Dies, und nicht das Gesetz, ist die wahre Lebensregel für den Christen. Ohne Christus kann es nichts anderes geben als eine Regel des Todes. Und für den Unreinen und Ungläubigen ist nichts rein. Was verboten war, reizte das Fleisch, es zu begehren. Gestohlene Wasser sind süß; und so ist es immer noch, wo Christus unbekannt ist. Den Befleckten und Ungläubigen ist nichts rein, sondern sowohl ihre Gesinnung als auch ihr Gewissen sind verunreinigt: Das ist ein schreckliches Urteil in moralischer Hinsicht, aber höchst wahr. Nicht nur, dass ihre niedere Natur verdorben ist, sondern der beste unter ihnen, der sich sogar am Guten erfreuen mag und sich anmaßt, über göttliche Dinge und Gott selbst zu sprechen, ist nicht weniger verunreinigt. Religion in einem solchen Zustand ist mindestens so unrein und abscheulich wie alles andere.
Zweifellos wird man sagen, dass solche Menschen Gott nicht kennen. Das ist zweifellos wahr. Sie kennen weder den Vater noch Jesus Christus, der Ihn gesandt hat; und doch behaupten sie sogar, Gott zu besitzen, wie die Menschen jetzt in der Christenheit, abgesehen von den offen feindseligen und ungläubigen Menschen.
Sie geben vor, Gott zu kennen, aber in den Werken verleugnen sie ihn und sind abscheulich und ungehorsam und zu jedem guten Werk unbewährt (1,16).
Das ist sicherlich kein religiöser Fortschritt. Der Keim dazu war schon damals in den Tagen der Apostel vorhanden. Die Frucht ist in unseren Tagen überall vorhanden; und man wird feststellen, dass sie mehr und mehr „zu weiterer Gottlosigkeit fortschreiten und ihr Wort wird um sich fressen wie Krebs“ (2Tim 2,16.17). Es passt zu der gefallenen Natur des Menschen. Sein Stolz wird dadurch hofiert, und sein Wille erfreut sich daran. Das moralische Abweichen vom Willen Gottes bereitet die allmähliche Verwerfung aller Offenbarung vor; denn die Menschen schämen sich, sich zu dem zu bekennen, was sie hassen, wie auch zu dem, was sie offenkundig verdammt. Das Wort Gottes heiligt. Es verurteilt den Willen des Menschen, wie auch alle seine äußeren Wirkungen und Ergebnisse. Es stellt Gott und seinen Willen vor, dessen Gnade die Ausrichtung, die Nahrung, die Freude des neuen Menschen ist. Satan hingegen stellt einerseits Fabeln und andererseits Menschengebote vor, die beide das Gewissen und auch Gott selbst ausschließen.
Es ist offensichtlich, dass diese Anweisungen des Apostels in voller Übereinstimmung mit der Lehre des Meisters in Matthäus 15, besonders in den Versen 10–20; Lukas 6,40-45; 11,34-44, und anderswo sind. Das Christentum im praktischen Sinn wirkt von innen nach außen: Wenn die Seele nicht im Gehorsam gegenüber der Wahrheit gereinigt wird, wie bei allen, die glauben, wird weder der Name des Vaters geheiligt, noch die Sünde wahrhaftig gerichtet, noch zeigt sich ungeheuchelte Liebe zu den Brüdern. Auch kann es keine Anbetung Gottes in Geist und Wahrheit geben, ebenso wenig ein Hinzutreten zum Vater. Alles bleibt oberflächlich und ist vom natürlichen Menschen geprägt. Es kann nichts Göttliches geben, bevor man nicht aus dem Geist geboren ist. Das Evangelium hingegen bringt einen Menschen im Sinn der Gunst Gottes in Christus, weit darüber hinaus in den Frieden, die Freiheit und die Kraft. Denn Christus ist nicht nur das Leben, sondern der Erlöser im vollsten Sinne, da Er von Anfang bis Ende für einen Menschen offenbar ist.
So ändert Er, der Unveränderliche, alle Dinge für uns. „Daher, wenn jemand in Christus ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Alles aber von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat“ (2Kor 5,17.18). So ist das Wesen, so ist der Charakter und die Art und Weise Gottes, wie Er sich uns jetzt im Evangelium offenbart hat. Wie hassenswert für Ihn und undankbar für den Menschen, wie niederträchtig und rebellisch in sich selbst, wenn sich jemand von einer Offenbarung, die so wunderbar und gesegnet und vollkommen ist, zu den armseligen Elementen des Judentums zurückwendet! Ja, noch tiefer, zu der schmutzigen, verunreinigenden Pfütze menschlicher Fabeln und Gebote! Es ist Menschenreligion, die so viel oder vielmehr so wenig von Gottes Wort benutzt, wie es einem tödlichen Betrüger passt; der hinter allem steckt und dieses Wenige gebraucht, um göttliche Autorität zu beanspruchen und dem Vorwurf zu entgehen, die Offenbarung der Gnade und Wahrheit in Christus, dem Herrn, geringzuschätzen. Aber die, die reinen Herzen sind, wenn sie Gott schauen, werden befähigt, die gegenwärtige Entehrung seines Wortes, seines Sohnes und des mächtigen Erlösungswerkes zu erkennen; vor dessen Licht entfliehen diese religiösen Bemühungen und Eitelkeiten der Menschen wie die Finsternis vor dem Tag.
