Behandelter Abschnitt Titus 2,1-2
Im Gegensatz zu dem schädlichen und weltlichen Unrat, vor dem wir soeben gewarnt wurden, ermahnt der Apostel nun sein vertrautes Kind und seinen Mitdiener, indem er auf Einzelheiten eingeht, die wir mit aller Sorgfalt mit Gewinn befolgen können. Es ist interessant zu beobachten, wie der Apostel Titus anweist, sich in seiner Arbeit den Gläubigen gegenüber entsprechend ihrem Alter und Geschlecht zu verhalten. Die Anweisungen unterscheiden sich nicht von dem, was er in den Briefen an die Gläubigen in Ephesus und in Kolossä festgelegt hat. Dort wendet er sich direkt an die Gläubigen; und die Reihenfolge, die er wählt, ist genau und am besten für diesen Zweck geeignet. Er beginnt mit der in einer Beziehung jeweils untergeordneten Person, nicht mit der übergeordneten. So ermahnt er die Ehefrauen vor den Ehemännern, die Kinder vor den Eltern und die Sklaven vor ihren Herren. Die Aufforderungen des Apostels an die Gläubigen sind in ihrer wahren moralischen Ordnung geschrieben, die sich aus der jeweiligen Beziehung ergibt. Das Prinzip ist, dass diejenigen, die in der untergeordneten Position sind, auf ihre Pflicht achten sollten, als wichtigstes Mittel für das reibungslose Funktionieren derer, die die höhere Stellung innehaben. Aber alle sollen an den denken, der das Licht und die Gnade Gottes in jede Stellung hineinbringt, in die ein Gläubiger gestellt ist, damit Gott so in allen Dingen durch unseren Herrn Jesus verherrlicht wird.
Petrus ermahnt in seinem ersten Brief (Kap. 2,18) mit Inbrunst und tröstlichem Interesse nicht gerade Sklaven, sondern Hausknechte (οἰκέται); aber es gibt kein entsprechendes Wort zu den Herren. In 1. Petrus 3,1 spricht er ausführlich zu den Ehefrauen und wendet sich dann kurz ebenso an die Ehemänner (V. 7).
Aber hier schreibt unser Apostel an seinen vertrauten Mitarbeiter, der allein auf Kreta arbeitet, und das verändert den Fall erheblich. Er beginnt mit den älteren Männern unter den Gläubigen, und dann wendet er sich an die älteren Frauen, mit denen Titus auf besondere Weise im Umgang achten sollte. Wir können die weise und heilige Art und Weise beachten, in der Titus angewiesen wird, junge Frauen zu ermahnen, nicht direkt, sondern durch die Ältesten ihres eigenen Geschlechts. Doch 1. Timotheus 5,2 beweist, dass die Schrift keine absolute Regel in dieser Hinsicht kennt. In jedem Fall wird aber die Reinheit gewahrt, das ist klar. Welch ein Gegensatz zu den Schrecken des Römertums durch den Priester auf der Erde, der die Funktionen des großen Hohepriesters anmaßen! Er ist durch die Himmel gegangen und macht doch jedem Gläubigen den Thron der Gnade mit Freimütigkeit zugänglich, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade zu rechtzeitiger Hilfe finden können. Ja, Er tut dies in vollkommener Weise, wie es kein irdischer Priester für einen Menschen tun könnte, selbst wenn er einen tadellosen Charakter und Eifer hätte und sich in ständiger Fürsorge nur um diese eine Person kümmerte.
Hier folgen den älteren Männern und älteren Frauen in den Versen 6–8 die jungen Männer, denen Titus insbesondere ein Vorbild an guten Werken sein sollte. Dann sollen Knechte Gegenstände der Fürsorge des Titus sein (V. 9.10). Aber sehr auffallend ist, dass die große Grundlage des Segens für alle in unmittelbaren Zusammenhang mit dem verachteten Sklaven genannt wird, obwohl die Wahrheit und die Motive und Wirkungen sicherlich für jeden Gläubigen galten.
So beginnt der Apostel:
Du aber rede, was der gesunden Lehre geziemt: dass die alten Männer nüchtern seien, würdig, besonnen, gesund im Glauben, in der Liebe, im Ausharren (2,1.2).
Die Schrift lässt keinen Raum für den Gedanken, dass die Gläubigen keine sorgfältige Unterweisung brauchen. Wir lernen, welchen Wert für den Apostel die ständige Ermahnung hat. Zweifellos müssen wir zwischen der gesunden Lehre und den Dingen, die dazu passen, unterscheiden. Alle richtige Praxis fließt aus dem göttlichen Prinzip hervor; und alle göttlichen Prinzipien sind in der Person Christi konzentriert. Er ist und muss daher die Substanz, das Vorbild und der Prüfstein sein; denn Er ist das Ziel, das uns vor Augen gestellt wird, sowie das Leben, das wir haben, und die Nahrung für dieses Leben.
