Behandelter Abschnitt Judas 20.21
Jud 20.21: Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben.
Hier haben wir die göttliche Sicherheit gegen alle die finsteren und schrecklichen Formen des Abfalls: „Den Weg Kains, den Irrtum Bileams und den Widerspruch Korahs“, „das Murren und Klagen“, „die stolzen Worte“, „die wilden Meereswogen“, „die Irrsterne“, „das Bewundern der Personen Vorteils halber“. Die „Geliebten“ sollen „sich selbst auferbauen auf ihren allerheiligsten Glauben“.
Möge der Leser dies wohl beachten! Mit keiner Silbe wird auf die Nachfolge der Apostel hingewiesen, und wir finden nicht ein einziges Wort über besonders begabte Personen. Es ist gut, wenn wir dieses sehen und uns stets daran erinnern. Wie oft hört man klagen über unseren Mangel an Gaben und Kraft und dass wir keine Pastoren und Lehrer hätten. Wie könnten wir erwarten, Gnadenkräfte zu haben? Haben wir sie verdient? Leider haben wir gefehlt und gesündigt und in so mancher Hinsicht unserer Berufung nicht entsprochen. Lasst uns dies anerkennen und uns auf den lebendigen Gott stützen! Wir werden dann erfahren, dass Er ein auf Ihn vertrauendes Herz nie zuschanden werden lässt.
Betrachtet, was Paulus in seiner letzten, rührenden Ansprache an die Ältesten von Ephesus sagt. Wem befiehlt der Apostel Paulus die Gläubigen hinsichtlich des Aufhörens des apostolischen Dienstes an? Redet er ein Wort von apostolischer Nachfolge? Nicht im Geringsten; vielmehr spricht er von „verderblichen Wölfen“ oder von Männern, die aus ihrer Mitte aufstehen und verkehrte Dinge reden würden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her. Worin besteht nun die Hilfsquelle des Glaubens? Hören wir, was der Apostel sagt: „Und nun befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade an, das vermag aufzuerbauen und das Erbe zu geben unter allen Geheiligten“ (Apg 20,32).
Welch eine kostbare Hilfsquelle! Kein Wort wird gesagt von begabten Männern, so schätzenswert diese auch an ihrem richtigen Platz sein mögen. Gott bewahre uns vor irgendwelcher Geringschätzung der Gaben, die der Herr in seiner Gnade trotz all unsrer Fehler und Sünden seiner Kirche darzureichen für gut findet! Aber dennoch bleibt es eine unumstößliche Wahrheit, dass der Apostel bei seinem Abschied von der Kirche uns nicht begabten Männern anbefiehlt, sondern Gott selbst und dem Wort seiner Gnade. Hieraus folgt: Mag unsere Schwachheit auch noch so groß sein, wir haben nur auf Gott zu blicken und auf Ihn zu vertrauen. Seine Gnade kennt keine Schranken; Er beschämt nie eine Seele, die auf Ihn vertraut, und Er vermag uns in überströmender Fülle zu segnen, wenn wir nur einfältig und demütig wie Kinder auf Ihn allein rechnen.
In dieser Demut und in diesem Vertrauen auf Gott liegt das Geheimnis aller wahrer Segnung und geistlichen Kraft. Einerseits haben wir uns keine Kraft anzumaßen, und andererseits dürfen wir nicht dem Unglauben unserer Herzen erlauben, der Güte und Treue Gottes Schranken zu setzen. Er kann und wird seinem Volk die nötigen Gaben zur Auferbauung darreichen, und Er wird dies umso mehr tun, je mehr wir auf Ihn warten und nicht selbst die Hand ans Werk legen. Würde die Kirche mehr auf Christus, ihr lebendiges Haupt und ihren liebenden Herrn, geblickt haben anstatt auf menschliche Einrichtungen und auf die Hilfsmittel dieser Welt, wahrlich, sie würde eine ganz andere Geschichte aufzuweisen haben. Wenn wir, geleitet durch unsere ungläubigen Pläne, ruhelos unsere eigenen Einrichtungen zu treffen suchen und so den Heiligen Geist betrüben, auslöschen und hindern, was anders können wir dann erwarten als Dürre und Leere, Enttäuschung und Verwirrung? Christus genügt allezeit und für alles; aber wir müssen in Wahrheit auf Ihn harren, Ihm vertrauen und Ihn wirken lassen. Die Bahn muss völlig frei bleiben für die Wirksamkeit des Heiligen Geistes zur Entfaltung der Kostbarkeit, Fülle und Allgenügsamkeit Christi.
Aber leider fehlen wir gerade hierin am meisten. Wir suchen unsere Schwachheit zu verbergen, anstatt sie anzuerkennen; und anstatt hinsichtlich all unsrer Bedürfnisse einfältig und gänzlich auf Christus zu vertrauen, suchen wir unsere Blöße mit einem selbst gewirkten Gewand zu bedecken. Wir werden des demütigen und geduldigen Wartens auf Ihn müde und sind nur zu bereit, uns den Schein der Kraft zu geben. Nichts ist törichter als das und nichts schadet uns mehr. Ach, wenn wir es nur glauben wollten, dass unsre wirkliche Kraft darin liegt, unsere Schwachheit zu kennen und anzuerkennen und uns von Tag zu Tag an Christus anzuklammern in ungekünsteltem Glauben!
Diesen vortrefflichen Weg einzuschlagen, dazu ermahnt Judas in den Schlusszeilen seines Briefes den christlichen Überrest:
Jud 20.21: Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben.
Diese Worte bezeugen offenbar die Verantwortlichkeit aller wahren Christen, miteinander verbunden, nicht aber getrennt und zerstreut zu sein. Wir sollen einander in Liebe nach dem Maß der uns mitgeteilten Gnade und nach der Art der uns verliehenen Gaben dienen. „Euch selbst erbauend“ – das ist eine gegenseitige Sache. Wir haben nicht auf menschliche Anordnungen zu blicken noch sollen wir bei der Klage über unseren Mangel an Gaben stehenbleiben; nein, ein jeder sollte einfältig tun, was er kann, um den gemeinschaftlichen Segen und den Nutzen aller zu fördern.
Der Leser wolle die vier Dinge beachten, zu deren Ausführung wir ermahnt werden:
erbauen beten
erhalten erwarten
Welch ein gesegnetes Werk ist das, und zwar ein Werk für alle! Es gibt nicht einen einzigen wahren Christen auf der Erde, der nicht einige dieser Dienstleistungen oder sie alle erfüllen könnte; ja ein jeder ist verantwortlich, der Ermahnung des Apostels nachzukommen. Wir können
uns selbst auferbauen auf unseren allerheiligsten Glauben; beten im Heiligen Geist;
uns selbst erhalten in der Liebe Gottes; und indem wir dieses tun,
können wir die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwarten.
Fragt man, wer die „Geliebten“ seien, so antworten wir: alle, die durch die Gnade Gottes ein Anrecht auf diesen gesegneten Titel haben. Es ist nicht ein angenommener Name oder ein leeres Bekenntnis, sondern die Bezeichnung der wahren Stellung der Christen. Und ein jeder sehe zu, ob er auf dem Boden derer stehe, die so genannt sind.
Indes beschränkt sich die Verantwortlichkeit des christlichen Überrestes nicht auf die vier genannten Dinge. Er soll nicht bloß an sich denken, sondern auch in helfender Liebe seine Hand zu denen ausstrecken, die in Gefahr sind: