Behandelter Abschnitt Tit 1,7-9
Bezüglich der erforderlichen persönlichen Eigenschaften des Ältesten weist der Apostel zunächst auf fünf negative Eigenschaften hin.
1. Er soll «nicht eigenmächtig» sein. Das Vorhandensein dieser ersten negativen Eigenschaft ist leider nur zu häufig unter den Kindern Gottes. Gewisse Geister kann man nie von ihrer eigenen Meinung abbringen. Diesem Verhalten liegt viel Selbstzufriedenheit, Eigensinn und eigentlich viel Selbstsucht und Hochmut zu Grunde, mit einem Eigenwillen, der sich den Gedanken anderer nicht unterwerfen will, vergessend, dass gesagt ist: «Einander unterwürfig in der Furcht Christi» (Eph 5,21). Dieser Fehler allein schon macht einen Christen unfähig, ein Aufseher zu sein, das heisst, das Haus Gottes weise zu verwalten; daher ist er in der Liste der Dinge, die einen Bruder zum Ältesten ungeeignet machen, an erster Stelle. Eine gute Verwaltung ist unmöglich ohne Selbstverleugnung.
2. Nicht zornmütig.» Ein jähzorniger Mann hat nicht die weise und ruhige Selbstbeherrschung. Wie sollte er da andere leiten können?
3. «Nicht dem Wein ergeben.» Hier geht es nicht um einen Trunkenbold, von dem gesagt ist, dass er das Reich Gottes nicht ererben werde, sondern um eine Gewohnheit der Unenthaltsamkeit, verbunden mit Zorn, welche oft dessen Ursache ist.
4. «Nicht ein Schläger.» Schlagen ist die Folge von Zorn.
5. «Nicht schändlichem Gewinn nachgehend.»1 Auch von den Diakonen oder Dienern wird in Timotheus 3,8 gesagt: «nicht vielem Wein ergeben, nicht schändlichem Gewinn nachgehend». Der gleiche Ausdruck wird in 1. Petrus 5,2 auf die Ältesten angewandt: «Aufsicht nicht aus Zwang, sondern freiwillig, auch nicht um schändlichen Gewinn, sondern bereitwillig.» Es ist schändlich, sein Amt als Aufseher im Blick darauf auszuüben, einen finanziellen Gewinn daraus zu ziehen. Geld um des Geldes willen zu lieben, ist eine schreckliche Schlinge und verleitet, es überall und mit allen Mitteln zu suchen.
Im achten Vers finden wir sieben positive Eigenschaften des Ältesten. Bevor ich sie aufzähle sei darauf hingewiesen, dass nach 1. Timotheus 3,2-4 vierzehn Eigenschaften den Ältesten zieren sollen, freilich mit negativen Eigenschaften vermischt. Dort ist die Liste also vollständiger als hier (sozusagen zweimal vollkommen). Die Zahl 7 spielt im Worte Gottes im moralischen Sinn eine grosse Rolle und sogar auch, wie einige bemerkt haben, in der rein äusserlichen Struktur der Heiligen Schrift. Sieben ist die Zahl der Vollkommenheit in Verbindung mit der göttlichen Verwaltung. Im Timotheusbrief ist das Amt der Ältesten durch die Zahl 14 gehoben, gegenüber den Funktionen der Diener und Dienerinnen, von denen nur 7 Eigenschaften angeführt sind.
Treten wir jetzt auf die positiven Eigenschaften des Ältesten ein, die in Titus 1 aufgezählt sind.
«Gastfrei». Gastfreundschaft lässt sich nicht mit Gewinnsucht und Geiz vereinbaren. In Hebräer 13,1.2 wird diese Gastfreundschaft allen Heiligen anempfohlen; sie habe oft dazu geführt, göttliche Boten als Träger besonderer Segnungen zu beherbergen. Hier soll der Aufseher weder seine Bequemlichkeit suchen, noch sich vor der Störung seiner Gewohnheiten fürchten. Sein Haus soll allen offen stehen; es soll einladend sein in dem kleinen Kreise, der ein Bild ist von dem grossen Bereich des Hauses Gottes, das die Ältesten örtlich verwalten.
«Das Gute liebend.» Das ist mehr als «das Böse hassen». Im letzteren Fall beschäftigt das Böse die Gedanken, im Blick darauf, sich davon abzusondern; im ersten Fall aber sind sie mit dem Guten beschäftigt, um es zu geniessen. Die unmittelbare Folge ist die, dass man sich mit den Menschen des Guten verbindet und mit ihnen Gemeinschaft hat.
«Besonnen, gerecht.» Ein besonnener und gerechter Mann ist umsichtig, ausgeglichen, er lässt sich nicht vom ersten Eindruck bestimmen und bewegen und weis die Umstände, in denen sich die andern befinden, gerecht abzuwägen.
«Fromm» (heilig). Fromm sein heisst: heilig sein in seinem Wandel und Gott wohlgefällig in seinen Wegen, ein Leben führen, worin Gott Mittelpunkt ist, ein durch Gott genährtes und geregeltes Leben.
«Enthaltsam.» So haben die fleischlichen Leidenschaften keine Gelegenheit, sich zu offenbaren, und die natürlichen Begierden sind unterdrückt.
