Wir kommen nun zu den letzten prophetischen Offenbarungen, die Daniel empfing und die von ihm berichtet worden sind. Sowohl die Anfangsverse wie überhaupt der längste Teil des Kapitels bieten uns Vorhersagen, die sich offensichtlich seit langem erfüllt haben. Wenn unsere Leser einen Blick auf den Schluss von Vers 35 werfen, werden sie die Worte finden: „bis zur Zeit des Endes, es verzieht sich noch bis zur bestimmten Zeit“. Zurückblickend auf Daniel 9,26, finden sie dort die Worte: „und bis ans Ende“. An diesem Punkt begann die geheim gehaltene Lücke oder Unterbrechung in der Prophezeiung der 70 Wochen – die, wie wir jetzt erkennen, inzwischen mehr als 19 Jahrhunderte andauert –, an deren Ende erst sich die 70. Woche anschließen wird. Und das ist an dieser Stelle, wie wir glauben. Erst wenn wir Vers 36 unseres Kapitels erreichen, leitet die Prophezeiung plötzlich über zur Zeit des Endes und zu den letzten Tagen (Dan 11,36).
Die drei persischen Könige, die laut Daniel 11,2 „aufstehen“ sollten, sind offensichtlich jene drei, die in Esra 4,5-7 erwähnt werden und die in der Geschichte als Kambyses, Smerdis und Darius Hystapses bekannt sind. Der vierte, „mit größerem Reichtum“, würde Xerxes sein, der von seiner eigenen Größe so berauscht war, dass er Griechenland angriff und den „gewaltigen König“ in Daniel 11,3 – Alexander den Großen – gegen sich aufbrachte, der seinen Stolz beugte und sein Königreich zerschmetterte, indem er „große Macht“ gewann und nach seinem Gutdünken handelte.
Die Geschichte berichtet, dass Alexanders Herrschaft nur kurze Zeit bestand, denn er starb, als er noch jung war, und sein Reich wurde unter vier seiner Generäle aufgeteilt, wie Daniel 11,4 es klar voraussagt. Die Teilreiche erreichten bei Weitem nicht die Macht, „mit der er geherrscht“ hatte. Von Daniel 11,5 ab wird unsere Aufmerksamkeit auf die Handlungen von zweien dieser vier Nachfolgefürsten gelenkt: den König des Südens und den König des Nordens. Wenn wir untersuchen, warum die Prophezeiung sich nur mit diesen beiden beschäftigt, lautet die Antwort sicherlich, weil nur sie sich in die Angelegenheiten der ins Land zurückgekehrten Juden einmischten und sie unterdrückten. Ihre Reiche lagen im Norden und Süden Palästinas, Gebiete, die wir heute Syrien und Ägypten nennen; und die Könige waren Seleukos und Ptolemäus.
Daniel 11,5 lautet nach der Neuen Übersetzung: „Der König des Südens, der einer seiner Fürsten ist, wird stark werden; und ein anderer wird stark werden über ihn hinaus.“ Beide Fürsten Alexanders würden stark werden, doch der nördliche würde der stärkere von den beiden sein. Genau so geschah es.
Daniel 11,6 beginnt: „Und nach Verlauf von Jahren …“ Damit überbrücken wir sogleich eine gewisse Zeit in der Geschichte, denn die Prophezeiung befasst sich hier nicht mit den einzelnen Königen. Es geht um den „König des Nordens“ oder um den „König des Südens“, obwohl verschiedene Einzelpersonen gemeint sein mögen. Deutlich vorhergesagt werden beständige Reibereien und Kriege zwischen diesen beiden einander feindlichen Mächten, die jahrelang dauerten und den zwischen ihnen wohnenden Juden Palästinas Ärger und Beschwerden bereiteten. Wir können deshalb sagen, dass die Verse 6-20 ihre bösen Ränke und Kämpfe vorhersagen, und zwar bis zu einem Zeitpunkt, wo die Macht Roms offenbar wird, vor der der dann herrschende König des Nordens „straucheln und fallen und nicht mehr gefunden werden“ würde. Sein Nachfolger sollte nur noch ein bloßer „Eintreiber von Abgaben“ sein, um damit dem Verlangen Roms nachzukommen. Ungläubige haben darauf bestanden, dieses Kapitel müsse nach den Ereignissen geschrieben worden sein, weil es so genau vorhersage, was sich danach wirklich ereignet hat.
