Behandelter Abschnitt Judas 11-13
Die Entwicklung des Übels (Judas 11-13)
Judas stellt uns auf lebendige Weise die Entwicklung des Übels anhand von drei weiteren Illustrationen vor, die er aus dem Alten Testament nimmt. Indem er die Geschichte Kains in Erinnerung bringt, ruft er über die Verderber der Christenheit aus: „Wehe ihnen, denn sie sind den Weg Kains gegangen.“ Der Weg Kains war der Weg der natürlichen Religion. Kain war ein religiöser Mann, aber seine Religion war gemäß den Gedanken des gefallenen Menschen und nicht gemäß der Offenbarung Gottes. Seine natürliche Religion führte ihn dahin, die Sünde zu verniedlichen, die Vorsorge Gottes, wie der Sünde begegnet werden kann, zu verachten, Gott auf der Grundlage seiner eigenen Werke zu nahen und das wahre Kind Gottes zu verfolgen.
Aufgrund des Verderbens durch ungöttliche Menschen ist leider die große Masse der bekennenden Christenheit den Weg Kains gegangen. Die populäre Religion unserer Tage ignoriert die Offenbarung Gottes und nimmt keine Kenntnis davon, was Sünde in den Augen Gottes ist. Sie behandelt den Sündenfall als reinen Mythos und sieht, da sie den Fall des Menschen leugnet, keine Notwendigkeit für Sühnung. Da sie das Sühnungswerk Christi abweist, fällt sie natürlicherweise darauf zurück, die Werke des Menschen als Grundlage für die Annahme bei Gott anzusehen. Zudem hat sie nur große Verachtung und besonderen Haß für alle die übrig, die sich auf die Offenbarung Gottes stützen, sich auf das Sühnungsblut als ihr einziges Heilmittel stützen und den Herrn Jesus Christus in Aufrichtigkeit und Wahrheit lieben. Über alle diejenigen jedoch, die dem Weg Kains folgen, ruft Gott das „Wehe“ aus.
Judas fährt fort, indem er auf die Geschichte eines der verdorbensten Menschen des Alten Testamentes anspielt. Er sagt von diesen Verderbern, daß sie „sich für Lohn dem Irrtum Bileams hingegeben haben“. Dieser hoffnungslos böse Mann wurde von seinen Begierden regiert. Indem er den Gewinn suchte, wollte er aus dem Volk Gottes gleichsam eine Ware machen. Er war sogar bereit, Falsches über das Volk auszurufen, wenn er dadurch Lohn erhalten hätte. Dies ist zurecht das kirchliche Böse genannt worden, denn wie viele gibt es, die eine hohe offizielle Stellung in der bekennenden Kirche innehaben, um damit Handel mit dem Volk Gottes zu treiben und bereit sind, Falsches zu lehren, um dafür eine Belohnung zu erhalten.
Dieses Böse findet seinen großen Höhepunkt in dem verderbten System Roms, das durch den „Handel mit Gold“ und durch jede auserlesene und kostbare Sache gekennzeichnet ist, die das Herz des Menschen begehren kann, „von Gold und Silber und wertvollen Steinen“ bis hin zu „Menschenseelen“. Wenn die bekennende Kirche mit der Wahrheit Gottes Handel treiben kann, dann wird sie auch nicht davor zurückschrecken, Tauschhandel mit den Seelen der Menschen zu betreiben (Offenbarung 18,12–13). Das ist die moderne Wiederholung des Irrtums Bileams.
Schließlich sagt Judas von diesen Verderbern, daß sie „in dem Widerspruch Korahs umgekommen sind“. Die Sünde Korahs war zweifältig; auf der einen Seite rebellierte er öffentlich gegen Mose und Aaron, indem er sagte: „Laßt es genug sein!. . . Warum erhebt ihr euch über die Versammlung des Herrn?“ auf der anderen Seite war er nicht mit seiner eigenen Stellung zufrieden und wollte sich widerrechtlich den Platz priesterlicher Fürbitte aneignen, der allein Aaron zustand (4. Mose 16,3.9-10). Er wollte Mose und Aaron auf den Status der Gemeinde Israel erniedrigen, sich selbst jedoch auf die Stellung Aarons erhöhen.
Wie klar und deutlich ist doch die moderne Antwort auf den Widerspruch Korahs. Von Kanzel und Presse, von Tagungen und Konferenzen steigt eine nicht aufhörende Flut von Rebellion gegen den Christus Gottes herauf, die verbunden ist mit der Erhöhung des Menschen. Christus wird auf den Stand des gefallenen Menschen erniedrigt, der Mensch jedoch auf die Höhe Gottes erhöht. Untreue religiöse Menschen, die sich als Christen verkleiden, wagen zu sagen, daß man aus Christus zu viel gemacht hat, während sie für den Menschen Rechte und Ehren beanspruchen, die nur Christus zustehen. Diese Rebellion gegen Christus, verbunden mit der Erhöhung des Menschen, ist genau der Kern des Abfalls und wird in der Erscheinung des großen Abtrünnigen, „des Menschen der Sünde“ enden, „der widersteht und sich erhöht über alles, was Gott oder verehrungswürdig heißt, so daß er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, daß er Gott sei“ (2Thes 2,3-4).
Dies ist der schreckliche Verlauf des Bösen, durch das die Christenheit verderbt wird. Es beginnt mit dem Weg Kains – oder der Religion, die, Offenbarung ignorierend, gemäß des natürlichen Herzens des Menschen gebildet wird – und führt zu dem Irrtum Bileams, durch den Religion zum Handel wird; das Böse endet in dem Widerspruch Korahs, also in dem Abfall.
Judas benutzt nun vielfältige Metaphern (Bilder), um seine Abscheu gegenüber diesen bösen Verderbern der bekennenden Kirche auszudrücken. Sie sind gesunkene Klippen (siehe die Anmerkung in der Elberfelder Übersetzung in Vers 12), die zu Schiffbruch führen; Wolken, die die Aussicht auf erfrischende Regenschauer geben, in Wirklichkeit jedoch ohne Wasser und damit jedem Wind ausgeliefert sind; Bäume, die eine gewisse Zeit einen guten Eindruck machen, aber keine Frucht bringen, weil sie zweimal erstorben sind (durch Natur und Bekenntnis); am Ende werden sie entwurzelt; wilde Meereswogen, die eine große Demonstration von Macht abgeben, in Wirklichkeit jedoch schäumen sie Dinge aus, die zu ihrer Beschämung sind; Irrsterne, die mit einem kometenhaften Leuchten für eine Zeit erscheinen, jedoch nur, um in „das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit“ zu wandern.
So geht Judas über Land, See und Himmelsgestirne, um Bilder zu finden, mit denen er dieses furchtbare Übel entlarven und verurteilen kann. Niemand sollte allerdings aufgrund dieser eindrucksvollen Bilder denken, daß diejenigen, die dadurch repräsentiert werden, in den Augen der Menschen Ungeheuer der Ungerechtigkeit sind. Sie erscheinen vielmehr als Engel des Lichts und Diener der Gerechtigkeit, die in Gesellschaft mit Christen Festessen halten und sich selbst ohne Furcht weiden. Das zeigt einerseits, daß sie selbst kein Gewissen haben, andererseits, daß die Christen ihren wahren Charakter nicht erkennen.
Nachdem wir nunmehr den Charakter und die Quelle dieses großen Übels kennengelernt haben, wird uns abschließend gestattet, das Gericht des Bösen zu sehen.