Schriften von Fritz Binde
1Tim 6,12 - Der gute Kampf des Glaubens in Versuchungen und Leiden1Tim 6,12 - Der gute Kampf des Glaubens in Versuchungen und Leiden
«Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben»
«Um eures Unglaubens willen»
«Er schalt ihren Unglauben»
«Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten»
Vom Kampf des Glaubens hört man nicht gern, man begehrt lieber die Ruhe des Glaubens ohne Kampf des Glaubens. Kampf gibt es überall, wo sich Gegensätze erheben. Je schärfer aber die Gegensätze, desto größer der Kampf. Nun gibt es keine größeren Gegensätze in der Welt als:
Gott und Satan,
Christus und Belial,
Reich des Lichtes und Reich der Finsternis,
Reich Gottes und Reich dieser Welt,
Gottes Weisheit und Menschenweisheit,
Söhne Gottes und Söhne des Ungehorsams,
Christi Sinn und unser Sinn,
Geist und Fleisch.
Das sind Gegensätze von unüberbrückbarer Spannweite. Gegenüber diesen Gegensätzen verlieren alle sonstigen Gegensätze in der Welt an Bedeutung. Deshalb bedingen diese größten Gegensätze auch den größten Kampf. Sie bedingen für den Menschen den Kampf zwischen Glauben und Unglauben, der tatsächlich das größte Thema der Weltgeschichte ist und bleibt. Was sind diesem Kampfe gegenüber alle sozialen und militärischen Kämpfe! Sie sind Nebensächlichkeiten, die schnell wechseln und vergehen; denn sie beruhen auf flüchtigen Gegensätzen. Die Unterschiede der Klasse können verringert werden, die Unterschiede der Rasse zum fruchtbaren Ausgleich kommen; die militärischen Kämpfe führen zum Waffenstillstand und schließlich zum Frieden. Aber in dem Kampfe, der auf den größten Gegensätzen beruht, gibt es keine Verringerung der Spannweite, keinen Ausgleich zwischen den Streitmächten, keinen Stillstand der Waffen, keinen Frieden als fortan geltende Anerkennung der gegenseitigen Machtbestände. Nein, da tobt der Kampf tatsächlich bis zur völli- gen und für die Ewigkeit gültigen Niederlage des Gegners. Erst wenn alle Feinde Christi zu seinen Füßen liegen und die Reiche unseres Gottes geworden sind, dass Gott sei alles in allen, endet dieser unvergleichliche Kampf.
Daraus kannst du gleich sehen, dass dieser Kampf, wenn er erst einmal dein Leben erfasst hat, nicht als nebensächlich gekämpft werden kann. Nein, bist du in diesem einzig großen Ringen auf die Seite Gottes und Christi getreten und damit ein Streiter Gottes und Christi geworden, so ist der Kampf des Glaubens deine einzige Lebensaufgabe geworden, der alle anderen Aufgaben sich unterzuordnen haben. Da kann der Kampf des Glaubens nicht als eine Gelegenheitssache behandelt werden, die man stundenweise auf der Kirchen- oder Versammlungsbank abmacht oder mit Privat- oder Familienandacht erledigt, sondern der Kampf des Glaubens wird einziger, stündlicher, ja sekündlicher Lebensinhalt. Er ist dann nichts anderes, als die Bewahrung und Bewährung des Glaubens unter allen Lebensverhältnissen und wider alle Hindernisse.
Darin liegt bereits ausgesprochen, dass du den Kampf des Glaubens erst dann zu kämpfen vermagst, wenn du bereits gläubig geworden bist. Es ist der Kampf aus und für den Glauben, nicht etwa der Kampf um die Erlangung des Glaubens. Es handelt sich um die Bewahrung und Bewährung, also um die Sicherung und fortschreitende Neugewinnung dessen, was man bereits hat. Der Kampf um den Glauben entspricht dem Zustand eines Menschen, der in der Erweckung steht und schlüssig werden soll, ob er auf Gottes und Christi Seite treten will oder nicht. Was man aber noch nicht hat, kann man auch noch nicht bewahren. Worin man noch gar nicht steht, in dem kann man auch noch nicht bestehen. Also ist der Besitz des Glaubens die Voraussetzung für den Kampf des Glaubens. Allerdings ist der Glaube vieler Gläubigen derart mangelhaft und ungewiss, dass er zu einer kämpfenden Bewahrung und Bewährung nicht ausreichend scheint. Dennoch ist der schwächste Glaube entwicklungsfähig zum Kampf aus und für den Glauben, wenn er nur die Voraussetzung hat: »Ich glaube!« und dann bittet: »Lieber Herr, hilf meinem Unglauben!« (Mk 9,24). Denn es ist bereits kämpfende Bewahrung des Glaubens, wenn man glaubt, dass der Herr unserem Unglauben helfen könne und helfen werde.
Freilich graut den meisten Gläubigen vor dem Kampf des Glaubens. Er scheint ihnen beinahe der schwerste, ja böseste Kampf, über dessen Ausgang sie in schmerzlicher Ungewissheit bleiben. Und doch nennt der Apostel Paulus den Kampf des Glaubens einen guten Kampf. Es ist meist nichts anderes als Unwissenheit, nämlich Mangel an Erkenntnis, dass er nicht allen Kindern Gottes als ein guter Kampf erscheint. Denn er ist sogar der einzig gute Kampf in der Welt. Alle Kämpfe außer ihm sind böse Kämpfe. Wie böse ist der so genannte »Kampf ums Dasein!« Wie böse sind die sozialen und wie grausig böse die militärischen Kämpfe!
Aber wieso ist denn der größte und langwierigste Kampf zugleich der einzig gute in der Welt? Antwort: Weil er der einzige Kampf ist, der Gott völlig auf seiner Seite hat, und weil er der einzige Kampf ist, der von einem bereits völlig errungenen Siege ausgeht. In allen anderen Kämpfen möchten die Menschen Gott auf ihre Seite ziehen, im Kampf des Glaubens zieht Gott die Menschen auf seine Seite. Wer wahrhaft glaubt, lebt nur noch für Gott; dann darf er aber auch wissen: »Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich!« Und wie Gott für mich ist, das zeigt er mir auf Golgatha. Dort hat er den Sohn seiner Liebe zu meiner Errettung, aus der Gewalt Satans und der Macht der Sünde für mich eingesetzt. Dort hat Christus in blutigem Kampfe für mich gestritten, bis der Gottessieg vollbracht war, der mich vom Fluche des Gesetzes vom Sinai erlöste und vom Verderben des Gesetzes der Sünde und des Todes freimachte (Gal 3,13 und Röm 8,2). Dort geschah die große Gottestat, die meinen Glauben gebar und in der mein Glaube unbesiegbar sieghaft ruht. Es ist der Kampf aus dieser Ruhe im bereits vollbrachten Siege heraus, der den Kampf des Glaubens zum alleinigen »guten Kampf« macht. Alle anderen Kämpfe drängen zum entscheidenden Hauptsiege hin, der Kampf des Glaubens geht vom bereits entschiedenen Hauptsiege aus. Es ist der Kampf um die Frucht des Sieges, nicht aber ein Kampf um die Erlangung des Sieges. Siehe, der Anführer unserer Errettung, der Löwe von Juda, der große Durchbrecher, hat überwunden, und in ihm überwinden wir weit. Und so ist unser Glaube bereits der Sieg, der die Welt überwunden hat (Off 5,5; Micha 2,13; Röm 8,37; 1Joh 5,4). Ist das nicht ein guter Kampf? Darum, wer ihn kämpft, nämlich wer den Glauben an den vollbrachten Sieg Christi bewahrt und betätigt, der weiß auch, dass ihm bereits die Siegeskrone beigelegt ist, wie auch der Kampf selber noch toben und wogen mag (2Tim 4,7-8).
Schien dir nun bisher der Kampf des Glaubens ein recht verzweifelt schwerer und böser Kampf, so wusstest du sicherlich noch gar nicht recht, was Glauben heißt. Glauben heißt ja eben nichts anderes, als aufgrund des Wortes Gottes mit dem Siege Christi rechnen.
Es gibt aber zwei Rechnungsarten:
die eine ist, mit dir selbst, deinem Können oder Nichtkönnen, deinen Vorzügen oder Mängeln, deiner Umgebung und deinen Verhältnissen und mit der Macht der Menschen, der Sünde und Satans rechnen. Das ist die Rechnungsart des praktischen Unglaubens der Gläubigen, der nie der Kampf des Glaubens gelingt. Die andere Rechnungsart ist, trotz aller Hindernisse und scheinbaren Unmöglichkeiten über alles hinaus mit dem vollbrachten Sieg Christi rechnen. Das ist die Rechnungsart des tätigen Glaubens der Gläubigen. Und je nachdem welche Rechnungsart du anwendest, wird dir der Kampf des Glaubens zum bösen oder zum guten Kampf werden.
Leider ist die erste Rechnungsart die gebräuchlichere - denn sie ist die menschlich-natürliche. Die sie üben, machen es sich und anderen furchtbar schwer. Trotzdem sie angeben zu glauben, stehen sie praktisch gar nicht auf dem Siegesboden von Golgatha, sondern auf dem brennenden Boden vom Sinai (Heb 12,18-20). Es sind die Gläubigen, die statt Christus immer ihr eigenes Ich im Auge haben. Theoretisch glauben sie an Christus, praktisch aber durchweg an sich selbst. So sind sie stets entweder von sich selbst erfreut oder von sich selbst enttäuscht. Von sich selbst erfreut ist man, wenn man mit der eigenen religiösen Leistung zufrieden ist, und dann neigt man zum Pharisäertum. Von sich selbst enttäuscht ist man, wenn man sein »Zukurzkommen« einsehen muss, und dann neigt man zur Verzagtheit. So geht es stets hinauf und hinab im Rechnen mit dem eigenen Ich. Man ficht wohl, aber man streicht nur die Luft. Man kämpft wohl, aber man wird nicht gekrönt; denn man kämpft nicht gesetzmäßig (1Kor 9,26; 2Tim 2,5). Das heißt, anstatt auf dem Boden von Golgatha nach dem Gesetz des Glaubens (Röm 3,27) zu kämpfen, müht man sich ab auf dem Boden vom Sinai nach dem Gesetz der Werke. Da ist ein fortwährendes Sollen und Müssen, Rennen und Jagen, Seufzen und Plagen, Hoffen und Verzagen. Immer wieder will man dabei durch sich selbst über sich selbst hinaus, um zur geforderten Vollkommenheit zu gelangen. Immer wieder stößt man dabei an die Schranken des eigenen Wesens und der Umgebung und Verhältnisse. Soll das der gute Kampf des Glaubens sein? Nimmermehr; denn das wäre der böseste, weil aussichtsloseste Kampf, der sich denken lässt.
Höre: Wenn du in solchem fruchtlosen Ringen steckst, so hast du leider das Erste noch nicht begriffen, nämlich dass Bekehrung Abkehr von dir selbst und Hinkehr zu Gott in Christus heißt. Du aber glaubst noch an dich selbst. Du hast nie die biblische Buße als Selbsterkenntnis, Selbstbeschämung und Selbstverwerfung vor dem Kreuze Christi erlebt. Du hast nie in tatsächlicher Selbstverneinung dein Eigenleben als ein durchs Kreuz Christi entwertetes und gerichtetes gehasst und preisgegeben. Du hast nie verstanden, dass nur der Jesus im Glauben wirklich zusagen kann, der in der Buße sich selber wirklich absagt. Darum hast du auch bisher nie den Kampf des Glaubens kämpfen können; denn Glauben heißt aufgrund des Wortes Gottes Gott in Christus recht geben. Du aber gabst bisher immer dir recht: deinen törichten Gedanken, deinem schwankenden Wähnen und Meinen, deinen wechselvollen Gefühlen, deinen unzureichenden Taten oder Untaten. Du rechnetest in alledem mit dir und dem, was dich umgab. Das alles war aber nicht Glaube, sondern praktischer Unglaube; also konnte dir auch kein guter Kampf des Glaubens gelingen.
Wie ganz anders aber ist das Ergebnis, wenn du die zweite Rechnungsart anwendest, nämlich wenn du in allem mit dem Sieg Jesu Christi rechnest. Dann gibst du nicht mehr dir selbst recht, sondern gibst deinem Denken, Fühlen und Tun zum Trotz dem Worte Gottes recht. Dann wohnt das Geheimnis des Glaubens in dir, und du wohnst in ihm. Dann weißt du dich mit Christus gekreuzigt, gestorben und begraben, aber auch mit ihm lebendig gemacht. Dann kannst du in Selbstverleugnung und Kreuztragen Jesus nachfolgen. Und dann allein gelingt dir der Kampf des Glaubens als ein guter Kampf.
Dieser gute Kampf des Glaubens ist dann nichts anderes als die allzeitige und überall fällige, glaubensvolle Betätigung deiner Erkenntnis:
Nicht ich, sondern Christus!
Du schaltest dich in allen Dingen aus und ihn ein. So weißt du: Es kommt nicht mehr auf dein Können oder Nichtkönnen an, sondern allein auf sein Können. Fortan hat nicht mehr deine Weisheit oder Unweisheit die Leitung und Entscheidung, sondern seine Weisheit. Er ist dir ja von Gott zur Weisheit gemacht (1Kor 1,30). Fortan bringst du nicht mehr die Macht deiner Stärke oder die Ohnmacht deiner Schwachheit in Anschlag, sondern nur noch die Macht seiner Stärke, durch die du alles vermagst (Eph 6,10; Phil 4,13). Fortan lässt du dich nicht mehr hinnehmen von deinen irrseligen Stimmungen und Gefühlen, sondern weißt dich hingenommen von der unwandelbaren Liebe Christi, die dich nunmehr allein bewegt. Fortan bleibst du nicht mehr hängen an der Zulänglichkeit oder Unzulänglichkeit deiner Taten, sondern rechnest allein mit dem Vollwert und der ewigen Zulänglichkeit der Tat Gottes in Christus Jesus am Kreuz auf Golgatha.
So kommst du in allen Dingen in die gottgewollte Stellung zu deinem Lebensherrn und erfährst und gewinnst dabei die wunderbare Entlastung von dir selbst, die allein Glück- und Gottseligkeit ist. Aber dies alles wirst du nur vermögen und erlangen, wenn du im steten Einspruch gegen dich selber bleibst. Und eben dies kostet beständigen Kampf. Es ist die unausgesetzt notwendige Entscheidung zwischen dem, was dein Kopf und die Menschen sagen, und dem, was Gottes Wort sagt. Es ist das immer neue Wählen zwischen dem Betrug deines Herzens in seinem irrseligen fleischlichen Begehren und dem um dich eifernden Begehren der Liebe Gottes im Geist. Es ist die unaufhörliche Erprobung deines Willens, ob er als Eigenwille herrschen oder nach Gottes Willen dienen will. Es ist mit einem Wort der lebenslängliche Kampf um die Frage, ob du dein Selbstleben behalten oder es an Christus und sein Evangelium verlieren willst, um sein Leben dafür zu gewinnen.
Aber vor diesem Kampf braucht dir nicht zu grauen, eben weil er ja der gute Kampf des Glaubens ist, der den Sieg Christi voraus hat. Unglaube ist Trotz und Grauen, Glaube ist Hingabe und Vertrauen. Und es wäre schon wieder Unglaube, wenn du ichtöricht zurückstehen und sagen würdest: »Ach, solche Ichverneinung kann ich ja doch nicht durchführen!« Denn mit wem würdest du rechnen, wenn du so sprächest? Eben wieder mit dir selbst! Und du hast ja soeben gehört, dass das Wesen der Ichverneinung als Grundlage der Glaubensbetätigung gerade darin besteht, eben nicht mehr mit dir selbst, sondern mit Jesus zu rechnen. Also übe diese heilsame Rechnung unverzüglich, womit du sofort in den tatsächlichen Kampf des Glaubens eintrittst, der ja nichts anderes als die ununterbrochene Betätigung des Glaubens ist, indem der Gläubige einfach seines Glaubens lebt! Es ist das Leben in der Anwendung des Sieges Christi auf alle Lebensfälle und die Verwendung dieses Sieges zum unbedingten Durchkommen durch alles hindurch und über alles hinaus. Denn du wirst finden, alles ist wider den Glauben, um ihn dir zu rauben: die Welt, die Menschen, dein eigenes Ich, nämlich dein Denken, dein Fühlen, dein Tun. Aber du wirst auch finden, der Glaube ist wider alles, um alles zu besiegen, nämlich: die Welt, die Menschen und vor allem dich! Also glaube wider alles, um in Christi bereits vollbrachtem Siege über alles zu siegen! Lass dir auch nicht grauen vor der Selbstverneinung als solcher! Höre! Die Selbstverneinung schließt nicht das Selbstbewusstsein aus, sondern schließt es in allerhöchstem Maße in sich ein. Man muss ein Selbst haben, um ein Selbst geben zu können. Jesus hatte das größte Selbstbewusstsein und infolgedessen die größte Selbsthingabe, als Preisgabe jeder Selbstherrlichkeit. Der Glaube will auch deine Persönlichkeit nicht auslöschen, sondern will sie nur göttlich erneuern, verdeutlichen und befreien. Je mehr du dich als Zerrbild preisgibst, desto mehr wirst du Christi Urbild gewinnen.
