Das einzige, zarte, rechte Hauptevangelium
Wort, Licht, Leben, das Zeugnis des Täufers
Behandelter Abschnitt Joh 1,1-2
Das Evangelium des Johannes hat seine eigentümliche Bedeutung unter den vier Evangelien. Während uns die drei ersten mehr von den Taten unseres Herrn und Meisters berichten, tritt bei Johannes Sein W o r t in den Vordergrund — Seine Lehre, Sein Unterricht. Johannes stellt sich selbst vor als den Jünger, der an Jesu Brust lag, und hat als ein an Jesu Brust Liegender tiefer als andere hineingesehen in das Herz seines Meisters. Zurückschauend in die vorweltliche Zeit hat er in Ihm das Fleischgewordene Wort Gottes erkannt, durch das die Welt geschaffen wurde.
Vers 1 schreibt Johannes: „Im Anfang war das Wort", und dieses Wort, das im Anfang war, ist niemand anders als der Herr Jesus Christus selbst, der später ins Fleisch kam, aber in dem und durch den und zu dem alle Dinge geschaffen sind. Was Gott geschaffen hat, hat Er durch Seinen Sohn geschaffen, der selbst nicht geschaffen, sondern von Ewigkeit gezeugt ist. „Im Anfang" — das geht zurück in Fernen, die unser Auge nicht erreicht — zurück in die Ewigkeit der Ewigkeiten. In Vers 14 ist vom Fleisch gewordenen Worte die Rede, das in der Fülle der Zeiten hienieden erschienen ist. „Das ewige Wort ward Fleisch" — das ewige — das von Anfang war, das von Ewigkeit beim Vater war; denn: „Das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." Er war nicht nur Gott — Er war Gott von Ewigkeit her — Gott der Vater, Gott der Sohn und Gott der Heiligt Geist. Durch den Sohn — das Wort — hat der Vater die Welt geschaffen, und zwar mit Hilfe des Heiligen Geistes. Durch das Schweben des Heiligen Geistes über den Wassern, als noch kein Wasser da war, sondern nur eine schlammige Masse — durch das Schweben des Heiligen Geistes über den Wassern und durch das Walten des Wortes — kam organisches Leben in diese Masse. Durch das Wort ist alles geschaffen und gebildet worden, und ohne das Wort ist nichts ins Dasein gekommen. Ihm, unserem Heiland, verdanken wir darum auch unsererseits, was wir sind, und daß wir überhaupt ins Leben gerufen wurden. Wir haben wohl alle einen leiblichen Vater und eine leibliche Mutter, von denen wir der Natur nach abstammen — aber alles in dem Herrn und durch den Herrn. In Ihm war Leben. Außer Ihm ist alles tot, und Leben — wirkliches Leben haben wir als gefallene Menschen nur insoweit, als wir mit dem Herrn des Lebens in Lebensverbindung stehen. Da wacht eigentlich das Leben erst in uns auf. Unser natürliches Leben verdient gar nicht mehr den Namen „Leben" seit dem Fall. Die Welt liegt im Argen — in der Finsternis, im Fürsten der Finsternis. Erst durch die Wiedergeburt treten wir als aus dem Herrn Gezeugte in Lebensverbindung mit Gott, und dann öffnet sich uns das Wort Gottes mit seinen Schätzen. Damit geht uns eine neue Welt auf, die wir nicht erkannt haben, solange wir noch in der Natur waren — die heimatliche Welt des Wortes Gottes. Da lernen wir Gott kennen. Der Geist offenbart uns durch das Wort Gottes den Vater und den Sohn, und durch Vermittlung des Geistes scheiden sich die beiden Gebiete „Licht und Finsternis". So finster es auch heute in der Welt ist, hat sie doch immer noch das Wort Gottes. Selbst in den Tiefstgesunkenen ist noch etwas vom Worte Gottes, also vom Lichte. Die Gegensätze sind noch nicht völlig ausgestaltet. Die von Gott Abgefallenen sind noch nicht wirkliche Teufel geworben, und die Kinder Gottes sind noch nicht ausgereift zu vollendeten Lichtmenschen — aber es bleibt ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen Licht und Finsternis — zwischen solchen, die dem Lichte den Rücken kehren, und solchen, die ihm zustreben.
