Behandelter Abschnitt Judas 4-10
Der Beginn dieses Übels (Judas 4)
Die Verderbtheit innerhalb des christlichen Bereiches begann durch bestimmte Menschen, die sich nebeneingeschlichen haben. Daß sie sich nebeneingeschlichen haben, zeigt deutlich, daß sie die Heiligen durch ein gutes Bekenntnis und einen guten äußeren Anschein verführt haben. Sie bezeugten, Christen zu sein, und wurden so als wahre Gläubige aufgenommen. In der Tat erschienen die Diener Satans als Diener der Gerechtigkeit. Auch dieses Böse begann schon in den apostolischen Tagen, denn Judas warnt uns nicht einfach vor dem Bösen, das in den letzten Tagen kommen würde, sondern vor dem Bösen, das in seinen Tagen schon gegenwärtig war. Paulus hatte gesagt: „Ich weiß, daß nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch hereinkommen werden, die die Herde nicht verschonen“ (Apg 20,29). Als Judas schreibt, waren diese reißenden Wölfe jedoch bereits dabei, ihr ruchloses Werk zu vollbringen. Daher sagt Judas nicht, daß gewisse Menschen kommen würden, sondern daß sie sich eingeschlichen „haben“. Nachdem Judas somit den Beginn des Bösen beschrieben hat, kommt er zu dem Charakter des Bösen.
Der Charakter dieses Übels (Judas 4-10)
Wir haben gesehen, daß die Menschen, die die Verderbtheit hineinbrachten, in der Tat „Ungöttliche“ waren, wie ansehnlich sie auch immer äußerlich waren. Der Charakter ihrer Gottlosigkeit war zweifach: Sie verkehrten die Gnade Gottes in Ausschweifung.
In dem Brief an Titus lernen wir, daß Gnade das Prinzip ist, nach dem Gott den Menschen rettet, und durch das Er den Gläubigen belehrt, Gottlosigkeit und weltliche Begierden zu verleugnen sowie besonnen, gerecht und gottselig in diesem jetzigen Zeitlauf zu leben (Titus 2,11-12). Das große Prinzip, durch das Gott den Menschen von der Sünde befreit und ihn belehrt, besonnen zu leben, wird von diesen ungöttlichen Menschen als Gelegenheit benutzt, das Fleisch zu befriedigen und den Begierden nachzugehen. Zugleich halten diese Menschen ein gutes Bekenntnis aufrecht und bewegen sich weiter in dem christlichen Bereich.
Sie verleugnen „unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus“. Das ist das Ablehnen jeglicher Autorität. Sie verleugnen nicht den Namen Christi, aber sie wollen sich nicht Seiner Autorität unterordnen. Sie verleugnen „unseren alleinigen Gebieter“. Das ist Gesetzlosigkeit, und Gesetzlosigkeit ist die Entschlossenheit, den eigenen Willen zu tun.
So finden wir hier die zwei großen Eigenschaften dieses verdorbenen Bösen – Begierde und Gesetzlosigkeit. Notwendigerweise führt die Begierde zur Gesetzlosigkeit, denn der Mensch, der entschlossen ist, seine Begierde zu befriedigen, wird auf jede Einschränkung unwillig reagieren. Wer kann leugnen, daß das, was heute auf der Erde den Namen Christi trägt, durch Begierde und Gesetzlosigkeit gekennzeichnet ist? Natürlich mag das Böse die unterschiedlichsten Formen annehmen und sich in sehr unterschiedlichen Abstufungen äußern, aber überall offenbart sich in steigendem Ausmaß ein Geist des Eigenwillens und der Hemmungslosigkeit, verbunden mit einem Geist der Auflehnung, der sich gegen jede Autorität richtet.
Darüber hinaus beschreibt Judas nicht nur den Charakter des Bösen, sondern zeigt ebenso, was es zur Folge hat und wohin es führt. Das Böse hat die Hoffnungslosigkeit des Abfalls zur Folge und führt zu überwältigendem Gericht. Um zu beweisen, daß dies ohne jede Frage so ist, ruft Judas drei schreckliche Beispiele aus der Geschichte dieser Welt in Erinnerung: Zuerst erinnert er uns an diejenigen, die aus dem Land Ägypten gerettet worden waren, dann aber in der Wüste vertilgt wurden. Was war das Geheimnis ihres Untergangs? Begierde und Gesetzlosigkeit. Sie lüsteten nach den Dingen Ägyptens und lehnten sich gegen Gott auf (Judas 5).