Welch eine unerhörte Befreiung bewirkt doch der ichverneinende, lebendig tätige Glaube! Er hebt dich über die Menschenweisheit hinaus und verleiht dir Gottesweisheit. Er hebt dich über die Sinnenwelt der Sichtbarkeit hinaus und eröffnet dir die unsichtbare Himmelswelt. Er hebt dich über dich selbst hinaus und macht dich in der Bindung an Jesu frei von deinen mörderischen Feinden, die da heißen: Satansherrschaft (2Kor 4,4), Sündenknechtschaft (Joh 8,34-36) und Selbstwahn (Mt 16,25). Darum kämpfe in dieser überaus herrlich befreienden Ichverneinung und Jesusbejahung den guten Kampf des Glaubens, und ergreife in ihm das ewige Leben, dazu auch du, ja auch du, berufen bist! (1Tim 6,12).
Wie aber jeder Kampf geübt werden muss, wenn er gelingen soll, so bedarf ganz besonders der größte Kampf, der gute Kampf des Glaubens, der unausgesetzten Übung. Es ist die Übung zur Gottseligkeit (1Tim 4,7). Ich sehe da dreierlei Kampfübungen. Sie heißen Stehen, Widerstehen und Bestehen im Glauben.
Stehen im Glauben ist aber etwas ganz anderes als das theoretische Kopfstehen auf dem Boden eines Glaubensbekenntnisses oder Lehrsystems, mit dem sich die tote Gewohnheit zufrieden gibt oder die fleischliche Rechthaberei eifrig abgibt. Nein, Stehen im Glauben heißt, in Christi Wort, Werk, Geist und Gesinnung stehen, heißt in allen Dingen und zu aller Zeit nicht in uns, sondern in ihm erfunden werden (Phil 3,9), heißt da stehen, wo uns der Glaube hinleitet und hinstellt, nämlich stehen im Siege und in der Freiheit Christi. Wer da stehen lernen will, muss das Abtreten und Abstehen vom eigenen Ich beständig neu üben und betätigen, oder er wird nie wahrhaft im Glauben stehen lernen. Die allermeisten, die wähnen im Glauben zu stehen, stehen in Wahrheit ganz in sich selber und werden deshalb auch immer nur in sich selber, anstatt in Christus, gefunden und erfunden.
Nur der, der im Glauben steht, kann auch im Glauben widerstehen. Er steht in Christus, da ist er geborgen. Die Macht der Stärke Christi ist die Macht seines Widerstandes (Eph 6,10). Er in Christus, Christus in ihm, das ist seine Unüberwindlichkeit. Aber die muss stetig geübt werden. Da besteht die Hauptübung darin, dir selbst zu widerstehen. Wehe dir, wenn du dich durch dich selbst aus deiner sicheren Festung, die Christus heißt, herauslocken lässt! (2Pet 3,17). Im selben Augenblick stehst du bereits praktisch nicht mehr im Glauben und kannst deshalb auch nicht mehr im Glauben widerstehen. Die Rückkehr zu dir ist die Ursache all deiner Niederlagen. Wenn du aber durch glaubenstätige Übung lernst, dir zu widerstehen, vermagst du auch all deinen anderen Feinden zu widerstehen. Diese Glaubensübung heißt: Nicht ich, sondern Christus!
Wer bei jedem Angriff in Christus gefunden wird, vermag nicht nur zu widerstehen im Glauben, sondern auch zu bestehen im Glaubenskampf. Es wird ihm geschehen nach seinem Glauben. Er hielt dafür, dass Christi Sieg auch sein Sieg sei: Nun darf er schauen, was er geglaubt hat. Geborgen in Christus, vermochte er in ihm, der ihn kräftigte (Phil 4,13), Überwinder zu sein (Röm 8,37). Aber auch das Bestehen im Glaubenskampf hängt ganz von der Fortsetzung der glaubenstätigen Kampfübung ab. Nun handelt es sich erst recht um das fortdauernde Bleiben in Christus. Keine Sekunde ist gefährlicher als die nach dem erlangten Sieg. Wer jetzt siegestrunken auf sich selbst zurücksinkt, ist im nächsten Augenblick ein geschlagener Christ. Wer steht, der sehe zu, dass er nicht falle (1Kor 10,12). Wie viele Überwinder wurden überwunden, als sie nach bestandenem Kampfe ein wenig ausruhen wollten in sich selbst!
Darum ist und bleibt uns Kampf verordnet, damit wir nicht in Trägheit selbstsicher werden (Heb 12,1.12.13). Dazu hat uns Gott dreierlei Kampfplätze ersehen, auf denen wir uns in der Glaubensbetätigung zu üben haben. Sie gleichen drei ineinander liegenden Kreisen.
Der engste und darum bewegteste Kampfraum ist in uns selbst (Gal 5,17). Der zweite, weitere ist in der Familie und Gemeinde (Eph 6,1-9; Kol 3,18-25; Röm 12,3-17; 1Kor 12; Kol 2,1). Der dritte, weiteste ist die weite Welt (2Kor 6,3-10). Wir haben aber auf allen drei Kampfplätzen nichts anderes zu erlernen und zu betätigen als das sieghafte Bleiben in Christus; denn das allein heißt den Glauben bewahren. Dieses siegreiche Bleiben in ihm zu erlernen, scheint den meisten Gläubigen das Schwerste im Glaubenskampfe. Und doch wird es nur schwer, wenn du dabei mit deiner eigenen Fähigkeit oder Unfähigkeit rechnest, also gleich mit Unglauben anfängst. Viele stellen sich das Bleiben in Christus als eine Art Starrkrampf vor, wo man, Scheuklappe rechts und Scheuklappe links, in frommer Genickstarre sich peinlich zu Jesus hin zwingen muss. Einen, der einmal so redete, fragte ich: »Müssen Sie sich denn krampfhaft anstrengen, wenn Sie wissen wollen, dass Sie verheiratet sind, um in der Ehe bleiben zu können?« Das verneinte er natürlich. Er wusste sehr wohl, dass ihm sein Eheverhältnis einfach zum Lebensverhältnis geworden war, das in dem selbstverständlichen Gedanken: Ich bin verheiratet! in all seinem Tun mühelos Ausdruck fand. Ähnlich geht es mit unserem Bleiben in Christus. Es ist das stete, stille Bewusstsein unserer Zugehörigkeit zu ihm und unserer Abhängigkeit von ihm. Es ist das zunehmende Wissen im Geiste: Mein Freund ist mein, und ich bin sein! Es ist das selige Geheimnis des Glaubens im Herzen: Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir und ich in ihm! Es ist das immer ausschließlichere Rechnen mit ihm allein, wobei schon unser immer mehr von ihm beherrschtes und erfülltes Denken zum allzeitigen Gebet wird. Übe dich nur in dem, und erwarte alle Weisheit und Fähigkeit dazu nicht von dir, sondern von ihm, und er selbst wird dich an sich erinnern und sich in dir immer entscheidender offenbaren. So wirst du lernen, in seinem Wort, seinem Geist und seiner Gesinnung zu bleiben, und er wird mit alledem in dir bleiben.
Dabei wirst du entdecken, dass gerade das Bleiben in Christus, nämlich das stille Verweilen innerhalb seines Schutzes und Sieges, die starke Ruhe ist, von der aus der Kampf des Glaubens ein so guter und freudiger Kampf wird. Aber dennoch bleibt er ein Kampf, in dem dein Bleiben und deine Ruhe in Christus fortgesetzt durch Versuchungen erprobt werden.
