Behandelter Abschnitt Röm 3,21-22
Jetzt aber ist, ohne Gesetz, Gottes Gerechtigkeit offenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten: Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus gegen alle [und auf alle], die glauben (3,21.22).
Welch eine Fülle von Wahrheit, und wie komprimiert und präzise! Die Gerechtigkeit des Menschen war nirgends unter den Heiden. Unter den Juden war sie durch das Gesetz gefordert worden. Doch das Gesetz erhielt keine andere Antwort als die der Schuld. Die unter ihnen, deren Gewissen aufrichtig war, erkannten, dass alle ihre Gerechtigkeit wie schmutzige Lumpen war, und dass ihre Missetaten sie wie der Wind weggetragen hatten – dass die Juden um ihrer Sünden und um der Missetaten ihrer Väter willen ein Schandfleck für alle geworden waren, die um sie her waren. In denselben Schriften, die ihr Verderben bekannten, sprachen die Propheten davon, dass der Herr seine Gerechtigkeit nahe bringt. „Ich habe meine Gerechtigkeit nahe gebracht, sie ist nicht fern, und meine Rettung zögert nicht“ (Jes 46,13). „Denn meine Gerechtigkeit ist bereit zu kommen, und meine Gerechtigkeit offenbart zu werden“ (Jes 56,1) „Aber meine Gerechtigkeit wird in Ewigkeit sein und meine Rettung durch alle Geschlechter hindurch“ (Jes 51,8; vgl. Dan 9,16.24). So stellt das gesamte Opfersystem in den Vorbildern des Gesetzes eine Gerechtigkeit Gottes dar, die außerhalb des Menschen, aber wahrhaftig für ihn ist und die ihre einzige angemessene Bedeutung in dem mächtigen Werk und Tod Jesu findet. Aber das Gesetz und die Propheten waren nur Zeugen, die zeigten, dass diese göttliche Gerechtigkeit nicht gekommen war, sondern im Begriff stand zu kommen; die Schatten einer Substanz, die noch nicht gegenwärtig war, die Vorhersage dessen, was sein sollte, und dann in Kürze kommen würde.
Jetzt ist sie gekommen und offenbart. Sie ist ganz unabhängig vom Gesetz, auf dem ganz anderen Prinzip der Gnade, obwohl das Gesetz als auch die Propheten ein vorwegnehmendes Zeugnis von ihr gaben. Das Gesetz (nicht in seinen Bildern, sondern in seinem eigentlichen Charakter) fordert zum Gehorsam des Menschen auf und kennt keinen Ersatz. Die Gnade setzt immer das Eingreifen Gottes selbst in seinem Sohn voraus, der im Kreuz das Recht Gottes begründet, den zu segnen, der an Jesus glaubt. Es ist nicht einfach sein Vorrecht der Barmherzigkeit; es ist seine Gerechtigkeit. Denn das Blut des einzigen annehmbaren Opfers ist vergossen, das Opfer ist dargebracht, das Gericht über die Sünden hat Ihn getroffen, Er hat es alles auf sich genommen. Dies ist also die neue Art der Gerechtigkeit; nicht die des Menschen, die, wenn sie existierte, nach dem Gesetz sein musste; natürlich auch nicht die des Sünders (denn er hat als Sünder keine, die ihm nützen kann), sondern die Gottes, nach den Vorbildern des Gesetzes und den Erklärungen der Propheten, die nun nicht mehr verborgen oder gar verheißen, sondern offenbart ist. Wer Gottes Zeugnis im Evangelium von Jesus Christus, seinem Sohn, glaubt, bekennt seine Sünden und vertraut Gott, nicht sich selbst; er sieht und erkennt, was Gott durch das Kreuz auf gerechte Weise für ihn tun kann, und hat so Anteil an seiner Gerechtigkeit.
Die Handschriften unterscheiden sich hier in Bezug auf den Text. Einige der ältesten (die Sinai-Handschrift, die vatikanische, die alexandrinische und die Pariser Handschrift, neben einigen jüngeren Versionen und Vätern) lassen καὶ ἐπὶ πάντας (und auf alle) aus. Aber ich stimme mit dem Urteil derer überein, die den erhaltenen Text darin beibehalten, und ich habe wenig Zweifel, dass die Worte dadurch ausgelassen wurden, weil das Auge oder das Ohr auf einem πάντας ruhte, um das andere zu übersehen. Möglicherweise haben ein oder mehrere Schreiber die Klausel absichtlich weggelassen, weil sie meinten, es handele sich um einen Fehler, weil sie die Tragweite nicht erkannten, und wie einige Kommentatoren (z. B. Dean Alford) meinten, es gäbe keinen wirklichen Bedeutungsunterschied in den Präpositionen. Doch das ist falsch. Es gibt keinen Wortunterschied in der Schrift ohne einen unterschiedlichen Sinn, obwohl manchmal die Schattierung so fein ist, dass sie leichter empfunden als ausgedrückt wird. Hier ist die unterschiedliche Kraft des Satzes klar und wichtig. Das erste (εἰς πάντας) kennzeichnet die Richtung der Gerechtigkeit Gottes. Sie ist nicht, wie das Gesetz, auf ein einzelnes Volk beschränkt; sie richtet sich auf alle Menschen ohne Ausnahme; aber die Wohltat hängt vom Glauben an Jesus Christus ab, und daher erreicht und wirkt sie nur „auf alle, die glauben.“ Diese Unterscheidung ist von großem praktischem Wert; aber es geht hauptsächlich um den Unterschied der Präpositionen. Die göttliche Gerechtigkeit galt im Prinzip für alle, aber sie galt tatsächlich nur für alle Gläubigen.
Es war keine Frage des Rechts im Menschen, sondern in Gott, und zwar durch die Erlösung Christi. „Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“ (V. 22.23). Als der Mensch unschuldig war, genoss er einfach die ihn umgebenden Gaben der Schöpfung in Dankbarkeit gegenüber dem, der ihn in die Mitte von allem und über alles gesetzt hatte, was Gott für „sehr gut“ erklärt hatte. Aber als er sündigte, erschien Gott und konnte keine Prüfung für ihn haben, die geringer war als seine Herrlichkeit, die den sündigen Menschen von seinem Angesicht vertreibt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der göttlichen Gnade, wenn der Mensch gerechtfertigt werden soll. Dies ist daher das unmittelbare Thema der Abhandlung: