Behandelter Abschnitt Joh 1,1-2
Einleitung
Das Johannesevangelium ist in erster Linie das Evangelium, in dem die Herrlichkeit des Sohnes offenbart wird. Andere Evangelien stellen andere Herrlichkeiten unseres Herrn vor: Matthäus zeigt seine amtliche Herrlichkeit als Messias, Markus die Herrlichkeit seiner Erniedrigung als der Diener und Lukas stellt seine moralische Herrlichkeit als der Sohn des Menschen vor. Es ist jedoch das hohe Vorrecht des Johannes, seine persönliche Herrlichkeit als der Sohn darzustellen.
Wenn Christus als eine göttliche Person vorgestellt wird, bedeutet dies die Offenbarung jeder göttlichen Person. Das Evangelium beginnt mit der Vorstellung der Herrlichkeiten des Sohnes. Im weiteren Verlauf werden dann das Herz des Vaters (Joh 1,18), die Hand des Vaters (Joh 5,17) und das Haus des Vaters (Joh 14,1-3) offenbart und gegen Ende finden wir eine umfassende Darstellung des Heiligen Geistes.
Außerdem wird in diesem Evangelium ein völlig neuer Mensch nach einer neuen Ordnung vorgestellt. Der Herr spricht von sich selbst als dem „Sohn des Menschen, der im Himmel ist“ (Joh 3,13) und als dem Sohn des Menschen, „welcher aus dem Himmel herniederkommt“ (Joh 6,33.50) und als dem Sohn des Menschen, der „dahin auffahren wird“ (Joh 6,62). Somit finden wir in dem Evangelium die zweifache Darstellung von Christus: zuerst den eingeborenen Sohn, der den Vater offenbart und anschließend den Sohn des Menschen, der einen Mensch nach einer neuen Ordnung vorstellt – ein Mensch, der auf der Erde wandelte und im Himmel wohnte.
Um diese unterschiedlichen Herrlichkeiten des Christus herauszustellen, werden verschiedene Bilder verwendet. In Johannes 2 ist Er der Tempel, in dem die Herrlichkeit Gottes wohnt. In Johannes 6 ist Er das wahre Brot, das vom Himmel gegeben wurde, um die Bedürfnisse des Menschen zu stillen. In Johannes 8 und Johannes 9 ist Er das Licht der Welt, das die Menschen aus der Dunkelheit herausführen soll. In Johannes 10 ist Er der Hirte, der seine Schafe aus der alten jüdischen zur neuen christlichen Herde führt. In Johannes 11 ist Er die Auferstehung und das Leben, damit der Mensch vom Tode errettet werde. In Johannes 12 ist Er das Weizenkorn, welches stirbt, damit eine Ihm gleiche Saat aufgeht. In Johannes 15 ist Er der wahre Weinstock, damit seine Jünger Frucht für den Vater hervorbringen können.
Ist man sich dessen bewusst, dass dieses Evangelium die großartige Absicht hat, uns die Herrlichkeit des Sohnes Gottes als eine göttliche Person vorzustellen, versteht man sofort, warum es in diesem Evangelium kein Geschlechtsregister gibt und weder die Geburt noch die frühen Jahre des Herrn beschrieben werden. Diese für den Glauben so kostbaren und an ihrem Platz wunderbaren und notwendigen Einzelheiten wären in einem Evangelium, in welchem die Herrlichkeit seiner Person als der Sohn vorgestellt wird, nicht angebracht. Als göttliche Person steht Er über jedem Geschlechtsregister. Im Markusevangelium dagegen nimmt Er als der Diener einen so niedrigen Platz ein, dass kein Geschlechtsregister notwendig ist.
Darüber hinaus werden uns bei der Darstellung des Fleisch gewordenen Wortes keine Einzelheiten genannt, die Christus mit der Erde und dem Volk Israel in Verbindung bringen. An keiner Stelle hat dieses Evangelium die Absicht, die Erfüllung von Verheißungen aus der Vergangenheit zu zeigen, die zukünftige Errichtung des Königreichs vorherzusagen oder uns über die gegenwärtige Gestalt dieses Königreichs zu belehren. Lasst uns nochmals daran denken, dass diese Wahrheiten an ihrem Platz notwendig und kostbar sind, obwohl sie bei Weitem nicht an Johannes’ großartiges Thema, uns die Herrlichkeit des Sohnes Gottes vorzustellen, heranreichen. Mit dem Kommen des Sohnes Gottes und der daraus folgenden Offenbarung göttlicher Personen und einer neuen Ordnung des Menschen, wird die alte jüdische Ordnung beiseitegesetzt und das Christentum eingeführt.