Ohne Erprobung kein Preis, ohne Ringen keine Ruhe! Im Siege Christi, freigemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes, sind wir doch noch nicht frei gemacht von Versuchungen! Er selbst, der Herzog unserer Seligkeit, wurde versucht gleichwie wir, ausgenommen die Sünde. Wir bleiben durchaus versuchbar, sogar mit Einschluss der Sünde, aber wir bleiben nicht besiegbar. Haben wir erst den Kampf des Glaubens als den guten Kampf erkannt, so fürchten wir uns auch nicht mehr vor Versuchungen. Ja, im Gegenteil, wir lernen es für lauter Freude zu achten, wenn wir in mancherlei Versuchungen geraten; denn wir wissen, dass die Versuchungen die Bewährung unseres Glaubens bezwecken. Die Bewährung des Glaubens aber bewirkt jene Geduld und Ausdauer in der Ruhe des Glaubens, mit der wir dann den vor uns liegenden guten Kampf des Glaubens zu durchlaufen vermögen, und durch die ein vollkommenes Werk zustande kommt (Jak 1,2 und Heb 12,1).
Man kann nun
dreierlei Versuchungen
unterscheiden, durch die unser Bleiben in Christus geprüft und befestigt werden soll. Erstens, Versuchungen durch Gott zum Guten; zweitens, Versuchungen aus uns selbst zum Bösen; drittens, Versuchungen durch Satan, die von Gott zu unserer Sichtung zugelassen sind. Ich möchte nur die beiden letzten Versuchungen auch zugleich »Anfechtungen« nennen. Das Wort »Anfechtungen« hat einen sehr bedrückenden Klang. Das Kind Gottes sieht sich da immer einer feindlichen Macht gegenüber, die heimtückisch und übermächtig gegen uns ficht; und wie viele sind durch diese Anschauung schon in Schwermut und Wahnsinn hinein gepeinigt worden! Das entspricht aber ganz und gar nicht dem »guten« und sieghaften Kampf des Glaubens. Nur wer im Unglauben mit sich selber und dem Feind, anstatt im Glauben mit Christus und seinem Schutz und Sieg rechnet, kann sich durch die Furcht vor »Anfechtungen« bedrängen, betrüben und betrügen lassen. Leider geschieht das in Unwissenheit so oft. Man sollte daher das unzulängliche Wort »Anfechtung«, das ja wohl nur der gleichnisartigen Beschreibung der dritten Art der Versuchung in Epheser 6,11-17 seine mittelbare Anwendung verdankt, mehr und mehr ersetzen durch das unmittelbar biblische Wort »Versuchung« und dabei stets wissen, dass hinter allen Versuchungen zuerst und zuletzt Gott steht, der uns nicht zu verderben, sondern stets zu gewinnen sucht; denn nie war Gott unser Feind!
Die Versuchungen durch Gott zum Guten sind die alltäglichsten und andauerndsten im Glaubenskampfe. Eigentlich sollen wir jedes Erlebnis als eine Versuchung durch Gott zum Guten begrüßen; denn denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen, nämlich zum Guten mitwirken (Röm 8,28). Das ist eine unvergleichlich fröhliche Lebensauffassung, die ganz dem guten Kampf des Glaubens entspricht. Es ist schon ungemein glaubensstärkend, zu wissen: Gott versucht niemanden zum Bösen und er selbst kann auch nicht versucht werden zum Bösen (Jak 1,13); aber er versucht uns unausgesetzt zum Guten. Und was das Gute ist, zeigt uns der unsichtbare Gott im Gottessohne Jesus Christus, der sein Abbild und unser Vorbild geworden ist, in dessen Fußstapfen wir nachfolgen (1Pet 2,21). So sind die Versuchungen durch Gott zum Guten das planvolle Suchen Gottes im Heiligen Geist, uns auf der Fußspur Jesu durch alle Gegenden unseres Lebens zu leiten. Jede Fügung und Führung, selbst die kleinsten Geschehnisse sind allein zu diesem Zweck in unser Dasein hinein geordnet. Es ist ein Dasein zwischen lauter Gegensätzen, die alle den guten Kampf des Glaubens von uns fordern. Da ist der gute Kampf des Glaubens die bestän- dige Entscheidung für das immer neue Einsetzen unserer Füße in die Fußstapfen Jesu, damit unsere Schritte und Tritte gewiss werden (Heb 12,13), und die Nachfolge Jesu zum wandelnden Bleiben und bleibenden Wandel in Jesus werde.
Wie weisheitsvoll ordnet da Gott die Kampfstellung! Damit wir uns für Christi Sanftmut und Demut entscheiden lernen, versucht er uns, indem er durch Grobmütige uns erschreckt oder durch Sanftmütige und Demütige uns beschämt. Oder er versucht uns durch der Menschen Ungeduld zu Christi Geduld. Oder er versucht uns durch Armut zur Genüge an Christi Reichtum oder durch Reichtum zur Genüge an Christi Armut und zur Seligkeit des Gebens. So erprobt er uns in der Enge für die Weite und in der Weite für die Enge, in der Wüste für die grüne Aue und an den frischen, stillen Wassern für die Zeit am versiegenden Bach, im Licht für das Dunkel, in der Labsal für die Trübsal, im Gedränge für die Stille und in der Stille fürs Gedränge und wiederum im Streit für die Ruhe und durch die Zeit für die Ewigkeit.
Dabei versucht uns Gott stets planmäßig vom Leichteren zum Schwereren. »Nach diesen Geschichten«, heißt es 1. Mose 22,1, »versuchte Gott Abraham«, den Isaak zu opfern. Und bei alledem handelt es sich darum, unsere Berufung und Erwählung festzumachen, nämlich die persönliche Lebenslinie zu finden und beizubehalten, die Gott vor Grundlegung der Welt für dich gezogen hat, damit du das in diesem Leben werdest, wozu du geschaffen bist. Denn eher gibt es für dich keine wahre Gott- und Glückseligkeit, weil beides nichts anderes ist, als die Übereinstimmung mit unserer Bestimmung; unsere Bestimmung aber liegt in Christus. Abraham, der Vater der Gläubigen, und auch die anderen Gottesknechte haben immer gerufen: »Siehe, hier bin ich!« wenn Gott sie zum Guten versuchte, und ließen sich finden. Ja, selbst der Christus Gottes antwortete dem Vater: »Siehe, ich komme zu tun, oh Gott, deinen Willen« (Ps 40,7-9; Heb 10,7-9). Dass wir uns in jeder Sekunde der Versuchung durch Gott zum Guten für Christus finden lassen und die Antwort geben: »Siehe, hier bin ich!«, das ist der ganze Sinn des guten Glaubenskampfes. Sein Gelingen hängt von der rechten Beantwortung der Frage ab: Wo bin ich Sekunde um Sekunde? Bin ich im ichbejahenden Eigenwillen oder bin ich im jesusbejahenden Gotteswillen? Lebe ich in der Rechnung des Unglaubens mir selbst oder in der Rechnung des Glaubens ihm? Laufe ich mir nach, oder folge ich ihm nach?
Das führt uns zur Betrachtung der zweiten Art von Versuchungen, nämlich der Versuchungen durch uns selbst. Das sind immer Versuchungen zum Bösen; denn es sind Verlockungen zur eigenwilligen Ichbejahung, der die Sünde auf dem Fuß folgt. Es sind die uralten, fluchvoll vererbten Versuche, uns immer wieder im eigenen Geist selbständig zu machen gegenüber Gott. Sie entstammen der uns angeborenen gottfeindlichen, ichsüchtigen, fleischlichen Gesinnung, deren wirksamer Träger unser Leib des Fleisches und der Niedrigkeit ist, den wir zu unserer Demütigung noch tragen müssen (Phil 3,21). Es sind die Restwirkungen des Gesetzes der Sünde und des Todes in unseren Gliedern (Röm 7,23). Denn wir sind und bleiben vom Mutterleibe her Fleisch vom Fleisch und wissen, in diesem Fleisch wohnt nichts Gutes (Joh 3,6; Röm 5,12 und 7,18), »dieweil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft wider Gott ist; denn sie ist dem Gesetze Gottes nicht untertan, sie kann auch nicht« (Röm 8,7). Die gottfeindliche Gesinnung des Fleisches aber äußert sich als Lust des Fleisches, die wider Seele und Geist streitet, um beide dem Fleische und damit der Sünde untertan zu machen. So wird ein jeglicher versucht, »wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod« (Jak 1,14-15).