Ergänzungen zu Johannes 1,1-18 aus dem Jahre 1910
Es sind mir folgende beide Fragen vorgelegt worden: „Welches ist der praktische Wert des Blutes Christi für erlöste Gotteskinder?" und: „Warum fordert Gott durchaus Blut?"
Der Anfang des Evangeliums Johannes berührt sich mit dem Anfang der Bibel; denn er geht auf die Schöpfungsgeschichte zurück. „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Der biblische Blick in die Schöpfung öffnet uns auch das Auge für die Erlösung. Von der Urschöpfung wissen wir nichts — wenn sie auch dann und wann in den Psalmen erwähnt ist. Selbst im ursprünglichen Bericht im ersten Buche Mose ist nur im ersten Vers davon die Rede — und um einen tieferen Blick in die uns beschäftigenden Fragen zu gewinnen, müssen wir zwischen Vers 1 und 2 einen großen, für Menschen nicht zu bemessenden Zwischenraum annehmen. „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" — damit Punktum! In diesem kurzen Bericht der Urschöpfung ist auch die Engelwelt inbegriffen. Nicht als Trümmerhaufen ist die Welt aus Gottes Hand hervorgegangen. Was Gott schafft, ist nicht wüste und leer, sondern vollkommen, tadellos und über die Maßen herrlich. Soweit ich die Heilige Schrift verstehe, fällt zwischen Vers 1 und 2 der Fall der Engelwelt und des Engelfürsten, der uns so viel zu schaffen macht und den die Schrift den „Gott dieser Welt" nennt. Die Erde war sein Fürstentum. In seinen Fall hat er die Engelwelt mitgerissen. Wir stehen hier natürlich vor tiefen Geheimnissen, aber unwillkürlich drängt sich einem die Frage auf: „Wie konnte es zu diesem Fall kommen?" „Durch Hochmut", antwortet hierauf die Bibel. Satan war der vornehmste der Engel und die Vermutung liegt nahe, daß er den Sohn Gottes um Seine Stellung beneidete. Der Kampf spielt sich zwischen dem Sohne Gottes und dem Fürsten der Finsternis ab; denn gegen Gott selbst hätte der Teufel sich wohl kaum aufgelehnt. Er wollte höher hinauf, darum ging es so tief hinab mit ihm. Jedes Herausstreben aus einer uns von Gott verordneten Stellung bringt uns zu Fall. In der Demut ist kein Anstoß zum Fallen. Wer am Boden liegt — wer nichts aus sich selbst macht, fällt nicht — wer aber hoch hinaus will, bereitet sich selbst den Untergang. Der Mangel an Gleichgewicht, gegen den der Mensch in seiner Natur, in seinem Fleische, zu kämpfen hat, kam erst mit dem Fall, als traurige Folgen desselben. Die fleischlichen Begierden konnten erst aufwachen, nachdem das Menschengeschlecht sich in Hochmut und Aberwitz von seinem Gott losgelöst hatte. Durch Auflehnung gegen seinen Schöpfer ging ihm das innere Gleichgewicht verloren — es gewann das Fleisch die Herrschaft.
