Schriften von Fritz Binde
2Kor 6,3-10 - In allen Dingen Diener Gottes2Kor 6,3-10 - In allen Dingen Diener Gottes
«Und wir geben niemand irgendein Ärgernis, auf dass unser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allen Dingen erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhren, in Arbeit, in Wachen, in Fasten, in Keuschheit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, in dem Heiligen Geist, in ungeheuchelter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte: als die Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts innehaben, und doch alles haben» 2. Korinther 6,3-10
Es gibt zweierlei Dienste auf Erden: Ichdienst und Gottesdienst. Der Ichdienst entspricht der Ichbejahung und dem Selbstleben, der Gottesdienst der Jesusbejahung und dem Leben für Gott. Der Ichdienst entspricht der Sucht nach Ehre und Besitz, der Gottesdienst der Hingabe des Lebens an Gott. Der Ichdienst beginnt mit den heranreifenden Äußerungen unseres natürlichen Lebens von Mutterleibe an, der wirkliche Gottesdienst mit dem neuen Leben aus Gott durch Bekehrung, Buße, Glaube und Wiedergeburt. Der Ichdienst macht unmittelbar oder mittelbar das Ich zum Ausgangspunkt, Mittelpunkt und Endpunkt, wirklicher Gottesdienst hat nichts als Gott im Auge. Ichdienst ist immer Abgötterei, wirklicher Gottesdienst ist das Ende aller Abgötterei.
Jeder Glaube, der nicht den Ichdienst aufgibt und den wirklichen Gottesdienst annimmt, ist Selbstbetrug, der Ärgernis erregt und den wirklichen Gottesdienst verlästert. Es gibt zweierlei Ärgernisse: ein unvermeidliches und ein durchaus zu vermeidendes. Das unvermeidliche Ärgernis ist das Ärgernis Christi, das er gab, indem er in einer ichdienerischen Welt allein Gott diente; dies unvermeidliche Ärgernis muss auch bei den Nachfolgern Christi gefunden werden. Es zu verbreiten ist Notwendigkeit, dafür zu leiden Glückseligkeit, ja die einzige Glückseligkeit, die es nicht im Himmel, sondern nur auf Erden gibt; denn im Himmel gibt’s nicht Hass und Schmach um Christi willen. Wehe den Gläubigen, deren Jesusnachfolge so blass ist, dass sich niemand daran stößt; sie werden auch nichts von der verheißenen Glückseligkeit auf Erden erfahren (Lk 6,22.26)! Aber nun das andere, das durchaus zu vermeidende Ärgernis! Es ist das unglückselige Ärgernis der Heuchelei, nämlich scheinbar Gott zu dienen, in Wirklichkeit aber sich selbst zu leben. Es ist überall da, wo man wohl gewisse Formen der Gottseligkeit hat, nämlich einen äußerlichen Gottesdienst pflegt, aber ihre Kraft verleugnet (2Tim 3,5). Wir reden von Gott, als ginge uns nichts über ihn, und in Wahrheit geht uns nichts über die Abgötter der Ehre und des Besitzes. Wir reden von Jesus, als ob er uns alles wäre, und in Wirklichkeit geht uns nichts über uns selber. Wir reden vom Segen der Bekehrung und von der Kraft und Freude der Gotteskindschaft, und dabei findet man uns in den alltäglichsten Lüsten, Leidenschaften, Launen und in den gewöhnlichsten Äußerungen des ichsüchtigen Selbstlebens. Das ist das böse Ärgernis, wo die Leute allerlei Übles wider uns reden und nicht daran lügen (Mt 5,11). Das ist die größte Finsternis, wo wir, die wir das Licht der Welt sein sollen, Finsternis geworden sind (Mt 6,23). Und das ist die faulste Fäulnis, wenn das Salz dumm geworden ist und unter den Füßen der Menschen zertreten wird (Mt 5,13).
Ich kenne manchen Ort, wo keine Evangelisation mehr fruchtet, weil dort das durchaus zu vermeidende Ärgernis herrscht. Der Dienst des Herrn ist verlästert worden durch Neid und Streit der Gläubigen untereinander oder durch Hochmut, grobes Wesen, ja offenbaren Geiz, ja sogar grob unsittliches Leben der Einzelnen und ganzer Familien. Von Jesus und der Notwendigkeit der Bekehrung hatte man geredet und gepredigt und dabei sich selber gelebt. Man beanspruchte, Träger des einzig richtigen Gottesdienstes zu sein, und blieb stecken im Ichdienst. Man bejahte Jesus in den Versammlungen und verneinte ihn im Familien- und Berufsleben. Wie viele Tausende im Lande mögen sich nicht bekehren wegen der Ärgernis erregenden Verlästerung des Dienstes Gottes und Christi durch das offenbar gewordene Selbstleben der »Bekehrten«! Welch eine Abrechnung wird das vor dem Richterstuhl Christi geben!
Wie beschämend für solche und wie ermutigend andererseits für willige Jesusnachfolger redet da unser Textwort. Paulus kann bezeugen: »Wir geben niemand irgendein Ärgernis.« Der Mann, der das unvermeidliche Ärgernis Christi so rücksichtslos unerschrocken und reichlich gegeben hat, dass man ihn als eine Pest und als einen Aufruhrerreger unter allen Juden des Erdkreises gefunden hatte (Apg 24,5), irgendein Ärgernis! Er hat also nie einen anderen Anstoß gegeben, als den Anstoß zu Jesus hin. So rücksichtslos er das eine Ärgernis gab, so zart hütete er sich vor dem anderen. Mochte man ihn als ein Allerwelts-Scheusal und als einen Auswurf aller ansehen (1Kor 4,13), so war doch niemals der Dienst eines Apostels Christi durch ihn verlästert worden. Er redet aber nicht nur von sich allein, sondern sagt »wir« und »unser«. Gewiss meint er damit die Apostel und viele Gläubige, die also allesamt weder der Welt noch der Gemeinde das böse Ärgernis gegeben haben.
»Sondern erweisen uns in allen Dingen als Diener Gottes.« Eine höhere Zusammenfassung der Ichverneinung und Jesusbejahung gibt es nicht. Kein Ichdienst mehr! Keine Bezugnahme mehr auf irgendein persönliches Interesse eigenwilliger Art! Nur noch für Gott in Christus da sein, um ihm dienend zu tun, was er will! Und das in allen Dingen! Nicht nur in den ausgesprochen frommen, sondern in den alltäglichsten! Nie und in nichts sich meinen, sich suchen, sondern immer und in allem Gott in Christus! Immer als Diener und nie als Herr erfunden werden! Stets abhängig, nie selbständig! Keine Pause im Dienst! Kein ermattetes Zurücksinken ins ichsüchtige Selbstleben, weder in Gedanken noch Worten noch Werken! Welch ein Ausleben des Wortes: Nicht aber ich lebe, sondern Christus lebt in mir! (Gal 2,20) Und welch ein Gegensatz zu dem: Sie suchen alle das Ihre, nicht, das Christi Jesu ist! (Phil 2,21)
Welch eine unbiblische Auffassung vom Gottesdienst hat sich doch bei uns eingebürgert! In Kirche, Kapelle oder Versammlung zu gewissen Stunden am Sonntag oder auch noch in der Woche einige Lieder mitsingen, einige Gebete beten hören und eine Predigt über sich ergehen lassen, das ist nicht nur für die religiöse Welt, nein, das ist auch für viele Gläubige der einzige »Gottesdienst«. Auf den Besuch dieser »Gottesdienste« berufen sie sich, wenn sie ihr Christentum beweiskräftig machen wollen. Schön und notwendig sind diese »Gottesdienste«, und schön und notwendig auch ihr Besuch. Aber wenn’s weiter nichts ist! Zunächst ist’s doch wohl so, dass in solchen »Gottesdiensten« Gott vielmehr uns dient, als wir ihm dienen. Er dient uns da besonders mit der Predigt und Auslegung seines Wortes durch seine Diener, die in jenen Stunden tatsächlich ihren beruflichen Gottesdienst haben. Der eigentliche, andauernde und entscheidende Gottesdienst beginnt aber immer erst, nachdem uns Gott gedient hat. Er hat uns in der Predigt dazu mit seinem Wort gedient, damit wir ihm daheim und überall immer besser und ununterbrochener mit dem ganzen Leben dienen sollen. Diese biblische Auffassung von einem ernsthaft alle Stunden des Lebens währenden Gottesdienst ist vielen ganz fremd, ja so fremd wie die Ichverneinung und Jesusbejahung angesichts des Kreuzes von Golgatha. Ichselig sitzt man im »Gottesdienst«, und mit aller Selbstverständlichkeit steht man im Alltagsleben im Ichdienst; den »lieben Gott« aber hat man hauptsächlich nur als nicht ganz zu entbehrenden Interessenvertreter der Ichgeschäfte, die sich beinahe durchweg um Ehre und Besitz und Genuss drehen. Welch ein Abstand von dem herrlichen Apostelwort: In allen Dingen Diener Gottes! Diesem Abstand entspricht dann auch das Ärgernis, das man an einer ernsthaften Jesusnachfolge nimmt, und das man in Welt und Gemeinde durch seinen Ichdienst gibt.
