Behandelter Abschnitt Joh 1,29
Am folgenden Tag sieht er Jesus zu sich kommen und spricht: Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt! (1,29).
Es gab für die Juden kein vertrauteres Bild als das des Lammes. Es war das tägliche Opfer Israels, morgens und abends. Außerdem war das Passahlamm das Unterpfand für den grundlegenden Frieden des Jahres, so wie seine erste Einsetzung mit dem Auszug der Söhne Israels aus dem Haus der Knechtschaft zusammenfiel. Wir können daher verstehen, welche Gedanken und Gefühle das Herz derer bewegt haben müssen, die jetzt nach einem Erlöser Ausschau hielten, als Jesus von seinem Vorläufer so bezeugt wurde: „Siehe, das Lamm [ἀμνὸς] Gottes.“ Im Buch der Offenbarung wird Er häufig als das Lamm bezeichnet, dort aber mit einem pointiert anderen Wort (ὰρνίον), dem heiligen, von der Erde verworfenen Leidenden, im Gegensatz zu den reißenden wilden Tieren, den zivilen oder religiösen Werkzeugen der Macht Satans in der Welt (Kap. 13). Hier scheint der Gedanke nicht so sehr auf den geschlachteten und in die Höhe erhobenen Menschen als vielmehr auf das Opfer hinzuweisen: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.“
Johannes sagt nicht „der nehmen wird“, noch weniger „der genommen hat“; noch scheint die Vorstellung, dass Er damals die Sünde wegnahm, überhaupt haltbar zu sein. Es ist, wie häufig bei Johannes und anderswo, die abstrakte Form der Rede; und die Bedeutung sollte in ihrem vollen Umfang verstanden werden, unabhängig von der Zeit ihrer Vollendung. Da war die Person, und dies war ihr Werk. So beinhaltet das Zeugnis die Auswirkungen des Todes Christi als Ganzes; aber diese sollten nicht auf einmal erscheinen. Das erste Ergebnis sollte das Evangelium sein, die Botschaft der Vergebung der Sünden für jeden Gläubigen. Statt dass die Sünde der Welt allein vor Gott steht, wird das Blut des Lammes vorgesehen. Und so konnte Gott der Welt in Gnade begegnen, nicht im Gericht. Nicht nur war die Liebe in der Person Christi gekommen, wie während seines Lebens, sondern nun würde auch das Blut vergossen, durch das Gott die Unreinsten reinigen konnte; und das Evangelium ist für jedes Geschöpf Gottes die Verkündigung seiner Bereitschaft, alle anzunehmen, und seiner vollkommenen Reinigung aller, die Christus aufnehmen. In der Tat nehmen Ihn auf nur die, die jetzt zu Ihm gehören, die Versammlung; aber das Zeugnis richtet sich die ganze irdische Schöpfung.
Wenn Christus in seinem Reich wiederkommt, wird es ein weiteres Ergebnis geben; denn die ganze Schöpfung wird dann von der Knechtschaft der Verderbnis befreit werden, und Israel wird endlich auf den Messias blicken, den sie in ihrem blinden Unglauben durchbohrt haben. Der Segen, der aus dem Opfer Christi hervorkommt, wird dann weit und breit ausgedehnt, aber nicht vollständig sein. Erst der neue Himmel und die neue Erde (und das übersteigt den begrenzten Rahmen der jüdischen Propheten, ist aber die volle Bedeutung, die die christlichen Apostel den Worten geben) werden die endgültige Erfüllung sehen; und dann wird man in der Tat sehen, wie wahrhaftig Jesus das Lamm Gottes war, „das die Sünde der Welt wegnimmt.“ Denn dann, und nicht erst dann, wird die Sünde absolut verschwunden sein und alle ihre wirksamen Folgen. Nachdem die Bösen gerichtet und für immer in den Feuersee geworfen worden sind, ebenso wie Satan und seine Engel, wird Gerechtigkeit die Grundlage der Beziehung Gottes mit der Welt sein, nicht Sündlosigkeit wie am Anfang, noch der Umgang mit Christus im Hinblick auf die Sünde wie seither und jetzt, sondern alles wird neu gemacht.