Wenn wir im zweiten Verse unseres heiligen Buches eine Erde finden, die als wüste und leer bezeichnet ist, so handelt es sich — meiner Erkenntnis nach um die von Gott gerichtete, bis zu einem gewissen Grade zu einem Trümmerhaufen gemachte Erde, die der Fürst der Finsternis in seinen Fall mit hineingezogen hatte, und die darum gleich ihm dem Gericht verfallen war. In der Mitte des zweiten Verses beginnt der Wiederaufbau der Erde. „Der Geist Gottes schwebte über den Wassern", heißt es da. Unter den Wassern, von denen hier die Rede ist, müssen wir uns eine breiartige, schlammige Masse denken — ein mehr oder weniger flüssiges Chaos, das keine Keime des Lebens mehr in sich hatte. Erst durch das Brüten des Geistes Gottes über dem Chaos wurden die Keime wieder geweckt. „Tausend Jahre sind vor Ihm wie ein Tag und ein Tag wie tausend Jahre." Ich glaube, wir dürfen uns die Schöpfung nicht so vorstellen, als ob auf ein Wort Gottes hin alles plötzlich in Erscheinung getreten wäre. Es erschien wohl — aber nicht magisch. Es entwickelte sich, und diese Entwicklung nahm sechs Tage in Anspruch. Das waren aber auch nicht etwa Tage von 24 Stunden; denn letztere wurden erst am vierten Tage geschaffen durch die Lichter, welche Tag und Nacht regierten — Sonne, Mond und Sterne. Die erste Scheidungsvorbereitung für die Schöpfung war also das Schweben des Geistes Gottes über der schlammartigen Masse. Das ist ein wunderbares Bild für die neue Schöpfung. Des gefallenen Menschen Hin- und Herschwanken zwischen Hoffnungen und Befürchtungen, Lüsten und Begierden gleicht der schlammartigen, chaotischen Masse, der kein fruchtbares Leben entsprießen konnte, weil der geeignete Boden fehlte. Es ist Fleisch und kann als solches nur Fleisch hervorbringen; denn „was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch", sagt uns das Wort Gottes. Da bedarf es dann einer neuen Schöpfung, einer Geistesschöpfung, die nur auf Grund des auf Golgatha vollbrachten Opfers und des dort vergossenen Blutes geschehen konnte.
Der Geist Gottes brütete, schwebte über den Wassern und weckte das keimartig noch in der Masse schlummernde Lebenselement, dem Worte damit Bahn machend. „Und Gott sprach." Der Geist schwebte, und Gott sprach. So bleiben denn Geist und Wort unzertrennlich, organisch verbunden — das gesprochene Wort und der Geist, der uns das Wort aufschließt und dem Worte Bahn bricht — im Gewissen des Menschen arbeitend, dem Sünder das Gewissen weckend, den Menschen aus seinen Irrwegen aufschreckend und zur Gottesfurcht lockend, bis er sich sagt: „Ich will umkehren zu meinem Gott." Der Geist Gottes hat den verlorenen Sohn in der Wüste geweckt und zur Umkehr gebracht. Es ist die suchende Vaterliebe Gottes, der durch Seinen Geist den Sünder nicht nur straft, sondern zu sich zieht.
„Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht . . . und Gott schied zwischen Licht und Finsternis." Solange sich diese Scheidung nicht vollzieht, wogt alles durcheinander in einem Menschenleben — da ist weder klares Licht noch absolute Finsternis — letztere ist der Hölle vorbehalten; dort herrscht völlige Nacht. Der Herr geht den Menschen nach, solange sie sich nicht direkt verstockt haben. Die Bekehrung ist der Durchbruch durch die Finsternis ins Licht. Sie ist das Aufmerken auf die Stimme des guten Hirten, das sich Öffnen für Gottes Wort und für die Frage: „Wo bin ich eigentlich? Bin ich nicht etwa aus verkehrtem Wege, und gibt es nicht am Ende doch eine Hölle — was aber dann? Ist die Bibel nicht schließlich doch wahr, und könnte es nicht doch einen Himmel geben?" Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Dieses Aufwachen, dieses Hineindringen des strafenden Lichtes des Heiligen Geistes, der uns zum Worte zurückführt, an das wir als Kind geglaubt haben, kommt nicht mit einem Male. Das kann Tage und Jahre in Anspruch nehmen. Kein Mensch weiß, wie lange die Entwicklung sich bei dem Einzelnen hinzieht. Im Geistesleben vollzieht sich die Scheidung nur stufenweise, selbst bei plötzlichen Bekehrungen. Es wird allmählich Heller und Heller, bis es vollends Tag ist und dann das ganze Gebiet eines Menschenherzens und Menschenlebens vom Zenit aus bis hinein in seine Stimmungen, geheimsten Regungen und Begründungen durchleuchtet ist. Tiefer und immer tiefer geht es hinein bis in die Wurzelgebiete und von da aus in die Peripherie, in alle Gebiete des praktischen Lebens. Ein Gebiet nach dem andern wird in das Licht hineingezogen. Wie Gott die Erde zu einem Trümmerhaufen machte, als Er das Gericht über sie ergehen ließ, so macht Er auch unseren Willen und unser ganzes Dichten und Trachten zu einem Trümmerhaufen, und auf diesem Trümmerhaufen arbeitet dann der Heilige Geist. Auf Grund eines ins Herz niedergelegten Lebenskeimes fängt Er an, ein Neues zu bauen. Und, wie schon gesagt, alle Fruchtbarkeit eines Menschenlebens beruht auf Scheidung von Licht und Finsternis, von Natur und Gnade, von eigenem Wirken und Schaffen und göttlicher Schöpfung und Erneuerung. Im Trüben ist gut fischen — das weiß der Teufel.
Das Wort Gottes schafft Licht, wenn auch nicht immer ein Licht, das zu Boden wirft, wie es bei Saulus von Tarsus der Fall war. Oft geht es lange durch Dämmerung hindurch: geht man aber treu mit jedem sich Bahn brechenden Lichtstrahl um, so scheiden sich nach und nach Licht und Finsternis. Man bekommt Licht über seine Herkunft, seinen Charakter — kurz über alles — und es kommt zu einer gründlichen Scheidung.
Vers 6—8 in der Schöpfungsgeschichte ist dann von einer weiteren Scheidung in der Atmosphäre die Rede. Die Wasser sammeln sich unterhalb des Himmels auf dem Erdenrund an ihren eignen Ort — Meere und Flüsse abgesondert vom Trocknen. Sobald die Meere geschaffen waren und die Scheidung zwischen Trocknem und Flüssigem stattgefunden hatte, sproßte am selben Tage auf der Erde Gras und Kraut empor, Samen bringend und Frucht tragend, jedes nach seiner Art. Durch Scheidung hindurch wird alles fruchtbar, und es kann der durch den Heiligen Geist in uns niedergelegte Same ungestört seine Frucht bringen, weil er nicht mehr durch unsere Stimmungen, Gemütsbewegungen und durch unser Sinnenleben beeinflußt wird. Der Geist Gottes säubert den Boden und macht alles frei. Das Wort Gottes schafft Raum, daß das feste Land fruchtbar werde, Samen hervorbringe und Frucht trage je nach seiner Art.
Jeder Mensch ist eine Individualität — das heißt, er hat seine eigene Art wie kein anderer, seinen eigenen Wert und auch seine eigenen Versuchungen. Wir sind alle Kinder Adams und Evas, sind alle aus ein- und demselben Samen gezeugt und haben doch wiederum jedes seine besondere Art. „Die Frucht tragen nach ihrer Art." Wir sind ein gefallenes Geschlecht, und jedes Glied dieses Geschlechts ist ein Individuum für sich, ein eigentümliches Wesen, das seinesgleichen nicht auf Erden hat — aber wie Gras und Kräuter und Bäume jedes nach seiner Art Frucht bringt, so sollen wir Individuen bilden — eigene Arten, eigentümliche Schöpfungen, die alle durch das Blut Christi erlöst, von Gott ihrer Bestimmung entgegengeführt werden, nachdem sie vom Fall gereinigt und aufgerichtet sind und nun unter die Erziehung des Geistes kommen, bis das ursprüngliche Bild durchbricht, das Gott meinte, als Er uns schuf, und bis alles, was durch die Sünde Entstellendes hereingekommen war, ausgeschieden ist, und wir wieder Offenbarungsstätten des Heiligen Geistes geworden sind — Glieder am Leibe Christi.