Wir werden in dem unmittelbaren Zusammenhang nicht auf die Person dessen hingewiesen, der all diese Torheit und das Böse offenbart. Wir haben auch keine dogmatische Entfaltung des Evangeliums; aber es werden große moralische Prinzipien von größter Bedeutung aufgestellt. Es ist Platz für alle, aber jeder zu seiner Zeit, wie es Gott gefällt, sein Wort auf jeden anzuwenden, der die Stimme des Hirten hört. „Den Reinen ist alles rein.“ Wie klar und gewiss für die, die sich dem Herrn unterordnen! Wie eitel, angesichts einer solchen Erklärung zu sagen, dass „die Versammlung“ das Essen von Fleisch an einem Freitag oder in der Fastenzeit verbietet! Der Wert eines wirklichen Fastens wird dadurch nicht geleugnet: Es ist wirklich aus Gnade, aufgrund eines angemessenen vorübergehenden Anlasses zu fasten, und im Neuen Testament niemals ein allgemeines Gesetz, noch weniger wäre es eine Schande, Fisch und Eier zu essen. Die Schrift geht aber noch weiter und begnügt sich nicht damit, die heilige Freiheit des Christen zu behaupten, sondern prangert ernstlich die an, die sie verletzen wollen. „Den Reinen ist alles rein; den Befleckten aber und Ungläubigen ist nichts rein, sondern befleckt ist sowohl ihre Gesinnung als auch ihr Gewissen“ (V. 15). Da sie weder an der göttlichen Natur noch am göttlichen Licht Anteil haben, dem sie ganz offensichtlich menschliche Gedanken, Gefühle und Autorität vorziehen, werden sie notwendigerweise eine Beute des Feindes, dessen böses Vergnügen es ist, Gott auf den dunklen und fremden Wegen des Menschen zu entehren. Die Verunreinigung befleckt dementsprechend jede Quelle innerer und moralischer Zuneigung, da sie ihr ganzes Leben durchdringt, ob sie nun offen verdorben sind oder nicht, und auf jeden Fall untreu.
Hier tun wir gut daran, auf ein häufiges Missverständnis der einleitenden Worte von Vers 15 hinzuweisen. Sie bedeuten nicht „an oder im Gemüt der Reinen“, sondern für deren Gebrauch. Wie viele Männer und Frauen, gerade unter denen, die eine geheiligte Stellung unter den Gläubigen einnehmen, die Opfer von Leidenschaft und Begierde geworden sind, haben vergeblich versucht, diese Stelle aus der Heiligen Schrift als eine Entschuldigung und einen Deckmantel für ihre Ungerechtigkeiten heranzuziehen! Mögen wir vor jeder Illusion des Fleisches und jeder Täuschung unseres tückischen Feindes bewahrt werden.
Hier geht es nicht um offenen Abfall, sondern um solche, die bekennen, Gott zu kennen, während sie Ihn in den Werken verleugnen. Sie sind schuldig, wenn sie jeder göttlichen Offenbarung trotzen, noch mehr aber, wenn sie die umfassendste und letzte Offenbarung verschmähen. Denn, wie wir wissen, ist das Verderben des Besten das schlimmste Verderben ist. Ein solcher Zustand ebnet den Weg zum Abfall.
Es ist vergeblich, sich in einem solchen Zustand der Gotteserkenntnis zu rühmen: wie einst die Juden, so tun es jetzt die Abergläubischen. Aber sie beweisen gleichfalls die Unwahrheit ihres Rühmens; denn „in den Werken verleugnen sie ihn und sind abscheulich und ungehorsam und zu jedem guten Werk unbewährt“ (V. 16). Heuchelei, oder zumindest Selbstbetrug, ist die unvermeidliche Folge ihrer falschen Stellung und ihres falschen Zustands. Die Anmaßung außerordentlicher Heiligkeit, die darauf abzielt, sich selbst zu erhöhen, indem sie Gottes Geschöpfe unwissend geringschätzt, anstatt sie heilig und dankbar zu seiner Ehre zu gebrauchen, öffnet Satan die Tür, der solche in alle Verunreinigungen des Fleisches und des Geistes, ja in Abscheulichkeiten zieht, die der Natur selbst widersprechen. Entfremdet von der Wahrheit und Gnade Gottes und sich selbst überlassen – welche Hoffnung kann es da auf Umkehr geben? Gibt es ein schrecklicheres moralisches Urteil als das, das der Apostel ausspricht: „zu jedem guten Werk unbewährt [oder: wertlos]“?