Aus eben diesem Grund fordert der Apostel Titus zur Treue auf. Wenn er Verwalter der Geheimnisse Gottes für die Gläubigen war, sollte er nicht weniger ein Wächter im Namen Gottes sein. Er sollte also das reden, was zur gesunden Lehre gehört. Das konnte er nicht tun, wenn er nicht ständig Christus vor Augen hatte; noch würde es irgendjemand so nützen, wie es sein sollte, wenn er nicht Christus vor Augen hätte. Es mag gewisse Wahrheiten geben, die bestimmten Zeiten und Epochen eigen sind; aber Christus ist immer zur rechten Zeit da; und wenn man Ihm nicht den Ihm gebührenden Platz und die Verbindung mit Ihm gibt, ist die Wahrheit zu jeder Zeit geneigt, zu verflachen, und, so ist die Schwäche des Menschen, sie kann manchmal gefährlich wirken. Seine Gnade reicht aus, wie für jeden, so auch für den Diener; wenn er sie für sich selbst braucht, so braucht er sie für seinen Dienst nicht weniger.
Titus wurde hier also vom Apostel aufgefordert, das zu reden, was der gesunden Lehre geziemt. Ermahnung sollte immer der Lehre folgen, da sie aus derselben Quelle fließt und ständig aus den frischen Quellen der Wahrheit gespeist werden muss. Es ist zu beachten, dass das Wort nicht genau „lehren“ lautet, sondern „die Dinge sprechen“ und so weiter. Die Arbeit des Titus war größtenteils seelsorgerlich; und ein großer Teil der Arbeit eines Seelsorgers besteht darin, von Angesicht zu Angesicht mit denen zu sprechen, für die er sorgt. Das ersetzt keineswegs den Wert der öffentlichen Lehre auf der einen Seite. Andererseits wird die öffentliche Lehre niemals alles, was die täglichen Bedürfnisse erfordern, angemessen erfüllen. Wie viele Dinge können glücklich im Keim erstickt werden, die sonst Gefahr für die einzelnen Gläubigen bedeuten würden! Frühzeitig erkannt, kann ein freundliches Wort genügen; und welche Anregung kann durch ein paar aufmunternde Worte gegeben werden, wo ein Einzelner sonst zögern und sich mit der Zeit abwenden könnte! Wie viel Belehrung kann auch individuell gegeben werden, und zwar mit weit größerer Eindringlichkeit als in den allgemeinen Ermahnungen der öffentlichen Ansprachen! Wie wenige wiederum gibt es, die es verstehen, privat in Übereinstimmung mit ihrer heilbringenden Lehre zu sprechen! Zweifellos mag es Gesetzlichkeit und ein ständiges Bemühen geben, im Privaten wie im Öffentlichen zu predigen; aber wie glücklich ist es, wenn ohne Zurückhaltung und in ungekünstelter Liebe überall Treue herrscht und die Worte zu Hause mindestens mit dem übereinstimmen, was in der öffentlichen Versammlung gehört wurde!
Es ist daher offensichtlich, dass die Sprache des Titusbriefs hier umfangreich genug ist, um sowohl den privaten als auch den öffentlichen Dienst mit einzubeziehen: „Du aber rede, was der gesunden Lehre geziemt“ (V. 1). Ein weiteres Element muss berücksichtigt werden. Für einen Diener des Herrn ist es wichtig, selbst die besonderen Beziehungen der Angesprochenen zu berücksichtigen. Und wir lernen, wie sorgfältig der Apostel auf das angemessene Verhalten derer achtet, die miteinander verwandt sind (in den Briefen an die Epheser und an die Kolosser); wobei dies im ersten Petrusbrief weniger betont ist. Wo gegenseitige Pflichten betont werden, wird regelmäßig die geringere oder untergeordnetere Beziehung vor der höheren angesprochen. So ermahnt der Apostel die Ehefrauen vor den Ehemännern, die Kinder vor den Eltern, die Knechte vor den Herren. Und wir können ohne zu zögern sagen, dass dies in der Weisheit des Heiligen Geistes geschah. Denn wenn man sogar annimmt, dass die autoritärere Beziehung schuld wäre, wie wichtig ist es, dass der Untergebene vor Gott richtig empfindet und handelt! „Eine milde Antwort wendet den Grimm ab“ (Spr 15,1). Und nichts ist anziehender, als der unvergängliche Schmuck eines sanften und stillen Geistes, der in den Augen Gottes sehr kostbar ist.