Paulus aber zeigt einen anderen Weg. Mit fester Hand beginnt er in den weiteren Versen eine Linie zu ziehen, die Punkt um Punkt geradewegs hinab führt in die tiefste Tiefe der Ichverneinung und Selbstentleerung. Nur allein auf dieser Linie vermag sich ein Kind Gottes in allen Dingen zu erweisen als Diener Gottes. Es ist der Weg, auf dem man die Selbstherrlichkeit verliert und die Herrlichkeit Christi gewinnt. Seine erste Station heißt:
In großer Geduld.
Das ist gerade das entscheidende Kenn-Wort für einen allzeitigen und allseitigen Gottesdienst. Jeder eigenwillige Ichdienst ist gekennzeichnet durch Ungeduld. Das Selbstleben befürchtet, überall und immer zu spät und zu kurz zu kommen, daher fiebert es in innerer und äußerer Hast. Soviel Ichkraft, soviel bebende Ungeduld, soviel schreiende Ungerechtigkeit in der Ausübung des rücksichtslosen Ichdienstes. Aber die Einübung zum endlosen Gottesdienst beginnt mit der Erlernung und Erweisung der großen, endlosen Geduld. Sie ist der erhabene Ausdruck der machtvollen Weisheit und heiligen Güte Gottes, dargestellt in der Geduld Christi, zu der unsere Herzen gerichtet werden (2Thes 3,5), auf dass wir »Mitgenossen« dieser Geduld werden (Off 1,9). Unter dem vom Heiligen Geist gewirkten Einfluss der Geduld Gottes und Christi wird unsere Seele zum göttlichen Taktmaß erzogen, und unser Leben nimmt himmlische Gangart an. So lernen wir als Diener Gottes Geduld mit Gott, Geduld mit den Menschen und Geduld mit uns selber. Diese »große Geduld« erweist sich
. . . in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten . . .
Trübsale sind die Erprobungen unseres Gottesdienstes. Da wird es offenbar, ob wir uns oder Gott meinen. Meinen wir uns, leben wir im eigenwilligen, aber frommen Ichdienst, so wird uns in der Trübsal sicher über kurz oder lang der dreifache Geduldsfaden der Geduld mit Gott, Menschen und uns selber reißen, und es wird Ärgernisse absetzen. Mit Gott werden wir hadern, mit Menschen grob werden und schließlich den Tag unserer Geburt verwünschen. Solange alles nach unserem Willen ging, waren wir lammfromm, nun aber in der Trübsal bäumt sich der verletzte Eigenwille in seiner alten Gottfeindlichkeit auf und offenbart damit den noch vorhandenen Rest unseres selbstsicheren Ichlebens. Verdichten sich dann gar die Trübsale zu ausgesprochenen Nöten, so kennt Not oft, anstatt beten zu lehren, kein Gebot Gottes mehr und reizt den fiebernden Eigenwillen zur ungeduldigsten Selbsthilfe. Steigern sich die Nöte sogar zu verwirrenden Ängsten, so kündigt die anklagende Verzweiflung nicht selten Gott den letzten Dienst, und die Trümmer des Glaubens versinken im Meere des Trotzes und der Verzagtheit.
Wie anders, wenn wir uns in Trübsalen, Nöten und Ängsten in großer Geduld als Diener Gottes erweisen! Zwar sitzt dann die Seele im Trüben wie hinter angelaufenen Fensterscheiben, die keine Aussicht erlauben, und die Nöte schrecken und die Ängste schütteln sie, aber der Geist bleibt im Dienste seines Herrn. Ja, er rühmt sich sogar der Trübsal, weil er weiß, dass die Trübsal Geduld bewirkt, die Geduld aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung, die Hoffnung aber wird nicht beschämt, weil die Liebe Gottes in unser Herz ausgegossen ist, von der uns nichts zu scheiden vermag (Röm 5,3-5; 8,35-39). Wenn Gott uns derart in der Trübsal mit seinem Besten dient, wie sollten wir uns also von seinem Dienste scheiden? Nein, nur noch mehr sterben soll der irgendwie noch aufbegehrende Eigenwille, und, »fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal und anhaltend am Gebet« (Röm 12,12), wollen wir uns erweisen als Diener Gottes in Trübsalen, Nöten und Ängsten. Auch
. . . unter Schlägen.
Die Ängste sind nicht unbegründet gewesen: Es kommt zu Schlägen! Oh ja, Gott schont seine Diener nicht im Geringsten! Die Rache einer Frau darf den Dienst Johannes des Täufers beenden (Mt 14,3-12), der eigene Sohn wird nicht verschont, sondern für alle dahingegeben (Röm 8,32); denn Gott gefiel es, ihn zu zerschlagen (Jes 53,10), Stephanus darf gesteinigt, Jakobus mit dem Schwert getötet werden (Apg 7,58; 12,2), und was musste Paulus erdulden und berichten! Wie ichverliebt ist doch zuweilen unsere Auffassung von der bewahrenden Gnade Gottes! Als müsste Gott seine Lieblinge allezeit in Watte und Seidenpapier einwickeln! Wie anders, wie ungeschminkt hat Jesus seine Jünger auf Not und Tod eingeschult!
(Mt 10). Hat wohl eines von uns im Dienste Gottes schon Schläge erlitten? Wohl kaum. Aber Paulus hat sie erlitten. Und wie? In großer Geduld! Woher weiß ich das? Hört! Er empfing seine Schläge in solch großer Geduld, dass er jeden einzelnen Schlag zählen konnte. Fünfmal vierzig weniger einen Streich, schreibt er, habe er von den Juden empfangen (2Kor 11,24). Auch hat ihn ein Satansengel mit Fäusten schlagen dürfen (2Kor 12,7). Aber weder die Juden noch der Satansengel konnten seinen Dienst zerschlagen. Im Gegenteil, nur noch eifriger diente er seinem Herrn mit der Gnade, die ihm, trotz der Schläge, vollauf zum Dienst genügte. Das heißt, sich als ein Diener Gottes erweisen unter Schlägen in großer Geduld!
Und wir? Es gibt andere Schläge, die uns treffen. »Schicksalsschläge« nennen wir sie gerne. »Als ich meinen Mann verlor, das war ein Schlag!« heißt es da. »Und dann kam der zweite Schlag: Wir verloren unser Vermögen!« Ja, das sind auch Schläge. Aber auch sie dienen nur dazu, dass wir Gott noch besser und geduldiger dienen lernen. Sie sollen nur Reste des Eigenwillens zerschlagen helfen und uns zerschlagenen Herzens endgültiger zu Gott hintreiben.
