Befreiung von der Strafe der Sünden (Kap. 3,21–5,11)
Röm 3,21: Jetzt aber ist, ohne Gesetz, Gottes Gerechtigkeit offenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten:
Paulus beginnt diesen Unterabschnitt des Briefes mit: „Jetzt aber“. Dies ist ein zentraler Ausdruck, der darauf hinweist, dass er sich nun etwas zuwendet, das im Gegensatz zu dem steht, was er bisher besprochen hat. Er hat uns die schlechte Nachricht über das menschliche Geschlecht überbracht; jetzt wird er die gute Nachricht darlegen, die Gott für den gefallenen Menschen hat. Daher beginnt die Entfaltung der Segnungen des Evangeliums hier in Römer 3,21. Von diesem Vers an bis zu Kapitel 5,11 erklärt Paulus, wie Gott Sünder, die an seinen Sohn glauben, durch sein rechtfertigendes und versöhnendes Werk in gerechter Weise retten kann.
Die Gerechtigkeit Gottes (V. 21-31)
Paulus sagt: „Jetzt aber ist, ohne Gesetz, Gottes Gerechtigkeit offenbart worden.“ Mit dieser Aussage verweist Paulus auf das Kreuz Christi. Die Gerechtigkeit Gottes ist dort in ihrer Vollkommenheit für alle sichtbar „offenbart“ worden (Im Griechischen steht dieser Satz in einer Zeitform, die anzeigt, dass die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes etwas ist, was stattgefunden hat und nun als Zeugnis für alle zu sehen ist.). Die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes ist nicht etwas, was Er in den Menschen tut, um sie dazu zu bringen, das Evangelium zu verstehen und zu glauben (Das ist ein anderes Werk Gottes, das durch die erweckende Kraft des Geistes hervorgebracht wird, die Bibellehrer „Erleuchtung“ nennen.). Vielmehr weist die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes auf etwas hin, was Gott am Kreuz getan und durch das Evangelium bekanntgemacht hat, damit alle es verstehen und glauben können. Wenn die Menschen das Kreuz Christi mit dem Verständnis betrachteten, das der Glaube schenkt, sähen sie die Gerechtigkeit Gottes in ihrer Vollkommenheit.
Wie in unseren Kommentaren zu Römer 1,17 erwähnt, hat „die Gerechtigkeit Gottes“ mit der Art und Weise zu tun, wie Gott Sünder retten kann, ohne das zu kompromittieren, was Er in sich selbst als heiliger und gerechter Gott ist. Dass Paulus sagt, dass diese Gerechtigkeit von Gott ist, zeigt: Gott ist die Quelle dieser Gerechtigkeit. Er hat den Heilsplan für den Menschen ausgearbeitet.
Das Bedürfnis nach der Gerechtigkeit Gottes ist groß. Die Sünde des Menschen hat ein Dilemma geschaffen. Da Gott ein Gott der Liebe ist, verlangt sein Wesen nach dem Segen für den Menschen, denn Er liebt alle Menschen. Da Gott aber ein heiliger Gott ist, verlangt seine heilige Natur zu Recht, dass der Mensch für seine Sünden bestraft wird (Ps 89,15; Heb 2,2). Wenn Gott gemäß seinem liebenden Herzen handeln und die Menschen in den Segen führte, ohne ihre Sünden zu verurteilen, ginge das auf Kosten seiner Heiligkeit, und damit würde Gott aufhören, gerecht zu sein. Er kann das nicht tun und trotzdem gerecht sein. Würde Gott dagegen nur gemäß seinem heiligen Wesen handeln und die Menschen gemäß den Ansprüchen der göttlichen Gerechtigkeit richten, würden alle Menschen zu Recht in die Hölle geschickt – aber die Liebe Gottes würde niemals erkannt werden.
Wie kann Gott also die Menschen retten und gleichzeitig gerecht bleiben? Hier kommt das Evangelium ins Spiel, das so schön ist. Es verkündet Gottes Gerechtigkeit und die gute Nachricht, dass Er einen Weg gefunden hat, seinen heiligen Ansprüchen gegenüber der
Sünde gerecht zu werden und gleichzeitig die Sünder, die glauben, in Liebe zu retten.
Das ist alles auf das zurückzuführen, was Er am Kreuz Christi getan hat; dort hat Gott die ganze Frage der Sünde aufgegriffen und sie zu seiner eigenen Ehre und zum Segen der Menschen geregelt. Er sandte seinen Sohn als Sündenträger, und in seinem Opfertod richtete Gott die Sünde gemäß den Forderungen seiner Heiligkeit. Am Kreuz nahm der Herr Jesus den Platz des Gläubigen vor Gott ein und trug die Strafe für „unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz“ (1Pet 2,24). Sein „vollbrachtes“ Werk am Kreuz (Joh 19,30) hat den Ansprüchen der göttlichen Gerechtigkeit volle Genugtuung verschafft und den Preis für die Sünden des Gläubigen und auch für den ganzen Ausbruch der Sünde in der Schöpfung bezahlt (Heb 2,9: „so dass er durch Gottes Gnade für alles den Tod schmeckte“). Mehr noch: Am Kreuz zeigte sich die Liebe Gottes in der größten Weise, denn Er gab seinen eingeborenen Sohn als Sündenträger. Nachdem die Sündenfrage vollständig geklärt ist, ist Gott zu den Menschen mit der guten Nachricht gekommen, dass Er den Sünder, der glaubt, auf einer gerechten Grundlage erlösen, ihm vergeben, ihn rechtfertigen und versöhnen kann. So stellt das Evangelium Gott als den dar, der „gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist“ (Röm 3,26). Nichts wird mehr zum Frieden des Gläubigen beitragen, als zu erfahren, dass Gott ihn gerettet hat und dass Er es in Gerechtigkeit getan hat.
Interessanterweise beginnt Paulus bei der Darstellung des Evangeliums in diesem Abschnitt des Römerbriefs nicht mit der Liebe Gottes, sondern mit der Gerechtigkeit Gottes. Denn zuerst müssen Gottes Ansprüche gegen die Sünde erfüllt werden, bevor Gottes Liebe den Menschen verkündet werden kann.
Die vollkommene Gerechtigkeit Gottes wird im Blut des Erlösers bezeugt; im Kreuz Christi finden wir seine Gerechtigkeit und doch wunderbare Gnade.
Gott konnte den Sünder nicht übergehen, die Gerechtigkeit verlangt, dass er sterben muss; doch im Kreuz Christi sehen wir, wie Gott retten und doch gerecht sein kann.
Das Urteil fiel auf das Haupt Jesu; mit seinem Blut wurde die Schuld der Sünde beglichen; die strenge Gerechtigkeit kann nicht mehr verlangen, und die Barmherzigkeit kann ihren Vorrat ausgeben.2
Paulus sagt auch, dass die Gerechtigkeit Gottes „ohne Gesetz“ offenbart wurde. Das mosaische Gesetz ist, wie wir wissen, ein System, das auf Werken basiert: Es belohnt den Menschen für gute Taten (Lk 10,28) und verurteilt ihn für schlechte Taten (Jak 2,10). Mit der Aussage, dass die Gerechtigkeit Gottes „unabhängig“ vom Gesetz ist, will Paulus nun auf Folgendes hinweisen: Der Mensch erlangt diesen Segen, den Gott für den Menschen hat, nach einem ganz anderen Grundsatz als nach dem Grundsatz der Leistung. Bei der Gerechtigkeit Gottes geht es also nicht darum, was der Mensch tun kann, um sich selbst zu retten; es geht darum, was Gott getan hat. Daher ist die Gerechtigkeit Gottes weder etwas, was Gott vom Menschen verlangt (wie es das Gesetz tut), noch ist es der Mensch, der für Gott handelt (wie es die von Menschen geschaffenen Religionen versuchen), sondern Gott handelt für den Menschen in Liebe und Gnade, um die Sünder zu retten, aber gleichzeitig nicht zu kompromittieren, was Er als heiliger und gerechter Gott ist.
Paulus fügt noch hinzu: „bezeugt durch das Gesetz und die Propheten“. Das bedeutet: Die Gerechtigkeit Gottes, die den Menschen das Heil bringt, wurde in den Vorbildern und Schatten des Gesetzes vorausgesagt und auch von den Propheten Israels angekündigt (vgl. Röm 1,2). Im Alten Testament gibt es eine Reihe solcher Hinweise auf diese Dinge. Zum Beispiel tat der Hohepriester am Versöhnungstag (3Mo 16) das Blut eines Opfers „auf den Gnadenstuhl“ und wies damit typologisch auf das Werk Christi hin, das die Ansprüche Gottes gegen die Sünde befriedigt. Er tat auch etwas von demselben Blut auf den Boden „vor dem Gnadenstuhl“, was typologisch von dem Werk Christi spricht, das den Grund der Erlösung sichert, auf dem der Gläubige steht. Ein weiteres Beispiel findet sich in Psalm 85,11: „Güte und Wahrheit sind sich begegnet, Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst.“ Dies ist ein Verweis auf das vollbrachte Werk Christi, das den heiligen Ansprüchen Gottes gegen die Sünde gerecht wird und Gott die Möglichkeit gibt, sich den Sündern in Liebe zuzuwenden.