Titus bekommt hier eine andere Anweisung, die an seinem eigenen Platz ebenso angemessen ist. Der Apostel begann mit den alten oder älteren Männern. Die erste Pflicht, die er ihnen auferlegt, ist, dass sie „nüchtern“ oder gemäßigt sein sollen. Auch wenn das auf jeden Christen zutrifft, wiegt der Mangel daran bei einem älteren Mann schwerer: Er sollte vor allem ein Vorbild der Mäßigung in Geist und Verhalten sein, die von Umsicht und Sinn für die Gegenwart Gottes zeugt. Man mag verstehen, dass der unerfahrene Geist der Jugend in Extravaganz des Denkens oder Verhaltens ausbrechen kann; aber ein solcher Fehler steht einem älteren Mann schlecht, sogar wenn er den Herrn noch nicht lange kennt. Der Rückblick sollte nicht ohne Wirkung sein, jetzt, wo er Ihn im Licht Gottes kennt.
Aber alte Männer sollen nicht nur nüchtern sein, sondern auch würdig. Nicht nur, dass man die Erfahrung zur Nüchternheit heranziehen kann, sondern für einen alten Christen sollten die Dinge um ihn herum, die Dinge, die vor ihm waren, sicherlich nicht mit Leichtfertigkeit, sondern mit Ernsthaftigkeit betrachtet werden, so wie wir jetzt auf die (nicht sichtbaren, sondern) unsichtbaren und ewigen Dinge schauen.
Dann wiederum sollte Titus darauf achten, dass die alten Männer „besonnen“ oder „rechtschaffen“ waren. Ihre Stellung wird ihnen ein gewisses Gewicht verleihen, solange es keine schmerzlichen Unstimmigkeiten in ihren Wegen und ihrem Geist gibt. Es gibt immer wieder Verirrungen, die im praktischen Leben der Christen auftreten. Deshalb ist Besonnenheit besonders nötig, und am meisten für einen älteren Mann, von dem man erwartet, dass er, auch wenn ihm die Energie der Jugend fehlt, in den widersprüchlichen Umständen des Umgangs miteinander Unterscheidungsvermögen zeigt.
Ferner sollten sie „gesund im Glauben“ sein. Es ist bei weitem nicht genug, dass man den Herrn kennt. Es ist gut, einen geschärften Geist in Bezug auf die Wahrheit im Allgemeinen zu haben; aber gerade daraus könnten falsche Gedanken entstehen, wenn das Auge nicht einfältig auf den Herrn schaut und über die eigenen Gedanken wacht. Sich nach diesem oder jenem Lieblingslehrer unter den nüchternen Menschen auszurichten – wie sehr man ihn auch respektieren mag – schützt nicht vor falschen Gedanken. Das Wort ist der große Schutz, aber das Wort muss als eine Offenbarung Christi für sich selbst erforscht werden. Wo dies unter Gebet geschieht, wird der Glaube gesund sein; wo man dem Menschen vertraut (sei es sich selbst oder einem Führer oder einer Partei), ist der Irrtum nicht weit. Denn Gott ist eifersüchtig auf einen Nebenbuhler und wird niemals unser Vertrauen auf ein Geschöpf gutheißen. Er will, dass wir im Glauben wandeln, nicht im Schauen.
Es reicht auch nicht aus, „gesund im Glauben“ zu sein. „In der Liebe“ ist das nächste Wort des Apostels. Die Reihenfolge ist lehrreich. Wie der Glaube allein in die Liebe Gottes zu uns einführt, so befähigt uns der Glaube allein, in der Liebe zueinander zu wachsen. Es gibt kaum etwas, in dem wir anfälliger sind, getäuscht zu werden, als in dieser göttlichen Nächstenliebe, die gesegnet ist, wo sie echt und heilig ist. Aber es muss der Glaube sein, „der durch die Liebe wirkt“ (Gal 5,6); denn der Glaube bezieht Gott mit ein, und Gott ist Liebe. Damit ist nicht nur die Liebe in dem gemeint, was Er für uns getan hat, sondern in dem, was Er ist und in uns wirkt. „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe“, und „und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1Joh 4,8.16). Das setzt nicht nur voraus, dass wir die Wahrheit erkennen und genießen, sondern auch, dass wir Gemeinschaft haben mit dem, der sie uns in Christus kundgetan hat und sie in den Seinen bewirkt; unter denen sicher Fragen aufkommen werden, die das Maß und sogar die Wirklichkeit der Liebe in uns auf die härteste Probe stellen.