Behandelter Abschnitt Joh 4,15-19
Sogar jetzt bleibt die Samariterin so unempfänglich wie immer.
Die Frau spricht zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit mich nicht dürste und ich nicht mehr hierherkomme, um zu schöpfen. [Jesus] spricht zu ihr: Geh hin, rufe deinen Mann und komm hierher! Die Frau antwortete und sprach zu ihm: Ich habe keinen Mann. Jesus spricht zu ihr: Du hast recht gesagt: Ich habe keinen Mann; denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; hierin hast du die Wahrheit gesagt. Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist (4,15–19).
Sie würde gern erfahren, wie sie von ihren Nöten und ihrer Arbeit, die die Welt betreffen, befreit werden könnte. Noch war kein einziger Strahl des himmlischen Lichts in sie eingedrungen. Nicht zu dürsten, noch hierherzukommen, bildete die Grenze ihrer Sehnsucht nach dem Heiland, den sie noch nicht als Heiland erkannte, noch weniger als den eingeborenen Sohn.
Damit ist der erste Teil des Handelns unseres Herrn mit ihr abgeschlossen. Es war nicht angebracht, noch mehr zu sagen, als Er gesagt hatte. Jesus hatte ihr bereits das Prinzip vor Augen geführt, nach dem Gott handelt, und seine eigene gnädige Fähigkeit, ihr auf ihre Bitte hin lebendiges Wasser zu geben; Er hatte auch die unvergleichliche Überlegenheit seiner Gabe als göttlich über jeden von Jakob hinterlassenen Segen gezeigt. Aber ihr Herz erhob sich nicht über den Bereich ihrer täglichen Bedürfnisse und irdischen Wünsche. Sie war taub für seine Worte, obwohl sie Geist und Leben waren, die das Ewige offenbarten.
War es also vergeblich gewesen, so zu ihr zu sprechen, wie Er es in der Fülle der Liebe Gottes tat? Weit gefehlt. Es war ganz wichtig, wenn einmal eine Tür im Innern geöffnet wurde, darüber nachzudenken und festzustellen, dass solche Reichtümer der Gnade ihr völlig ungefragt vorgestellt worden waren. Aber es war noch nicht angebracht, bis dahin mehr hinzuzufügen. Daher die abrupte und scheinbar zusammenhanglose Aufforderung des Herrn: „Geh, rufe deinen Mann und komm hierher!“ (V. 16). Aber war die Unterbrechung unabhängig von der Frage ihrer Errettung? Nein, im Gegenteil. Es war der zweite und notwendige Weg mit einem Menschen, wenn er göttlich gesegnet werden soll. Es ist durch ein erwecktes Gewissen, dass Gnade und Wahrheit eintreten, und es war, weil ihr Gewissen bis dahin unerreicht war, dass die Gnade und Wahrheit überhaupt nicht verstanden wurden.
Einerseits war es von größter Bedeutung, dass sie und wir und alle den klarsten Beweis haben sollten, dass das Zeugnis der Gnade des Erlösers verkündigt wird, bevor es irgendeine Eignung gibt, es anzunehmen; denn dies, wie es Gott und seine Freigebigkeit verherrlicht, so erniedrigt und entlarvt es den gänzlich bösen und furchtbar gefährlichen Zustand des Menschen.
Andererseits war es ebenso bedeutsam, dass sie dazu gebracht werden sollte, ihr Bedürfnis nach jener freien und wunderbaren Gnade zu empfinden, die der Heiland ihr in ihrer ganzen Tiefe und Fülle und ewigen Beständigkeit zugesichert hatte, bevor sie sich selbst als Sünderin vor Gott verurteilt hatte. Zu diesem Punkt führt Er sie nun; denn, wenn es unmöglich ist, Gott ohne Glauben zu gefallen, so ist der Glaube ohne Buße intellektuell und wertlos. Es ist der Mensch, der Beweise erkennt und annimmt, was er in seiner Weisheit für das Beste hält; nicht ein Sünder, der, von souveräner Gnade getroffen, gerichtet wird, sich selbst seine Sünden eingesteht, aber zu froh ist, den Retter, den einzigen Retter, in Jesus Christus, dem Herrn, zu finden.