Versuchungen durch uns selbst sind also alle Versuche unserer angeborenen, fleischlichen Natur, die verlorene Oberherrschaft wiederzugewinnen. Solche Versuchungen sind ohne weiteres noch keine Sünde. Sie sind die ganz natürlichen Äußerungen unseres Fleisches, in dem eben nichts Gutes wohnt. Zur Sünde und persönlichen Schuld wird die Versuchung erst dann, wenn unser Geist und Wille durch Vermittlung der Seele sich der lockenden Lust des Fleisches neigen und ihrem Reiz erliegen. Erst wenn die verhängnisvolle Paarung unseres Willens mit der reizenden Lust stattgefunden und die Lust empfangen hat, ist der böse Balg gezeugt, den die Lust nachher gebiert und der Sünde heißt. Die Sünde aber ist bereits todesschwanger, wenn sie zur Welt kommt; denn wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod. Der unheimlichen Verbindung unseres Willens durch die Kupplerin Seele mit der Lust des Fleisches zu widerstehen, ist hier Aufgabe und Ziel des Glaubenskampfes. Wie aber geschieht das?
Da gilt als Erstes: Lerne zwischen Versuchung und Sünde zu unterscheiden! Wer in frommer Selbstbejahung noch an sich selber glaubt, lernt diese Unterscheidung nie. Er wird immer Gott mit schönen Tugenden aufwarten wollen und infolgedessen es nie verstehen können, dass so viel Böses in ihm ist. Ihm werden die Versuchungen immer schon als Sünden erscheinen, gegen die er sich im eigenen Ringen fruchtlos abmüht und jämmerlich abquält. Hinter dieser Qual und Mühe steckt aber nur der fromme Trotz der Selbsterlösung samt dem Ärger und der Trauer über das Misslingen dieser Erlösung. Da fehlt noch das Erleben der biblischen Buße, die auf dem Wege über Selbsterkenntnis und Selbstbeschämung zur Selbstverwerfung hinab führt. Nur auf dem Nullpunkt der Selbstverwerfung, wo man sich als so aussichtslos verdorben erkannt hat, dass man alle Hoffnungen auf sich selber aufgibt, erkennt man den Unterschied zwischen Ich und Christus, Fleisch und Geist, und damit auch den Unterschied zwischen Versuchung und Sünde. Nun, wo man peinlich weiß, dass nichts Gutes in uns, das ist in unserem Fleische, wohnt, erwartet man vom Fleische auch nichts anderes als Böses und wird infolgedessen auch nicht mehr überrascht, erschreckt und enttäuscht durch Versuchungen aus uns selbst, das heißt, aus unserem Fleische. Nun, da man sich im Glauben vom eigenen Fleische geschieden weiß, weiß man aber auch, dass Versuchungen im Fleische noch keine Sünden sind, weiß aber auch, dass aus Versuchungen jeden Augenblick Sünden werden können.
Darum gilt als Zweites: Wachet und betet! Rechte Wachsamkeit im Geist hat als Voraussetzung immer Misstrauen gegen unser Fleisch, das heißt, den Einspruch gegen uns selbst als Selbstverneinung, und unbedingtes Vertrauen zum Herrn als glaubenstätige Jesusbejahung. Gerade in den Versuchungen durch uns selbst handelt es sich darum, Sekunde um Sekunde mit Jesus zu rechnen. Achthaben auf uns selbst, um uns selbst zu widerstehen, und achthaben auf Jesus, um in ihm zu bestehen, das ist die ganze Wachsamkeit, aus der sich der allzeitige, betende Verkehr mit dem Herrn von selber ergibt. Es ist die beständige Nüchternheit in der Lust des Geistes wider jede Lust des Fleisches. Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch-, denn diese sind einander entgegengesetzt, auf dass wir nicht tun, was wir irgendwie - dem Fleische nach - wollen (Gal 5,17).
Daraus ergibt sich das Dritte: Kämpfe! Ergreife! Das will sagen: Halte Glauben! Nämlich rechne aller Lust des Fleisches und aller Macht der Sünde zum Trotz mit dem vollbrachten Siege des Gekreuzigten, mit der Kraft seiner Auferstehung und mit der Macht des Erhöhten, der durch seinen Geist in dir wohnt und wirkt. Rechne: Ich gehöre nicht mehr mir selbst, ich gehöre ihm, und er gehört mir! Sein Sieg ist mein Sieg! Seine Kraft ist meine Kraft! Und dann ergreife mit einem entscheidenden inneren Ruck gläubig diesen Sieg und diese Kraft! Fliehe die Lust des Fleisches und eile hinein in die Lust des Geistes! Denn »Lust um Lust!« heißt der Wahlspruch. Entweder die Lust an dir selbst oder die Lust am Herrn! Entweder auf der Seite des Fleisches oder auf der Seite des Geistes! Entweder Tötung der Geistesgeschäfte durch das Fleisch oder Tötung der Fleischergeschäfte durch den Geist (Röm 8,13). Die Entscheidung fällt gewöhnlich in einem Augenblick. Bist du da nicht wachsam, gibst du da dir selber nach, bejahst du da dich und verneinst du Jesus, neigst du dich da der Lust des Fleisches und fliehst die Lust des Geistes, so hat deine mangelnde Glaubensbetätigung deine Niederlage besiegelt: Die Versuchung ward dir zur Sünde! Das ist gewöhnlich der Fall bei allen denen, die mehr an die Macht der Sünde als an die Macht Christi glauben (Eph 6,10). Und wie viele »Gläubige« tun das! Auf ihren Unglauben folgt ihr Ungehorsam. Wie ganz an- ders aber ist das Ergebnis, wenn du im tätigen Glauben die Lüste und Begierden deines Fleisches für mitgekreuzigt, dich selbst der Sünde für abgestorben und nicht mehr für einen Schuldner des Fleisches hältst! (Gal 5,24; Röm 6,11; 8,12). Lebst du deinem eigenen Denken, Fühlen und Tun zum Trotz, dieses Glaubens, der sich allein auf Gottes Wort stützt, so wirst du es erfahren, was es heißt: Sieg haben in den Versuchungen, nämlich noch im Fleische leben und doch nicht nach dem Fleische leben, noch die Neigung zur Sünde fühlen und doch vor bewusstem Sündigen bewahrt bleiben.
Wie erfreulich dir aber auch der gute Kampf des Glaubens in den Versuchungen aus dir selbst gelingen mag, nie darfst du dir selber das Reifezeugnis schreiben. Das Zeugnis schreibt der Meister und nicht der Schüler. Mir graut vor denen, die feststellen wollen, wie lange sie nicht gesündigt haben. Solche sind bereits zum trügerischen Glauben an sich selber zurückgekehrt. Und wenn sie gar meinen, bei ihnen sei bereits alles Geist geworden und gar keine gottfeindliche fleischliche Gesinnung mehr vorhanden, so beweist das bereits, dass sie der Zucht des Geistes entlaufen und von sich selbst Betrogene sind, und die Wahrheit ist nicht in ihnen (1Joh 1,8). Der schneidende Gegensatz zwischen der Lust des Fleisches und der Lust des Geistes bleibt, solange wir im Leibe des Fleisches wallen, und die gefährlichste Lust, aus der alle weiteren verderblichen Lüste stammen, ist und bleibt die Lust an uns selbst!
Um uns diese gefährliche Lust immer gründlicher zu verleiden, lässt uns Gott in der dritten Art der Versuchungen durch Satan versucht werden. Hier haben wir es nicht mehr mit Fleisch und Blut zu tun, obwohl es der Feind auf unser Fleisch und Blut zum Verderben unserer Seele abgesehen hat. Hier steigert sich der gute Kampf des Glaubens zum Kampf wider die Herrschaften, wider die Gewalten, wider die Weltbeherrscher dieser Finsternis, wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Gebieten (Eph 6,12). Im Kampfe gegen diese übermenschlichen, feindlichen Gewalten sollen wir den letzten Rest des Glaubens an unsere eigene Kraft verlieren und ganz und gar vom Herrn abhängig werden; das ist der Sinn und Zweck dieser dritten Art von Versuchungen. Da darf Satan am »bösen Tage« unser Hab und Gut zerstören, unseren Leib antasten, unsere Seele beschweren, unseren Geist verdüstern und uns durch Menschen quälen, dass wir im Feuerofen des Elends wie im Rachen der Angst sitzen und uns namenlos bange wird. Nun handelt es sich darum, auch an solch bösem Tage, wo der Teufel los ist, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen.