«Anhangend dem zuverlässigen Worte nach der Lehre.» Die Aufgabe des Ältesten war, dem Worte unerschütterlich anzuhangen und es aufrechtzuhalten. Es war das zuverlässige Wort, nach der Lehre der Apostel, das nicht täuscht, auf das man sich unbedingt stützen kann, weil es das Wort des treuen Gottes ist. Aber der Älteste konnte nicht im Ursprung der sein, «der da lehrt»; er war selber unterwiesen worden durch die den Aposteln anvertraute Lehre, durch die gesunden Worte, die sie mitzuteilen beauftragt waren, und diese Worte waren nichts anderes als die «von Gott eingegebene Schrift», in den Mund der Apostel gelegt, und der Älteste musste sie daher festhalten. Die Lehre war also nichts anderes als die volle Anerkennung des Wortes, denn sie war eins mit ihm. Das Wort, vorgestellt durch schriftgetreue Unterweisung, gilt es festzuhalten, nicht eine Lehre, die man daraus entwickelt.
Dieses Festhalten am Wort machte den Ältesten fähig, (die Treuen) mit der gesunden Lehre zu ermahnen, als auch die Widersprechenden zu überführen (die sich der christlichen Lehre widersetzen).
Die durch die Liebe zum Worte Gottes erworbene Fähigkeit war eines der Dinge, die der Älteste nötig hatte. Wenn es darum geht, die Ordnung im Hause Gottes aufrechtzuhalten, genügen die sittlichen Eigenschaften und der persönliche Wandel nicht. Zweifellos, wenn sie nicht vorhanden waren, so bestand keinerlei moralische Autorität für die Verwaltung, aber es ist tatsächlich keine Verwaltung möglich, wenn sie nicht das Wort zur Grundlage und zur Richtschnur hat.
Diese Dinge wurden von den Dienern, in 1. Timotheus 3,8-10, nicht verlangt, ausgenommen dieses, dass sie «das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen bewahren» sollten. In diesem gleichen Kapitel finden sich zwei Geheimnisse, das des Glaubens und das der Gottseligkeit «Das Geheimnis des Glaubens» ist die Gesamtheit der Wahrheiten, die jetzt geoffenbart, dem Glauben angehören. Es brauchte für den einfachen Dienst eines Diakonen eine Vertrautheit mit den grossen Linien des Wortes, die das Gewissen erreicht haben mussten, um darin bewahrt zu werden. Das gab dem bescheidensten Dienst, wie dem die Tische bedienen, einen besonderen Wohlgeruch, aber es bereitete den Diener zu, «voll Gnade und Kraft» zu sein, wie Stephanus, der dann berufen wurde, ein öffentliches Zeugnis vor der Welt abzulegen.
Die Verantwortung des Ältesten ist viel weitgehender als die der Diener, die übrigens im Titusbrief nicht erwähnt sind, was leicht erklärlich ist: es war die Versammlung, welche die Diener wählte. Jene Diener in Apostelgeschichte 6,3-5 wurden erst nachher durch die Apostel zu einem besonderen Dienst eingesetzt. Um die Ordnung zu beaufsichtigen oder aufrechtzuhalten muss man oft ermahnen oder die Widersprechenden überführen. Die Grundlage der Ermahnung selbst ist die gesunde Lehre, und wir haben hier Gelegenheit festzustellen, was wir am Anfang sagten, dass praktische Heiligkeit und ein gerader und gottseliger Wandel von der gesunden Lehre unzertrennlich sind und ohne diese nicht bestehen können, was die Menschen auch immer sagen mögen. Durch diese allein auch können die Widersprechenden zum Schweigen gebracht und gehindert werden, durch Widerstand gegen die Wahrheit die Versammlung anzustecken.
Man sieht also, welche Wichtigkeit der Funktion des Aufsehers beigemessen wird, wenn auch die Sphäre seines Dienstes auf die örtliche Versammlung begrenzt ist. Dieses Amt muss folglich den lokalen Umständen der Versammlung angepasst sein, in welcher es ausgeübt wird. So war es, wie wir noch sehen werden, in den Versammlungen in Kreta. Darum waren auch die erforderlichen Eigenschaften der Ältesten hier nicht unbedingt die gleichen, wie in der ersten Epistel an Timotheus, wo es sich um die Versammlung in Ephesus handelte.
Die Ältesten waren nicht Gaben des Heiligen Geistes, gekennzeichnet durch Allgemeinheit (Universalität) ihrer Wirksamkeit, sondern ihre gewohnte Tätigkeit war das praktische Ergebnis eines heiligen, gottseligen hingebenden Lebens, das am Worte festhielt. Aber das Amt des Ältesten schloss die Gabe nicht aus, so wenig wie dies beim Amt des Dieners der Fall war. Das sehen wir aus der wunderbaren Predigt des Stephanus in Apostelgeschichte 7. Das finden wir auch in 1. Timotheus 5,17. Aus dieser Stelle geht hervor, dass nicht alle Ältesten «in Wort und Lehre arbeiteten». Ihre Tätigkeit auf diesem Gebiet wird als vortreffliche Ausnahme bezeichnet, in bezug auf die Hilfe doppelter Ehre würdig, in welcher Art ihnen diese auch immer geleistet werden sollte.
1 Hier besteht die Schande nicht eigentlich in der Liebe zum Geld, die nach 1Tim 3,3 beim Ältesten nicht sein darf, sondern in der Liebe zum Gewinn, zu der die Geldliebe führt. Diese Gewinnsucht wird mit Recht als schändlich bezeichnet, weil dabei heilige Funktionen, die kein anderes Motiv haben sollten als selbstlose Hingabe für das Haus Gottes, zur Befriedigung niederer Begierden missbraucht und ausgenützt werden.↩︎