Ab Daniel 11,21 lesen wir dann, dass nach diesem „Eintreiber von Abgaben“ ein „gemeiner Mensch“ aufstehen wird, den gleicherweise listige Schmeicheleien und kriegerische Gewalttaten kennzeichnen würden; und seine Handlungen und deren Folgewirkungen beschäftigen uns bis Vers 36. Wir haben hier wieder, wie wir glauben, den Mann, der uns in Daniel 8,9 vorgestellt wird, jenes „kleine Horn“ , das aus einem der vier Reiche emporwächst, unter die das griechische Weltreich aufgeteilt wurde. Es ist der Mann, den die Geschichte als Antiochus Epiphanes kennt. Seine bösen Taten werden ausführlich beschrieben, weil er, wie wir glauben, mit solcher Grausamkeit gegen die Juden vorging, dass er zu einem Typus oder Vorentwurf jenes Königs des Nordens wurde, der in den letzten Tagen ihr großer Widersacher sein wird.
Wir sehen das besonders in Daniel 11,28-32. Im ersten dieser Verse richtet sich „sein Herz gegen den heiligen Bund“. Dann werden seine Pläne für eine Zeit von den „Schiffen von Kittim“ vereitelt, das heißt durch einen militärischen Vorstoß Roms. Diese Begebenheit mag einige von uns an unsere Schulzeit erinnern, als wir davon hörten, dass der römische Feldherr, seiner Treulosigkeit überdrüssig, einen Kreis um ihn zog da, wo er stand, und ihn zu einer klaren Antwort aufforderte, bevor er aus dem Kreis treten durfte. Er war darüber verärgert, und da er die Römer nicht anzugreifen wagte, ließ er seine Wut an den Juden aus und war „zornig gegen den heiligen Bund“.
Unter den Juden seiner Tage fanden sich solche, „die den heiligen Bund verließen“, wie Daniel 11,30 anzeigt. Mit diesen Abtrünnigen nahm er Kontakt auf und ging gewaltsam gegen das Heiligtum vor, um es zu entweihen, wie Daneil 11,31 voraussagt. Er stürzte die gesamte Ordnung des Tempeldienstes zu Jerusalem, schaffte die Opfer für Jehova ab in dem Bestreben, alle zur Verehrung eines falschen Bildes anzuhalten, das hier als „Gräuel der Verwüstung“ beschrieben wird. Ferner verleitete er zum Abfall und gewann durch Schmeicheleien solche, „die gottlos gegen den Bund handelten“.
Lasst uns beachten, dass der „Bund“ nicht weniger als viermal in diesen Versen erwähnt wird, und in drei Fällen wird auch „heilig“ hinzugefügt. Was Gott durch einen Bund verordnet hat, ist immer die Zielscheibe für Angriffe des Teufels, und dieser Mann war zweifellos ein Agent Satans in seinen Anstrengungen, die noch verbliebene Anbetung des einen wahren Gottes zu Jerusalem zu zerstören.
Doch in jenen Tagen gab es nicht nur Gottlose, die den Abfall mehrten, sondern auch „ein
Volk, das seinen Gott kennt“ und jene „Verständigen unter dem Volk“. So ist das immer Gottes Weise. Er selbst bleibt nicht ohne ein Zeugnis irgendwelcher Art. Und so haben wir hier eine Weissagung von dem, was in jenen dunklen Tagen wirklich geschah. Die Makkabäer wurden erweckt, eifrige und gottesfürchtige Männer, und unter ihrer Führerschaft wurde schließlich eine Befreiung erwirkt, obgleich nicht ohne große Verluste und viele Leiden, worauf Daniel 11,33 hinweist.
In den letzten Versen von Hebräer 11, besonders in Hebräer 11,36-38, finden wir Hinweise auf die Leiden von Gläubigen vergangener Zeiten, die in der alttestamentlichen Geschichte schwerlich auszumachen sind; und es mag wohl sein, dass sie sich auf Gläubige beziehen, die in jener Periode der Erprobungen litten, nach den Tagen Maleachis. Ihre Prüfungen verstärkten sich noch dadurch, dass einige unter den Verständigen erlahmten und abfielen, was Hebräer 11,35 unseres Kapitels vorhersagt; aber das würde eine läuternde Wirkung auf solche haben, die wirklich fest auf Gottes Seite standen.
Dieser vermischte Zustand wird anhalten „bis zur Zeit des Endes“. So steht es geschrieben, und so ist es gewesen – besonders hinsichtlich des Juden, der in dieser Prophezeiung vor uns steht. Es gibt in dieser Entwicklung „eine bestimmte Zeit“; aber es wird nicht angedeutet, wie lang diese Zeit sein soll. Wir wenden uns zu neutestamentlichen Schriftstellen wie Epheser 3,5 und Kolosser 1,25.26 und finden, dass in unserer Epoche die Gnade des Evangeliums zu den Heiden ausgeht und Gott Vorhaben verwirklicht, die Er von Ewigkeit her hatte, die aber zu Zeiten des Alten Testaments nicht offenbart wurden. Jedoch wurden in der Weisheit Gottes die Prophezeiungen sprachlich so gefasst, dass sie Raum ließen für die nachfolgenden Ereignisse und diese ohne Widerspruch zu den früheren Weissagungen bekannt gemacht werden konnten. Jesaja 61,2 bietet hierzu eine oft herangezogene Illustration, weil sie in einem Vers auf beide Kommen hinweist. Dasselbe kann auch von Daniel 9,26 gesagt werden und auch von dem Vers, den wir jetzt vor uns haben.
