Der Strom des Lebens (Kap. 22, 1)
Eben beschäftigten wir uns mit dem neuen Jerusalem. Wir sahen, diese Stadt ist:
Eine heilige Stadt, nichts Unreines geht in sie ein.
Eine gut fundierte Stadt, Gott ist ihr Baumeister.
Eine hell erleuchtete Stadt, Gott und das Lamm sind ihre Leuchte.
Eine gerecht regierte Stadt, der Thron Gottes ist in ihr.
Eine wohlversorgte Stadt, der Baum des Lebens trägt jeden Monat Früchte.
Eine reich bewässerte Stadt, der Strom des Lebens durchfließt sie.
Diesem Strom des Lebens wollen wir nun unsere Aufmerksamkeit etwas näher schenken.
Unsere Städte durchfließt fast ausnahmslos ein Fluss, desgleichen durchzieht die himmlische Stadt ein Strom des lebendigen Wassers, klar wie Kristall. Das Paradies wäre ohne Bewässerung ebenso unvollkommen gewesen wie die himmlische Stadt ohne den lebenspendenden Strom. Dazu trägt jeder Strom viel zur Schönheit und Gesundung des Landes bei.
Sein Ursprung. Er hat seine Quelle nicht auf einem Berg, kommt unter keinem Gletscher hervor, sondern er entspringt dem T h r o n des Lammes, unterscheidet sich also von Grund auf wesentlich von allen andern Flüssen. Hesekiels Strom hingegen hatte seinen Ausgangspunkt im Tempel unter dem A 1 t a r (Hes 47). Dieser Strom hat zweifellos eine wunderbare Wirkung auf die Menschen während des Millenniums. Beide Flüsse sind also überaus reiche Segenspender, dennoch sind die Segnungen von Hesekiels Strom nur zeitlich, jene aber unaufhörlich.
Sein Lauf. Angesichts der Größe der Stadt, die so hoch wie lang und breit ist, kennt kein irdischer Strom einen so langen Lauf. Unserm kleinen Denkvermögen nach dürfte unter Berücksichtigung der Höhe der Stadt der Strom spiralförmig fließen. Drüben werden wir dann über all das mangelhaft Verstandene volle Klarheit erhalten. Für heute genügt uns das Wort des Psalmisten, wenn er sagt: «Ein Strom - seine Bäche erfreuen die Stadt Gottes, das Heiligtum der Wohnungen des Höchsten» (Ps 46,4 Elberfelder Übersetzung).
Seine Eigenschaften. Er führt Wasser des Lebens. Was anders als Leben könnte vom Lamme ausgehen, das selbst das Leben ist und Leben im Überfluss spendet. Als der Herr auf Erden war, rief Er, der «Lebensfürst», die Menschen von den löchrigen Brunnen weg zu sich, der wahren Quelle des Lebens. Es kamen jedoch nur wenige ‑ unter ihnen auch die Samariterin. Und wie unbeschreiblich glücklich ist sie geworden, nachdem sie vom Lebenswasser getrunken hatte. Ihr Durst war gestillt, und durch sie kamen wieder andere zum Lebensquell.
Seine Wirkung. Der Psalmist sagt: «Mit dem Strome Deiner Wonne tränkest Du sie» (Ps 36,9), und dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Jubels sein (Ps 126,2). Friede, Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes und des Lammes werden sich im Strom widerspiegeln, wie wir jetzt das freundliche Bild des blauen Himmels auf dem Spiegel des Wassers schweben sehen.
Eine praktische Anwendung. Jeder Strom beginnt unscheinbar. Nebenflüsse gesellen sich zu ihm, und er wird breiter und tiefer. Je länger sein Lauf, desto mehr Wasser treibt er der Mündung entgegen. Ähnlich ist es im geistlichen Leben. Zögernd tranken wir die ersten Züge aus dem Heilsbrunnen. Nach und nach offenbarte sich uns Gottes Liebe nach ihrer Höhe und Tiefe, Länge und Breite. Und wie der Hesekielsche Strom allmählich tiefer wurde, so soll auch das Geistesleben des Gläubigen an Tiefe gewinnen. Das Glaubensleben ist Wachstum und Fortschritt. Es muss zum Strom werden, soll es fruchtbar sein. Es muss überströmen (Phil 1,9). Warum bleibt denn bei manchen Gläubigen das Wasser immer nur ein kleiner, fast ausgetrockneter Bach? Sind etwa die Zuflüsse durch Sünde verstopft? Das Übel kann durch ein freies Bekenntnis behoben werden, wie das David so demütig sagt in Ps 51. Auch Petrus wurde wiederhergestellt und konnte vor Tausenden vom Herrn zeugen. Gottes Gnade reicht auch heute noch aus, dem lebendigen Wasser in unserm Herzen und Leben freien Lauf zu schaffen.