Dieses Evangelium zeigt von Anfang an, dass sowohl das Volk Israel als auch die Welt im Ganzen als solche betrachtet werden, die in ihrer Verantwortlichkeit gänzlich gescheitert sind und im Gericht beiseitegesetzt werden, damit das Christentum eingeführt wird. Des Weiteren wird in diesem Evangelium das Christentum nach den Gedanken Gottes beschrieben und nicht nach dem Verfall der Christenheit. Denn das Evangelium wurde, so muss man bedenken, zu späterer Zeit geschrieben, nämlich als der von dem Apostel Paulus vorhergesagte Verfall bereits in dem christlichen Bekenntnis Einzug gehalten hatte. Somit werden wir also in diesem Evangelium über die Welt erhoben und von dem Judentum und der verderbten Christenheit weggelenkt, um die Segnungen des Christentums nach Gottes Gedanken, welches auf die Person des Sohnes Gottes gegründet ist, kennenzulernen.
Das Christentum mit Christus als Grundlage muss zwangsläufig das Wesen Christi haben – „wie der Himmlische so auch die Himmlischen“. Kapitel für Kapitel sehen wir, wie die alte Ordnung beiseitegesetzt wird und etwas völlig Neues eingeführt wird. In Johannes 1 macht das durch Mose gegebene Gesetz Platz der „Gnade und Wahrheit“, die durch Jesus Christus geworden ist. In Johannes 2 wird der Tempel in Jerusalem durch den Tempel seines Leibes ersetzt. In Johannes 3 gelangen „himmlische Dinge“ an die Stelle von „irdischen Dingen“. In Johannes 4 tritt die Fontäne des Wassers des Lebens an die Stelle des natürlichen Wassers aus dem Brunnen. In Johannes 5 werden der Teich und die heilende Bewegung des Wassers durch die allgewaltige Stimme des Sohnes Gottes beiseitegesetzt. In Johannes 6 nimmt das wahre Brot aus dem Himmel die Stelle des natürlichen Brotes ein. In Johannes 8 und 9 wird die Dunkelheit durch das Licht vertrieben. In Johannes 10 wird die jüdische Herde durch die christliche Schar beiseitegesetzt und in Johannes 11 wird der Tod durch das Leben ersetzt. Wir dürfen demnach sehen, wie alte Dinge vergehen und alle Dinge neu werden. Zeit wird ersetzt durch Ewigkeit, irdische Dinge durch himmlische Dinge. In Gedanken werden wir in eine Ewigkeit zurückversetzt, als es noch keine Zeit gab; geistlich werden wir über die irdischen Grenzen hinweg mitgenommen, um die Freuden des Vaterhauses zu schmecken.
Wie schön, dieses Evangelium zu betrachten, wenn in den Händen der Menschen alles verlorengegangen ist und wir uns mit göttlichen Personen beschäftigen, bei denen es keinen Zusammenfall geben kann, wie herrlich, die Absicht Gottes zu sehen, die der Zerfall nicht anrühren kann und an Schauplätze geführt zu werden, an denen niemals auch nur eine Spur menschlichen Unvermögens zu finden sein wird.
Wenn wir dieses Evangelium lesen, befinden wir uns von Anfang an in Berührung mit ewigen
Dingen und himmlischen Schauplätzen. Wir sind in Gemeinschaft göttlicher Personen und doch können wir uns einfach ohne Furcht in solch hoher Gemeinschaft bewegen, denn diese herrliche Person, der ewige Sohn, ist uns so nahe gekommen, dass Er neben einer einsamen Sünderin am Brunnen Platz nehmen konnte und einen Jünger dazu bringen konnte, in seinem Schoß zu ruhen. Er weilte so wahrhaftig unter uns, dass Er jemanden um einen Schluck Wasser bittet, sich herablässt, anderen die Füße zu waschen, oder wiederum für andere ein wärmendes Feuer anzündet und ihnen eine Mahlzeit zubereitet, um sie zu speisen.
Das ewige Wort (Joh 1,1-18)
Das große Thema der einleitenden Verse des Johannesevangeliums ist die Herrlichkeit Christi als das ewige Wort. Zuerst werden unsere Gedanken auf die Ewigkeit gelenkt, um seine Herrlichkeit als göttliche Person kennenzulernen. In der Zeitlichkeit wird uns seine Herrlichkeit als der Schöpfer vorgestellt und schließlich folgt die Darstellung von dem Wort, welches Fleisch wurde, das uns seine Herrlichkeit als der ewige Sohn in Verbindung mit dem Vater offenbart.
