Behandelter Abschnitt Joh 4,15-18
Der Herr erreicht das Gewissen dieser Frau
Verse 15-18. So nützlich es sein mag, die Aufmerksamkeit einer Seele zu erregen, bedeutet dies aber noch keine Bekehrung. Es fehlt die moralische Verbindung zwischen der Seele und Gott, die dadurch entsteht, dass man sich selbst und Ihn erkennt. Die Augen sind noch nicht geöffnet. Daher bleibt das Herz in seiner natürlichen Umgebung. Es wird durch seine Lebensumstände absorbiert oder zumindest beherrscht.
Die arme Frau wurde von der Art, wie der Herr mit ihr sprach, angezogen. Ja, Er hatte sogar einen Einfluss auf sie gewonnen. Sie fragte Ihn, ob Er ihr von diesem Wasser geben könne, damit sie nicht mehr zum Brunnen kommen müsse, um es mühsam hoch zu ziehen. Jedes wahre Verständnis fehlte ihr: Sie war von ihrer Müdigkeit und der schweren Arbeit absorbiert. Der Kreis ihrer Gedanken ging nicht weiter als bis zu ihrem Wasserkrug, d.h. bis zu ihr, die eine Gefangene ihrer Lebensumstände war.
So ist das menschliche Leben. Die Menschen beurteilen das ihnen Offenbarte in Verbindung zu den eigenen Umständen. Manchmal zeigt sich uns dabei sittliche Wahrheit wie hier, manchmal offener Unglaube. Wie kann dann der Zugang zum menschlichen Herzen gefunden werden? Dies ist für Gott kein Problem. Und für den Menschen findet sich dieser Zugang, wenn Gott da ist und sich offenbart, so dass sein Gewissen berührt wird. «Adam, wo bist du?» Er versteckte sich, weil er nackt war. Alles war verloren. Die Feigenblätter, die einen beruhigenden Effekt hatten, als er sich vor sich selbst versteckte, lösten sich in der Gegenwart Gottes in nichts auf.
Diese neue Fähigkeit im Menschen - sein Gewissen -, bei Adam zum ersten Mal in Aktion, dieser traurige, aber nützliche Weggefährte, der ihn sein ganzes Leben lang als Teil seiner selbst begleitet, ist für Gott der einzige Zugang zu seinem Herzen. Und der Mensch kann nur über das Gewissen zu wahrem Verständnis gelangen. Nur ist hier unermüdliche Liebe am Wirken. Gott und der Sünder befinden sich beide an ihrem wahren Platz; der Mensch in seiner Verantwortung vor Gott, vollkommen durchschaut, aber wissend, dass alles bekannt ist, und dass Der, der ihn durch und durch kennt, da ist.
Ich verweile ein wenig bei diesem Punkt, denn dies hier ist das Gegenteil vom Eingang zum Paradies. Es ist weder das zurückgewonnene Paradies noch das, was viel besser ist. Nein, wir sehen hier, wie eine Seele persönlich Wahrheit und Gnade in der Person von Jesus empfängt, und wie Er ihr die Fähigkeit gibt, dies zu erfassen. In beiden Fällen wird der Seele ihr sündiger Zustand offenbart. Doch im Paradies geschah es zum Gericht. Es war der Anfang einer Welt ohne Gott, in der Satan herrschte.
Hier kommt die Sünde ebenfalls ans Licht, aber in derselben Welt wird auch Gott in Liebe offenbart. Früher war es also Licht und Gericht, jetzt ist es Licht und Gnade. Jegliches Verständnis, sowohl in Bezug auf das Geschenk Gottes als auch in Bezug auf die Person von Christus und auf das ewige Leben, fehlte bei dieser Frau und hatte keinen Platz in ihrem Herzen. «Da ist keiner, der verständig ist.»
Während Gott damals den Menschen aus dem Paradies vertrieben hatte, blieb die Liebe hier beharrlich in der Nähe des Sünders. Gottes Liebe ist ausdauernd und geduldig. Nötig ist nur Aufrichtigkeit: «Geh hin, rufe deinen Mann und komm hierher!» «Ich habe keinen Mann», antwortete die Frau. Es ist nicht ein aufrichtiges Gewissen vor Gott - obwohl die Frau die Wahrheit spricht -, sondern Scham, die das Böse versteckt. Doch die geduldige Liebe führt ihr Werk fort. Sie sucht sich einen Zugang zum Verständnis, oder vielmehr zum Innern des Menschen, der überhaupt kein Verständnis für göttliche Dinge hat - zu seinem Gewissen. «Geh hin, rufe deinen Mann.» Dann, auf ihre Antwort hin, erzählt der Herr ihr genug aus ihrem Leben, um ihr klar zu machen, dass sie es mit Dem zu tun hat, vor dem alles bloss und aufgedeckt ist.