Behandelter Abschnitt Joh 17,1-19
Es folgt ein Kapitel, das man vielleicht wirklich als unerreicht an Tiefe und Umfang in der ganzen Heiligen Schrift bezeichnen kann. Heiligkeit, Hingabe, Wahrheit, Liebe und Herrlichkeit herrschen darin vor. Wer kann sich darüber wundern, da es in dieser Hinsicht einzigartig ist, da es der Sohn ist, der sein Herz dem Vater öffnet, als Er gerade im Begriff war zu sterben und die Seinen zu verlassen und zum Himmel zurückzukehren?
Doch so interessant und bedeutsam der Fall auch war, es ist der Sohn, der sich so an den Vater wendet, was für uns ein so wunderbares Vorrecht ist, es zu hören. Aber all dies mag unsere Herzen mit dem Empfinden der völligen Unzulänglichkeit erfüllen, um von solchen Mitteilungen angemessen zu sprechen. Doch wie der Heiland alles vor den Augen der Jünger aussprach, so hat der Heilige Geist die Freude gehabt, seine Worte mit göttlicher Genauigkeit wiederzugeben. Sie sind daher jetzt für uns, so wie damals für seine begünstigten Jünger waren. Durch diese Gnade ermutigt, wollen wir mit dem wirklichen und lebendigen Interesse des Herrn an uns rechnen und auf seine Treue, die immer noch bei uns bleibt, um Ihn zu verherrlichen, indem Er seine Dinge nimmt und sie uns zeigt.
Dies redete Jesus und erhob seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche – so wie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe. Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte. Und nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war (17,1– 5).
Der Herr hatte seine letzten Anweisungen an die Jünger abgeschlossen, die nun von Ihm und für Ihn Zeugnis abzulegen hatten; und das umso mehr, als Er gerade im Begriff stand, sie zu verlassen, da sein eigenes persönliches Zeugnis bereits vollendet war. Zu ihnen hatte Er nicht nur ausführlich gesprochen, sondern bei seinem Weggang den Heiligen Geist vom Himmel verheißen, damit sowohl Kraft als auch Wahrheit vorhanden seien. Der Heiland erhob seine Augen also zum Himmel, als Er sich an seinen Vater wandte. Er, der selbst als Sohn des Menschen und eine göttliche Person im Himmel ist, ging in leiblicher Gegenwart dorthin, als das Werk der Erlösung vollbracht war. Aufgrund dieses Werkes, das im Tod vollbracht und in der Auferstehung bewiesen wurde, würde Er dort seinen Platz einnehmen, was der Zeuge seiner unendlichen Annahme war.
Sein eigentlicher Dienst auf der Erde, nicht nur an den Menschen, sondern auch an den Jüngern, war vollbracht. Er wendet sich wie immer an den Vater, aber jetzt, indem die Seinen mithören, so wie Er in der Tat sein Herz öffnen würde, wenn Er über sich selbst und sein Werk spricht, und noch mehr über sie, immer als der Gesandte und Diener in göttlicher Liebe, obwohl Er der Herr von allem war. Er schaute auf zum Himmel, als Er für die fünf Brote dankte und sie brach, um die Fünftausend zu speisen. Er schaute dorthin und seufzte, als Er den Taubstummen hören und sprechen ließ. Er hob seine Augen nach oben, als Er am Grab des Lazarus sagte: „Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast“ (11,41). Zum Himmel erhob Er sie noch einmal und sagte: „Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche“ (V. 1). Er ist immer eine göttliche Person, der Sohn, aber im Fleisch; Er ist hier nicht, wie in den anderen Evangelien, der verworfene und gequälte Leidende, sondern der vollkommene Erfüller der himmlischen und ewigen Absichten Gottes und die Offenbarung als Sohn des Vaters.