"In Gefängnissen"
heißt es weiter. Ist eines von uns um seines Gottesdienstes willen schon im Gefängnis gewesen? Ich glaube kaum. Aber Paulus musste erleben, wovon er schreibt. Besonders in Philippi. Dort schloss der Herr der Lydia das Herz auf, damit sie, gläubig geworden, den Dienern Christi nachher ihr Heim aufschließen sollte. Danach wurden Paulus und Silas wegen des ausgetriebenen Wahrsage-Geistes ins Gefängnis eingeschlossen, aber durch ein Erdbeben wurde ihnen von Gott das Gefängnis wieder aufgeschlossen, damit durch ihren Dienst hernach auch das Herz des Kerkermeisters aufgeschlossen werden konnte. Welch ein sonderbarer, zwischen Macht und Ohnmacht sich bewegender Dienst war das doch! Aber nie wäre er so zur Ehre des Herrn geraten, wenn Paulus und Silas sich nicht im Gefängnis in großer Geduld als Diener Gottes erwiesen hätten. Im innersten Gefängnis, mit den Füßen im Stock, beteten sie und lobten Gott um Mitternacht, bis der Herr der Erde die Grundfesten des Gefängnisses und der Herr der Herzen das Innerste des Kerkermeisters erbeben ließ (Apg 16). Welch ein durchdringend gesegneter Gottesdienst im Gefängnis! Und welch ein gnadenreicher Dienst später im Gefängnis zu Rom, wo Paulus, angekettet an einen römischen Soldaten, den Brief an die Philipper, den Brief der Freude, schrieb, an dem wir uns heute noch erfreuen!
Jawohl, Paulus war im Gefängnis, um des Dienstes Christi willen. Aber Paulus war auch noch im Gefängnis in der Freiheit Christi, zu der er sich frei gemacht wusste (Gal 5,1). In dieser Freiheit blieb er frei zum Dienst auch zwischen Kerkermauern. Er litt in Banden wie ein Übeltäter, aber Gottes Wort war nicht gebunden (2Tim 2,9). Und wäre ihm auch jeder äußere Dienst in Reden und Schreiben verunmöglicht worden, wie es ja wohl später geschah, so hätte er doch Gott in seinem Inneren weiter gedient. Denn er wusste sich in Christus und Christus in sich. Die Weite dieses inneren Freiheits- und Herrlichkeitsreiches können keine Gefängnismauern einengen. Den Dienst in diesem Reiche kann kein Scherge verbieten. Paulus sah durch die Mauern. Sein Glaubensauge sah das Unsichtbare. Paulus war nicht geknechtet durch die Kerkerstunde; er lebte im Ewigen; denn das Unsichtbare ist ewig (2Kor 4,18).
Viele Gläubige klagen über die unerträgliche Enge ihrer Verhältnisse, in der sie sich vorkommen wie im Gefängnis. Wenn ich in anderen Verhältnissen wäre, sagen sie, wie wollte ich da dem Herrn dienen! Es ist wahr, es gibt bedrückende Engen für ein gläubiges Herz, aber es gibt dennoch keinen Ort und keine Macht, die es uns unmöglich machen könnten, unserem Gott und Herrn zu dienen. Die Enge, über die wir klagen, ist zuerst und zuletzt in uns selber. Es ist unser Unglaube! Es ist unser armselig beschränktes Selbstleben! Es ist unser kleinlicher Ichgeist! Wer ein Sklave seines Ichs bleibt, bleibt auch ein Sklave seiner Verhältnisse. Es kommt weniger darauf an, wo wir sind, als vielmehr, wie wir sind. Hätte unser Glaubensauge Licht und Kraft genug, wahrlich, es sähe durch alles hindurch und über alles hinaus den allmächtigen Gott, dem wir dienen, und den einen, der mit uns in jeden Feuerofen geht! (Dan 3,25). Hätte unser Glaubensgehorsam Freiheit und Reichtum genug, wahrlich, wir blieben Priester und Könige selbst in der entwürdigendsten Lebenslage! Niemand in der Welt als ich bin schuld, wenn mein Gottesdienst verfällt! Schmach und Schande über mich, wenn ich die anderen als die Verwüster meines Heiligtums bezeichnen will! So gewiss mich nichts von der Liebe Gottes zu scheiden vermag als nur meine eigene Lieblosigkeit gegen die höchste Liebe, die aber dennoch von eben dieser höchsten Liebe überwältigt werden wird, so gewiss kann mich niemand von dem Dienst lösen, der mich an meinen Gott und Herrn bindet, als nur der Rebell in mir selbst, dem aber dennoch Gott weiter dient. Darum möge der klägliche, kleingläubige Jammerlaut hinsterben, als ob es irgendeine Enge eines »Gefängnisses« gäbe, in der wir uns nicht als Diener Gottes erweisen könnten in großer Geduld!
Auch "in Aufruhren".
Wo Kinder Gottes ungeteilt ihrem Herrn dienen, gibt’s über kurz oder lang Entscheidung, Erregung und irgendwelchen Aufruhr. Paulus hat das wiederholt mit Lebensgefahr erleben müssen. Aber wie erwies er sich auch in Aufruhren in großer Geduld als ein Diener Gottes! Den Griechen in Athen hielt er in aller Geistesruhe eine wohlgesetzte Bußpredigt, den zusammengelaufenen, wütenden Juden in Jerusalem erzählte er, gebunden mit zwei Ketten, geistesfest und geistesklar seine Bekehrungsgeschichte, so dass der Herr selber, der ihm in der Nacht des folgenden Tages erschien, das Zeugnis seines Dieners bestätigen konnte (Apg 17,22-31; 22,1-21; 23,11). Ich bin auch schon um des Dienstes willen wiederholt in Auf- ruhre gekommen. Einmal, in der Nacht, umhagelten uns die Steinwürfe aufgeregter Bauern, und trafen auch, besonders mich. Als ich schmerzlich zusammenzuckte, meinte mein Begleiter, ein reifer Diener Christi: »Musst nicht erschrecken! Den alten Menschen trifft es nicht, der ist nicht mehr da; und dem neuen macht’s nichts; denn der ist Christus in uns: Der ist das gewohnt!« Mit welchem Frieden erlebten wir den Ausgang dieses nächtlichen Aufruhrs!
Es gibt aber auch andere Aufruhre, nämlich Streit unter den Gläubigen. Wohl den Brüdern und auch Schwestern, die sich da als Diener und Dienerinnen Gottes, die Frieden stiften, er- weisen in großer Geduld! Und wie ist es mit den Aufruhren in den Familien, wenn da plötzlich der Satan, gewöhnlich wegen Nichtigkeiten, einen Sturm zu entfesseln vermag? Erweisen wir uns da in der großen Geduld Christi als Diener Gottes oder in empörter Selbstherrlichkeit als geärgerte und Ärgernis erregende augenblickliche Diener Satans?
Die nächste Dienststelle heißt:
"In Arbeit".
