Behandelter Abschnitt Heb 4,1-2
Der alles entscheidende Punkt für eine richtige Auslegung ist, dass Gottes Ruhe hier vor uns ist, seine Herrlichkeit mit Christus. Es ist keineswegs die Ruhe für das Gewissen oder für das Herz, die der Gläubige jetzt in Christus hat oder findet. Die „Ruhe Gottes“ ist ausschließlich zukünftig.
Das vollkommene Wort Gottes unterscheidet sogar äußerlich das, was jetzt genossen werden kann und soll, von dem, was nur in der Hoffnung ist, wie sicher es auch immer sein mag. Unser Herr spricht in Matthäus 11,28.29 über das Wirken seiner Gnade, während wir hier sind; Kapitel 3 und 4 sprechen nur von dem, was die Gläubigen bei seinem Kommen erlangen. Daher ist ἀνάπαυσις das Wort für Ruhe im Evangelium, κατάπαυσις in dem Brief. Jesus, der als Messias verworfen wurde, greift nicht nur auf die himmlische und allgemeine Herrlichkeit zurück, die Er als Sohn des Menschen erwartet, sondern offenbart sich als Sohn des Vaters und lädt alle Mühseligen und Beladenen zu sich ein. Denen, die zu Ihm kommen, gibt der Sohn Ruhe. Es ist eine freie und souveräne Gnade, eine gegenwärtige und vollständige Befreiung von der Mühsal des Gesetzes und der Last der Sünde. Diese Ruhe gibt Er dem Gewissen, das durch den Glauben der Ausgangspunkt für alle Heiligkeit ist. Aber Er fügt auch hinzu: „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“ (Mt 11,29). Dies ist Ruhe für das Herz des Christen, Tag für Tag, und sie ist nur im Gehorsam zu finden. Es ist weder Hilfe, wie die Menschen sagen, noch Frieden, sondern Ruhe des Herzens in der unterwürfigen Annahme des Willens Gottes. So hat Christus sich selbst gebeugt und wurde hier auf der Erde gesegnet, so wie alle, die Ihm nachfolgen. Aber Er gibt dem Gewissen Ruhe (ohne hier zu erklären, wie), bevor wir Ruhe für unsere Seelen finden, indem wir uns selbst richten und den Willen Gottes tun.
Durch den Glauben empfangen wir beides; aber wir sind auch aufgerufen, uns in der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes zu rühmen. Das ist seine Ruhe, und wir gehen darauf zu, wie Israel auf Kanaan. Das ist der Text, der hier angewendet wird. Es ist das Ruhen Gottes in dem, was seine Liebe und Heiligkeit befriedigt, wenn die Gerechtigkeit regiert und die Leiden entfliehen, wobei κατάπαυσις stärker ist als ἀνάπαυσις. Ersteres wird in 1. Mose 2 (LXX) verwendet, als Sünde und Tod noch nicht in die Welt gekommen waren. Es wird hier auch für den Schauplatz und die Zeit der Herrlichkeit verwendet, wenn sie offenkundig besiegt sein werden.
Fürchten wir uns nun, dass nicht etwa, da eine Verheißung, in seine Ruhe einzugehen, hinterlassen ist, jemand von euch scheine zurückgeblieben zu sein! Denn auch uns ist eine gute Botschaft verkündigt worden, wie auch jenen; aber das Wort der Verkündigung nützte jenen nicht, weil es bei denen, die es hörten, nicht mit dem Glauben verbunden war (4,1.2).
Es ist unmöglich, den gesamten Zusammenhang zu verstehen, wenn wir die Ruhe, von der hier die Rede ist, für etwas anderes halten als die zukünftige Ruhe Gottes, in die uns Christus bei seinem Kommen einführen wird. Wenn man sie mit dem vorrangigen Bedürfnis der Seele verwechselt, wie es die Menschen zu tun pflegen, ist alles nur Verwirrung. Würde der Geist sagen: „Fürchten wir uns“, wenn es darum ginge, in aller Freude und in allem Frieden an Christus zu glauben? Das Wort des Herrn an die beunruhigte Seele lautet: „Fürchte dich nicht“; „Ich will, werde gereinigt“ (Mt 8,3); „dein Glaube hat dich geheilt, geh hin in Frieden“ (Mk 5,34); „Seit guten Mutes, Tochter“ (Mt 9,22) und dergleichen: niemals eine Silbe, die einen Zweifel an der Gnade des Erlösers oder an der Errettung des Gläubigen aufkommen lässt. Denn Er ist ja gekommen, um zu suchen und zu erretten, was verloren ist. Aber hier werden die gewarnt, die seinen Namen bekennen, die, wie Israel, auf der Pilgerreise durch die Wüste stehenbleiben und müde werden. Die Gefahr droht von allen Seiten. Es kann der Wunsch sein, nach Ägypten zurückzukehren, oder die Verzweiflung über Kanaan – das angenehme Land – und das Murren gegen Mose und Aaron. In jedem Fall ist es Unglaube, und Israel hat die Strafe dafür bezahlt. „Fürchten wir uns nun, dass nicht etwa, da eine Verheißung, in seine Ruhe einzugehen, hinterlassen ist, jemand von euch scheine zurückgeblieben zu sein!“ (V. 1).
Der gefallene, ungläubige Mensch ist immer auf der Suche nach diesem oder jenem. Er ist ruhelos und kennt in dieser Welt kein anderes Glück (oder vielmehr Vergnügen) als die Veränderung, das Streben nach dem, was er nicht hat, aber zu haben wünscht. Hätte er die Gabe der Liebe Gottes, so wäre das Wasser, das Christus schenkt, in ihm eine Quelle des Wassers, das ins ewige Leben quillt und von dem zu trinken ihn nie mehr dürsten wird. So muss er immer den Himmel vor Augen haben, dem er jetzt angehört, sein neues Vaterland, in das Christus vorausgegangen ist. Wenn Israel eine Hoffnung hatte, so haben wir gewiss nicht weniger, aber in viel reicherem Maß und hellerem Licht. Die Hoffnung auf die Zukunft, die Gott entspricht, hat eine mächtige Wirkung, indem sie von der Macht der gegenwärtigen Dinge befreit, die ihm entgegenstehen. Das erneuerte Herz braucht sie und hat sie in der Schrift wie hier deutlich vor Augen. Fürchten wir uns nun, dass jemand von uns in dieser Hinsicht zurückgeblieben zu sein scheint. Was zerstörerisch ist, wo kein Glaube ist, ist schädlich für den Gläubigen und kann es bis zum letzten Grad sein. Deshalb hören wir vom Anschein, zurückgeblieben zu sein. Es gibt jetzt keine Ruhe Gottes, und für uns gibt es sie nur hier im Himmel. Wir sollten uns sogar vor dem Anschein fürchten, uns auf der Erde niederzulassen, die in der Tat nicht der Ort unserer Ruhe oder Hoffnung ist.
Hoffnung gehörte zum natürlichen Empfinden und zur Erwartung eines Juden, besonders nachdem der Messias gekommen war. Aber Er ist verworfen, aufgefahren und ist in der Höhe verherrlicht. Dort bei Ihm wird unsere Ruhe sein, und was noch viel besser ist: Es ist die Ruhe Gottes. Keiner von uns (denn für den nichtjüdischen Gläubigen ist es sicher nicht weniger wahr und wichtig) – keiner von uns soll den Anschein erwecken, dieser Ruhe nicht gewachsen zu sein. Der christliche Jude stand in nichts hinter seinen Vätern zurück; wenn die Ältesten eine gute Nachricht hatten, so hatten die, die Christus im Himmel anhingen, noch mehr. Aber wenn das Wort nicht mit dem Glauben vermischt ist, kann es dem Hörer heute nicht mehr nützen als früher. Damals sahen die Väter Wunder und hörten eine Stimme, die schrecklicher war als Donner und Erdbeben; dennoch fielen sie durch Unglauben, und Ungehorsam war die Folge. Jetzt, wo es nicht mehr um Sehen oder Hören geht, ist das Wort in Verbindung mit dem Glauben für die, die es gehört haben, unabdingbar; sonst ist das Verderben noch unwiederbringlicher als der Fall in der Wüste.