Behandelter Abschnitt Neh 7-8
In Kapitel 7,4 lesen wir: „Die Stadt aber war geräumig und groß, und das Volk darin spärlich, und keine Häuser waren gebaut.“ Nachdem die Mauern vollendet waren, wurde es nötig, an die Besiedelung der Stadt zu denken. Diese Sache nimmt Nehemia jetzt in die Hand. Denn die Mauern wären ja zwecklos gewesen, wenn sie nicht zur Verteidigung eines bevölkerten Platzes hätten dienen sollen.
So finden wir denn zu Beginn des 7. Kapitels einen Plan im Herzen Nehemias, und er sucht sich Aufklärung über die Zurückgekehrten zu verschaffen. Damit beschäftigt, findet er das Geschlechtsverzeichnis derer, die in den Tagen Serubbabels zurückgekehrt waren. Ehe er jedoch zur Ausführung seines Planes schreitet, die Stadt zu bevölkern, tritt er sozusagen für eine Weile beiseite, um das Volk selbst zu besehen. Über diese Tätigkeit berichten die Kapitel 8–10. Sie bilden gewissermaßen eine Einschiebung, denn im 11. Kapitel nimmt Nehemia den Plan wieder auf, den er im 7. Kapitel gefasst hat.
Dieser Umstand verleiht den drei Kapiteln einen besonderen Charakter und eine besondere Bedeutung. Das Volk macht hier einen sittlichen Prozess durch, der in seiner Art sehr auffallend ist. Nehemia bekümmert sich um die Einzelnen, er sieht nach ihren Seelen, forscht nach ihrem sittlichen Zustand, und möchte sie gern beleben oder heiligen, bevor er sie an ihren Platz stellt.
Diese Tätigkeit beginnt am ersten Tag des siebten Monats, einem herausragenden Tag des israelitischen Kalenders. An diesem Tag wurde bekanntlich das Fest des Posaunenhalls gefeiert. Es war ein Tag des Wiederauflebens nach einer langen Zwischenzeit der Dürre oder des Todes im Land. Nach der gesetzlichen Verordnung musste an diesem ersten Tag des siebten Monats eine heilige Versammlung und ein Posaunenblasen stattfinden; denn er war, wie gesagt, das Symbol eines Wiederauflebens nach langer dürrer Zeit (vgl. 3Mo 23,23-25). Diese Verordnung war lange nicht beobachtet worden. Hier, in Nehemia 8, kommt sie wieder zu ihrem Recht. Eine feierliche Versammlung des Volkes findet statt. Aber nicht nur das. Das Buch des Gesetzes wird auch vor den Ohren des Volkes gelesen und erklärt, und das Volk weint dabei – zu Recht, denn das Gesetz ist dazu da, den Sünder zu überführen und ihm den Schrei zu entlocken: „Ich elender Mensch!“ Doch suchen bei dieser Gelegenheit die Lehrer das Volk sogleich zu beschwichtigen, weil jener Tag „dem Herrn heilig“ war. Es war eine Zeit der Freude. Bewiesen wurde dies durch das Blasen der Posaunen und durch den beginnenden Neumond, der mit seinem täglich stärker werdenden Licht ein treffendes Bild von dem Wiederaufleben Israels ist. Das Volk wurde deshalb aufgefordert, die Freude an dem
Herrn seine Stärke sein zu lassen, sich nicht zu betrüben und einander Teile zu senden.
Alles das stand in schönem Einklang mit den göttlichen Verordnungen über diesen Tag. Das Eine, was hinzugefügt wurde, oder was nicht durch 3. Mose 23 vorgeschrieben war – nämlich das Lesen des Gesetzes – diente nur dazu, dem Tag und seiner Feier einen reicheren, volleren Ton zu geben. Das
Hinzugefügte stand durchaus nicht im Widerspruch mit dem Verordneten. Das Freiwillige bedeutete keine Verletzung des Vorgeschriebenen.
Wir erwarten an einem Tag der Erweckung nichts anderes. Dem Wort Gottes muss in solcher Zeit selbstverständlich alle Ehre zuteil werden, es muss die Richtschnur für alles bilden. Doch wird es dabei auch – ich möchte sagen: notwendigerweise – etwas Neues oder Hinzugefügtes geben, wie es der Charakter der Zeit, unter der Leitung des Heiligen Geistes, gerade eingibt. Aber dieses Neue, was es auch sein mag, wird sich in keiner Weise mit dem Wort Gottes in Widerspruch setzen. Das sehen wir hier.
Und wie kostbar ist es, hier zu entdecken, dass das Wort Gottes, einmal geöffnet, geöffnet bleibt! Es war gleichsam der Tag einer „offenen Bibel“. Einen Teil der Belehrung, nämlich die Mitteilung über die Satzungen des ersten Tages des siebten Monats, hat dieses geöffnete Buch bereits gegeben. Jetzt erteilt es weitere Belehrung. Es redet zu den Versammelten von den acht anderen Tagen des gleichen Monats, vom Fest der „Laubhütten“. Und das Volk, das bereits in dem Geist gehorsamer Hörer das Wort aufnimmt, bleibt in diesem Wort. Sie erhalten Aufklärung über jenes wunderbare Fest, und sie feiern es, und zwar so, wie es seit Jahrhunderten nicht gefeiert worden war.
Das war ohne Frage sehr schön. Doch es gibt noch etwas anderes Neues.