Behandelter Abschnitt Joh 12,20-28
Folgen aus dem Tod des Erlösers
Verse 20-28. Danach kamen einige Griechen von denen, die hinaufgegangen waren, um auf dem Fest anzubeten. Sie hatten den Wunsch, Jesus zu sehen. Sie kamen zu Philippus, der es Andreas erzählte, und zusammen sagten sie es dem Herrn Jesus. Obwohl sie nach Jerusalem gekommen waren, um anzubeten, waren sie Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheissung. Es brauchte eine ganz neue Ordnung der Dinge, um sie darin einzuführen. Sie hatten kein Recht an den Verheissungen. Der Herr Jesus musste sterben, um den Grund für diese neue Ordnung zu legen.
Der Herr ist hier nicht der verheissene Messias, sondern der zweite Mensch, das Haupt von allem, was Gott, ja, was Er selbst geschaffen hatte. Doch Er musste es durch die Erlösung empfangen, insbesondere seine Miterben. «Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.» Er muss seine Miterben erlösen, um sie bei sich zu haben.
Wenn Er der König Israels und der Sohn Gottes nach Psalm 2 war, so war Er als Sohn des Menschen Herr der ganzen Schöpfung. Doch Er musste sterben, damit seine Miterben Anteil an seinem erworbenen Erbe hätten. «Die Stunde ist gekommen», sagte Er, «dass der Sohn des Menschen verherrlicht werde.»
Der Sohn des Menschen
Es ist gut, wenn wir uns an die Zeugnisse erinnern, die uns sowohl das Alte als auch das Neue Testament über die Bedeutung des Titels Sohn des Menschen liefern. Daniel und die Psalmen sprechen davon. Wir finden diesen Namen in Psalm 80,18, wo es um die Segnungen der Juden geht, wenn sie zu Gott umkehren. In Psalm 8 erscheint der Sohn des Menschen als Herr über alles, nachdem Er in Psalm 2 als Sohn Gottes und König von Israel verworfen wurde. Und wenn der Name des Herrn, des Gottes der Juden, «herrlich auf der ganzen Erde ist», dann wird seine Herrlichkeit auch über die Himmel hinausgehen. Der Herr zitiert den achten Psalm, um die Rufe der Kinder, als Er in Jerusalem einzog, zu rechtfertigen (Mt 21,16). Auch der Apostel Paulus zitiert diesen Psalm (Eph 1,21.22; 1Kor 15,27), angesichts der Stellung von Christus, die Er seit seiner Auferstehung als Haupt über alles einnimmt. Zudem wird dieser Psalm in Hebräer 2 zitiert, um seine Herrlichkeit in dieser Stellung über den Engeln zu zeigen (in Hebräer 1 wird diese Stellung als Folge seiner Göttlichkeit vorgestellt). Zwar hat Er diese menschliche Vorrangstellung noch nicht öffentlich eingenommen, aber Er ist mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt.
Diese drei Abschnitte entfalten ganz klar die Stellung des Herrn Jesus als Sohn des Menschen. Eine andere Stelle (Dan 7,13.14) vervollständigt das Bild vom Platz des Sohnes des Menschen in der Regierung Gottes. In diesem Abschnitt wird der Sohn des Menschen zu dem Alten an Tagen gebracht, um die Regierungsgewalt zu empfangen, nicht nur über die Juden, sondern über alle Königreiche. Von der Höhe, vom Himmel, übt Er seine allumfassende Herrschaft aus, deren Zügel Er in den Händen hält. Er ersetzt alle Mächte, die, nachdem der Thron Gottes anlässlich der babylonischen Gefangenschaft Jerusalem verlassen hatte, eine mehr oder weniger umfassende Herrschaft ausgeübt haben.
Um diese Stellung der Herrschaft nicht nur über Israel und die Nationen, sondern über alle Werke Gottes, über alles, was Er selbst geschaffen hat, einzunehmen, musste Jesus sterben. Er musste nicht sterben, um das Recht auf alles zu haben, sondern, um es auf der Grundlage der Erlösung zu besitzen. Er musste alle Dinge mit Gott versöhnen, um dann, nach den Ratschlüssen Gottes, Miterben zu haben, indem Er selbst der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist. Dieser Tod ist der erste Gedanke des Herrn, nachdem die Ankunft der Griechen seine Würde als Sohn des Menschen zum Vorschein gebracht hat. Tod und Fluch waren das Erbe des Menschen. Der Herr Jesus musste sich ihnen unterziehen, um den Menschen aus dem Zustand, in dem er sich befand, herauszuholen und ihn in die Ehrenstellung zu versetzen, die nach den Ratschlüssen Gottes für ihn bestimmt war.