Da gilt es ganz besonders zu erstarken im Herrn und in der Macht seiner Stärke, nämlich die ganze Waffenrüstung Gottes (Eph 6,10-18) anzuziehen, und das heißt nichts anderes als Christus selber anziehen. Er, der uns von Gott gemacht ist zur Wahrheit, gürtet unsere Lenden wider den Vater der Lüge (Joh 8,44). Er, in dem uns die Gerechtigkeit Gottes geschenkt ist, panzert unsere Brust wider den Verkläger, der uns mit unserer Sündenlast das Herz zermalmen möchte. Er, der uns in seinen Dienst gerufen hat, stiefelt unsere Füße mit Bereitwilligkeit, die Botschaft des Friedens zu verkündigen, wenn der listige Feind uns lahmlegen und dienstunfähig machen will. Wie einen Schild ergreifen wir vor allem den Glauben des Sohnes Gottes (Gal 2,20), um in dem Glaubenssiege des Löwen von Juda, des Lammes von Golgatha, dem Widersacher zu widerstehen, der umhergeht wie ein brüllender Löwe, um uns zu verschlingen (1Pet 5,8-9). Dazu nehmen wir die Gewissheit des Heils in Christus wie einen Helm, um unser Haupt gegen die räuberischen Einflüsterungen Satans zu schützen, und wehren uns mit dem Worte, wenn der Teufel, als Lichtsengel verkleidet, uns mit Bibelsprüchen in die Falle locken will (Lk 4,1-13; 2Kor 11,14). Unser Gebet wird zum anhaltenden Gebetskampf im Geist, bis zum Siegesschrei des Geistes Christi in uns wider seinen Todfeind.
Aber leider verstehen nur die wenigsten Gläubigen den Kampf des Glaubens gegen die Satansgewalten als einen guten Kampf zu kämpfen. Entweder unterschätzt man diese Gewalten und wagt es, ihnen in der eigenen Waffenrüstung frommer Selbstbewertung gegenüberzutreten, wobei man gründlich geschlagen wird, oder man überschätzt Satan und sein Heer. Tatsächlich glauben die meisten vielmehr an die Siegesmacht Satans als an die Siegesmacht Jesu Christi, infolgedessen haben sie es vielmehr mit dem Teufel zu tun als mit Christus. Anstatt den Worten des Königs der Wahrheit zu glauben, glauben sie den Einflüsterungen des Vaters der Lüge. Anstatt aufgrund des Wortes Gottes im Glauben zu wissen: Ich bin bekehrt von der Gewalt Satans zu Gott! Ich bin errettet aus der Gewalt der Finsternis! (Apg 26,18; Kol 1,13), geben sie sich im Unglauben dem Teufel zum Spielball, dass er sie in Schwermut und Selbstmord hinein quälen kann. Anstatt ihm in der göttlichen Waffenrüstung, das ist in Christus, siegreich zu widerstehen, lassen sie sich mit schwankender Seele in Satans Schlinge locken (1Tim 3,7; 2Tim 2,26), und geben sich ihm lebendig gefangen zu seinem Willen. Und doch könnten sie, wenn sie allein mit Gott in Christus aufgrund des Wortes Gottes rechnen würden, dem Teufel gewissermaßen auf den Rücken sehen; denn es heißt: »Widerstehet dem Teufel, so wird er fliehen« (Jak 4,7). Also fliehe du vor der übergewaltigen Majestät Satans (Jud 8-10) zu dem allgewaltigen Christus (2Kor 6,18; Off 1,8), dann wirst du, durch den Glauben geborgen in deinem Erretter, den Satan fliehen sehen! Vor dir flieht er nie, aber wenn er dich in Christus eingehüllt findet, flieht er vor Christus. Wenn er dich in dir, das heißt im praktischen Unglauben, findet, kann er dich übervorteilen und quälen. Je mehr er dich aber in Christus, das heißt im tätigen Glauben, findet, desto weniger darf er dich antasten (2Kor 2,11; 1Joh 5,18). Hierher gehört auch die Bitte im Gebet des Herrn: »Führe uns nicht in Versuchung«; es ist die Bitte um Bewahrung vor der List des bösen Feindes. Aber zu ihrer Erfüllung gehört auch die Warnung des Herrn: »Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach« (Mt 26,41). Das »Fallen« in Anfechtungen durch Satan setzt immer das »Stehen« in trügerischer, fleischlicher Ichsicherheit voraus. Wer wachsam und betend in nüchterner Glaubensbetätigung sein Fleisch verneint und Christi Geist bejaht, fällt weder unversehens in »Anfechtungen« hinein, noch wird er in der Versuchung fallen.
Damit wir dem Teufel im Glauben widerstehen lernen, muss uns Gott durch den Teufel versuchen lassen. Aber so sehr uns auch der Teufel zum Bösen versuchen will, Gott will uns auch durch diese dritte Art der Versuchungen nur zum Guten versuchen. Und das Gute ist: Wir sollen den trügerischen Glauben an uns selbst verlieren, um den allein rettenden Glauben Christi immer völliger zu gewinnen.
Dabei misst Gott die Schwere solcher Versuchungen durch Satan nach der Größe unserer Erwählung und Berufung. Durch Satan selber, dem persönlichen Fürsten dieser Welt, wurde nur Jesus selber versucht, und wir wissen, wie der Herr alle drei teuflischen Versuchungen zur Selbstherrlichkeit abwies durch den glaubensgehorsamen Hinweis auf seines Vaters Wort. Paulus aber, das auserwählte Rüstzeug Jesu Christi, ward versucht durch einen Engel Satans, der ihn mit Fäusten schlagen durfte (2Kor 12,7-9). Diese dämonischen Schläge waren nötig, damit Paulus sich nicht ichsicher und ichgefällig überheben sollte; denn er war ja wunderbarer Offenbarungen gewürdigt worden. Nun wurde er gewürdigt, von einem Teufelsengel geprügelt zu werden! Da sieh hinein in das Geheimnis der Versuchungen durch Satan. Der große Apostel erhält durch einen Engel Satans vorbeugende Schläge, damit Satan ihn nicht soll zur Selbstüberhebung verleiten können! Also dämonische Schläge aus bewahrender Gnade! Und an dieser Gnade sollte sich Paulus genügen lassen! Und er ließ sich an ihr genügen; denn sie reichte aus zur Vollendung seines Laufs, zur Bewahrung seines Glaubens und zur Erlangung der Krone der Gerechtigkeit (2Tim 4,7-8). Lesen wir doch nirgends, dass der Glaube oder die Arbeit und Vollendung des Apostels durch die Faustschläge des Satansengels irgendwie gelitten haben. Das heißt den Kampf des Glaubens als einen guten Kampf auch in der dritten Art von Versuchungen kämpfen!
Was uns betrifft, so hat uns wohl bisher nur menschliche Versuchung getroffen (1Kor 10,13), nämlich Satan hat uns nur mittelbar menschlich, aber nicht persönlich oder durch einen persönlichen Engel versuchen dürfen. Satanische Einwirkungen aus der unsichtbaren Finsterniswelt sind ja eine alltägliche Tatsache im Leben der Gläubigen, aber die unmittelbare Erscheinung Satans oder seiner Engel und Dämonen ist, soviel auch davon geredet wird, doch zu wenig festgestellt. Wir ertrügen dergleichen nicht. Denn wir dürfen glauben: Gott aber ist treu, er wird uns nicht versucht werden lassen über unser Vermögen (nämlich über das Maß von Gnade hinaus, das zu unserer Vollendung nötig ist), sondern wird zugleich mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen, den wir ertragen können. Darum lasset uns aber auch nicht murrend im Unglauben und abgöttischen Ungehorsam Christus versuchen, damit uns der Verderber und die Schlangen nicht umbringen dürfen! (1Kor 10,9-14; Heb 3,7-19 und Heb 4,1-11)
Je nüchterner wir nun den guten Kampf des Glaubens kämpfen, desto deutlicher werden wir auch erkennen lernen, wann und warum es Gott dem Satan zulässt, unseren Leib anzutasten; denn es gibt satanische Versuchungen zur Erkrankung so gut wie zur Sünde. Und zwar sucht der Feind da fast immer erst unsere Seele zu schwächen, um von da aus unsere Leibeskräfte lahm legen zu können, um uns dienstunfähig für den Herrn zu machen. Solange man diese Anschläge Satans nicht genügend erkannt hat, erliegt man einfach solchen Versuchungen, das heißt, man wird krank. Ist es dem Feinde erst einmal gelungen, unsere Seele irgendwie durch Ärger, Sorge, Furcht zu beunruhigen, so teilt sich diese Erschütterung der Seelenkraft gewöhnlich schnell den schwächsten Leibesgebieten mit, und das Versagen der Leibeskraft führt zur Erkrankung. Wir wissen, es sind besonders die Nerven, auf deren Schwächung der Feind es abgesehen hat. Wie viele Gläubige liegen da am Boden oder führen ein Jammerleben, das allem guten Kampf des Glaubens ins Gesicht schlägt! Anstatt an die Herrschaft Christi zu glauben und mit der Kraft seiner Auferstehung für ihren sterblichen Leib zu rechnen (Röm 8,11), rechnen sie nur mit der Herrschaft ihrer Nervenschwäche. Immer mehr werden sie dabei versklavt an ihr krankes Ich. Immer beunruhigter und gequälter wird ihre Seele. Immer abhängiger werden sie von allem Sichtbaren, Hörbaren, Spürbaren. Immer unseliger wird ihre Gedankenwelt, bis zur Zwangsvorstellung, bis zum Wahnsinn. Gewöhnlich ist dabei der Teufel ihr Prediger, Bibelausleger und Seelsorger, dem sie aufs Wort glauben.
Ich lernte einst einen solchen Armen kennen, einen »in den Nerven heruntergekommenen«, das heißt in der eigenen Kraft abgerackerten Diener am Wort. Seit langem belehrte ihn der Teufel: »Du kommst ins Irrenhaus, ins Irrenhaus, ins Irrenhaus!« Der Arme glaubte es mit Entsetzen, und wartete nur noch auf die Erfüllung dieser satanischen Verheißung; denn der Glaube an Christus war nur noch eine wehmütige Erinnerung in ihm. Soweit hatte es der Vater der Lüge und Menschenmörder mit diesem Betrogenen gebracht. Da durfte ich es miterleben, wie Christus Jesus den glimmenden Docht wieder anblies und das geknickte Rohr heilend in seine Hand nahm. Langsam lernte der von Satan Getäuschte wieder glauben, nämlich ganz neu mit der Siegesmacht Christi rechnen. So lernte er allmählich wieder über sich selbst hinaus denken, dem Worte Gottes trauen und sich durch Jesus geliebt und gerettet sehen. Aber immer noch quälte ihn der Feind mit der Einflüsterung: »Und du kommst doch noch ins Irrenhaus!« Bis der Genesende es eines Tages dem Teufel ins Gesicht schrie: »Nun gut, und komme ich ins Irrenhaus, so geht der Herr Jesus mit mir! Halleluja!« In demselben Augenblick riss der Strick Satans, der Gefangene war und blieb frei: der gute Glaubenssieg war erkämpft, die Versuchung durch Satan im Seelen-, Nerven- und Leibesleben beendet!
Oh, wie oft habe ich das gleiche Ergebnis erlebt, wenn mich Satan in meinem arbeitsreichen Dienst durch Verleitung zu glaubenslosen Vernunftschlüssen, durch gefühlige Selbstbemitleidung, durch irgendwelche Furchterregungen in der Seele oder durch plötzliche leibliche Schwächeeintritte lahmzulegen suchte! Und wie oft ist ihm dies leider gelungen, bis ich solche Geschehnisse als Versuchungen der dritten Art erkannte und gegen sie den guten Kampf des Glaubens zu führen lernte. Von da an hieß es, ohne Rücksicht auf eigene Gedanken, Gefühle, Schwäche- und Krankheitszeichen einfach: Durch! Nämlich mit nichts anderem als im Glauben mit Jesus allein rechnen. Noch nie habe ich mich dabei verrechnet! Allen irdischen Naturgesetzen zum Trotz lernte ich es im Glauben wagen, mit den himmlischen Gnadengesetzen unserer Erlösung in Christus zu rechnen, und erlebte dabei Wunder über Wunder. Aus sterbenselender Herzschwäche heraus stand ich auf und redete vor Tausenden in Kraft des Leibes und des Geistes. Oder es gefiel dem Herrn, mich in äußerster Leibesschwachheit zu lassen, aber er gab es mir, zu reden in aller Kraft des Geistes. Stets erlebte ich es: Sobald der Glaube bewährt war, endete die Versuchung. Wohl musste die Versuchung erst erlitten und geduldig harrend (Jes 40,31) erduldet werden, aber umso heller leuchtete nachher das Wort: »Glückselig der Mann, der die Versuchung erduldet!« (Jak 1,12). Dann kann man in Wahrheit mit der Dichterin singen:
Liebster Jesu, sieh ich hülle
mich in dich hinein;
o da bin ich gut geborgen,
kann ich sicher sein.
Kommt Versuchung, Satan, Sünde,
kann ich stille sein,
kann mich bergen hinter Jesus,
hinter ihm allein.
Und steht Jesus mitten innen,
bin ich aus dem Krieg,
denn schon lange hat mein Jesus
mir erkämpft den Sieg.
So ist und bleibt der Kampf des Glaubens ein guter Kampf; denn er hat den Sieg voraus und den Sieger immer bei sich, der denen hilft, die versucht werden (Heb 2,18). Dennoch gehören die Versuchungen mit zu den Leiden dieser Jetztzeit (Röm 8,18), die erlitten werden müssen. Furcht vor Leiden ist aber ein wesentlicher Grund der Furcht vor Versuchungen. Man hat aber immer nur so viel Furcht, als man noch für sein geliebtes Ich fürchtet. Gerade deshalb ist das Erleiden und Erdulden von Versuchungen zur Loslösung von uns selbst und zu unserer herrlichen Offenbarwerdung mit dem wiederkommenden Christus so unerlässlich. Irgendwo fand ich den Wandspruch vor: »Schütz uns vor allem Leid!« Ich strich das Wörtlein »vor« durch und schrieb darüber »in«. Nun war der Spruch biblisch. Vor Leid kann und will uns Gott nicht schützen, aber in allem Leid will er uns schützen, nämlich, dass wir uns im Erleiden des Leides nicht versündigen. Unsere eigenwillige Selbstbejahung sieht die Leiden als das grausigste Übel an. Chrysostomus, der treue Goldmund, sagt aber ganz recht:
»Nur ein Übel gibt’s, das ist die Sünde! Leiden heißt den Willen Gottes erleiden, und das ist kein Übel.« Aber im Leiden den Willen Gottes verfehlen und sich durch Unglaube und Ungehorsam versündigen: das ist Übel! Und nun werden es der bösen Leiden noch mehr. Denn es gibt
zweierlei Leiden,
gute und gesegnete Leiden, die aus der Ichverneinung und Jesusbejahung entspringen und als Fortsetzung der Leiden Christi zum guten Kampf des Glaubens gehören;
und böse, trost- und segenslose Leiden,
die aus der Jesusverneinung und Ichbehauptung entspringen und als selbstgeschaffene Leiden zum bösen Kampf des Unglaubens gehören.
Von den ersteren heißt es: »Denn gleichwie wir des Leidens Christi viel haben, also werden wir auch reichlich getröstet durch Christus« (2Kor 1,5); durch die letzteren aber sollen wir zur Buße betrübt werden, um endlich in den vollen Segen des Glaubens einzutreten (2Kor 7,9-10).
Bei den trostreichen Leiden Christi, die den guten Kampf des Glaubens in allen Versuchungen begleiten, können wir unterscheiden:
Leiden für uns,
Leiden mit anderen,
Leiden für andere.
