Behandelter Abschnitt Phil 3,7-9
Phil 3,7-9: 7 Aber was irgend mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet; 8 ja wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, damit ich Christus gewinne 9 und in ihm gefunden werde, indem ich nicht meine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz ist, sondern die, die durch den Glauben an Christus ist – die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben; …
Es ist auffallend, wie der Apostel hier von dieser Gerechtigkeit spricht. Er betrachtet sie nicht als Sünde, sondern als etwas völlig Wertloses; es ist die gesetzliche Gerechtigkeit und eine für das Auge des Menschen sichtbare Religion. „Was irgend mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet.“ Paulus war ein Hebräer von Hebräern und lebte nach der strengsten Sekte des Judentums als Pharisäer; das war ein Gewinn für ihn. Nachher sagt er: „Ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, damit ich Christus gewinne.“ Es handelt sich hier nicht um Sünde. Wenn der Apostel in Vers 9 von der Gerechtigkeit redet, so stellt er sie nicht den Sünden gegenüber, sondern bringt sie in Gegensatz zur Gerechtigkeit nach dem Gesetz; diese lässt sich leicht erkennen: Was sie auch immer tun mag – alles geschieht, um das Ich hervorzuheben. Darin liegt das Verkehrte und Böse; denn wer möchte „unflätige Kleider“ tragen (denn so werden unsere Gerechtigkeiten in Jesaja 64,5 genannt), wenn er Christus zu seiner Gerechtigkeit haben könnte? Paulus hatte eine solche Vorstellung von der Vortrefflichkeit dessen, was Christus in den Augen Gottes war – woran Gott seine Wonne fand –, dass er sagt: Ich mag diese elende Gerechtigkeit nicht behalten noch sie derjenigen beifügen, die von Gott ist. – Die trügerischen Lüste sind schlecht genug; dieses religiöse Fleisch aber ist noch schlechter. Jene Gerechtigkeit war keine wirkliche Gerechtigkeit; sie war das aufgeblähte, nicht das gerichtete Ich; sie war das gepflegte und übertünchte Ich. Paulus aber will von dem Ich frei sein und stattdessen Christus haben.
Das ist der Standpunkt des Apostels, den er jetzt näher entwickelt. Beachten wir es, er sagt nicht: Als ich bekehrt wurde, achtete ich alles für Verlust. – Wenn ein Mensch bekehrt wird, so ist Christus alles für ihn; die Welt ist für ihn nur Trug, Eitelkeit und Nichtigkeit; sie verschwindet aus den Gedanken, und die unsichtbaren Dinge erfüllen das Herz. Doch später, wenn dieser Mensch vorangeht, seinen Pflichten nachgeht, mit seinen Freunden Umgang hat, so wird er – auch wenn Christus ihm stets wertvoll ist – nicht fortfahren, alles für Verlust zu achten; oft hat er bloß alles für Verlust geachtet. Paulus hingegen sagt: „Ich achte“, und nicht nur: „Ich habe geachtet.“ Es ist etwas Großes, wenn man so sprechen kann. Christus sollte stets den Platz einnehmen, den Er hatte, als das Heil zuerst unseren Herzen offenbart wurde.
Ich möchte hier noch etwas hinzufügen, was mir soeben in den Sinn kommt. Ohne Zweifel ist ein Mensch, der Christus nicht im Grunde seines Herzens hat, gar kein Christ; aber selbst da, wo Christus in einem Menschen wohnt und dieser tadellos wandelt, gibt es vielleicht kein
Echo in seinem Herzen, wenn man von Christus zu ihm redet – obwohl gegen sein Betragen nichts einzuwenden ist. Er mag Christus im Grunde des Herzens besitzen und einen schönen christlichen Wandel zur Schau tragen, aber zwischen beiden liegen hunderterlei Dinge, die mit Christus gar nichts zu tun haben: Sein Leben fließt in praktischer Beziehung ohne Christus dahin. Doch das ist nicht alles. Die entscheidende Leichtfertigkeit des Herzens geht ohne Christus voran, bis sie zum Kanal all der unreinen Dinge wird, die die Welt in die Seele ausschüttet. Jetzt stellt uns Paulus die Kraft vor, die uns befähigt, alle diese Dinge für Verlust zu achten. Er möchte Christus gewinnen, und es scheint, als ob es ein schweres Opfer ist, dafür allem zu entsagen. Doch es verhält sich damit ebenso wie mit dem Spielzeug eines Kindes: Will man es ihm aus der Hand nehmen, so wird es das nur umso fester halten; bietet man ihm aber ein hübscheres Spielzeug an, so wird es das erste Geschenk loslassen. Paulus achtet alles für Verlust und Dreck: Alles hatte seinen Wert für ihn verloren. Ich weiß wohl, dass wir Versuchungen haben werden, aber neun Zehntel dieser Versuchungen, die unsere Seele locken und hindern, würden gar nicht sein, wenn Christus seinen wahren Platz hätte. Gold und Silber und aller Tand dieser Welt würden uns weder anziehen noch zur Versuchung dienen, wenn „die Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu“ ihren Platz in unserem Herzen hätte. Diese Art des Kampfes wäre beendet. Wir würden dann die Listen Satans kennen und für andere leiden; unser Kampf würde nicht in der Anstrengung bestehen, unseren eigenen Kopf über Wasser zu halten, sondern darin, andere vor dem Ertrinken zu bewahren.
Wenn Christus den rechten Platz im Herzen hat, so haben die anderen Dinge ihren Wert verloren. Das Auge ist einfältig und der ganze Leib voll von Licht. Paulus hatte alles eingebüßt, aber er fügte hinzu: „Ich achte es für Dreck.“ Er blickte auf Christus, der für ihn ein so kostbarer Gegenstand war, dass er um seinetwillen alles aufgab. Diesen Platz bewahrte er Christus, und er eilte voran, um Ihn zu gewinnen. Er hatte Ihn noch nicht ergriffen, wohl aber war er von Christus ergriffen worden. Er streckte sich aus, um hinzugelangen, indem er seinen Blick stets auf das Ziel der Reise richtete. Es kommt nicht darauf an, wie der Weg ist; er mag rau sein, doch man blickt auf das Ziel. Es handelt sich hier um zweierlei: zuerst, dass ich Christus gewinne, und dann, dass ich nicht meine eigene Gerechtigkeit habe. Wenn jemand einen abgetragenen Mantel hat und einen neuen bekommt, wird er sich des alten schämen. So legt Paulus auch keinen Wert mehr auf die Gerechtigkeit, die er früher hatte. Man kann nicht zu gleicher Zeit seine eigene Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit Gottes besitzen; wer diese kennt, will jene nicht mehr, selbst wenn er sie haben könnte. Wie schön sind die Worte, die wir in 1. Korinther 1,30.31 lesen: „Aus ihm aber seid ihr in Christ Jesu, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung.“
Was wir in dem Leben aus Gott sind, das ist Christus vonseiten Gottes für uns. Der Apostel fährt weiter fort: