Behandelter Abschnitt Jes 30,1-5
Es gibt hier ein Thema, das bisher kaum beachtet worden ist, auf das der Geist Gottes aber viel näher eingeht. Da es uns in diesem Kapitel begegnet, können wir wohl ein paar Worte dazu sagen, nämlich zu dem moralischen Zustand Israels, wie er durch die Offenbarung Gottes bewiesen und ihnen vor Augen geführt wurde. Denn was wir in diesem ganzen Abschnitt haben, ist nicht nur die Befreiung, auch nicht nur die in seiner Gnade, während einer Zeit des Verderbens, sondern der gerechte Herr beweist auch, dass Er die Gerechtigkeit liebt. Es gab eine Ursache für den Beweis, dass der Zustand Israels für Gott moralisch unerträglich war. Blindheit war da, religiöse und schließlich gerichtliche Blindheit. Dieser Zustand wird vom Geist auf verschiedene Weise nachgezeichnet. Wir wollen uns kurz ansehen, was wir hier finden.
Das erste Merkmal ihres Übels, das die Empörung Gottes hervorruft, ist, dass sein Volk nach Ägypten hinabziehen will; dass ein Volk, das von Gott gesegnet war und Verheißungen von noch besseren Segnungen besaß, als es jemals geschmeckt hatte, mit denen es noch in den letzten Tagen durch Gottes eigene Gnade gesegnet werden würde – die bestmöglichen Segnungen für ein Volk auf der Erde –, dass ein solches Volk nach Ägypten hinabziehen will, um Hilfe zu erhalten, war nicht nur für sie selbst entwürdigend, sondern auch für Gott besonders entehrend. Deshalb geht der Heilige Geist jetzt, nachdem Er uns ihre Befreiung gezeigt hat, zurück und macht deutlich, wovon sie befreit wurden. Gott bringt einen Charakter des Bösen nach dem anderen ans Licht und zeigt, dass die notwendige Folge davon Zerstörung war. Dennoch führt Er sie aus all ihren Bedrängnissen heraus und segnet sie schließlich vollständig als sein eigenes Volk. Es ist besonders tröstlich, von den Wegen Gottes zu lesen, wie Er nicht nur ein Erlöser aus Gefahren, von äußeren Feinden, von Satan, sondern auch von jeder Form der Sünde ist. Er beschönigt keineswegs das moralische Böse, denn ein Kapitel nach dem anderen Kapitel bringt es zum Vorschein, obwohl Israel als Folge seines Gerichts bereit schien, verschlungen zu werden. Aber wie die dunkle Seite so erscheint, so sieht man auf der anderen Seite, wie Gott in seiner Gnade eingreift, ihre Füße aus dem Netz herausreißt, die Zerstreuten in ihr eigenes Land bringt und den Triumph seiner eigenen Gnade wie auch der Gerechtigkeit sichert. Deshalb lesen wir:
Wehe den widerspenstigen Kindern, spricht der Herr, die Pläne ausführen, aber nicht von mir aus, und Bündnisse schließen, aber nicht nach meinem Geist, um Sünde auf Sünde zu häufen (30,1).
Es ist eine ernste Sache, solche Worte wie diese zu lesen, und noch ernster, daran zu denken, wie sehr sie auf uns selbst zutreffen mögen. Sogar als Kinder Gottes neigen unsere Herzen dazu, nach unseren eigenen Urteilen zu handeln; denn das Fleisch im Christen ist keinen Deut besser als in jedem anderen Menschen. Wann immer wir auf uns selbst hören, können wir sicher sein, dass derselbe Charakter des Bösen am Werk ist, den der Geist des Herrn in Israel zurechtwies.
Was für Israel der Abstieg nach Ägypten war, ist für uns, uns nicht in jeder Schwierigkeit von Gott raten zu lassen, sondern auf die natürliche Weisheit zu hören. Es war die gleiche fleischliche Weisheit, die Israel suchte, und dafür ist Ägypten das Symbol in der alten Welt. Kein Land in der frühen Geschichte der Menschen war so ausgezeichnet für die Weisheit der Natur wie Ägypten. In späteren Tagen entstanden Griechenland und Rom, aber das war lange nach der Zeit, auf die diese Vision als historische Tatsache zutrifft. Sie waren zunächst kaum mehr als eine Reihe von kämpfenden Horden. Nirgendwo wurde eine solche Weisheit in demselben Maß gefunden wie in Ägypten. Der große Assyrer, der in Israel einfiel, zeichnete sich nicht so sehr durch Weisheit aus, sondern durch enorme Hilfsquellen und Geräte in Form von Stärke. Ägypten verließ sich hauptsächlich auf guten Rat, als ob es keinen lebendigen Gott gäbe – auf den Rat von Menschen, der durch lange Erfahrung geschärft war, denn es war eine der ältesten Mächte, die zu Ansehen gelangten. Dementsprechend hatten sie, da sie in der Staatskunst der alten Welt bewandert waren, einen bedeutenden Ruf für ihr Vertrautsein mit den Mitteln zur Bewältigung von nationalen Schwierigkeiten, Frieden, Überfluss und so weiter.
Als Israel von den Assyrern bedroht wurde, suchte es die Hilfe Ägyptens: Ich spreche jetzt von der buchstäblichen Tatsache, als diese Prophezeiung zuerst galt. Obwohl sie sich auf die Tage Jesajas bezog, zeigt doch der Charakter der Prophezeiung, dass sie nicht auf diese Zeit beschränkt werden kann: Nur ein sehr kleiner Teil der Prophezeiung wurde damals erfüllt. Aber zwischen den beiden Begriffen von Israels vergangener und zukünftiger Untreue, wenn es sich in seinen Schwierigkeiten an die Weisheit der Welt wendet, gibt es für uns eine ernste Lehre für den Druck jeder Prüfung, die das Zeugnis Gottes betrifft. Die Neigung ist sehr groß, einer weltlichen Prüfung auf eine weltliche Weise zu begegnen. Man ist geneigt zu denken, dass man den Bemühungen der Welt gegen jemand nicht mit geistlichen Mitteln begegnen kann; daher besteht die Gefahr, zu irdischen Mitteln zu greifen, um ihnen zu entgehen. Was ist das anderes als das, was wir hier finden? Und doch, wer, der für die Kinder Gottes und für die Wahrheit empfindet, kennt nicht diese Gefahr? Sei gewiss, wenn wir die Gefahr nicht empfinden, so liegt es daran, dass wir selbst unter dem Einfluss der Welt stehen. Das Empfinden der Gefahr, die Furcht vor unserem eigenen Denken, die Angst, dass wir Fleisch mit Fleisch begegnen könnten, ist das, was Gott benutzt, dass wir auf uns selbst schauen. Gott wird niemals sein Siegel auf die Abhängigkeit von sich selbst setzen. Im Gegenteil, die große Lektion, die das ganze Leben Christi lehrt, ist genau das Gegenteil. Er lebte für den Vater; also wer Ihn isst, wird seinetwegen leben. In der Abhängigkeit von jemand anderem, sogar von Christus als unserem Ziel, liegt die Freude, die Kraft und die Weisheit des Christen. Das lernen wir, bevor die Schwierigkeiten kommen. Dann vermag ich alles „in dem, der mich kräftigt“ (Phil 4,13).
Wie oft versagen wir durch ein Handeln aus dem Impuls heraus. Wenn wir denken, um zu planen, statt in echter Unterordnung unter Gott zu beten, müssen wir um uns selbst fürchten. Was in 1. Timotheus 2,1 „Fürbitte“ und in 1. Timotheus 4,5 „Gebet“ heißt, bedeutet einen solchen Umgang mit Gott, der eine vertrauensvolle Bitte an Ihn zulässt. Wir können also frei und persönlich zu Ihm über alle Dinge sprechen, nachdem wir Ihn durch den einen Mittler als Heiland-Gott kennen, der zuerst in der Gnade zu uns gesprochen und uns den Zugang zu dieser Gnade gegeben hat, in der wir stehen. Ist es denn nicht ein Frevel an dem Gott, der uns so sein Ohr geöffnet hat, wenn wir auf fleischliche Mittel schauen? Und doch, wer weiß nicht, dass gerade dazu die Weisen und Klugen vielleicht mehr als zu allem anderen neigen?
So scheint die moralische Lehre dieses Kapitels darin bestehen, dass man sieht, dass es darum geht, sich Rat zu holen, aber nicht vom Herrn. Deshalb ließ Gott das Land Ägypten zum Mittel werden, um ihr Übel zutiefst zu verschlimmern. die hingehen, um nach Ägypten hinabzuziehen – aber meinen Mund haben sie nicht befragt –, um sich zu flüchten unter den Schutz des Pharaos und Zuflucht zu suchen unter dem Schatten Ägyptens! Und der Schutz des Pharaos wird euch zur Schmach werden, und die Zuflucht unter dem Schatten Ägyptens zur Schande. Denn seine Fürsten waren in Zoan, und seine Gesandten gelangten nach Hanes. Alle werden beschämt werden über ein Volk, das ihnen nichts nützt, das nicht zur Hilfe und nicht zum Nutzen, sondern zur Beschämung und auch zum Hohn wird (30,1–5).