, 13). Er gibt Wachstum und Gedeihen.
Vollender dieses Werkes ist abermals Gott (Kap. 4, 19); denn die Bedürfnisse der Heiligen kann nur Er stillen, vor allem aber das Hauptverlangen, nämlich, allezeit bei dem Herrn zu sein. Wenn dieses Verlangen durch die Ankunft des Herrn einst gestillt sein wird, dann ist das von Gott angefangene Werk vollendet.
I. Die Gemeinde in Philippi. Ihre Anfänge vernehmen wir aus Apg 16. Es lag nicht in des Apostels ursprünglichem Plan, Philippi zu besuchen, sondern er wollte nach Bithynien reisen (Apg 16,7). Der Geist Jesu erlaubte es den Aposteln nicht und so kamen sie nach Troas, wo Paulus im Gesicht jenen mazedonischen Mann sah, der ihn bat: "Komm herüber und hilf uns". Paulus und seine Mitarbeiter nahmen diesen Wink aus Gottes Hand und reisten sogleich nach Mazedonien ab. Philippi war die erste Stadt, die sie besuchten. Diese Stadt interessiert uns Europäer umsomehr, weil sie die erste Stadt in Europa ist, der das Evangelium gebracht wurde.
Philippi selbst war eine Stadt, die ursprünglich Krenides d.h. Ort der Quellen hieß. Als später der mazedonische König Philipp die Stadt einnahm, gab er ihr den Namen Philippi und baute sie zu einer starken Festung aus. Hernach kam Philippi in römische Hand und wurde eine bedeutende Garnisonsstadt.
II. Die ersten Anfänge. Unbeabsichtigt trafen eines Tages vier Männer in Philippi ein, nämlich Paulus, Silas, Timotheus und Lukas. Die Apostel brachten in Erfahrung, dass am Sabbath die kleine jüdische Gemeinde, die meist aus Frauen bestand und kein Versammlungshaus besaß, unter freiem Himmel am Flüsschen Gangites vor der Stadt zum Gebet zusammenkam. In seinem Gesicht aber sah Paulus einen mazedonischen Mann, der ihm zuwinkte; nun hatte er nur Frauen als Zuhörer (Apg 16,9). Wir hörten bereits, dass es nicht der Apostel Absicht war, Mazedonien zu besuchen, und dass sie überall vor verschlossenen Türen standen. Vergessen wir ja nicht, dass gerade verschlossene Türen oft zur göttlichen Leitung gehören. David Livingstone wollte ursprünglich nach China, kam aber später nach Afrika. Gott hindert die Seinen nach Seinem Ratschluss und Belieben in ihren Vorhaben, weil Er andere Gedanken über sie hat. Wir wollen uns also nicht bedrücken lassen, wenn unsere Wege verschlossen sind, sondern auch darin Gottes Leitung erblicken.
Wie ärmlich war der Anfang in Philippi; ein paar Frauen! Und wie herrlich der Fortgang! Das zeigt der ganze Philipperbrief, der innigste aller Paulusbriefe. Gott ist in Stuben oft mehr verherrlicht worden als in großen Kathedralen. Sein Werk beginnt meistens unscheinbar, senfkornartig. Die erste Bekehrung war die der Lydia. Ein mazedonischer Mann rief den Apostel und eine asiatische Frau bekehrte sich zuerst, denn Lydia war von Thyatira. Bald bekehrte sich auch ihr ganzes Haus und sie wurden getauft. Die nächste Bekehrung, die genannt wird, ist die der Wahrsagerin. Diese Besessene wurde auf dem Wege zur Gebetsstunde geheilt. Medien, wie dieses Mädchen eines war, gibt es heute noch viele. Oft treten sie fromm auf, bedienen sich der drei höchsten Namen, in Wirklichkeit sind es aber dämonische Wirkungen (1Tim 4,1). Und diejenigen, die sie aufsuchen, haben Gemeinschaft mit den Dämonen. Auf die Austreibung des Dämons aus der Wahrsagerin folgte die Aufgabe ihres schändlichen Berufes. Infolgedessen wurden Paulus und Silas blutig geschlagen und ins Gefängnis geworfen, weil das Mädchen seinen Herren keinen Gewinn mehr einbrachte. Dieser Anlass führte zur dritten Bekehrung, zu der des Kerkermeisters. Ohne allen Zweifel haben sich noch andere bekehrt, deren Namen zwar nicht in der Bibel genannt werden, wohl aber im Lebensbuch stehen (Kap. 4, 3). Diese kleine Christenschar sollte für den Apostel eine der liebsten Erinnerungen seiner vielseitigen Missionstätigkeit werden. Keine Gemeinde blieb dauernd so herzlich mit ihm verbunden, wie die in Philippi.
