Behandelter Abschnitt Joh 2,23-25
Als er aber in Jerusalem war, am Passah, auf dem Fest, glaubten viele an seinen Namen, als sie seine Zeichen sahen, die er tat. Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, weil er alle kannte und nicht nötig hatte, dass jemand Zeugnis gebe von dem Menschen; denn er selbst wusste, was in dem Menschen war (2,23‒25).
Es war in der Stadt der Festlichkeiten; es war ein Fest des Herrn, ja, das grundlegendste der heiligen Feste; und der Messias war dort, der Gegenstand des Glaubens, der in Macht wirkte und seine Herrlichkeit in entsprechenden Zeichen offenbarte. Und viele glaubten entsprechend an seinen Namen. Es war der Mensch, der unter den günstigsten Umständen sein Bestes tat und fühlte. Und doch vertraute Jesus sich selbst ihnen nicht an. Sicherlich geschah dies nicht aus einem Mangel an Liebe oder Mitempfinden in Ihm; denn wer hat oder konnte so lieben wie Er? Und der Grund, der ruhig angegeben wird, ist wirklich überwältigend: „weil Er alle kannte und nicht nötig hatte, dass jemand Menschen gebe von dem Menschen; denn Er selbst wusste, was in dem Menschen war“ (V. 24.25). Was für ein Satz; und von wem, und mit welcher Begründung! Wir tun gut daran, dies ernstlich abzuwägen: Wer ist nicht davon betroffen? Es ist der verordnete Richter der Lebenden und der Toten, der so urteilt. Ist es nicht vorbei mit dem Menschen?
Eine große Tatsache, eine Wahrheit, bestätigt das völlige Böse, das unheilbare Verderben des Menschen. Die Wege des Herrn sind in genauster Übereinstimmung mit den Worten des Geistes durch den Apostel Paulus: „Weil die Gesinnung des Fleisches [und das ist alles, was im Menschen ist] Feindschaft ist gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“ (Röm 8,7). Und weiter heißt es: „Die aber, die im Fleisch sind, vermögen Gott nicht zu gefallen.“ Ihre Taten und ihre Leiden sind selbstsüchtig und gottlos. Ihr Glaube, wie wir ihn hier finden, ist nicht besser; denn es ist nicht die Seele, die sich dem Zeugnis Gottes unterwirft, sondern der Verstand, der nach Beweisen urteilt, die ihn selbst befriedigen. Es ist eine Schlussfolgerung, dass Jesus der Messias sein muss, nicht die Unterwerfung unter das göttliche Zeugnis oder die Annahme dieses Zeugnisses. Denn in diesem Fall sitzt der Verstand auf dem Thron; er urteilt und spricht nach seiner Einschätzung der Gründe, die dafür oder dagegen sprechen, anstatt dass die Seele angesichts aller Erscheinungen, ja sogar der größten Schwierigkeiten, bestätigt, dass Gott wahrhaftig ist. Denn welchen Grund gibt es, die Liebe des Heiligen zu den Lasterhaften und Widerspenstigen zu erwarten? Es geht darum, Christus nach Gottes Zeugnis anzunehmen, Christus in Gnade für die Verlorenen, sterbend für die Gottlosen und Ohnmächtigen, Er ist es, der alles erklärt, wie Er es zeigt; Er tut keine geringen Wunder oder Zeichen. Sie fesseln das Auge; sie beeindrucken den Verstand; sie können die Zuneigung wecken und gewinnen. Aber nichts außer Gottes Wort beurteilt den Menschen oder offenbart dem so beurteilten Menschen, was Er in Christus ist; und dies allein, wie wir sehen werden, ist vom Geist, denn Er allein, nicht der Mensch, hat den wahren Gegenstand vor sich, den Sohn der Liebe Gottes, der in Gnade einer verdorbenen und schuldigen Welt gegeben wurde.
