Behandelter Abschnitt Joh 10,19-30
Ein Zwiespalt unter den Juden
Verse 19-30. Der Herr entfaltet nun in einer zweiten Rede, in der Er sich wiederum an die Juden wendet, die Segnungen, die seine Schafe geniessen sollten, ewige und unveränderliche Segnungen. Die Juden befanden sich in derselben moralischen Verlegenheit, in der wir sie auch schon angetroffen haben. Die Vernunft sagte: «Diese Reden sind nicht die eines Besessenen; kann etwa ein Dämon der Blinden Augen auftun?» (V 21). Doch die Vorurteile vieler von ihnen trugen den Sieg über ihre Überzeugungen davon. Sie umringten den Heiland, denn sie konnten den Einfluss seines Lebens und dessen, was Er sagte und tat, nicht einfach von sich abschütteln: «Wenn du der Christus bist, so sage es uns frei heraus.»
Der Herr Jesus hatte es ihnen bereits gesagt, und sie hatten nicht geglaubt. Er berief sich auf seine Werke, die von Ihm zeugten; doch sie glaubten Ihm nicht, weil sie nicht zu seinen Schafen gehörten. Es geht hier nur um seine Schafe, um jene, die Ihm gehörten, und zwar über die Auserwählung des Volkes Israel hinaus. Und so benutzt der Herr hier die Gelegenheit, um die Segnungen seiner Schafe darzulegen.
Die Segnungen der Schafe des guten Hirten
Die erste Charaktereigenschaft der Schafe des Herrn Jesus ist, dass sie auf seine Stimme hören. Diese Eigenschaft findet sich hier besonders häufig (V 27; siehe auch V. 3.4.5.16). Dann kommen zwei weitere Wesenszüge, die auf sie zutreffen: Der gute Hirte kennt sie (V 14), und sie folgen Ihm (V. 4). Weiter stellt uns der Herr klar und deutlich vor, was Er ihnen gibt: ewiges Leben, in der vollen Gewissheit sowohl der Treue des Christus, als auch der Macht des Vaters selbst.
Er hatte bereits erklärt, dass Er deshalb in Gnade gekommen war, um Leben zu geben, und zwar Leben in Überfluss. Ei- suchte nicht nach Beute wie ein Räuber, sondern Er war gekommen, um in Gnade Leben von oben zu geben. Wir haben hier das Wesen und den Charakter dieses Lebens in Gnade: Es war und ist das ewige Leben, und Christus war die Quelle und als Mensch der Vertreter dieses Lebens (vgl. 1Joh 1,2; Joh 1,4). Es war jenes Leben, das dem Wesen nach im Vater selbst war, das in der Person des Sohnes hier auf der Erde war, das Leben, das Gott uns in Ihm und durch Ihn gibt (1Joh 5,11.12).
Dieses Leben besitzen wir in Ihm; denn Er ist unser Leben (Kol 3,4; Gal 2,20). Es trägt den Abdruck des Christus. Der Mensch, der dieses Leben besitzt, ist nach den Ratschlüssen Gottes in eine neue Stellung versetzt. Für uns, die wir uns unter der Macht des Todes befanden - tot in unseren Vergehungen und Sünden -, ist Christus die Auferstehung und das Leben; ein Leben, das nun in uns zum Vorschein kommen sollte und das sozusagen durch den Glauben an Ihn atmet und existiert (Gal 2,20; 2Kor 4,10-18).
Dieses Leben wird sich dann völlig entfalten, wenn wir bei Ihm und verherrlicht sind (Röm 6,22). Es lebt von der Erkenntnis des Vaters, des einzig wahren Gottes, und von Jesus Christus, seinem Gesandten (Joh 17,2.3; 1Joh 5,20). Es ist die Gabe Gottes, und sie ist wirklich, auch in sittlicher Hinsicht: Wir sind aus Wasser und Geist geboren (Joh 3,5.6). Nach seinem eigenen Willen hat Er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt (Jak 1,18).
Das, was in Christus war, wird in uns wiedergezeugt, und zwar durch das Wort selbst (1Joh 2,5-8; 1,1; 1Pet 1,21-25). Dieses Wort nährt das Leben (1Pet 2,2). Deshalb können wir über dieses Leben sagen, wie es der Herr ausdrückt: «Weil ich lebe, werdet auch ihr leben» (Joh 14,19). Hier ist es das Leben selbst. Doch um den Charakter dieses Lebens im Christen zu vervollständigen, müssen wir hinzufügen: «der Geist des Lebens» - dann wird es zum «Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus» (Röm 8,2). Es wird, nach Johannes 4 - mit himmlischen Gegenständen vor sich - zu einer Quelle lebendigen Wassers, die ins ewige Leben quillt.
Doch wenn Christus so unser Leben ist, dann geht dieses Leben in Ihm weder verloren, noch wird es in uns fehlschlagen. Weil Er lebt, werden auch wir leben. Kann Er sterben, oder kann das göttliche Leben in uns verfallen? Ganz bestimmt nicht. Wir werden nicht verloren gehen. Das Leben, von dem wir leben, ist göttliches und ewiges Leben. Doch der Wolf ist da, der die Schafe rauben und zerstreuen will. Die Schafe wären nicht in der Lage, sich gegen diesen gierigen Wolf zu verteidigen. Doch der gute Hirte ist dort, der Sohn Gottes, und niemand kann sie aus seiner Hand rauben. Es gibt keine grössere Macht, die irgendetwas gegen Ihn, der uns bewahrt, ausrichten kann.
Und da ist noch mehr: die gemeinsame Fürsorge des Vaters und des Sohnes für die Schafe. Welch kostbarer Gedanke! Der Vater, der sie dem Sohn gab, ist offenkundig grösser als alles. Wer könnte sie aus seiner Hand rauben? Und der Sohn, dieser gute Hirte, der sich selbst erniedrigte, um sie zu besitzen, zu erlösen und zu bewahren, ist eins mit dem Vater. Der Hirte trat zweifellos durch die vorgeschriebene Tür ein; doch Er ist Gott, eins mit Dem, der die Vorschrift angeordnet hat. Er ist der Sohn des Vaters, eins mit Ihm. Eine solche Sicherheit haben die Schafe.