Behandelter Abschnitt Titus 1,7-9
Von einem Ältesten werden moralische Grundsätze und ein entsprechender praktischer Lebenswandel erwartet. Wie kann man Dinge bei anderen tadeln, für die man selbst offen ist? „Mann einer Frau“. Wenn er verheiratet ist, darf er nur eine Frau haben; denn viele Heiden hatten mehrere Frauen gleichzeitig; und Juden verwarfen leichtfertig ihre Frau, wenn sie eine andere mehr mochten. „Der gläubige Kinder hat, die nicht eines ausschweifenden Lebens [oder: Verschwendung] beschuldigt werden oder zügellos sind.“ Neben der persönlichen Redlichkeit steht die familiäre Beziehung; und so wie mehrere Ehefrauen einen Mann vom Amt eines Ältesten ausschließen würde – unabhängig von seiner Eignung in anderer Hinsicht –, so auch ein ausschweifender Nachkomme. Wie könnte er das Haus Gottes regieren, wenn er bereits in seinem eigenen Haus offenkundig versagt hatte?
Die für das Amt erforderlichen Eigenschaften werden nun dargelegt.
Denn der Aufseher muss untadelig [oder: frei von Vorwürfen] sein als Gottes Verwalter, nicht eigenmächtig, nicht zornmütig, nicht dem Wein ergeben, nicht ein Schläger, nicht schändlichem Gewinn nachgehend, sondern gastfrei, das Gute liebend, besonnen, gerecht, fromm, enthaltsam, anhängend dem zuverlässigen Wort nach der Lehre, damit er fähig sei, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen als auch die Widersprechenden zu überführen (1,7‒9).
Es ist klar, dass die dargelegte Begründung wertlos wäre, wenn „der Aufseher“ und „der Älteste“ nicht identisch wären. Titus sollte in jeder Stadt Älteste ernennen, wie der Apostel ihm aufgetragen hatte: „Wenn jemand untadelig ist“ und so weiter, „denn der Aufseher muss untadelig sein“ und so weiter. Daher ist der Episkopale gezwungen, seine Idee aufzugeben, dass der Bischof und die Ältesten in der Schrift zwei eigenständige Ämter darstellen, und dazu getrieben, den Prototyp des modernen Bistums in einem solchen wie Titus zu suchen. Obwohl Titus natürlich Älteste in Kreta einsetzte, widerlegt der Brief an Titus selbst, aber auch andere Schriftstellen die Annahme, dass es fortdauernd Personen geben würde, die Älteste einsetzen.
Der Älteste ist ein Ausdruck für die Würde der Person, die sich aus dem Respekt vor dem Alter ergibt; nicht, dass der Älteste ein alter Mann sein muss, aber jemand mit Erfahrung. So wurde der Titel abgeleitet und angewendet, auch wenn kein hohes Alter vorhanden war, eine Person aber die notwendigen Eigenschaften aufwies. Der Aufseher drückt eher das Wesen des Amtes aus, das darin bestand, über die Gläubigen moralisch Rechenschaft abzulegen und die göttliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Aufsicht war, kurz gesagt, eine beständige Pflicht im privaten und öffentlichen Bereich.
Daher war es eine primäre Voraussetzung, dass der Aufseher selbst untadelig oder frei von Anklagen gegen ihn als Gottes Verwalter sein sollte. Er hatte ein leitendes Amt und darin eine moralische Verantwortung vor Gott. Der Apostel spricht in 1. Korinther 4,1 von sich selbst und von seinen Mitarbeitern als „Verwalter der Geheimnisse Gottes“. Hier ist nicht von „Geheimnissen“ die Rede. Es handelte sich nicht um die sogenannten Sakramente, sondern um die neuen und bisher noch unbekannten Wahrheiten der neutestamentlichen Offenbarung. Nirgendwo in der Schrift wird die Taufe oder das Abendmahl des Herrn als „ein Geheimnis“ bezeichnet, obwohl der abergläubische Gebrauch bald wie eine Flut hereinbrach, nachdem die inspirierten Apostel weggegangen waren. Das ewig widerliche Papsttum missbraucht beispielsweise Epheser 5,32, wo „das Geheimnis“ der Vereinigung der Versammlung mit Christus für den gottgefälligen Lebenswandel von Ehemann und Ehefrau verwendet wird; als ob es der Vorstellung, dass die Ehe „ein Sakrament“ sei, Recht gäbe.
Doch was ist das Ergebnis dieser unnatürlichen Darstellung? „Dies ist ein großes Sakrament; ich aber spreche von Christus und von der Kirche“: eine Abschrift der Vulgata des Hieronymus und eine grobe Travestie des göttlichen Geistes im inspirierten Griechisch. Sogar Kardinal Cajetan und Dr. Estius entlarven den Irrtum. Er ist sowohl in der Substanz als auch in der Form falsch, dient aber, wie es sich für einen Irrtum gehört, dazu, ein Sakrament von rein menschlicher Erfindung zu sanktionieren. In keinem Sinn wird von der Ehe als von einem „Geheimnis“, noch weniger von einem „Sakrament“ gesprochen, sondern in Bezug auf Christus und die Versammlung, die so vereint sind, dass Er das Haupt ist und sie der Leib. Dieses Geheimnis ist in der Tat groß; und es ist das einzige, von dem hier gesprochen wird. Man beachte die Betonung: „Ich sage es aber“ (Eph 5,32) und so weiter im genauen, wenn auch vorweggenommenen Gegensatz zu den menschlichen Gedanken. Dann wendet er sich im folgenden Vers der natürlichen Beziehung zu, die von Gott in Eden eingesetzt und seither sanktioniert wurde, im völligen Gegensatz zu einem „Geheimnis“.
Wieder sehen wir seine Inkonsequenz, wenn wir den Test der Schrift anwenden. Hat das Papsttum jemals „das Sakrament der Gottseligkeit“ (1Tim 3,16) eingesetzt? Auf der Stirn der großen Hure, die auf den sieben Hügeln sitzt, hat Gott geschrieben: „Geheimnis, Babylon, die große“ (Off 17,5). Das hat den gleichen Anspruch, nämlich keinen, „ein Sakrament“ zu sein; wenn doch, wie unheilvoll und schrecklich!
Selbst die sieben, die in den ersten Tagen von Apostelgeschichte 6 für die äußere Bedienung der Tische ausgewählt wurden, wurden durch apostolische Handauflegung über dieses Geschäft eingesetzt. Wahrscheinlich wurden die gleichen Hände in ähnlicher Weise auf die Ältesten gelegt, die nicht von den Jüngern gewählt worden waren. Aber es wird ausdrücklich von denen gesagt, die zur diakonischen Arbeit gewählt wurden. Gerade sie brauchten und hatten seine Unterstützung für das, was sonst vielleicht nur weltlich erschien.
Nun ist es von einiger Wichtigkeit zu beachten, dass der Älteste oder Aufseher kein Lehrer sein musste; noch weniger stand er an der höheren Stelle eines Apostels oder Propheten. Dennoch muss er fähig sein, mit der gesunden Lehre zu ermahnen, wie wir in diesem Zusammenhang bald bestätigt sehen werden, auch wenn er nicht die besondere Gabe des Lehrers besitzt. Aber was auch immer seine Aufgabe sein mag, er muss als Gottes Verwalter handeln, der sich offenkundig mit den Interessen seines Hauses identifiziert. Das gibt Ernsthaftigkeit in der Sache, denn es setzt moralischen Mut bei den Menschen und Abhängigkeit von Gott und seinem Wort voraus.
Er darf „nicht eigenmächtig“ (oder eigensinnig) sein. Es ist der gröbste Irrtum, dass Eigenwille Mut bedeutet, obwohl er zu Unbesonnenheit oder sogar Leichtsinn führen kann. Nichts gibt so viel ruhige Festigkeit wie das Bewusstsein, den Willen Gottes zu tun. Man kann dann bescheiden und geduldig, aber kompromisslos sein. Wir sind als Kinder Gottes „auserwählt nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“ (1Pet 1,2). Kein Prinzip hat für die Praxis Vorrang vor diesem Gehorsam. Er ist die wahre Ausübung des uns gegebenen Lebens Christi. Eigenwille missachtet hochmütig sowohl Gott als auch den Menschen. Wie schändlich wäre das für einen Aufseher!
Nochmals, er darf nicht „zornmütig“ oder jähzornig sein. Kaum etwas schwächt die Autorität mehr als die Anfälligkeit für Zornesausbrüche. Das Gewicht einer Zurechtweisung, wie gerecht sie auch sein mag, geht leicht verloren, wenn ein Mann von zorniger Hitze überwältigt wird. Gelassenheit gibt einer notwendigen Zurechtweisung Gewicht und Kraft.
Die nächste Verneinung, „nicht dem Wein ergeben“, ist vielleicht ein bildlicher Ausdruck; wörtlich bedeutet er, nicht lange über dem Wein zu verweilen oder dadurch unordentlich zu sein. Daher bedeutet er im Allgemeinen: „nicht ein Streithahn“. Zweifellos ist die wörtliche Bedeutung, dem Wein oder dergleichen verfallen zu sein, zwingend ausgeschlossen. Die Tatsache scheint durch μέθυσος dargestellt, die Gewohnheit durch πάροινος. Sogar wenn ein Christ frei vom Verdacht einer so bösen Quelle wäre, der leicht erregbare, lärmende und streitsüchtige Charakter macht untauglich und ist eines Aufsehers Gottes unwürdig. Der Aufseher darf kein Streithahn sein.
Wenn sich diese Unbeherrschtheit auf eine solche Quelle bezieht, geht die nächste weiter hinunter auf die viel niedrigere Ebene der körperlichen Unbeherrschtheit: Er soll „kein Schläger“ sein. Hier gibt es eine noch weniger anscheinende Gewalt, wobei das eine ganz natürlich zum anderen führt. Der Aufseher darf weder das eine noch das andere sein. Wenn er der Autoritätsträger vor Ort ist, die von einer noch höheren Autorität im Namen des Herrn eingesetzt wurde, darf er diesen Namen keinesfalls auf irgendeine Art und Weise entwürdigen, die der seinen widerspricht.
Es gibt noch eine andere Eigenschaft, zu der Männer in Autorität häufig neigen, die aber eines Aufsehers unwürdig ist: Er darf nicht schändlichem Gewinn nachgehen, er muss entschieden gegen die Gier nach schmutzigem Gewinn sein. Wer berufen ist, vor Gott unter den Gläubigen zu führen, muss sich selbst mindestens so sehr vor diesem entwürdigenden Übel hüten wie vor dem der Gewalt. Wenn er selbst in diesen Dingen fehlt, auf welche Weise kann er dann diese Sünden zurechtweisen, wie es seine Pflicht ist?