Was wir leiden müssen, müssen wir zunächst alles für unsere eigene Vollendung erleiden. Musste der Sohn Gottes, an dem, dass er litt, Gehorsam erlernen (Heb 5,8) und durch Leiden vollendet werden (Heb 2,10), wie viel mehr wir! Er hat den Willen seines Vaters durch immer schwerere Versuchungen hindurch erlitten bis zum Tod am Kreuz. Wir haben gehört, dass Kampf und Leid aus dem Vorhandensein von Gegensätzen kommen, und je größer die Gegensätze, desto größer Kampf und Leid. Welche Kämpfe und Leiden muss er also durchlebt haben, denn er war der eine Gegensatz zur ganzen Welt. Ein gläubiger Soldat erzählte mir: »Erst als ich aus der frommen Elternstube in die rohe Kasernenstube kam, begann ich etwas von den Leiden Christi zu verstehen. Wenn mir dieser Wechsel schon die bittersten Kämpfe und qualvollsten Leiden brachte, wie muss dem Sohne Gottes zu Mute gewesen sein, der aus der reinen, heiligen Himmelsstube in diese schmutzige, sündige Erdenstube kam!« Das war ein guter Vergleich. Gerade weil dem Herrn die zweite Versuchung, die Versuchung aus sich selbst zum Bösen, fehlte, muss er unter dem Widerspruch der Sünder (Heb 12,3) um so Unvergleichlicheres zu erdulden gehabt haben. Der Gegensatz bedeutete hier das Unerträglichste, und Jesus ertrug es! Ja, und er ertrug es sogar, in eben diesen grässlichen Gegensatz als in sein fremdestes Gegenteil hinein gebildet zu werden: Der Sündlose wurde für uns zur Sünde gemacht! (2Kor 5,21). Der einst in göttlicher Gestalt war (Phil 2,6), wurde ein Fluch für uns! (Gal 3,13). Und das alles erlitt er zunächst für sich selbst, nämlich um durch dies alles im Leidensgehorsam vollendet und fähig zu werden, das Werk der Erlösung zu vollbringen, das ihm der Vater aufgetragen hatte, dass er es tun sollte. Und in solchem Erdulden den Willen seines Vaters zu tun, nannte er seine Speise (Joh 4,34). Willst du etwas von dieser bitteren Speise nachschmecken, dann schau in seinen blutigen und doch guten Glaubenskampf in der unvergleichlichen Versuchungsstunde von Gethsemane hinein, wo ihn Gott zum Besten versuchte, indem er das Schlimmste mit ihm tat: Er warf der Welt Sünde und damit allen Satansgraus auf ihn! Denn es war nicht möglich, dass dieser bittere Kelch vorübergehen konnte. Und die Stunde war so namenlos furchtbar, dass der, der so oft zu den Seinen gesagt: »Fürchtet euch nicht, ich bin bei euch!« vor der Finsternis dieser Stunde zitterte und zagte und nicht allein in sie hineingehen wollte, und der, der sonst den betrübten Seelen half, nun, mit bis an den Tod betrübter Seele die Hilfe der Menschen begehrte, so dass der Meister den Lehrlingen rief, dort mit ihm zu wachen und zu beten, nur diese eine Stunde: so bangte ihm vor des Kelches Bitterkeit! Und so ist der Sohn Gottes in den Tagen seines Fleisches von Gott und Teufel versucht und durch Leiden zum Opferlamm vollendet worden. Und wegen dieses Leidensgehorsams gab es in seinem Leben keine unfruchtbare Sekunde!
In dem Maße, als auch wir bereit sind, durch alle Versuchungen hindurch den Willen Gottes nach der Schrift, gemäß unserer Berufung, für unsere Vollendung zu erleiden, wird auch unser Leben dem seinen gleichen.
Dabei wird es sich herausstellen: nur wer für sich selbst leiden lernt, lernt auch mit anderen leiden. Wer dauernd vor Leiden zu fliehen sucht, flieht vor der fruchtbarsten Segensquelle; denn nichts hat im Neuen Testament solche Verheißung wie die Leiden: sie sollen durch Teilhaben an der Herrlichkeit Christi belohnt werden! (Röm 8,17). Wer aber die Leiden Christi flieht, flieht auch das Mitleiden mit anderen im Geist und in der Liebe Christi. Die ganze im Argen liegende Welt ist eine einzige Versuchung durch Gott zu erbarmungsreichstem Mitleiden. Mitleid mit uns trieb Jesus auf diese Erde. Wie hat er mit den Kranken, Armen, Verirrten und Verlorenen gelitten! Und als mitleidiger Hohepriester wirkt er vom Throne Gottes herab, bis er wiederkommt (Heb 4,15). Fleischlich-seelisches Mitleid gibt’s viel unter den Menschen, geistlich-göttliches umso weniger. Wie hat Jesus das rührselige Mitleid der Töchter Jerusalems für sich selbst abgelehnt und sie zum geistlichen Mitleid mit ihrem eigenen unheilvollen Leben und dem Leben ihrer Nachkommen, nämlich zu Tränen der Buße aufgefordert (Lk 23,28). Nur wer mit Christus leidet, kann wie Christus mit den Menschen leiden.
Solches Mitleiden wird aber auch immer zum Leiden für andere. Auf dem Boden des Glaubens, dem allein die reine göttliche Liebe entsprosst, verliert man sein Leben; man wird zum Opfer. Den Willen Gottes erleiden, heißt den Verlust des eigenen Lebens erleiden. Nur mit solchem Leidenssinn gewappnet, vermag man die immer schwerer werdenden Versuchungen zu erdulden und im Kampf des Glaubens bis aufs Blut zu widerstehen (1Pet 4,1; Heb 12,4). Wie unzulänglich bliebe Jesu Reden und Heilen ohne sein Sterben für uns! Keine seiner machtvollen Reden und Wundertaten hätte uns vom Fluche des Gesetzes vom Sinai und vom Gesetz der Sünde und des Todes erlösen können. Kein Wunderwirken Moses packt mich so gewaltig, wie jener wunderbare Entschluss: »Und nun vergib ihnen doch ihre Sünde; wo nicht, so tilge mich aus deinem Buche, das du geschrieben hast!« (2Mo 32,32). Und im Briefe des Apostels Paulus an die Römer gibt’s nur eine Stelle, die die Höhe am Schluss des achten Kapitels noch überragt; das sind die ersten fünf Verse im neunten Kapitel.
Der Mann, der eben in hehrer Glaubensüberzeugung ausgerufen hat, dass ihn nichts zu scheiden vermag von der Liebe Gottes in Christo Jesu, der wünscht jetzt durch einen Fluch von Christus hinweg verbannt zu sein für seine Brüder, seine Verwandten nach dem Fleisch, die Juden! Der, für den es nur ein Glück auf Erden gab, nämlich die Gemeinschaft mit dem Herrn, war bereit, diese rettende Gemeinschaft preiszugeben, wenn nur sein Volk, die Juden, dadurch in Gemeinschaft mit Jesus kommen können. Derselbe Apostel war aber auch freudig bereit, für das neutestamentliche Gottesvolk, nämlich für die Glieder am Leibe Christi, an seinem eigenen Fleische stellvertretend zu erdulden, was dem Leibe Christi an Trübsalen noch mangelte (Kol 1,24). Das heißt für andere leiden, nämlich für andere sogar die Versuchungen und Heimsuchungen erdulden.
Das kann man aber nur dann, wenn der gute Kampf des Glaubens im Licht der seligen Ewigkeit geschehen und geführt wird. Was ist denn der Glaube anderes als die gottgeschenkte Fähigkeit, mit biblisch erleuchteten Augen das Unsichtbare zu sehen, nämlich nicht zu zweifeln an dem, was man nicht sieht (Heb 11,1). Und was ist der Glaube dann anderes als die gottgeschenkte Fähigkeit, mit biblisch verheißenen Kräften dem Unsichtbaren unaufhaltsam zuzustreben, um es zu erreichen und zu verwirklichen. Erst enthebt uns der Glaube im Aufblick zum Gekreuzigten dem Bleigewicht der Sündenschuld, dann enthebt er uns im Hinblick auf den Auferweckten der irgendwie noch umstrickenden Sündenmacht, dann enthebt er uns im Aufblick auf unser erhöhtes Haupt dem Truggebiet der Selbstliebe, und damit enthebt er uns sicher dem Dunstkreis der Weltliebe, um uns hinaufzuheben ins weite Ewigkeitsreich der enthüllten Gottesliebe. Und in dem Maße, als die völlige Gottesliebe dem völligen Glauben entsprießt, treibt sie in uns die Furcht vor Leiden und die Pein in Leiden aus (1Joh 4,18). Denn wenngleich wir auf Erden noch Leiden haben müssen, so sollen wir doch die Furcht vor Leiden verlieren, und obgleich uns der Vater im Himmel die Leiden nicht ersparen kann, so will er uns doch die Pein im Leiden ersparen; denn Furcht und Pein sind nur in der Selbstliebe, aber nicht in der Gottesliebe. So will uns Gott durch den guten Kampf des Glaubens auf der Stufenleiter der Versuchungen und Leiden herausheben aus Zeit und Leid und hinaufheben in Ewigkeit und Herrlichkeit, dass wir wohnen dürfen bei der ewigen Glut, weil da nichts mehr zu verzehren ist durch ihr richtendes Feuer. Und im tröstenden Scheine jenes ewigen Friedenslichtes wissen auch wir schon jetzt mit dem Apostel: »Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, verschafft uns eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare; denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig« (Apg 9,16; 2Kor 4,17-18).