Und doch hält der Herr noch an der Gnade fest. Er sagt nicht: „Geh hin, rufe deinen Mann“, ohne hinzuzufügen: „und komm hierher!“ Er bereut seine Güte nicht, weil sie träge war; im Gegenteil, Er wendet die frischen und notwendigen Mittel an, um das Bedürfnis nach solcher Güte spüren zu lassen. Wie mühsam ist die Gnade, die in dem Menschen wirkt, damit sie eintritt und bleibt, nachdem sie in ihrer ganzen Fülle bezeugt worden war, und ohne irgendeine Vorbereitung auf sie, mehr als die Wüste im Menschen!
Die Frau antwortet: „Ich habe keinen Mann“. Sie ist erstaunt, die vernichtende Antwort zu hören: „Du hast recht gesagt: Ich habe keinen Mann; denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; hierin hast du die Wahrheit gesagt“ (V. 17.18). Sie wurde überführt. Es war eine Demonstration des Geistes und der Kraft. Und doch waren es wenige und einfache Worte, kein einziges von ihnen war hart oder verletzend. Es war die Wahrheit über ihren Zustand und ihr Leben, die ihr völlig unerwartet vor Augen geführt wurde, wie Gott es zu tun versteht und in der einen oder anderen Form in jedem bekehrten Menschen tut. Es war die Wahrheit, die sie nicht verschonte und ihre Sünden vor Gott und ihrem eigenen Gewissen bloßlegte. Sie zweifelte nicht einen Augenblick daran, was es war, dass alles offenbar machte. Sie erkannte, dass es das Licht Gottes war. Sie erkennt, dass seine Worte nicht die Weisheit des Menschen, sondern die Kraft Gottes sind. Sie ist nun überzeugt und bekennt sogleich: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist“ (V. 19). Es war nicht nur die Tatsache, sondern die Wahrheit Gottes.
Es ist daher klar, dass „Prophet“ nicht nur jemanden bezeichnet, der die Zukunft voraussagte, denn darum ging es nicht, sondern es ging um jemanden, der die Gedanken Gottes aussprach – jemanden, der durch die offensichtliche Führung des Geistes sprach, was nicht auf natürliche Weise erkannt werden konnte, was aber deshalb umso mehr einen Menschen vor Gott und in sein Licht stellte. So war Abraham ein Prophet (1Mo 20,7), und die Väter im Allgemeinen (Ps 105,15), und die Propheten des Alten Testaments in ihrem ganzen Wirken und Schreiben, nicht nur in dem, was sie vorhersagten. Dasselbe gilt ausdrücklich für die neutestamentliche Prophetie, wie wir in 1. Korinther 14,24.25 sehen können. Das wird von Gott mitgeteilt, der das Leben, ja die Geheimnisse des Herzens vor Ihm aufdeckt.
Indem die Samariterin die göttliche Kraft seiner Worte erkennt, ergreift sie die Gelegenheit, von Gott Licht zu bekommen über das, was selbst für sie nicht ohne Verwirrung und Interesse war – den religiösen Unterschied zwischen ihrem Volksstamm und dem auserwählten Volk, und das nicht nur in der Ehrerbietung vor Gott, sondern in der formellen oder ausdrücklichen öffentlichen Anbetung. Sie möchte die Frage, so alt sie auch war, jetzt für sich geklärt haben. Der Samariter, wie manch anderer in schwerem Irrtum, konnte von einer langen Geschichte reden. Glücklich der, der sich dafür an Jesus wendet! Er allein ist die Wahrheit. Andere mögen täuschen oder selbst getäuscht werden.
Zu diesem Zweck wurde Jesus geboren, und zu diesem Zweck kam Er in die Welt, damit Er der Wahrheit Zeugnis gab. Und mehr noch: „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme“ (Joh 18,37). Leider ist es völlig anders mit der Christenheit gewesen, erst verdorben, dann hoffnungslos zerrissen, am hochmütigsten, wenn sie am meisten Grund hat, sich zu schämen. Lasst uns in solch einem Zustand des Verderbens sein Wort halten und seinen Namen nicht verleugnen.