Ein weiterer Ausdruck, der geklärt werden muss, ist die Bedeutung der „Wochen“ bei den siebzig Wochen. Durch die Ähnlichkeit mit dem Wort „Wochen“ in seiner alltäglichen Benutzung kann unterstellt werden, dass es sich um eine Zeitperiode von sieben Tagen handelt, und es hat Ausleger gegeben, die auf dieser Theorie bestanden haben. Die Antwort ist einfach und unwiderlegbar. Der Zeitpunkt des Beginns der siebzig Wochen ist mit der höchsten Genauigkeit vorgelegt (Vers 25), und gab es beginnend von diesem Zeitpunkt – wenn man annimmt, dass es sich um siebzig Wochen von Tagen handelt – irgendeine Erfüllung einer Vorhersage in der genannten Zeitperiode? Nein. Gab es bisher überhaupt eine Erfüllung der Offenbarungen Gabriels? Wenn nicht, so ist es für solche, die an die völlige Inspiration der Schrift glauben, zweifelsfrei bewiesen, dass „Wochen“ in diesem Abschnitt keine Wochen von Tagen sind. Das folgende Zitat von jemandem, dessen Kenntnis der hebräischen Sprache außer Frage steht, mag hilfreich zum Verständnis dieses Ausdrucks sein. Er sagt: „Das Wort selbst meint grundsätzlich etwas in sieben Teile Geteiltes oder aus sieben Teilen Bestehendes.“ Und weiter: „Daniel hatte Nachforschungen über siebzig Jahre der Gefangenschaft in Babylon unternommen.
Die Antwort spricht auch von siebzig Perioden, die [. . . ] Wochen genannt werden. Das Wort bedeutet nicht zwingend sieben Tage, sondern eine Periode von sieben Teilen. Natürlich wird sie im Sprachgebrauch öfter als alles andere für eine Woche von sieben Tagen gebraucht, weil nichts anderes so häufig gebraucht wird wie eine Woche von Tagen. Die Hebräer benutzten eine Siebener-Skala für Zeiten, so wie wir normalerweise mit Zehner-Zahlen rechnen würden. Die Sabbat-Jahre, die Jubeljahre – alles war darauf ausgerichtet. Was hier damit gemeint ist, sollte von dem Gegenstand des Gebets Daniels abgeleitet werden. In seinem Gebet geht es um Jahre, ihm wird mit Zeiträumen von sieben Jahren geantwortet, das ist quasi ein Aufgreifen der Sabbat-Jahre.“44
Nachdem geklärt wurde, dass die Wochen in dieser Schriftstelle Perioden von sieben Jahren darstellen, sollte unsere weitere Betrachtung den Zeitpunkt ihres Beginns betreffen. Gabriel stellt diesen als „vom Ausgehen des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen“ (Vers 25), fest. Im Buch Esra haben wir einen Beschluss von Kores und einen weiteren von Artasasta im siebten Jahr seiner Regierung, doch beide betreffen das Haus Gottes in Jerusalem und entsprechen damit nicht der Formulierung, die Gabriel verwendet. Wenn wir Nehemia betrachten, finden wir, dass er „im zwanzigsten Jahr des Königs Artasasta“ (Nehemia 2,1) Briefe erwähnt, die ihm als Antwort auf sein Bitten erlaubten, nach Juda, der Stadt der Grabstätte seiner Väter, zu gehen, um die Stadt zu bauen (Nehemia 2). Wir sehen hier also den Zeitpunkt, auf den Gabriel sich bezieht. Da es in der Schrift keinen anderen solchen Befehl zur Wiederherstellung und Wiedererbauung Jerusalems gibt, ist zweifelsfrei dieser Zeitpunkt gemeint.
Eine weitere Frage kommt auf, ob das Jahr dieses Befehls in der Weltgeschichte ermittelt werden kann. Ohne zu sehr ins Detail dieser Untersuchung zu gehen – welche einfach zu verfolgen ist, wenn dies gewünscht ist – kann man sagen, dass das zwanzigste Jahr Artasastas ziemlich genau mit dem Jahr 454 oder 45545 vor Christus übereinstimmt. Die Anwendung dieses Zeitpunkts wird bei der Betrachtung einiger Teile von Gabriels Aussagen noch gesehen werden.
In Vers 24 haben wir die Aussage, dass siebzig Wochen (490 Jahre) „über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt“ sind, „um die Übertretung zum Abschluss zu bringen und den Sünden ein Ende zu machen und die Ungerechtigkeit zu sühnen und eine ewige Gerechtigkeit einzuführen und Gesicht und Propheten zu versiegeln und ein Allerheiligstes zu salben.“ Alle diese Ausdrücke deuten klar auf die gesegnete Wiederherstellung von Daniels Volk und Stadt hin. Die Übertretung, deretwegen sie zerstreut wurden, wird beendet sein, Jerusalems Ungerechtigkeit wird vergeben sein, nachdem „sie von der Hand des Herrn Zweifaches empfangen hat für alle ihre Sünden“ (Jesaja 40,2). Ewige Gerechtigkeit, Gottes Gerechtigkeit, wird eingeführt (Jesaja 51,4-8), Gesichte und Prophezeiungen werden für immer aufhören (siehe Sacharja 13), und das Allerheiligste wird wieder abgesondert und geheiligt sein – in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Herrlichkeit dessen, der dann wieder dort wohnen wird (siehe 2. Mose 40,9).
44 S. P. Tregelles, LL.D.↩︎
45 Anm. der Redaktion: Neuere Forschungen gehen mittlerweile von dem Jahr 445 v. Chr. aus. Ebenfalls gibt es Berechnungen, die das „prophetische Jahr“ mit 360 Tagen ansetzen. Die 100 % präzise Jahresangabe lässt sich aus der Geschichte bislang nicht herleiten. Der Leser kann trotz derzeit noch mangelnder jahrgenauer Bestätigung durch die Geschichtsschreibung erkennen, dass der Bibeltext in seiner Voraussage präzise und richtig ist. (Siehe auch die nächste Anmerkung.)↩︎