Die Gerechtigkeit Gottes ist nicht etwas, was den Gläubigen vermittelt, geschenkt, übertragen oder mitgeteilt wird
In einigen modernen Bibelübersetzungen heißt es: „eine Gerechtigkeit aus Gott“ (Röm 1,17; 3,21; 3,22; 10,3), oder: „die Gerechtigkeit, die von Gott kommt“ (Phil 3,9), aber das sind nicht die besten Übersetzungen. Erstens ist „eine Gerechtigkeit“ irreführend. Es hört sich so an, als ob Gott eine Reihe verschiedener Gerechtigkeiten zur Verfügung hätte und nur eine für den Gläubigen bestimmt hätte. Zu diesem Irrtum bemerkt J.N. Darby:
Eine „Gerechtigkeit Gottes“, das habe ich schon bemerkt, ist so, als ob es mehrere gäbe … Das verändert den ganzen Sinn der Stelle.3
Zweitens vermittelt die Übersetzung „von Gott“ den Gedanken, dass die Gerechtigkeit Gottes etwas wäre, das dem Gläubigen verliehen oder geschenkt würde. Das ist jedoch nicht richtig, denn wenn Gott uns seine Gerechtigkeit gegeben hätte, was die Formulierung „von Gott“ suggeriert, dann hätte Er sie nicht mehr! In Bezug auf diese falsche Vorstellung sagt W. Scott:
Diesbezüglich bemerkt J.N. Darby:
Die Gerechtigkeit eines Menschen ist seine Stellung vor Gott, nicht ein Quantum Gerechtigkeit, das ihm verliehen wird.
F.B. Hole sagt:
Wir dürfen diese Worte [„die Gerechtigkeit Gottes“] nicht mit einer kommerziellen Vorstellung im Kopf lesen, als bedeuteten sie, dass wir zu Gott kommen und so viel Glauben mitbringen, für den wir im Gegenzug so viel Gerechtigkeit erhalten, so wie ein Ladenbesitzer über den Ladentisch hinweg Waren gegen Bargeld eintauscht.7
Gott hat die Gerechtigkeit (Röm 5,17) in dem Sinne gegeben, dass Er
sie für die Menschheit in dem auferstandenen und verherrlichten Christus
gesichert hat. So ist Christus für uns zur Gerechtigkeit geworden (1Kor 1,30) und Er ist unsere Gerechtigkeit (2Kor 5,21; vgl.
Die Gerechtigkeit Christi – ein unbiblischer Ausdruck
„Die Gerechtigkeit Christi“ ist ein weiterer Begriff, der von Christen oft verwendet wird, aber dieser Ausdruck findet sich nicht in der Heiligen Schrift. Viele verwenden ihn in Bezug auf Christi vollkommenes Leben des Gehorsams und stellen sich vor, dass seine Gerechtigkeit dem Konto des Gläubigen als Gerechtigkeit angerechnet würde. Nun ist es sicherlich wahr, dass das Leben Christi auf der Erde vollkommen war – Er war heilig und gerecht in all seinen Gedanken, Worten und Taten –, aber sein vollkommenes Leben war nicht stellvertretend. Die Schrift lehrt nicht, dass die Verdienste des vollkommenen Lebens Christi dem Gläubigen zur Gerechtigkeit angerechnet werden. Das, was Christus in seinem Tod vollbracht hat – nicht in seinem Leben –, hat es Gott ermöglicht, die Menschen, die glauben, zu retten. Das ist es, was wir im Evangelium verkünden. Wenn das gerechte Leben Christi dem Gläubigen als Gerechtigkeit zugerechnet werden könnte und der Gläubige dadurch gerettet und gesegnet werden könnte, warum hätte Gott dann Christus durch die Tortur des Kreuzes mit all seinem Leid gehen lassen?