Behandelter Abschnitt Joh 10,1-6
Der Herr fährt fort, die Folgen seiner Verwerfung, trotz seiner Erhabenheit, unter verschiedenen Formen darzulegen. Es ist die Offenbarung seiner Gnade an und für die Schafe (von seiner Erniedrigung als Mensch und Knecht bis hin zur Hingabe seines Lebens in all seiner inneren Vortrefflichkeit) und seiner Herrlichkeit als eins mit dem Vater. Die helle Seite der Wahrheit kommt zum Vorschein.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht durch die Tür in den Hof der Schafe eingeht, sondern woanders hinübersteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür eingeht, ist Hirte der Schafe. Diesem öffnet der Türhüter, und die Schafe hören seine Stimme, und er ruft seine eigenen Schafe mit Namen und führt sie heraus. Wenn er seine eigenen Schafe alle herausgeführt hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen. Dieses Gleichnis sprach Jesus zu ihnen; sie aber verstanden nicht, was es war, das er zu ihnen redete (10,1–6).
Die Redeweise ist bildlich und weicht soweit von der gewöhnlichen
Sprache ab, nimmt aber ein Bild an, das dem Gesetz, den Psalmen und den
Propheten sehr vertraut ist (1Mo 49; Ps 80; Jes 40; Hes 34;
Alle anderen versuchten, einen anderen Weg zu gehen. Theudas mochte sich rühmen, jemand zu sein, Judas aus Galiläa zog die Leute hinter sich her, Pharisäer lieben die ersten Plätze, Schriftgelehrte und Pharisäer legen den Menschen schwere Lasten auf. Aber die Schafe, die von Gott gelehrt sind, hören seine Stimme, nicht ihre; so wie der Geist in seiner Sorge um die Ehre Gottes gern die Arbeit des Türhüters tat und nur Ihm die Tür öffnete, wie wir von Anfang an bei den Simeons und Annas und allen sehen, die in Jerusalem auf die Erlösung warteten. Die anderen, ob klein oder groß, ob ordnungsliebend oder revolutionär, hatten kein Recht auf die Schafe; sie waren nichts Besseres als Diebe oder Räuber, wenn sie die Schafe, die Ihm gehörten, für sich beanspruchten. Er allein ist der Hirte, und die Schafe hören seine Stimme. Sie sind sein Eigentum, und Er ruft seine eigenen Schafe mit Namen. Wer könnte und würde das tun, außer Ihm? Er kennt und liebt sie und lässt sie empfinden, dass Er ein Interesse an ihnen hat, wie es nur Gott empfinden konnte, und ein solches Recht auf sie hat, wie es nur Gott hatte und gab.
Noch einmal: Christus ist hineingegangen, aber Er führt auch hinaus. Das Judentum ist dem Untergang geweiht. Das wahre Israel Gottes folgt Ihm nach draußen. Es ging jetzt nicht darum, die Ausgestoßenen Israels oder die Zerstreuten Judas wieder ins Land zu holen; das wird an einem anderen Tag geschehen. Jetzt ruft Er seine eigenen Schafe mit Namen und führt sie heraus: „Wenn Er seine eigenen Schafe alle hinausgeführt hat“ (V. 4) – denn wenn dies jetzt das Prinzip seines Handelns war, so sollte es doch die notwendige Folge seines Todes am Kreuz sein –, geht Er ihnen voraus, und die Schafe folgen Ihm, weil sie seine Stimme kennen. Es ist die Weisheit Gottes für die Einfältigen.
