Behandelter Abschnitt Röm 9,1-3
Der Apostel beginnt nun in den Kapiteln 9–11 einen neuen Abschnitt des Briefes, dessen Hauptziel es ist, die unterschiedslose Berufung von Heiden und Juden mit den besonderen Verheißungen für Israel in Einklang zu bringen. In dieser Aufgabe greift er die fleischlichen Anmaßungen derer auf, die sich auf nichts anderes als auf eine natürliche Abstammungslinie von Abraham stützten. Er beweist, dass die besondere Verheißung von Anfang an das Prinzip Gottes war; auch weist er auf die souveräne Barmherzigkeit als die einzige Hoffnung für ein Volk hin, als das sich sogar Israel erwiesen hatte. Er vernichtet die armselige und selbstsüchtige und stolze Argumentation, die die Rechte und die Gerechtigkeit Gottes anklagt, wenn es Tatsache ist, dass der Mensch vor Ihm völlig ungerecht ist. Er zeigt, dass nach den jüdischen Propheten Israel verworfen, die Heiden berufen und nur ein Überrest des alten Volkes errettet werden würde; auch zeigt er, dass ihre Verwerfung auf ihr Versagen bei der Erfüllung des Gesetzes der Gerechtigkeit zurückzuführen war, das sie bewusst gewählt hatten anstelle der Gerechtigkeit, die die Gnade durch den Glauben schenkt. Die Heiden hingegen empfingen sie freudig, wobei Christus der große Prüfstein für beide war. Er besteht darauf, dass dies seine Liebe und sein Gebet für Israel nicht hinderte, dass sie errettet würden, aber die Errettung konnte nur dadurch geschehen, dass sie Christus als das Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit für den Gläubigen annahmen, entsprechend dem Geheimnis der Gnade, das in 5. Mose 30 angedeutet wird.
Das wird unterstützt und ausgeführt durch Jesaja 28,16 und Joel 2,32, wobei Letzteres die Tür des Glaubens nicht nur für Israel öffnet, sondern auch für die, die, wenn sie das Gesetz nicht hätten, die frohe Botschaft der guten Dinge hören könnten (Jes 52), die Gott verkündigen lässt. Er weist darauf hin, dass gerade der Unglaube der Juden Jesaja 53 erfüllt; dass Psalm 19 die weit verbreitete universale Botschaft Gottes bezeugt, und dass, während das Gesetz sie davor warnte, dass Gott sie durch ein Nicht-Volk zur Eifersucht reizen würde, der Prophet in Jesaja 65 noch freimütiger ist und ausdrücklich ankündigt, dass Gott von denen gefunden wurde, die Ihn nicht suchten (die Heiden), während Israel als ein ungehorsames und widerspenstiges Volk gerichtet wird.
Doch der Apostel würde das Thema nicht abschließen, ohne die deutlichste Aussage sowie den Beweis aus den Propheten selbst, dass Gott sein Volk Israel nicht endgültig verstoßen hat:
Erstens gibt es immer einen Überrest nach Auserwählung der Gnade, wovon der Apostel selbst Zeuge war;
zweitens war ihr Fall ausdrücklich dazu bestimmt, Israel zur Eifersucht zu reizen, und daher nicht, sie auch nur für eine Zeit zu verwerfen;
drittens wird nach dem Verderben der Heiden durch Unglauben und Geringschätzung der Güte Gottes, wie zuvor bei Israel, ganz Israel entsprechend dem geschriebenen Wort Gottes (Jes 59) errettet werden, wobei alle seine Wege der Barmherzigkeit und Weisheit den Apostel zu Dank und Anbetung veranlassen.
Das ist der allgemeine Umriss und das Argument, das die Verantwortung auf der einen Seite und die Verheißungen Gottes auf der anderen Seite aufrechterhält und die unterschiedslosen Wege Gottes im Evangelium jetzt mit der Vollendung einer besonderen Herrlichkeit für Israel sowie dem allgemeinen Segen für die Heiden oder die Nationen im kommenden Zeitalter auf der Erde versöhnt. Die himmlische Gnade wird hier nicht in Frage gestellt. Daher ist es der Ölbaum, nicht der eine neue Mensch, von dem wir lesen.
Der Apostel beginnt dann diese höchst lehrreiche Einfügung, in der er die Wege Gottes erklärt, mit der ernsten Versicherung seiner brennenden Zuneigung und daher seiner Sorge um Israel in seinem gegenwärtigen niedrigen Zustand und seiner Gefährdung durch das Gericht Gottes.
Ich sage die Wahrheit in Christus, ich lüge nicht, indem mein Gewissen mit mir Zeugnis gibt in dem Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit habe und unaufhörlichen Schmerz in meinem Herzen. Denn ich selbst, ich habe gewünscht, durch einen Fluch von dem Christus entfernt zu sein für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch (9,1–3).
Es ist klar, dass er dort auf die Liebe anspielt, die Mose so gut bewiesen hatte, wie Gott sie im Gesetz aufzeichnet; und er deutet an, dass er sie nicht im Geringsten weniger liebte. Es war ein Wunsch, den der mit ganzer Seele hegte. Er bezieht sich nicht auf die Tage seines Pharisäertums; denn so groß sein Eifer auch war, seine Liebe als Christ und Apostel war viel tiefer und auch völlig uneigennützig. In seinem alten, unaufgeklärten Zustand konnte von einem solchen Empfinden für sie keine Rede sein; denn er hatte kein rechtes Gefühl für ihre Gefährdung, ebenso wenig wie für seine eigene. Andererseits legt er es nicht als den absichtlichen Wunsch seines gegenwärtigen Verständnisses dar, sondern als ein leidenschaftliches, selbstaufopferndes Verlangen, das in seinem Herzen war, zweifellos unmöglich, aber damit bezeugte er die Stärke seiner brennenden Liebe zu Israel, ebenso wie sein Empfinden für ihre äußerste Gefahr und ihre völliges Verderben.15 Daher verweilt er bei seinen Beziehungen zu ihnen.
15 Jesus allein konnte dies als sein charakteristisches Leiden und Rühmen in der Liebe haben. Er allein ertrug alles und wurde zum Fluch und zur Sünde gemacht, und dies nicht nur für seine Brüder nach dem Fleisch, sondern für seine ärgsten Feinde. Und darin lässt Er uns um jeden Preis Gott Liebe zu uns erkennen, aber auch seine Gerechtigkeit.↩︎