Wer sich da als geduldiger Diener Gottes erweisen will, muss zweierlei lernen. Erstens: Nimm deine Arbeit niemals aus der Menschen Hand! Zweitens: Tue sie niemals in eigener Kraft! Kennst du nur die Menschen als deine Arbeitgeber, so wirst du mehr oder weniger ein augendienerischer Menschenknecht oder ein empörter Menschenhasser; in beiden Fällen bist du kein Diener Gottes mehr. Ein Menschenknecht wirst du, wenn du nur für Anerkennung und Lohn arbeitest; und ein Menschenhasser wirst du, wenn du beides nach deiner Meinung nicht reichlich genug empfängst; in beiden Fällen gedeiht nur ichdienerische Ungeduld. Empfängst du aber deine Arbeit aus der Hand Gottes, indem du dich dünken lässt, dass du dem Herrn dienst und nicht den Menschen (Eph 6,7), und ist der Herr allein dein Richter und Lohnherr, so wird dein Arbeitsdienst den größten Teil deines Gottesdienstes ausmachen und bald wunderbar geadelt und gesegnet werden. Dazu gehört auch, dass du deine Arbeit in der Kraft Gottes tust. Andernfalls wird dich dein gelingendes Werk ruhmselig oder dein weniger gelingendes Werk trübselig stimmen; in beiden Fällen bleibst du an dir selber hängen. So wirst du dich entweder wie ein ichsicherer Held in die Arbeit stürzen oder es wird dir vor ihr grauen; in beiden Fällen fiebert die fleischliche Ungeduld. Darum so viele Nervöse. Also rechne weder mit deiner eigenen Macht noch Ohnmacht; denn beides ist törichter, selbstischer Ichglaube, sondern rechne für jede Arbeit allein mit der Kraft Gottes. Beginne und vollende jedes Werk betend im Namen Jesu. Sobald du merkst, dass dich die Arbeit ungeduldig macht und nicht mehr das Gepräge eines Dienstes für Gott trägt, so bete erst wieder um Stillung deiner Seele, und dann wirke in der Ruhe des Glaubens weiter. Wie viel Ärgernis würde vermieden, wenn wir so arbeiten lernten! Lasst uns den Musterarbeiter Paulus ansehen! Er hat gesagt: »Ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes mit mir« (1Kor 15,10). In dem Maße, als wir die Gnade mit uns arbeiten lassen, werden auch wir uns in jeder Arbeit als Diener Gottes erweisen können in großer Geduld.
Sodann "in Wachen".
Das Wort bezeichnet Schlaflosigkeit. Gewiss dachte Paulus an für den Herrn in besonderem Dienste durchwachte Nächte. Wir dürfen aber auch an schlaflose Nachtstunden im allgemeinen Sinne denken. Was machen wir mit solchen Stunden? Hört: Sie sollen zum nächtlichen Gottesdienst werden! Wie denn? Indem wir sie zum betenden Umgang mit dem Herrn und zur Erfüllung des Fürbittedienstes benutzen lernen. Wie viele Gläubige klagen, es fehle ihnen am Tage Zeit und Stille zum rechten Gebetsdienst, und zugleich klagen sie über schlaflose Nachtstunden. Hast du da noch nie darüber nachgedacht, warum du nicht ein- oder nicht durchschlafen kannst? Du sollst den nächtlichen Gottesdienst üben lernen! Anstatt eigenwillig mit gequälter Seele vergeblich nach dem wie man meint unbedingt nötigen Teil Schlaf zu haschen, wende dich dem Herrn zu, um von ihm erquickt zu werden auf deinem Lager. Jetzt ruhen deine Glieder und Sinne, jetzt beginne zu beten: »Komm, du nahes Wesen, dich in mir verkläre, dass ich dich stets lieb und ehre!« Jetzt sammle dein ganzes Wesen zu ihm hin, dass er dich tränke mit Wonne wie mit einem Strom (Ps 36,9). Jetzt nenne ihm auch fürbittend die Namen, die er dir längst aufs Herz gelegt hat. Jetzt wirf auch alle deine Sorgen und Anliegen auf ihn, anstatt sie Nächte hindurch auf deinem Herzen herumzuwälzen. Du wirst staunen, wie friedlich du einschläfst oder selbst bei wenig Schlaf erquickt am Morgen aufstehst, und wirst jene alte, schwache Schwester verstehen lernen, die, wenn man sie am Morgen fragte, wie sie geschlafen habe, bedeutungsvoll antwortete: »Danke, ich habe gut gewacht!« Siehe, das heißt im Wachen sich als Diener Gottes erweisen in großer Geduld!
Eine weitere Dienstarbeit: "in Fasten".
Gemeint ist hier wohl besonders das unfreiwillige Fasten, infolge Mangels an Nahrung. Wahrscheinlich will Paulus sagen: Wir haben auch unter Entbehrung der nötigen Speise Gott weiter gedient und uns so auch »in Fasten« als Diener Gottes erwiesen in großer Geduld. Es gab aber auch ein freiwilliges Fasten in der neutestamentlichen Gemeinde, an dem Paulus auch teilhatte (Apg 14,23) und worin man sich ebenfalls als Diener Gottes erwies. Wie fremd ist uns doch solcher Dienst geworden! In ungeminderter Freudigkeit auch bei Hunger und Entbehrungen Gott weiterdienen, kann noch lange nicht jedes Kind Gottes. Es scheint aber, wir werden es noch lernen müssen in der letzten Zeit. Da wird es auch noch heißen: Siehe, hier ist Geduld der Heiligen - in Fasten! Wie aber sieht es gar mit dem freiwilligen Fasten aus! Dass Fasten eigentlich zum Beten gehört, wissen die meisten gar nicht mehr. So wie man sein Teil Schlaf beansprucht, so noch viel mehr sein Teil Speise. Wer mag sich da als ein Diener Gottes im Fasten erweisen! Welche ichbeleidigende Zumutung, nicht wahr? Das halten ja die schwachen Nerven nicht aus! Und es wäre doch auch nur »gesetzlich!« Nein, sondern es wäre eine rechte geistliche Übung zur Gottseligkeit, die all denen, die dem Bauche als ihrem Gott dienen (Phil 3,19), ein wegweisendes Beispiel geben könnte. Zudem wird auch das Fasten unter gläubigen Eheleuten (1Kor 7,5) geradezu als Voraussetzung für jede weitere Enthaltsamkeit behandelt. Ärgert uns das?
Die nächste Dienstgelegenheit heißt: "in Keuschheit".
Es betrifft dies Wort die sittliche Reinheit, von der 1Joh 3,3 in Verbindung mit der Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn die Rede ist. In solcher Reinheit zu leben, bedeutet ein unerlässliches Stück Gottesdienst. Ja, es bedeutet nichts Geringeres als die dienstwillige Darbringung unseres Leibes als eines lebendigen, heiligen und Gott wohlgefälligen Opfers für Gott, welche Darbringung geradezu unser vernünftiger Gottesdienst genannt wird (Röm 12,1). Und da Paulus bei den Erbarmungen Gottes zu solchem Gottesdienst ermahnt, wie sehr sollten wir uns also in ihm als Diener Gottes zu erweisen suchen! Viel Dienst für Gott bleibt ungetan, weil wir Gott nicht das Opfer unseres Leibes bringen. Wie weit wir wahrhaft Gott unser Herz schenken, zeigt sich daran, wie weit wir Gott unseren Leib einhändigen. Und wie weit wir uns im Glauben für mit Christus gekreuzigt, gestorben, begraben und zu neuem Leben lebendig gemacht halten, wird daran offenbar, wie weit wir mit unseren Gliedern und Sinnen nicht mehr uns selbst, sondern Gott leben und dienen. Paulus machte seinen Leib zum Sklaven im Dienste für Gott (1Kor 9,27). Wie viele Gläubige sind noch durch ihren Leib im Dienste ihres wollüstigen Ichs versklavt! Darum so viel Schlappheit und Schwachheit, auch Krankheit! Der Leib dem Herrn, und der Herr dem Leibe! (1Kor 6,13.15) Denn unsere Leiber sind Glieder Christi. Dann hat das Leibesgefäß Öl, und sein Licht, das Auge, leuchtet in Einfalt und Reinheit (Mt 25,1-13; 6,22). Und wie viel Streit und Ärgernisse verschwinden dann! (Jak 4,1). So vermögen wir uns in großer Geduld zu erweisen als Diener Gottes in Keuschheit.
Auch "in Erkenntnis".
Keuschheit und Erkenntnis bedingen einander. Gott kann sich uns nicht mehr geben, als wir uns ihm geben. Und Gotteserkenntnis ist weit mehr als Bibelwissen: sie ist bewusstes Teilhaben am ewigen Leben, pulsierendes Gottesleben in uns! Wer dazu seine Sinne und Glieder nicht hergibt, gleicht einem Instrument, dessen Tasten nicht funktionieren. Gott in Erkenntnis dienen, heißt mit im Geist erneutem Sinn (Röm 12,2) und geübten Sinnen (Heb 5,14) ihm zu Willen sein. Ohne solche Erkenntnis ist unser Gottesdienst leerer Brauch oder blinder Eifer. Der Dienst der Erkenntnis bleibt aber ganz gebunden ans Wort der Wahrheit und des Lebens in der Heiligen Schrift, in der sich Gott zu erkennen gibt. Rechthaberisches Wortgezänk, bei dem man sich mit dem Stückwerk der nur wortgemäßen Erkenntnis übereinander erhebt, ist jedoch kein Dienst in Erkenntnis. Gerade weil unser Erkennen ein stückweises ist, haben wir uns in großer Geduld als Diener Gottes in Erkenntnis zu erweisen, indem wir geduldig Stück an Stück zu fügen haben, um auf diese Art hinzu zugelangen zur Einheit der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollkommenen Mannesalter, zum Maße der Lebensgröße der Fülle Christi (Eph 4,13). Gemeinsam das Stückwerk eines zerbrochenen Topfes aneinander zu passen erfordert einen anderen Geduldsdienst als das überlegene Triumphieren des Einzelnen, er habe mit seiner Scherbe in der Hand bereits den ganzen Topf. Oh wie fehlt es doch weit und breit am großen Geduldsdienst in Erkenntnis! Und wie viel starrköpfiger, Ärgernis erregender Ich- und Formdienst wirtschaftet stattdessen!
Ebenso viel fehlt uns am Dienst "in Langmut",
in Nachsicht. Denn hier handelt es sich wohl hauptsächlich um das Ertragen von Beleidigungen, Beschimpfungen und allerlei Ungerechtigkeiten. Wer im Ichdienst stecken bleibt, erträgt dergleichen nicht. Er sucht Ehre, Berücksichtigung, Bequemlichkeit, und vor allen Dingen - sein Recht. Nichts ist ihm ferner als Langmut in diesen Stücken. Geärgert, wird er kurzerhand herausfahren und wieder zu ärgern suchen. Der Ichdiener widerstrebt jedem Übel; denn er findet in jeder Belästigung einen Angriff gegen sein Selbst, der ihm unerträglich scheint. Wie könnte er Geduld haben mit seinen Peinigern! Entweder er wehrt sich gegen sie, oder er flieht sie. Wer aber Gott allein dient, tut beides nicht. Er dient weiter; denn er weiß, niemand hat den Dienst Gottes nötiger als die Schmäher und Beleidiger und Ungerechten. Sein Ich aber ist in dem Maße von Menschen nicht mehr zu treffen und zu stürzen, als es bereits von Gott getroffen und gestürzt am Boden liegt. So bekommt der Diener Gottes sogar Wohlgefallen an Misshandlungen wie Paulus (2Kor 12,10), weil sie ihn vor Rückfall ins Eigenleben bewahren helfen und Gelegenheiten bedeuten, sich selbst weiter zu verlieren und die Gesinnung Christi zu gewinnen (Phil 2,5; 1Pet 2,23). Wie köstlich ist solcher Dienst in Langmut!
Und "in Freundlichkeit".
Soweit ich Gott seit meiner Bekehrung kennengelernt habe, ist er mir als ein unausprechlich freundliches Wesen erschienen. Ja, er ist freundlich, und seine Güte währt ewiglich! Und ich denke, je mehr wir seine Nachahmer (Eph 5,1) in seinem Dienste werden, desto freundlicher müssen auch wir werden. Jedenfalls ist schon viel Dienst der Seinen misslungen - wegen Unfreundlichkeit. Soviel Ichleben wir beibehalten, soviel Laune, Härte, Grobheit, Plumpheit wird uns begleiten. Ein Geschäftsmann, dem die unfreundliche Härte auf dem Gesicht geschrieben stand, meinte, je mehr sein Angesicht einem Kieselstein gleiche (Jes 50,7), desto ernster sei sein Christentum. Aber seine Familie und seine Angestellten zitterten vor seinem Christentum. Während einer Evangelisationswoche barst dieser fromme Kieselstein. Aus einem zum ersten Male wirklich zerschlagenen Herzen flossen nun wehe, wehe Selbst-Anklagen wegen böser, böser Härte. Und beinahe sichtbar flutete der Golfstrom der Freundlichkeit und Güte Gottes heilend und befruchtend an dies zertrümmerte Her- zensgestein heran. Zwei Jahre später stellte sich mir der Mann aufs Neue vor. Mit blühendem vom Sonnenglanz der Freundlichkeit Gottes mild beleuchtetem Kindergottes-Angesicht erzählte er mir, zwei seiner Kinder und einer seiner Angestellten hätten sich inzwischen bekehrt, und ihm gehe es gut. Seine Frau, die um zehn Jahre verjüngt aussehend, danebenstand, bestätigte alles. Gehe hin, unfreundlicher Diener Gottes, und erlebe desgleichen!
Als weitere Dienstart verzeichnet Paulus die Erweisung als Diener Gottes
"im Heiligen Geiste".
Vor einigen Jahren erlaubte es mir die Freundlichkeit eines Kindes Gottes, Rom zu sehen. Es ging mir dort umgekehrt wie Luther, ich bekam vom christlichen Leben manchen sehr guten Eindruck. Sehr zogen mich die Katakomben des Calistus an, diese unterirdischen Versammlungsräume der ersten Christengemeinde während der Verfolgungszeiten. Viele der trockenen Verbindungsgänge benutzte man später als Begräbnisstätten, indem man die Särge in ausgehauene Nischen einschob und darunter die Namen der Toten auf Stein- oder Metalltafeln bezeichnete. Geschäftsmäßig schnell eilte unser Führer und Erklärer mit der Gruppe von Besuchern an diesen Grabkammern entlang. Ich aber zögerte und leuchtete mit dem ruhigen Lichte meines langen Wachsfadens manche Grabtafeln ab. Plötzlich las ich unter dem Namen einer da begrabenen Christin (in Deutsch wiedergegeben) die Worte:
»Sie lebte im Heiligen Geist.« Wie von Gott angeredet durchfuhr es mich. Welch eine Grabschrift! Welch ein Nachruf! »Sie lebte im Heiligen Geist!« Und im Nu hieß es in mir: Wenn man das einmal von dir sagen könnte: »Er lebte im Heiligen Geist!« Oh, musste ich denken, dann wäre ja alles, alles erfüllt, was dein Gott mit dir hat tun wollen und womit du ihm hast dienen sollen! Im Heiligen Geist leben! Nicht im Ichgeist! Nicht im Zeitgeist! Nicht in irgendeinem menschlich-frommen Geist! Nein: im Heiligen Geist! Nicht nur vom Heiligen Geist geleitet, gelehrt und zuweilen gestärkt, nein: im Heiligen Geist leben! Ein vom Heiligen Geist erfülltes und zur Erfüllung gebrachtes Leben! In ihm denken und dienen, wandeln und handeln, ruhen und reden! Schauerlich erschrak ich über die Geistlosigkeit meines Lebens. Schauerlich fand ich mich allein in dem unterirdischen Grabgang Roms und eilte vorwärts, doppelt bange vor Verirrung. Und was ich auch an jenem Tage von Roms verfallener und lebender Herrlichkeit noch sah, nichts überstrahlte die Herrlichkeit jener Grabschrift unter der Erde: »Sie lebte im Heiligen Geist.«
Und nun "in ungefärbter (ungeheuchelter) Liebe".
Da stehen wir vor den drei Worten wie vor unserem schreiendsten Mangel; denn jeder Mangel in unserem Dienst ist Mangel an ganzer, voller, echter Liebe. Ach ja, die Selbstliebe, die gerät echt, voll und ganz, ohne dass man sie zu düngen braucht! Aber lasst uns nach dem sehen, der Sein Haupt neigte und mit einem lauten Schrei für uns starb, und der zuvor gesagt: »Niemand hat größere Liebe, denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde« (Joh 15,13), und seine Freunde waren - seine Feinde, denen seine Liebe mit diesem grässlichen Tode diente! Und Paulus, der uns auffordert, die Liebe Christi zu erkennen, die doch alle Erkenntnis übersteigt! (Eph 3,19). Lasset uns achten auf seine Dienstauffassung 1Kor 13,1-8: »Und wenn ich . . . !« All unser vieler, vieler »Dienst« ohne die ungeheuchelte Liebe: metallisch-kaltes Wortgetöne, klingender Schellendienst, und wir selber: »nichts«! Welch entsetzliche Menschen müssen wir doch sein, dass uns vor dieser Möglichkeit nicht mehr, nicht viel mehr graut! Denn unser Gesamtvorrat an Liebe, mit dem wir die Menschen bedienen könnten, ist - gefärbt! Er zeigt die Giftfarbe der Ichliebe. Wir lieben um Gegenliebe oder um eigenliebiger Selbstbewertung willen; das heißt, wir lieben uns in unserem Lieben. Auch können wir Gott nicht in ungefärbter Liebe dienen, wenn schon in Furcht, aus Selbstliebe. Oder wir lieben und dienen aus Genuss, um der Anmut des Fleisches, um des Behagens, um des Standes und der Bildung willen: alles »gefärbte« Liebe!
Aber wie können wir uns dennoch als Diener Gottes in ungeheuchelter Liebe erweisen? Wenn wir in herber, tieferfahrener Ichverneinung gar nicht mehr mit der menschlichen Liebesfähigkeit und Liebenswürdigkeit, sondern allein mit der Liebe Gottes in Christus Jesus rechnen. Das ist das Ende alles Götzendienstes in der Liebe und der Anfang alles Gottesdienstes in der Liebe. Wir lieben dann die Menschen nicht mehr um unsret- und nicht mehr um ihretwillen, sondern grundsätzlich nur noch um Gottes und Christi willen. Das heißt, wir lieben sie fortan in und mit der Liebe Gottes und Christi. Oder noch einfacher gesagt: Wir lieben die Menschen mit dem Herzen Jesu! Nun können wir bedingungslos, das heißt ohne selbstisches Interesse, also ungeheuchelt lieben. Denn das ist die Liebe, die durch den göttlichen Hass (Lk 14,26) hindurchgegangen ist, der uns im Zeichen des Kreuzes auf Golgatha von allem Fleisch scheidet. Und das ist zugleich die Liebe, durch die das göttliche Erbarmen hindurchgeht, das uns im Zeichen des Kreuzes auf Golgatha mit jeder Menschenseele verbindet. Diese Liebe ist ausgegossen durch den Heiligen Geist in unsere Herzen (Röm 5,5), und wir empfangen und haben sie nur im Glauben. Es ist die Liebe Christi, von der er sagt: »Bleibt in meiner Liebe« (Joh 15,9). Sollten wir durch das Bleiben in unserer Liebe uns als Diener Gottes erweisen müssen, wo blieben wir und unser Dienst! Nun aber vermögen wir in seiner Liebe, ungeheuchelt uns zu erweisen als Diener Gottes in großer Geduld. Diese Liebe treibt jedes Ärgernis aus. Diese Liebe lasse der Herr in uns völlig werden! (1Thes 3,12).
Nächste Diensterweisung:
"in dem Wort der Wahrheit".
Das heißt gewiss zuallererst, dass wir die Lüge ablegen sollen (Eph 4,25). Dann aber gewiss auch, dass sich unser Dienst in den Richtlinien des Wortes Gottes zu erweisen habe, in dem unser ganzes Leben Schriftdarstellung und Schrifterfüllung wird (Phil 2,16; 2Kor 1,20). Denn es ist ein großer Unterschied, ob ich das Wort der Wahrheit als Lehrsystem im Kopf oder als Wahrheit des Wortes im Leben habe, um mich darin als allzeitiger und allseitiger Diener Gottes zu erweisen, womit zahllose Ärgernisse wegfallen.
Sodann
"in der Kraft Gottes".
Der Ichdiener pocht auf die eigene Kraft und möchte, um seiner religiösen Selbstbewertung willen, mit seiner Kraft auch Gott unter die Arme greifen. Er glaubt an sich selbst und sänge am liebsten: »Ach, mein Herr Jesu, wenn du mich nicht hättest.« Sein Dienst ist Entfaltung der Kraft eines Menschen. Dienst in der Kraft Gottes ist aber etwas ganz anderes. Der setzt unsere stete Schwachheit, ja unseren immer völligeren Bankrott voraus. Gottes Kraft wird nur in unserer Schwachheit vollkommen (2Kor 12,9). Und nur, weil uns so sehr vor dem Schwachwerden in uns selber graut, fehlt uns so sehr die Kraft Gottes in unserem Dienst. Wohl entschuldigen wir uns gerne mit unserer Schwachheit im Dienst für Gott, in Wirklichkeit aber sind wir so stark gegen Gott. Stark im Eigenwillen, stark in der Selbstweisheit, Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit, und stark in den ichdienerischen Lüsten des Fleisches. Oh, wenn wir einmal willig würden, uns schwach machen zu lassen in uns selbst, wie würde sich Gottes Willigkeit erweisen können, uns stark zu machen in sich! Dann würden auch wir ehrlich mit Paulus sagen können: »Wenn ich schwach bin, bin ich stark!« und könnten uns auch wie er unserer Schwachheiten rühmen: so aber müssen wir uns ihrer schämen. Und beschämt sinne ich dem nach, was es sein würde, wenn die Kinder Gottes sich als Diener Gottes erweisen würden in der Kraft Gottes! Schon bei kleiner Kraft würden sie »Philadelphia« gleichen (Off 3,8).
"Durch Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken".
Entwaffnet in uns, werden wir bewaffnet durch Gott. In einer Stadt kam ein ganz unscheinbares Frauchen zu mir und erzählte mir die Bekehrungsgeschichte ihres Mannes. den sie geheiratet hatte, als sie selbst noch unbekehrt war. Schon am Hochzeitstage fing er an, sie zu prügeln; diese Prügel aber trieben sie zum Heiland und zur Bekehrung hin. Von da an begann sie um seine Errettung zu flehen und betete: »Herr, er prügelt mich. Mach mich so, dass er mich nicht mehr schlagen kann, sondern sich bekehrt!« Aber zu ihm sagte sie: »Ich weiß, wenn ich wäre, wie ich sein sollte, könntest du mich nicht mehr schlagen!« Nach einigen Monaten hörte er mit dem Prügeln auf, fing aber an zu trinken. Da klagte sie dem Herrn: »Herr, er trinkt. Ich danke dir, dass er mich nicht mehr prügeln darf. Mach mich nun so, dass er auch nicht mehr trinken kann!« Zu ihm sagte sie: »Womit hab ich’s verdient, dass du mich nicht mehr schlägst? Denn, wenn ich wirklich wäre, wie ich sein sollte, bliebst du doch bei mir, und könntest nicht alle Nächte im Wirtshaus sitzen!« Nach einigen Monaten trank er nicht mehr; aber er blieb doch nicht bei ihr, sondern wollte sich scheiden lassen. Da schrie sie zum Herrn: »Nun will er sich scheiden lassen! Herr, ich danke dir ja, dass er nicht mehr trinkt. Aber nun mach mich doch so, dass er nicht von mir gehen kann, sondern sich bekehrt!« Ihm aber sagte sie: »Ich kann’s schon begreifen, dass du dich scheiden lassen willst. Aber wart doch noch ein wenig, ich will dir doch noch die rechte Frau werden!« Nach einigen Monaten sagte er, er wolle einmal mit in die Gemeinschaft, und dort hat er sich bekehrt. - Als das Frauchen diese Geschichte beendet hatte, musste ich denken: Die ist die lebendige Verkörperung von 1Pet 3,1-4. Und als sie das Zimmer verließ, sah ich dem schwachen, armen Weiblein nach, und sah, dass es lichte, unüberwindliche Waffen der Gerechtigkeit hatte zur Rechten und zur Linken.
"Durch Ehre und Schande".
sagt unser Textwort weiter; denn von nun an redet der Apostel nur noch in Gegensätzen zu uns. Es ist, als ob der Weg des Dienstes, den er zeichnet, jetzt steiler bergab führe und nur als ein schmaler Dienst auf der einen Seite droht, heißt Ehre, und die auf der anderen Seite, Schande. Wird uns in unserem Dienst für Gott Ehre zuteil und wir lassen sie in der eigenen Tasche stecken, anstatt sie dem zu geben, dem allein Ehre gebührt, so sinkt unser Gottesdienst zum Menschen- und Ichdienst herab und verdirbt. Treibt uns aber gar eitle Ehr- und Ruhmsucht (Phil 2,3-5), so kann von Geduld und Gottesdienst keine Rede mehr sein. Die Ehrliebe ist die Mörderin der Gottesliebe. Wie viel Opfer liegen da am Wege! Wer Ehre nicht vertragen kann, kann aber gewöhnlich auch Entehrung, Schande, nicht vertragen. Jene steigt ihm zu Kopf, diese bricht ihm das Herz. In beiden Fällen ist geheimer Ichdienst die Todesursache des Gottesdienstes.
"Durch böse Gerüchte und gute Gerüchte".
Derselbe Gegensatz unter anderen Namen. Wer sich wie Paulus in seinem Dienste für Gott übt, allenthalben ein unverletzt Gewissen Gott und Menschen gegenüber zu haben, und dabei keine andere Gerechtigkeit als die im Blute Christi besitzt (2Kor 5,21), der dient Gott geduldig weiter auch unter der Gefahr des bösen oder guten Gerüchtes. Er geht geradewegs durch beide hindurch. Beide Gerüchte dienen ihm zum Einspruch gegen jede Selbstliebe; so bleibt er gefeit. Als ein Knecht Gottes gut gepredigt hatte und eine seiner Verehrerinnen ihn am Fuß der Kanzeltreppe anhimmelte: »Wundervoll, wundervoll!« sagte er nur: »Sie kommen zu spät. Das hat mir der Teufel schon auf der Kanzel gesagt!«
"Als die Verführer und doch wahrhaftig".
Wieder wechselt der Apostel die Sprechweise. Die gegensätzliche Rede bleibt, aber fortan handelt es sich weniger um ein dienendes Aufwärtsschreiten mitten durch Gefahren hindurch, als vielmehr um eine Vollendung unseres Dienstes wie unter einer Maske. Man versieht sich an den Dienern Gottes. Sie sind etwas anderes als sie scheinen. Aber nicht zu ihrem Schlechten und zum bösen Ärgernis, sondern nur zu ihrem Guten. Aber dennoch sehen sie bald aus wie Verdächtige, bald wie Nichtssagende, bald wie Verendende, bald wie Todunglückliche, bald wie Heruntergekommene und endlich wie ganz Verlumpte; solchergestalt sieht man sie ihrem Gott dienen. Sie scheinen unwahrhaftige Verführer, denn Verführer sind durchweg unwahrhaftige Menschen, die es aufs Verderben ihrer Opfer abgesehen haben. Aber sie sind wahrhaftig; denn sie haben es auf die Rettung von Opfern abgesehen. Aber Verführer sind sie, denn sie wollen die Menschen überredend zu Jesus hinführen. Tatsächlich muss jeder Evangelist, jeder Prediger, jeder Hirte, jeder Missionar, ja jedes Kind Gottes etwas Verführerisches an sich haben; wo das fehlt, fehlt etwas in unserem Dienste für Gott. Aber nie darf die Wahrhaftigkeit dabei fehlen; wennschon die Schlangenklugheit zuweilen listige Dienste tun kann (2Kor 12,16). Eine Tochter der Großstadt wird am dunklen Abend von einem Herrn auf der Straße angeredet, ob er sie begleiten dürfe. Bitte, er solle nur mitgehen. Er tänzelt, schwatzt und träumt von allerlei Lust, und sie führt ihn - in die Evangelisationsversammlung. »Aber Fräulein?« - »Bitte, Sie haben mich nur gefragt, ob Sie mich begleiten dürften, und ich wollte hierher.« Dennoch hoffend, bleibt er ihr zuliebe, und kommt dabei, als unwahrhaftiger Verführer, aus der Hand der wahrhaftigen Verführerin auf der Straße in die Hand des ebenso wahrhaftigen Verführers am Rednerpult im Saal und schließlich in die Hand Jesu.
Eine weitere Sonderbarkeit:
"Als die Unbekannten, und doch bekannt".
Was war Paulus bei Lebzeiten für die große Kulturwelt: in Jerusalem ein Sektenhäuptling, in Athen ein Lotterbube, in Rom ein Gefangener! Wie unbekannt war er als das, was er wirklich war. Aber was war Saulus von Tarsus, um deswillen der Himmel zerriss und den der Sohn Gottes bei Namen rief und über den Jesus dem Ananias in Damaskus den bedeutsamsten Ausweis gab und dem der Herr wiederholt erschien, um ihm persönlich Weisung für seinen unvergleichlich wichtigen Dienst zu geben, - was war dieser Saulus-Paulus bei Gott! Und ging es nicht all jenen Dienern Christi so? Ein Haufe von Unweisen, Törichten, Unedlen und Verachteten (Mt 11,25; 1Kor 1,27), lauter der großen Welt Unbekannte. Aber wie ewig angenehm und hochbekannt bei Gott! (Lk 10,20; Röm 8,29.30; Eph 1,4; 1Pet 2,9). Und heute? Auch heute noch sind die wahren Diener Gottes, die nicht sich, sondern Gott in Christus leben, ein Haufe von Unbekannten, deren Namen die Kulturwelt nicht des Wissens für wert hält und deren Leben und Dienst sie verlacht und verspottet. Aber was sind sie bei Gott! Nicht die gewaltigen und weisen Kulturmenschen, nein, sie sind das Licht der Welt und das Salz der Erde, und ihrer wartet die Kreatur und das Königreich der Himmel und der Besitz des Erdreichs und die ewige Gottesstadt! Wo werden die Namen der Diener dieser Welt bleiben, wenn die Namen der Diener Gottes, als Träger des Himmelreiches, aus dem Buche des Lebens verlesen werden? Ja, selig die Diener Gottes, die sich erweisen in großer Geduld als die Unbekannten, und doch bekannt!
Ihr Dienstausweis lautet:
"Als die Sterbenden, und siehe, wir leben"!
Die große Welt hält sie für Absterbende, Hinsterbende, Aussterbende, für Narren, die sich selbst ums Leben betrogen haben. Sie selbst achten ihr Leben wie das Leben von Schlachtschafen (Röm 8,36). Sie werden getötet den ganzen Tag. Sie sterben täglich (1Kor 15,31). Als mit Christus Gestorbene sterben sie sekündlich neu sich selbst. Sie sterben ab ihrem Eigenwillen, ihrer Selbstweisheit, Selbstgerechtigkeit, Selbstgefälligkeit, Selbsterlösungsfähigkeit, jeder eigenen Kraft, jeder Lust des Fleisches, jedem Behagen der Sinne, jeder Regung von Selbstbemitleidung und Selbstverschonung, jedem Anspruch auf Berücksichtigung und Verschonung durch andere, jedem Halt und jedem Aufenthalt in der Welt der Sichtbarkeit (Phil 1,23); denn jede Art von Sterben halten sie für Gewinn. Und siehe, dieselben Leute leben! »Wir leben!« jubeln sie. Es ist wie ein Schrei der Verwunderung aus ihrem eigenen Munde. Es ist wie der immerwährende Auferstehungsmorgen eines jeden Einzelnen. Dieselbe Welt, die sie als Sterbende sieht, muss sie als Lebende erkennen. Sie wirken, sie dienen, sie glauben, lieben, hoffen noch immer. Sie sind noch immer da. Sie sterben nicht aus. Sie sind nicht totzukriegen. Und triumphierend bekennen sie: »Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängstigen uns nicht; uns ist bange, aber wir verzagen nicht; wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen; wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um; wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe herum, auf dass auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde. Denn immerdar werden wir, die wir leben, dem Tode preisgegeben um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu offenbar werde an unserem sterblichen Fleisch!« (2Kor 4,8-11). Siehe, so erweisen sich die Diener Gottes und Christi als die sterbend Lebenden in großer Geduld!
Dazu gehört auch das folgende Dienstsiegel:
"Als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet".
Was würde aus Kindern und Dienern Gottes ohne Züchtigung! Wie unbeschnittene holzige Reben würden sie sein, ohne Frucht. Wie Bastarde, die der Vater verleugnet. Wie Mitarbeiter, denen der Vorarbeiter fehlt. Wie verlotterte Werkzeuge, mit denen der Werkmeister nichts mehr ausrichten kann. Darum geschieht des Herrn Dienst an seinen Dienern, damit sie Seine Heiligung erlangen. Es gehört mit zu ihrem Dienst für Gott, dass sie seine Züchtigung erdulden. Seine Züchtigungen sind ihnen die Zeichen seiner Liebe. Zwar sprechen sie: »Alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünkt uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind« (Heb 12,5-13). Ei, wie werden nach solcher Züchtigung die schlaff gewordenen Hände und erlahmten Knie wieder ausgestreckt und aufgerichtet und die Tritte wieder gewiss und das Lahme wieder heil! Nicht getötet, nein, neu belebt hat die Züchtigung! Darum erweisen sich die Diener Gottes, durch Züchtigung neu belebt, in großer Geduld.
Dabei erscheinen sie im Dienste
"als die Traurigen, aber allezeit Fröhlichen".
Wie sollten die Diener Gottes nicht traurig sein über das ungläubige und verkehrte Geschlecht (Mt 17,17) einer im Argen liegenden Welt, das verblendet, ohne Jesus, den Gerichten Gottes entgegen reift? Und traurig über das Volk Gottes, das anstatt im priesterköniglichen Schmuck des Glaubens wie ein Mann seinem Herrn zu dienen, kleingläubig mit ichverengtem Sinn meist nur die fünf Brote und zwei Fischlein zählt! Und traurig jeder einzelne Diener über sich selbst wegen der fluchvollen Neigung, immer wieder sich selbst anstatt Christus zu dienen. Oh würde diese Traurigkeit nur immer anhaltender und größer! Sie bedeutet keine mürrische Kopfhängerei, sondern eine allezeit würdige Betrübnis, Gott gemäß (2Kor 7,9). Dann wäre auch das Gegenteil, nämlich die allzeitige Freude und Fröhlichkeit im Herrn umso größer. Nämlich allezeit fröhlich, weil unser Gott dennoch die Reiche der Welt einnehmen, dennoch sein Volk im Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes sich darstellen und dennoch als der in uns angefangen hat ein gutes Werk, es auch in jedem Einzelnen auf seinen Tag hin vollenden wird (Off 11,15; Eph 1,18; Phil 1,6). So können sich Gottes Diener, obwohl traurig, allezeit fröhlich erweisen in Geduld.
Ebenso erscheinen sie
"als die Armen, die aber doch viele reich machen".
Ja wahrlich, Gott hat seine meisten und treuesten Diener unter den Armen! Die Reichen müssen zu viel ihrem Besitz und ihrer Ehre dienen; sie sind nicht frei zum Dienst für Gott. Aber die Armen hat Gott auf dieser Welt erwählt, dass sie reich am Glauben und Erben des Reichs seien (Jak 2,5). Die an Wissen und Gut Reichen sind immer die Ausnahme gewesen. Mit armen Leuten hat der Herr sein Werk begonnen, und durch arme Leute erhält er’s heute noch. Noch immer legt die arme Witwe am meisten in den Gotteskasten und erweist sich als am reichsten. Und noch immer sind die Reichsten am geizigsten und erweisen sich als am ärmsten. Wie äußerlich arm waren die Apostel! Und wer in der ersten Christengemeinde noch etwas hatte, wollte so arm werden wie sie, brachte es und legte es zu ihren Füßen (Apg 4,35). Alle wollten »als die Armen« mit allen eins sein. So meinte es auch Paulus: der Überfluss der Reichen sollte dem Mangel der Armen abhelfen, »damit Gleichheit werde« (2Kor 8,14, wörtlich). Bestünde die Echtheit unserer Liebe heute die Geistesprobe (Vers 8), wahrlich, jedes Glied der Gemeinde schämte sich reich zu sein! Alle würden mit Freuden »als die Armen« erscheinen wollen. Leider aber ist’s umgekehrt. Umso lieber redet man irre- führend von der »inneren Armut«, als ob Paulus nur die gemeint hätte. Gewiss hat er die zuallererst gemeint, aber eben: Lebten die Reichen in mehr »innerer Armut«, so lebten sie in weniger materiellem Reichtum! Und hätten alle Gläubigen mehr »inneren Reichtum«, so schätzten sie mehr die äußere Armut. Und wie viel mehr würden sie dann, »›als die Armen‹ doch viele reich machen!« Nämlich von ihrem inneren Reichtum an Glauben, am Wort und in der Erkenntnis und in allerlei Fleiß und Liebe (Vers 7) der armen ungläubigen Welt geben können und sich als wirkliche Diener Gottes als reiche Arme erweisen in großer Geduld.
Die so Gott dienen, stehen zu guter Letzt da
"als die nichts haben und doch alles haben".
Das ist also das End- und Gesamtergebnis ihres Gottesdienstes: Sie haben nichts Eigenes mehr! Auf dem Wege des Dienstes, den der Apostel zeichnet und ging, haben sie alles verloren, was sie hatten. Mit großer Geduld ließen sie sich hinab leiten in die tiefste Tiefe der Selbstentäußerung und folgerichtigen Ichverneinung und Jesusbejahung. Das Kreuz war ihrer Wallfahrt Zeichen, innere und äußere Heimatlosigkeit auf Erden, und Entblößung ist die letzte Station ihrer Dienstreise. Das Ende ihres Lebens für Gott findet sie als arme Habenichtse. Zeige ihnen das Sichtbare, das im irdischen Sonnenlicht erscheint: Sie schütteln das Haupt. Zeige ihnen die Güter, die sie einst suchten und für die sie einst fürchteten: Sie weisen dich lächelnd ab. Weise sie hin auf ihr frommes gottgeweihtes Leben, auf das Verdienst ihres Dienstes: Weh und schmerzlich wehren sie ab. Lenke ihren Blick auf ihre Lieben, die ihnen geblieben: Sie lächeln innig; aber der Blick haftet nicht. Siehe, sie haben nichts mehr. - Nun zeige nach oben und sprich ein Wort, du weißt es: Jesus! - Da nicken sie dankend, selig, unaussprechlich reich. Da fließt ihr Mund über von der Fülle des Reichtums in ihrem Herzen. Siehe, da haben sie - alles!