Daher spricht Er hier nirgends von dem notwendigen und alles entscheidenden Eingriff durch seinen Todes, ohne den alles andere zur Ehre Gottes angesichts von Sünde und Verderben vergeblich gewesen wäre, noch bittet Er um seine Auferstehung, sondern um seine Verherrlichung. Ferner ist der Name des Vaters, der in diesem Evangelium und besonders in diesen abschließenden Reden an die Jünger so im Vordergrund steht, ist offensichtlich und häufiger in diesem Kapitel erwähnt. Er ist in der Tat charakteristisch für den Christen; sogar in der einfachsten Form seiner Glückseligkeit wird der Jüngste – das Kind –, von unserem Apostel als jemand beschrieben, der den Vater kennt (1Joh 2,13): ein wunderbares Vorrecht, das nur durch den herabgekommenen Sohn Gottes möglich und durch die Erlösung, die nur durch den gegebenen Heiligen Geist, den Geist der Sohnschaft, genossen werden kann. Aber wie Ihn am Anfang der Eifer um das Haus seines Vaters verzehrte, so ist hier sein Herz darauf gerichtet, seinen Vater in jenem Himmel zu verherrlichen, zu dem seine Augen erhoben waren. „Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn“, aber ebenso, „damit dein Sohn dich verherrliche“ (V. 1). Er, der Mensch geworden ist, bittet den Vater, Ihn zu verherrlichen; Er ist Sohn, und wenn Er dort verherrlicht wird, ist es immer noch, um den Vater zu verherrlichen. „So wie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe“ (V. 2). Obwohl Gott, übt Er keine Macht aus eigenem Recht aus; Er ist dem Platz treu, den Er gern eingenommen hat. Er empfängt als Mensch Vollmacht vom Vater, aber eine Vollmacht, die weder in ihrer Universalität der Sphäre noch in ihrer Besonderheit des Gegenstandes denkbar wäre, wenn Er nicht Gott wäre. Denn die Vollmacht, die Ihm gegeben wurde, ist über „alles Fleisch“; und das besondere Ziel, das der Vater Ihm gegeben hatte, ist nun, ihnen das ewige Leben zu geben. So erstreckt sich das Recht unseres Herrn ohne Grenze, der Heide ist nicht mehr außerhalb seines Anspruchs als der Jude; während das ewige Leben das Teil von niemandem ist über das hinaus, was dem Sohn vom Vater gegeben ist, wie es an anderer Stelle gesagt wird, dass es nur dem Gläubigen gehört.
Dies führt zu der Erklärung des Begriffs ewiges Leben. Das ewige Leben, das Leben in Ewigkeit, ist der Segen, den der Herr auf den Bergen Zions befohlen hat (Ps 133); und von den vielen Juden, die im Staub der Erde schlafen, werden einige zu ewigem Leben erwachen, andere hingegen zu Schande und ewigem Abscheu (Dan 12,2). Aber diese beiden Schriftstellen betrachten jenen großen Wendepunkt für die Erde, das Königreich, wenn es in offenkundiger Macht und Herrlichkeit kommt. Der Herr spricht vom Leben, wie es dem Glauben jetzt in Ihm selbst gegeben wird. „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (V. 3). Wenn es von dem unterschieden wird, was in dem vorgestellten Reich einmal genossen werden wird, so besteht es seinem Charakter nach nicht in der Erkenntnis des Allerhöchsten, des Besitzers des Himmels und der Erde mit dem wahren Melchisedek als Priester auf seinem Thron, sondern des Vaters und seines Gesandten, des einzig wahren Gottes, der jetzt im Sohn, dem einzigen Mittler zwischen Gott und Mensch, offenbart ist. Wenn man es von der Vergangenheit unterscheidet, ist es nicht mehr der Schöpfergott, der den Vätern Verheißungen gibt und sie wie unter dem Schatten des Allmächtigen beschützt und beherbergt; auch nicht mehr die Söhne Israels in Verbindung mit dem Namen des Herrn, dem moralischen Statthalter dieser auserwählten Nation. Aber die Kinder Gottes besitzen jetzt die Offenbarung des Vaters und Jesu Christi, den Er gesandt hat; und diese Erkenntnis wird nicht mit Verheißungen oder Regierung identifiziert, sondern mit dem ewigen Leben, als eines gegenwärtigen Segens in Christus, dem Teil jedes Gläubigen. Einen tieferen Segen kann weder Gott schenken noch der Mensch empfangen; denn es ist genau das, was den Herrn selbst auszeichnet, der das ewige Leben ist, das bei dem Vater war und uns offenbart wurde. Nur von Christus kann gesagt werden, dass Er dieses Leben ist; wir als Gläubige haben es nicht in uns selbst, sondern wir haben es in Ihm; und wie es allein durch den Glauben empfangen wird, so wird es im Glauben gelebt, erhalten und gestärkt.