Die Wahrheit ist, dass unsere Urteile aus unseren Zuneigungen hervorkommen. Was wir lieben, glauben wir leicht; was nichts aus uns macht, dem widerstehen wir natürlich und lehnen es ab. Solange man Jesus für einen Erlöser der Menschheit hielt, schien es die bereitwilligste, herzlichste Aufnahme zu geben. Der Mensch würde Jesus anerkennen, wenn er glaubte, dass Jesus den Menschen anerkennen würde. Aber wie könnte er das annehmen, was nichts aus ihm macht, was ihn moralisch verurteilt, was ihm die ernste Warnung vor dem ewigen Gericht und dem Feuersee vorhält? Nein, er hasst das Zeugnis und die Person, die der zentrale Gegenstand desselben ist, und die Wahrheit, die damit und mit Ihm verbunden ist. Wenn man vor Gott zusammenbricht und bereit ist, seine völligen und unentschuldbaren Sünden und seine Sündhaftigkeit einzugestehen, ist das eine ganz andere Sache, und man wendet sich dem zu, der gefürchtet und verabscheut war, als der einzigen Hoffnung Gottes, sogar Jesus, dem Erlöser von dem kommenden Zorn. Das ist in der Tat die Bekehrung, und die Gnade durch die belebende Kraft allein bewirkt sie.
So ist es, wenn man die christliche Lehre der Welt anpasst, indem sie entmannt und verändert wird, um das aufzubauen, was sie in Wahrheit verurteilt. Dann ist sie in der Tat nicht mehr ein Same, der Wurzel schlägt und wächst und Frucht bringt, sondern ein bloßer Sauerteig, der sich ausbreitet und weitgehend an sich selbst anpasst. So ist das Christentum, wenn der menschliche Wille auf seiner Seite stand, und die Religion eine Tradition wurde.
Aber hier ist es das heilige und schreckliche Zeugnis Jesu für den Menschen in seinem besten Zustand, als noch keine Feindschaft auftrat, sondern alles voll menschlicher Verheißung aussah. Hier sehen wir wieder, dass Johannes dort beginnt, wo die anderen Evangelien enden. Nicht der Messias wird verworfen, sondern Jesus, der Sohn Gottes, der das Ende vom Anfang her kennt und den Menschen als völlig eitel und sündig behandelt, und das, weil Gott in keinem seiner Gedanken ist, sondern er selbst ohne wirklichen Sorge oder Scham über seinen Widerstand gegen Gott, ohne jedes gebührende Sündenbewusstsein und folglich ohne ernsthafte Sorge darum. Aus den Beweisen der Zeichen vor ihm schloss er, dass niemand außer dem Messias sie gewirkt haben konnte; aber eine solche Schlussfolgerung hatte keine Auswirkung auf seinen moralischen Zustand, weder bei Gott noch bei den Menschen. Er verhielt sich genauso wie bei jedem anderen Objekt, an dem sein geschäftiger Verstand arbeitete, aber seine Natur war nicht verurteilt, Gott nicht besser erkannt und der Feind hatte dieselbe Macht über ihn wie zuvor. Noch war es der Mensch und nicht Gott; denn es gibt kein Werk Gottes, bis das Wort so empfangen wird, wie es in Wahrheit das Wort Gottes ist, indem es dem Menschen seine Gnade offenbart, der sie bewusst braucht. Hier war nichts dergleichen, sondern ein einfacher Vorgang des eigenen Verstandes und der Gefühle des Menschen, ohne eine Frage seiner Sünden oder seines Zustandes vor Gott, ohne das geringste empfundene Bedürfnis nach einem Erlöser.
Jesus wusste, was das wert war, und vertraute sich dem Menschen nicht an, auch wenn er so an Ihn glaubte. Es war der menschliche Glaube, von dem wir nicht selten in diesem Evangelium wie auch anderswo Beispiele haben, während wir ebenso deutlich den göttlich gegebenen Glauben haben, der ewiges Leben hat: Dieser hat mit Gott zu tun, wie jener, der von Menschen ist, nicht über seine Quelle hinausgeht. „Hütet euch aber vor den Menschen“ (Mt 10,17), sagte Er später zu seinen Aposteln, als Er selbst im Begriff war, am Kreuz zu beweisen, wie wahrhaftig Er selbst von Anfang an wusste, was im Menschen war.