Daniel 11,36 führt unvermittelt „den König“ ein. Ein Blick auf Daniel 11,40 lässt uns erkennen, dass seine Herrschaft „zur Zeit des Endes“ sein wird, und auch, dass sein Reich in einem Land liegt zwischen dem König des Nordens und dem König des Südens. Daraus schließen wir, dass er ein König ist, der in den letzten Tagen über Palästina herrschen wird und über den wir Weiteres im Neuen Testament lesen. Er ist, wie wir glauben, mit dem zweiten Tier in Offenbarung 13 gleichzusetzen und mit jenem falschen Messias, der „in seinem eigenen Namen“ kommen wird, den der Herr Jesus in Johannes 5,43 ankündigte.
Die Handlungen dieses „Königs“ werden in Daniel 11,36-39 vorhergesagt, und ihr durchgehendes Merkmal ist: Er „wird nach seinem Gutdünken handeln“. Nun ist die Sünde Gesetzlosigkeit, ein Ausbrechen des Geschöpfes aus der Abhängigkeit vom Schöpfer, um seinen eigenen Willen zu behaupten und durchzusetzen. In 2. Thessalonicher 2,3 lesen wir von jenem „Menschen der Sünde“, der offenbart werden soll, wenn der, der zurückhält, aus dem Weg ist. Wenn wir jene Stelle mit dieser vergleichen, fällt uns sofort eine erstaunliche Ähnlichkeit auf, denn in beiden ist das hervorstechende Merkmal dieses künftigen gewaltigen Menschen Eigenwille und Selbsterhöhung.
Möge ein jeder von uns sich um des Guten seiner eigenen Seele willen erinnern, dass kaum etwas mehr das wahre Leben eines Christen verdirbt als der Eigenwille. Wir sind berufen, nicht unseren eigenen Willensregungen zu folgen, sondern den Willen Gottes zu tun. Wir sind zu einem Leben in Gehorsam berufen, denn wir sollten die Gesinnung haben, die in Christus war, die Ihn sogar zum Tod hinführte. Sein Leben war Selbsterniedrigung, das genaue Gegenteil von einer Gesinnung, die das eigene Ich erhöht, die in Adam war und die das Fleisch in jedem von uns kennzeichnet.
Aus Daniel 11,37 schließen wir, dass er ein Jude sein wird, denn er verachtet den „Gott seiner Väter“ und ebenso die „Sehnsucht der Frauen“, denn jede typisch jüdische Frau sehnte sich danach, die Mutter des Messias zu werden. Er wird „Erstaunliches“ gegen den wahren Gott reden und für sich selbst eine gottgleiche Stellung einnehmen. Den „Gott der Festungen“ wird er ehren, eine Andeutung, wie wir glauben, auf das, was wir sehr klar in Offenbarung 13 sehen, wo das zweite Tier den religiösen Abfall anführt, dabei aber von dem ersten Tier hinsichtlich weltlicher und militärischer Macht abhängig ist.
Er bedarf der Unterstützung, denn die Könige des Südens und des Nordens stehen ihm feindselig gegenüber, ganz besonders der König des Nordens, wie uns die letzten Verse unseres Kapitels zeigen. In Jesaja wird von ihm als dem Assyrer gesprochen und der „überflutenden Geißel“ (Dan 28,15), Sacharja 14,1-3 scheint sich auf das Ende dieses Widersachers zu beziehen, wie die beiden letzten Verse unseres Kapitels voraussagen. Zu Anfang wird er große Erfolge haben, viele Länder überfluten, außer Edom, Moab und Ammon, die aufgespart werden und mit denen Israel, wiederhergestellt, handeln wird. Er wird sogar Ägypten überwältigen, doch dann werden Nachrichten aus dem Nordosten ihn nach Palästina zurückführen, und „er wird sein Palastgezelt aufschlagen zwischen dem Meer und dem Berg der heiligen Zierde“. Und dann, wenn seine Unternehmungen ihren Höhepunkt zu erreichen scheinen, „wird er zu seinem Ende kommen, und niemand wird ihm helfen“. In dieser knappen, aber anschaulichen Art wurde dem Daniel offenbart, was Sacharja 14,3 aussagt: Der HERR wird ausziehen zum Kampf, nämlich in der Person des Herrn Jesus. Der feindselige König des Nordens wird vernichtet und kommt zu seinem Ende.