Es mag weiter bemerkt werden, dass, wie das ewige Leben mit der Erkenntnis des Vaters, des einzig wahren Gottes, verbunden ist, im Gegensatz zu den vielen und falschen Göttern der Heiden, so kann es nur dort sein, wo Christus erkannt wird, den der Vater gesandt hat, im Gegensatz zu seiner Verwerfung durch die Juden zu ihrer eigenen großen Schuld und ihrem Verderben. Weder der Sohn noch der Heilige Geist wird von der Gottheit ausgeschlossen, die an anderer Stelle von beiden gleichermaßen mit dem Vater zugeordnet oder vorausgesetzt wird. Es geht darum, sie vom Vater zu behaupten und den Platz zu bezeichnen, den der hier auf der Erde eingenommen hat, der es nicht als Preis (Handlung oder Raub) ansah, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm (Phil 2,7). Er war hier, um zu gehorchen und den Willen des Vaters zu tun, der Ihn gesandt hat. Dass Er aber einen solchen Platz in niedriger Liebe einnahm, ist der stärkste, wenn auch indirekte Beweis für seine eigentliche und ewige Gottheit; denn selbst ein Erzengel ist ein Knecht und kann sich nie aus der Stellung oder Beziehung eines Knechtes erheben. Der Sohn hingegen nahm sie gern an, um den vollen Segen der Erlösung zur Ehre Gottes, des Vaters, zu vollbringen. So war das Leben in Ihm, und Er war das ewige Leben vor allen Zeiten; aber hier wird Er als herabgekommen betrachtet, um es in einer von Gott abgewandten Umgebung und einem Geschöpf zu vermitteln, das sonst den Tod in seiner schrecklichsten Form des Gerichts erleidet.
Als Nächstes stellt der Herr sein Werk vor: Wir haben seine Person gesehen, wie Er bereits gebetet hat. Nun aber stellt Er vor, was Er hier auf der Erde getan hatte. „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte. Und nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“ (V. 4.5). Die Sprache ist hier mehr auf eine dauerhafte Beziehung ausgerichtet als in Johannes 13,31.32, wo es um die Verherrlichung Gottes geht, vor dem die Sünde unter schonungsloses Gericht kommt. Hier geht es um die Verherrlichung seines Vaters, und so gibt es keine besondere Betrachtung jenes endgültigen Handelns, bei dem alles, was Gott ist und empfindet, gegen das Böse deutlich wurde, das auf das Haupt des Sohnes des Menschen gelegt wurde. Hier wird der gesamte Weg Christi auf der Erde zusammengefasst, indem Er sich hingab, um seinem Vater zu gehorchen und zu gefallen. Deshalb war es umso notwendiger, seine Vollendung näher zu erklären, „das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte.“ Er spricht nicht mehr als der treue Knecht, sondern als der bewusste Sohn Gottes, der alles zur Ehre des Vaters vollendet sieht, der Ihm das Werk gegeben hatte, dass Er es tun sollte, der es allein vollbringen konnte. Und daraufhin bittet Er den Vater, Ihn zu verherrlichen, nicht nur wegen seiner persönlichen Herrlichkeit und Beziehung, sondern aufgrund des Werkes, das Er zu seiner Herrlichkeit hier auf der Erde vollendet hat, damit Er dadurch einen gültigen und sicheren Anspruch für uns legt, uns Ihm in derselben himmlischen Glückseligkeit anzuschließen.
Es ist nicht so, dass Er jemals aufgehört hätte oder aufhören könnte, Gott zu sein, genauso wenig wie Er nach seiner Menschwerdung jemals aufhören wird, Mensch zu sein; aber da Er in göttlicher Liebe herabgekommen ist, um ein Diener und ein Mensch zu sein, um Gott, den Vater, zu verherrlichen und einen gerechten Kanal für alle Zwecke der göttlichen Gnade zu bilden, bittet Er darum, vom Vater zusammen mit sich selbst mit der Herrlichkeit verherrlicht zu werden, die Er zusammen bei Ihm hatte, ehe die Welt war. Dort war Er von Ewigkeit her als der Sohn; dort bittet Er, als Sohn, aber jetzt auch als Mensch, als das fleischgewordene, auferstandene Wort, diese Herrlichkeit in Ewigkeit zu haben. Es war seine Vollkommenheit als Mensch, um diese Verherrlichung zu bitten. Nicht einmal als Auferstandener verherrlicht Er sich selbst. Er hatte sich zur Ehre des Vaters entäußert und erniedrigt; Er bittet den Vater, Ihn zu verherrlichen, obwohl Er seine ewige und göttliche Kompetenz erklärt, indem Er darum bittet, mit der Herrlichkeit verherrlicht zu werden, die Er beim Vater hatte, ehe die Welt war. Es gab niemals eine solch wichtige Bitte, niemals einen solch festen Grund der Gerechtigkeit, niemals eine solch vorzügliche und unendliche Gnade.