III. Der Grund des Schreibens. Die Philipper waren mit dem Apostel innig verbunden und öfters hatten sie ihn durch Gaben unterstützt. Jetzt, da Paulus im Gefängnis war, wird besonders der Kerkermeister die Anregung dazu gegeben haben, dem gefangenen Apostel zu helfen; denn als Kerkermeister kannte er die mancherlei Nöte der Gefangenen, welchen Paulus aber entgehen konnte, wenn ihm die Heiligen ermöglichten, in einem gemieteten Hause zu wohnen. So legten die armen Mazedonier Geld zusammen, um ihrem in Gefangenschaft gehaltenen Diener Linderung zu gewähren. Welch edle Tat, sich etwas abzusparen, um es dem Herrn zu geben! Dieses Verhalten zeigt uns, wie sehr der Heilige Geist solche Liebeswerke ehrt; denn Er hat der Philipper Tat für immer in der Schrift niedergelegt und als nachahmenswertes Beispiel hingestellt. Man sollte meinen, dass die Gemeinde in Rom den Apostel hätte unterstützen sollen; es scheint jedoch nicht so gewesen zu sein. Ihre einstige große Begeisterung für Paulus verblasste bald. Übles Nachreden, Furcht oder Neid mögen die Ursache gewesen sein.
Paulus und die Heiligen in Philippi (
Der Philipperbrief ist keine theologische Auseinandersetzung, wie einige andere Briefe des Apostels, sondern eine innige Ermunterung an Gläubige während ihrer Wüstenwanderung. Persönliche Herzensgemeinschaft mit jenen Gläubigen durchzieht den Brief. Christus ist das Hauptthema des Briefes; und Sein Name kommt über vierzigmal vor. Wie ein Hirte der Gemeinde steht Paulus vor uns. Jedes einzelne der vier Kapitel enthält eine bestimmte Belehrung.
Kapitel 1: "Christus unser Leben". Vers 21 ist der Schlüsselvers der ganzen Epistel.
Kapitel 2: "Christus unser Beispiel". Seine Gesinnung und ihre Nachahmung sind der Hauptgedanke des Kapitels. "Ein jeglicher sei gesinnt wie Christus."
Kapitel 3: "Christus unsere Stärke". Der Herr ist unser Versorger, die einzige Zuflucht des Gläubigen und die Quelle aller Segnungen. Versuchen wir nun, auf den Inhalt selbst kurz einzugehen.
I. Paulus. So beginnt der Brief. Er ist der geistliche Vater der Philipper, der sie in schweren Verfolgungen zum Herrn geführt hat. Seine Person ist gut bekannt. Dieser einstige Verfolger steht von Damaskus an (Apg 9) bis zu seinem herrlichen Lebensabend, den er in 2Tim 4,6-8 selbst beschreibt, mit seinem Wandel und Dienst als das Vorbild eines wahren Gottesdieners vor uns. An ihm sehen wir, was die Gnade in einem Menschen vermag, der sich ganz Gott hingibt. Ein Gefäß, dem Hausherrn bräuchlich.
II. Timotheus. Paulus hat seine Briefe meistens diktiert und Timotheus ist vielleicht der Schreiber gewesen? Timotheus war des Apostels vertrautester Mitarbeiter, sein geliebtes Kind im Glauben, der dem Apostel diente wie ein Sohn seinem Vater. Timotheus war den Philippern wohlbekannt; denn er hatte von Anfang an unter ihnen gedient und hat sie auch später besucht. Paulus und Timotheus hatten also besonderen Anteil an der Gemeinde in Philippi und ihr inniges Band bestand im gegenseitigen Interesse des Werkes des Herrn (Vers 5).
III. Knechte Jesu Christi. Das ist ein herrlicher Titel, denn von Natur sind die Menschen Knechte der Sünde, der Lust und Leidenschaften, von Satan gekettet. Paulus und Timotheus machen keinen Anspruch auf geistlichen Vorrang, sondern sie nennen sich einfach "Knechte Jesu Christi", die berufen waren, den Philippern zu dienen. Weder im Brief an die Philipper, noch in den Briefen an die Thessalonicher, oder in dem an Philemon, braucht Paulus den Titel "Apostel". Hingegen finden wir ihn in den Briefen an die Korinther und in anderen. In den letzteren Briefen wohl darum, weil er durch die Umstände dazu herausgefordert wurde. Der Philipperbrief aber ist der einzige Brief, in dem Paulus sich nur Knecht (Sklave) Jesu Christi nennt. Das hängt mit zwei wesentlichen Grundzügen des Briefes zusammen. 1. Im Philipperbrief sieht Paulus seinen Herrn selbst in Knechtsgestalt (Sklavengestalt, Kap. 2, 7). Wie sollte er sich da anders als Sklave nennen. 2. Wird der christliche Wandel nach der Gesinnung und nach dem Vorbilde des in Knechtsgestalt wandelnden Christus Jesus behandelt. Kommt dieser Wandel in Frage, dann fallen alle Titel und Ämter der Heiligen hin. Sie alle sind nichts als Knechte (Sklaven) Jesu Christi. Der höchste Titel, den wir tragen dürfen heißt: Knecht Jesu Christi und umschließt zugleich den vornehmsten Beruf.
IV. Allen Heiligen. Die Schrift nennt die Gläubigen auch Heilige.
Denn der, welcher heiligt, und die, welche geheiligt werden, sind von
einem (Heb 2,11). Der Herr selbst ist ihnen gemacht zur Heiligkeit
(1Kor 1,30). Heilige sind Menschen, die durch die Wiedergeburt neue
Kreaturen geworden und Ihm geweiht sind. Christengemeinden sind
Gemeinden von Heiligen (Röm 1,7). Gläubige sind die Bausteine des
Heiligtums Gottes auf Erden, das geistliche Haus (1Kor 3,17;
V. In Christo Jesu. Nur in Christo sind die Gläubigen Heilige. Die Römische Kirche macht Menschen nach ihrem Tode auf Grund besonderer Leistungen zu Heiligen, Christus aber, indem Er sich für uns geheiligt hat (Joh 17,19). Die Geheiligten sind in Christo, obwohl sie noch in der Welt sind. Der Gläubige ist also nicht in sich selbst heilig. Es würde auch keinem Gläubigen einfallen, sich heilig zu nennen, wenn die Schrift es nicht tun würde.
VI. Mit den Aufsehern und Dienern. Die Gemeinde in Philippi war nicht, wie das heute oft der Fall ist, ein aus allen Richtungen zusammengelaufener Haufe, sondern sie war biblisch geordnet, sie hatte Älteste (Bischöfe oder Aufseher) und Diener (Diakonen). Die Schrift kennt nur biblisch geordnete Gemeinden und niemals das zuchtlose Umherspringen, wie es in unserer Zeit zur Unsitte geworden ist. Man will sich keiner biblischen Zucht mehr unterordnen, und nennt ein solches Verhalten "Freiheit". Christliche Freiheit aber ist absolut an die Schrift gebunden. Älteste und Diener sind zweierlei Klassen, wie aus 1Tim 3,2, 8 hervorgeht. Älteste werden in der Schrift stets in der Mehrzahl genannt. Der Ausdruck Älteste findet sich schon im Alten Testament. (2. Mose 3,16,18; 4. Mose 11,16; Mt 16,21). Sie waren Männer, die sich Gott zum Dienste hingegeben und denen der Herr die Verantwortung über Sein Volk anvertrauen konnte, die den Gemeinden vorstanden und ihnen mit dem Wort dienten. Demnach war ein Bischof keine hohe Persönlichkeit, etwa wie heute, sondern einer, der der Gemeinde Lasten trug und um sie besorgt war. Die Diakonen dagegen waren ähnlich wie die sieben Männer in Apg 6, die mehr die äußeren Dienste der Gemeinde besorgten.
VII. Ein herzlicher Segenswunsch. Paulus wünscht den Gläubigen Gnade und Friede. Gnade, Gunst Gottes, die tiefen Frieden zur Folge hat, jene innere Ruhe und Sicherheit, die uns durch Christus ist (Eph 1,2). Paulus wünscht ihnen dies von Gott dem Vater und dem Herrn. Die Epistel beginnt und endet mit der Gnade; desgleichen auch das Leben des Gläubigen. Und zu diesem herrlichen Segensspruch sagen wir gewiss alle gern ein kräftiges "Amen".