Wie kostbar ist das Wort Gottes, das Hören seiner Stimme! Es ist seiner Person zu verdanken, es ist die Frucht seiner Gnade, es ist ihr wahrer und bester Schutz. „Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen“ (V. 5). Der „Fremde“ oder Ausländer hat nichts mit ihnen zu tun; wie sehr er es auch suchen mag, was haben sie mit ihm zu tun? Ihre Weisheit ist, Jesus zu folgen, dem sie angehören, dessen Stimme sie hören und kennen. Wie einfach, wenn wir nur einfach wären! Wie wird dadurch der Sohn geehrt! Auch das gefällt dem Vater am besten. Durch den Glauben werden wir bewahrt, nicht durch das Unterscheiden von Schattierungen der Skepsis oder des Aberglaubens, obwohl dies für einige eine Pflicht oder ein Ruf der Liebe für andere sein mag, sondern durch das Festhalten an der Wahrheit.
Doch solche Worte sind machtlos gegenüber den Männern der Vernunft oder der Tradition. Denn sie suchen ihre eigene Ehre, sie geben oder empfangen sie von einem anderen. Jesus ist im Namen des Vaters gekommen, und Ihn nehmen sie nicht an. Sie bekennen sich als Fremde zu Ihm; sie leugnen, dass irgendjemand seine Stimme kennen kann. Hätten sie sie selbst gehört, würden sie nicht daran zweifeln, dass man sie kennen kann. Sie bevorzugen und folgen einem Fremden. Die Abergläubischen erhöhen ihre Kirche; wäre sie Gottes Kirche, würde sie eine solche Erhöhung auf Kosten Christi ablehnen. Die Skeptiker verherrlichen den Menschen, wie er ist. Aber beide stimmen darin überein, die Stimme des Hirten zu ignorieren. So ist es jetzt, und so war es damals. „Dies Gleichnis17 sprach Jesus zu ihnen; sie aber verstanden nicht, was es war, das er zu ihnen redete“ (V. 6). Seine Aussprüche sind wie Er selbst: Wenn man Ihn schätzt, schätzt man auch sie; wenn man Ihm nicht glaubt, versteht man sie ebenfalls nicht. Er ist das Licht und die Wahrheit. Alles, was Er sagt, hängt vom Glauben an Ihn ab, damit es verstanden wird. Und deshalb heißt es in 1. Johannes 2, dass gerade die Kinder in der Familie Gottes alles wissen. Da sie Christus kennen, haben sie die Salbung von dem Heiligen. Nicht durch Gelehrsamkeit oder Logik, auch nicht durch Gefühl, Enthusiasmus oder Scheinheiligkeit, sondern dadurch, dass sie Christus besitzen, verweigern sie sich den Irrtümern, die unzählige Theologen umgarnt haben. So werden sie hell und frisch, einfach und sicher gehalten, weil sie von Ihm abhängig sind. Diejenigen, die sich für weise halten, wagen es, für sich selbst zu urteilen, und gehen in ihrer ungläubigen Anmaßung zugrunde. Seine Stimme zu hören ist der demütigste Platz in der Welt, und doch findet dort die Macht und Weisheit Gottes. Was sie von Anfang an gehört haben, das bleibt in ihnen, aber die Fremden haben dafür kein Ohr und kein Herz. Die Schafe sind zufrieden mit der Stimme Christi. Sie kennen die Wahrheit in Ihm, und dass keine Lüge aus der Wahrheit ist. Sie freuen sich über jede Hilfe, die sie an seine Worte erinnert und sie in ihre Seelen zurückbringt. Der Stimme eines Fremden misstrauen sie und fliehen vor ihm. Sie haben Recht: Gott möchte, dass wir keine andere Stimme schätzen.
17 Das Johannesevangelium verwendet nicht das gewöhnliche Wort Gleichnis, wie es die Synoptiker häufig tun, und auch kein anderes, für die berichtenden Gleichnisse unseres Herrn zur Veranschaulichung der Wahrheit. Johannes verwendet das Wort [παροιμία], das in der Septuaginta (Spr 1,1) für ein Sprichwort steht, im Sinn eines Bildes oder einer Abweichung von der üblichen Redeweise, so wie Gleichnis einen Vergleich bedeutet.↩︎