Joh 1,1.2: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott.
Das Evangelium beginnt mit der erhabenen Aussage „Im Anfang war das Wort“. Sofort werden unsere Gedanken auf die Ewigkeit gerichtet, vor den Beginn der Zeit, als die Schöpfung noch nicht existierte. Wir lernen hier, dass die herrliche Person, die hier „das Wort“ genannt wird, keinen Anfang hat. Am Anfang von allem, was einen Anfang hatte, war das Wort, es begann nicht. „,Am Anfang war das Wort‘ ist der eigentliche Ausdruck, dass das Wort keinen Anfang hatte“ (J.N.D.).
Wir erfahren, dass das Wort eine ewige Person ist, denn das Wort, diese gepriesene Person, offenbart Gott – die Person der Gottheit, die in sich selbst, aber auch durch das, was Er tat und durch das, was Er geworden ist, der Ausdruck Gottes und seiner Gedanken ist.
Weiter heißt es, dass das Wort „bei Gott“ war. Das Wort ist nicht nur eine ewige Person, sondern auch eine unterschiedene Person in der Gottheit. Das Wörtchen „bei“ drückt außerdem nicht nur die Unterscheidung zwischen, sondern auch die Gemeinschaft unter den Personen der Gottheit aus. Dann heißt es: „Das Wort war Gott.“ In der ersten Aussage erfahren wir, dass das Wort eine ewige Person ist, was eigentlich schon in sich schließt, dass Er eine göttliche Person sein muss. Aber wenn es um die Herrlichkeit seiner Person geht, wird es nicht uns überlassen, eine Schlussfolgerung zu ziehen, so richtig diese auch sein mag. Es heißt ganz klar: „Das Wort war Gott“ – eine göttliche Person.
Schließlich heißt es: „Dieses war im Anfang bei Gott.“ Dies ist nicht bloß eine Wiederholung der bereits erwähnten Tatsache, dass Er eine bestimmte Person bei Gott war, sondern wir erfahren hier eine weitere Wahrheit, dass Er von Ewigkeit an eine bestimmte Person war. So wacht der Geist Gottes sorgfältig über die Herrlichkeit seiner Person gegenüber solchen, welche die Eigenständigkeit seiner Person wohl zugeben würden, dann aber behaupten, dass es einen Zeitpunkt gab, an dem Er begann, als eine eigenständige Person zu existieren.
Sowohl der Herr, wenn Er von dem Beginn seines Dienstes spricht als auch Johannes, als er vom Beginn des Christentums redet, verwenden den Ausdruck „von Anfang“. Wenn hier von etwas die Rede ist, was keinen Anfang hat, finden wir zweimal den Ausdruck „im Anfang“. Des Weiteren ist es bemerkenswert, wenn es heißt „das Wort warbei Gott“ – nicht bei dem Vater. In der gleichen Beziehung wie das Wort und Gott, stehen auch der Sohn und der Vater zueinander. Die Bezeichnung Gott umfasst nicht nur den Vater, sondern auch den Heiligen Geist und den Sohn. Das Wort und Gott sagen etwas über das Wesen göttlicher Personen: der Vater und der Sohn sprechen von den Beziehungen zwischen den göttlichen Personen. Das große Ziel dieser Verse ist es, die Herrlichkeit Christi als einer von Natur aus göttlichen Person festzustellen.
In diesen Anfangsversen stellt uns der Geist Gottes in so wenigen und überaus einfachen Worten die Herrlichkeit der Gottheit unseres Herrn vor. Das Wort ist eine ewige Person, eine unterschiedene Person in der Gottheit, eine göttliche Person und eine ewige bestimmte Person.
All die wunderbaren „himmlischen Dinge“, die in diesem Evangelium vor uns stehen, beruhen auf der Grundlage der Herrlichkeit der Person Christi. Die Gottheit des Sohnes in Frage zu stellen, bedeutet die Grundlage, auf der alle Segnungen für den Menschen basieren, zu untergraben. Egal, was für ein ausgeklügeltes religiöses System die Menschen errichten mögen oder wie sehr sie bekennen, den Namen Christi zu ehren, wenn sie nicht auf diesen Grund bauen, wird es zum Ruin kommen.