Dann spricht Judas von den Engeln, die ihren ersten Zustand nicht bewahrt haben. Dieser Vers bezieht sich nicht auf den Fall Satans und seiner Engel, denn wie wir gut wissen, befinden sie sich zur Zeit nicht in Ketten. Vielmehr ist ihnen erlaubt, auf dieser Erde hin und her zu wandern. An dieser Stelle handelt es sich um einen zweiten Fall von Engeln, auf den vermutlich in 1. Mose 6 hingewiesen wird. Das Geheimnis von Satans Fall war Hochmut, durch den er sich selbst bis zum Thron Gottes erhöhen wollte. Das Geheimnis dieses zweiten Falles von Engeln war Begierde, durch die sie ihre eigene Behausung verließen und ihren ersten Zustand nicht bewahrten (Judas 6).
Schließlich ruft uns Judas die dunkle Geschichte von Sodom und Gomorra in Erinnerung, Städte, die sich selbst der Begierde und Gesetzlosigkeit hingaben (Judas 7).
In Verbindung mit diesen drei Beispielen tun wir gut daran, uns einiger Tatsachen zu erinnern: Jedes dieser Übel beruhte in der einen oder anderen Weise auf einer Begierde.
Das Bemühen, diese Lust zu befriedigen, führte zur Rebellion gegen die Autorität Gottes.
Rebellion gegen Gott brachte das Verlassen der Stellung mit sich, in die Gott die jeweiligen Personen gestellt hatte. Das ist Abfall.
In jedem Fall brachte Abfall überwältigendes Gericht mit sich. Für einen abgefallenen Menschen, einen Abtrünnigen, gibt es keine Hoffnung.
Israel fiel in Lüste und rebellierte gegen Gott. So verließen sie ihre Stellung der äußeren Beziehung mit Gott, in die sie gestellt worden waren. Das war Abfall und führte zu ihrem Gericht – sie wurden zerstreut. Die Engel lüsteten und verließen ihre Position als Engel, in die Gott sie gestellt hatte. Auch das war Abfall, so daß sie als Folge dem Gericht ausgesetzt sind – „zum Gericht des großen Tages mit ewigen Ketten unter der Finsternis verwahrt“. Sodom und Gomorra lüsteten und verließen die natürliche Ordnung, die Gott festgesetzt hatte. Auch dies war Abfall, der sie der „Strafe des ewigen Feuers“ aussetzt.
Wie außerordentlich ernst ist doch die Warnung durch diese schrecklichen Beispiele! Wie laut verkündigen sie, daß die Verderbtheit und Rebellion, die das große christliche Bekenntnis heute kennzeichnen, zu dem hoffnungslosen Grauen des Abfalls führen – dem vollständigen Verlassen der christlichen Stellung. Für Abfall gibt es weder eine Heilung noch ein Heilmittel. Vor der verderbten Christenheit liegt nichts als nur das lange vorhergesagte Gericht beim Kommen des Herrn mit den Tausenden Seiner Heiligen.
Judas überläßt es nun nicht uns, eine Anwendung dieser drei Beispiele vorzunehmen, denn die angeführten Tatsachen wendet er selbst auf die Verderber der Christenheit an (Judas 8-10). Auch sie sind durch die Begierden des Fleisches gekennzeichnet. Da sie sich nicht durch die Offenbarung Gottes regieren lassen, sind sie vernarrt in ihre unanständigen Träume, die das Fleisch verunreinigen.
Auch sie sind durch Gesetzlosigkeit gekennzeichnet. In der ehrgeizigen Verfolgung ihrer Träume lehnen sie sich gegen jede Autorität auf; wie dort gesagt wird, daß sie „die Herrschaft verachten und Herrlichkeiten lästern“. Als rein natürliche Menschen können sie nichts von den Dingen Gottes verstehen, denn „niemand weiß, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes“ (1Kor 2,11).
Von den Dingen, die sie nicht kennen, sprechen sie in übler Weise, und in den Dingen, die sie auf natürliche Weise kennen, verderben sie sich selbst, denn wie jemand zurecht gesagt hat: „Der Mensch kann nicht wie ein Tier werden, ohne sich weit unter das Tier zu erniedrigen; und das, was in dem Tier einfach die Abwesenheit eines moralischen Elementes bezeugt, wird in dem Menschen die Gegenwart eines unmoralischen Elementes beweisen.“
Hier finden wir somit alle Elemente, die die verderbte Christenheit kennzeichnen. Schmutzige Träume anstelle der Offenbarung Gottes; einen verunreinigten Körper anstatt diesen zur Verherrlichung Gottes zu nutzen; Verachtung von Herrschaft, anstatt Unterwerfung unter die Autorität Christi; Lästerung von Herrlichkeiten anstelle von geziemender Anerkennung; übles Reden über geistliche Dinge und Verderbtheit in natürlichen Dingen. Das ist das ernste Bild, das Judas nicht von einem degradierten Heidentum, sondern von einer zivilisierten Christenheit zeichnen muß. Für diesen Zustand kann es nur ein Ende geben. Bevor Judas jedoch dieses schreckliche Ende beschreibt, stellt er in einigen kurzen Sätzen die weitere Entwicklung des Bösen vor.