Er war der zweite Mensch, der letzte Adam. Doch weil die Sünde in die Welt gekommen war, musste Er seine Miterben erlösen, musste sie reinigen, damit sie einen Platz bei Ihm hätten. Er musste dem Feind jedes Recht wegnehmen, um ihm später die Macht über sein Erbe, das er durch die Sünde des Menschen und auch durch das Gericht Gottes erworben hatte, rauben zu können, und um alle Dinge mit Gott zu versöhnen, indem Er Frieden gemacht hat durch das Blut des Kreuzes. Wer Ihm dienen wollte, musste Ihm auf diesem Weg des Todes folgen. «Wer sein Leben lieb hat, wird es verlieren; und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren.» Welch ein ernstes Wort! Doch wir haben bereits gesehen, dass seine Verwerfung mit seinem Charakter als Messias und Sohn Gottes verbunden werden muss, wie es in Psalm 2 geschrieben steht: Er sollte nicht mehr von dieser Welt sein. Seine Stellung als Sohn des Menschen, als Haupt über alles, folgt erst nachher in Psalm 8.
Der Tod des Erlösers - das Gericht über die Welt
Vom zehnten Kapitel an befinden wir uns geschichtlich im Schatten seines Todes, was einen vollständigen Bruch zwischen Ihm und der Welt bedeutete. Der Tod, als das Gericht Gottes, stand in seinem ganzen Schrecken vor Ihm. Er hat das Gericht an unserer Stelle erduldet. Doch es war das Gericht über eine Welt, die Ihn nicht mehr sehen sollte. Fortan würde die Freundschaft der Welt Feindschaft gegen Gott bedeuten. In Wirklichkeit war es immer so gewesen, doch nun wurde diese Tatsache öffentlich kundgemacht. Er ist der verworfene Herr, der unser Erlöser geworden ist. Ihn hat der Mensch gekreuzigt, und Ihn hat Gott zu seiner Rechten erhöht. Er hatte den Vater völlig offenbart, und sie hatten Ihn gesehen und sowohl Ihn als auch den Vater gehasst (Kap. 15,24). Später berief Er sich auf das Gericht Gottes: «Gerechter Vater! - Und die Welt hat dich nicht erkannt.»
Um Erlöser zu sein, musste Er von der Erde erhöht werden. Der Sohn des Menschen musste leiden und sterben. Ein lebender Christus war für die Juden. Der Schatten des Todes wurde immer dunkler bis nach Gethsemane, wo die tiefsten Todesschatten die Seele des Herrn Jesus umhüllten. Dort nahm Er den Kelch in seine Hand, der den Schrecken enthielt, der seinen Schatten auf dem ganzen Weg auf seine Seele geworfen hatte. Doch nun durchdrang dieser seine Seele mit der tiefsten Dunkelheit. Nur etwas blieb Ihm bis zum Kreuz und auch während den Leiden des vollkommenen Gehorsams: die Gemeinschaft mit seinem Vater. Am Kreuz, als sein Gehorsam sich bis zum Letzten erfüllte, wurde die Gemeinschaft mit Gott unterbrochen. Aber dadurch leuchteten sein Gehorsam und seine Vollkommenheit umso mehr hervor. Es war die Stunde des Menschen und die Macht der Finsternis. Sie trieben Ihn vorwärts ins Gericht Gottes, das schrecklicher war als das, was den Weg des Gehorsams und der Leiden verdunkelt hatte. Doch gerade dort verherrlichte Er Gott auf vollkommene Weise, dort, wo Er für uns zur Sünde gemacht wurde und unsere Sünden für immer ausgelöscht hat.
Der Herr spricht hier auf eine abstrakte Art und Weise, wie von einer Regel oder einem Grundsatz, dessen Fundament Er für uns alle legen würde. Nur musste Er sich dafür selbst hingeben, damit andere das ewige Leben besitzen könnten. Er hätte sich selbst befreien oder die Hilfe von zwölf Legionen Engeln in Anspruch nehmen können. Doch wie wäre die Schrift dann erfüllt worden? Es konnte nicht so sein. Er war nicht gekommen, um sich selbst zu befreien. Wäre Er im Himmel geblieben, hätte Er uns Gottes gerechtem Gericht überlassen. Doch auch dies konnte nicht sein: Seine Liebe erlaubte Ihm nicht, so zu handeln. Zudem lag Ihm die Erfüllung der Ratschlüsse Gottes und die Verherrlichung Gottes, des Vaters, zu sehr am Herzen, was auf aussergewöhnliche und vollkommene Weise offenbart werden sollte. Die Verwerfung des Erlösers von Seiten der Welt bedeutete die Verwerfung der Welt von Seiten Gottes. Die letzte Anstrengung, um im Herzen des Menschen etwas Gutes zu finden oder zu erwecken, war unternommen worden. Doch sie hatten «gesehen und doch gehasst sowohl mich als auch meinen Vater».
Gott konnte in Gnade aus dieser Welt herausretten. Doch die Welt als solche war verloren. Sie befand sich in einem Zustand der Feindschaft gegen Gott. Jeder, der sich daher an diese Welt klammert und sein Leben in ihr sucht, oder der sich an das Leben dieser Welt klammert und sich dadurch gegen den verworfenen Christus stellt, verliert sein Leben. Wir werden nicht immer dazu aufgerufen, unser äusseres Leben zu opfern, obwohl dies Vorkommen kann und auch schon oft geschehen ist. Doch moralisch kann dies immer angewandt werden: Wer sein Leben liebt, wer an ihm festhält, als würde es zu dieser Welt gehören, wird es verlieren. Es ist ein Leben der Eitelkeit, losgelöst von Gott, wie es auch die Welt ist, an die es sich klammert. Es ist ein Leben, das nur im Tod endet; denn der Herr spricht hier nicht von Gericht.
Der Herr fügt zu dem Vorangehenden noch einen höchst wichtigen Verhaltensgrundsatz hinzu: «Wenn jemand mir dient, so folge er mir nach.» Grundsätzlich müssen wir Ihm durch den Tod nachfolgen, indem wir uns der Sünde und der Welt für tot halten. Doch die Folge eines solchen Weges ist einfach. Wo der Herr ist, wird auch sein Diener sein. Ein solcher folgt Ihm durch den Tod in die himmlische Herrlichkeit, in die Er eingegangen ist, und «wenn jemand mir dient, so wird der Vater ihn ehren».
Doch das Herz des Herrn erkannte, was vor Ihm lag, denn Er würde dem Tod begegnen, dem Tod und seinem Stachel, dem Gericht Gottes über die Sünde und der Macht Satans. Er würde einen Tod erleiden, der seine Vollkommenheit umso mehr zum Vorschein bringen würde. Das Herz des Herrn erkannte dies alles, trotzdem ermahnte Er andere, den schmalen Weg der Selbstverleugnung und der Verleugnung der Welt zu wählen, einer Welt, die Feindschaft gegen Gott ist, und ein Leben zu verlieren, das sich mit dieser Welt, die das in Gnade gekommene Licht verwarf, identifiziert hatte. «Jetzt», sagt Er, «ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen.» Darum ist Er in diese Welt gekommen.
Dann erwähnt der Herr einmal mehr den Beweggrund von allem, ein Beweggrund, der in seinem Herzen allgegenwärtig war: «Vater, verherrliche deinen Namen!» Das wünschte Er sich allezeit, mochte es kosten, was es wollte. Die Antwort des Vaters kam ohne Zögern: «Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn auch wiederum verherrlichen.» Ich zweifle nicht daran, dass dieses «Ich werde ihn auch wiederum verherrlichen» sich in der Auferstehung Jesu Christi erfüllte. Der Vater hatte seinen Namen in der Auferstehung des Lazarus verherrlicht, einer Auferstehung in dieser Welt. Er stand im Begriff, es bei Christus wieder zu tun, in einer besseren Auferstehung. Es würde die wahre Antwort auf den Tod sein, indem sich die souveräne Macht Gottes in Gnade, und gegenüber Christus in Gerechtigkeit offenbarte. Das bedeutete einen neuen Zustand, in dem der Mensch niemals gewesen war. Doch dieser Zustand ist sowohl der Ausdruck dessen, was Gott nach seinen Ratschlüssen in sich selbst ist, als auch vollkommener Segen für den Menschen. «Christus ist», wie der Apostel sagt, «durch die Herrlichkeit des Vaters aus den Toten auferweckt worden.»