Behandelter Abschnitt Judas 20-21
Uns wird nun das zweite Mittel zur Bewahrung genannt:
„Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben“ (20–21).
Dies ist also das Hilfsmittel der Heiligen, genauso wie das Mittel zur Erhaltung in unruhigen Zeiten. Das Verhalten Nehemias ist bereits zitiert worden, und man kann diese beiden Bücher (Nehemia und Judas) kaum lesen, ohne von den Parallelen überwältigt zu werden. Beide mussten die Verteidigung und Kriegsführung vorantreiben, und beide ermutigten die Heiligen zum Bauen. Wir lernen daher von beiden, dass wenn wir in der Verteidigung der Wahrheit ernstlich mit dem Feind ringen müssen, es vor allem anderen nötig ist, dass wir uns selbst auf unseren allerheiligsten Glauben erbauen. Diejenigen, die das Schwert Gottes schwingen, müssen in der Lage sein, es zu gebrauchen, wenn sie siegreich aus dem Kampf hervorgehen wollen.
Lasst uns diese Ermahnungen dennoch genauer untersuchen. Der „allerheiligste Glaube“ ist das, was wir glauben, kurzgesagt die Wahrheit. Judas wünschte, dass die Heiligen darin gut gegründet waren und darauf erbaut wie auf einen sicheren Grund, der nicht erschüttert werden kann und so auf die Angriffe des Feindes vorbereitet ist. Dass sie in der Wahrheit ruhten, den großen Wahrheiten der Christenheit, als die Kraftquelle für ihre eigenen Seelen. Und durch diese sollten sie auferbaut werden, mit den Gedanken Gottes erfüllt, die in seinem Wort, durch das sie geheiligt sind, offenbart sind, so dass sie, indem sie sicher auf göttlichen Grundlagen ruhen, stark für den Kampf sein können, zu dem sie aufgerufen wurden. Dies bedeutet Sorgfalt im Lesen der Schriften, und dementsprechend finden wir, dass Gott Josua den folgenden Auftrag gab, als er ihn an die Spitze seines Heeres stellte und ihn einsetzte, um Israel in ihren Kämpfen zu leiten: „Dieses Buch des Gesetzes soll nicht von deinem Mund weichen, und du sollst darüber nachsinnen Tag und Nacht, damit du darauf achtest, zu tun nach allem, was darin geschrieben ist; denn dann wirst du auf deinem Weg Erfolg haben, und dann wird es dir gelingen“ ( Jos 1,8).
Das Wort Gottes ist in der Schrift immer mit Gebet verbunden, und so ist die nächste Ermahnung, „betend im Heiligen Geist“ zu sein. Es könnte fast gesagt werden, dass diese beiden Dinge nicht wirklich getrennt werden können, denn wann immer das Wort Gottes im Herzen empfangen wird, muss es Gebet hervorrufen. Judas spricht vom Beten „im Heiligen Geist“, denn in Wahrheit ist nichts anderes wirkliches Gebet. Bitten mögen gestellt, Gebete gesprochen werden, doch das einzig gottgemäße Gebet ist das, das die Frucht der Wünsche ist, die durch den Geist in uns hervorgerufen werden. Hier bedeutet das Gebet jedoch eher die Erhaltung in dem ständigen Bewusstsein der völligen Abhängigkeit von Gott in der Seele durch den Heiligen Geist, denn dies ist sowohl das Geheimnis der Bewahrung als auch der Kraft (Ps 16,1).
Als nächstes fordert Judas auf: „Erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes.“ Es sollte bemerkt werden, dass das Wort „erhaltet“, wie es in ähnlichen Ermahnungen häufig der Fall ist, in einer Vergangenheitsform (dem Aorist) steht. Die Bedeutung ist, dass wir versuchen sollten, „in diesem Zustand“ zu sein und uns vielleicht an unsere eigene Kraftlosigkeit und unser Bedürfnis nach ständiger Gnade erinnern, um so bewahrt zu bleiben. Die Liebe, um die es hier geht, ist Gottes Liebe zu uns, die unwandelbar und gleichbleibend ist, jedoch möchte Judas uns in das Bewusstsein und den Genuss dieser Liebe bringen.
Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist. Dies ist allgemeines christliches Wissen, doch es ist etwas ganz anderes, in diesem Bewusstsein in unserer Seele zu leben. Dies ist das Geheimnis ruhiger und gesegneter Freude in der Gegenwart Gottes. Und es ist nur das Teil derer, die in der Kraft eines ungetrübten Geistes leben, während es im Herzen des Gläubigen der fruchtbringende Grund heiliger Zuneigungen wird, sei es gegenüber Gott oder unseren Mitheiligen (vgl. Joh 15,9-12).
Darüber hinaus sind wir im Sinn der Liebe Gottes in der Lage, „die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus . . . zum ewigen Leben“ zu erwarten. Die Bezugnahme auf Hebräer 4,16 wird das Bedürfnis des Heiligen nach Gnade erklären, während er durch die Wüste reist. Es gibt Gnade für unsere Schwachheit, aufbewahrt für uns an dem Thron der Gnade in Antwort auf die Fürsprache Christi als dem Hohenpriester. Hier ist es die Barmherzigkeit des Herrn Jesus Christus selbst, der unser ständiges Bedürfnis danach kennt, denn er ist selbst durch die Wüste gewandert. In den Evangelien haben wir eine vorzügliche Beschreibung der Art und Weise, in der er diese selbst erweist.
In Gethsemane, als er während seiner Qualen angesichts des vor Ihm stehenden Kreuzes seine Jünger Petrus, Jakobus und Johannes schlafend fand, sprach er zu Petrus: „Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt; der Geist zwar ist willig, das Fleisch aber schwach“ (Mt 26,40.41). In der Zärtlichkeit seines Herzens fühlte Er in ihrer Schwachheit mit ihnen. Er war berührt, als er ihre Unzulänglichkeit spürte und Er gab ihnen die nötige Barmherzigkeit. Wo ist ein solches Herz wie seins? Und der Geist Gottes möchte, dass wir unseren gesamten Weg bis zum ewigen Leben auf Ihn hoffen, auf sein herzliches Erbarmen und seine Barmherzigkeit. Wie einmal von jemandem geschrieben wurde: „Es ist die Barmherzigkeit, die auf dem ganzen Weg gebraucht wird, Barmherzigkeit, die bis zum Ende reicht und uns in das ewige Leben trägt.“6
6 Einige beschränken die Barmherzigkeit auf das ewige Leben am Ende, indem sie das ewige Leben als das Ergebnis und völligen Ausdruck der Barmherzigkeit unseres Herrn betrachten. Wir bevorzugen jedoch die oben gegebene Auslegung. Ewiges Leben wird, wie auch in den Briefen des Paulus, als zukünftig betrachtet und daher in seinen Ergebnissen gesehen, nämlich Gleichförmigkeit mit Christus in Herrlichkeit. In den Lehren des Johannes ist es ein ständiger Besitz, der in und durch den Gläubigen, unabhängig von seinem Wachstum und seiner Einsicht, ausgedrückt wird. Alle besitzen es gleichermaßen und können wissen, dass sie es haben (1Joh 5,13), auch wenn sich seine Ausdrucksform in Abhängigkeit davon unterscheiden kann, ob es sich um Kinder, Jünglinge oder Väter handelt.↩︎