Behandelter Abschnitt 1Tim 5,9-16
Als nächstes behandelt der Apostel die besondere Versorgung einer Witwe, die niemanden hatte, der für sie sorgte. Die Gnade ist der Lebensatem des Gläubigen und der Versammlung; aber die Gnade steht in Harmonie, nicht in Konflikt mit der Rechtschaffenheit. Es gibt Umstände und Grenzen, die nicht ohne Verlust für den Menschen und ohne Unehre für Gott vernachlässigt werden können.
Eine Witwe werde verzeichnet, wenn sie nicht weniger als sechzig Jahre alt ist, die Frau eines Mannes war, ein Zeugnis hat in guten Werken, wenn sie Kinder auferzogen, wenn sie Fremde beherbergt, wenn sie der Heiligen Füße gewaschen, wenn sie Bedrängten Hilfe geleistet hat, wenn sie jedem guten Werk nachgegangen ist. Jüngere Witwen aber weise ab; denn wenn sie üppig geworden sind gegen Christus, so wollen sie heiraten und fallen dem Urteil anheim, weil sie den ersten Glauben verworfen haben. Zugleich aber lernen sie auch, müßig zu sein, indem sie in den Häusern umherlaufen; nicht allein aber müßig, sondern auch geschwätzig und vorwitzig, indem sie reden, was sich nicht geziemt. Ich will nun, dass jüngere Witwen heiraten, Kinder gebären, den Haushalt führen, dem Widersacher keinen Anlass der Schmähung wegen geben; denn schon haben sich einige abgewandt, dem Satan nach. Wenn ein Gläubiger oder eine Gläubige Witwen hat, so leiste er ihnen Hilfe, und die Versammlung werde nicht belastet, damit sie denen Hilfe leiste, die wirklich Witwen sind (5,9–16).
Hier handelt es sich vielmehr um eine Witwe in einer bevorrechtigten, wenn auch nicht offiziellen Stellung. Aber es gibt keinen Hinweis auf eine Klasse von Diakonen, da das Alter gegen jede große Aktivität von persönlichen Pflichten dieser Art spricht; auch nicht auf eine presbyteriale Art, obwohl die geringste Grenze von sechzig Jahren zu ihrer Unterstützung geltend gemacht werden könnte. Aber im Zusammenhang fehlen solche Funktionen völlig, was auch immer Gelehrte aus den Kirchenvätern, dem Griechischen oder Lateinischen argumentieren mögen, um die Idee zu bestätigen, dass es sich um weibliche Vorsteherinnen handelt. Der Apostel scheint einfach solche Witwen in Betracht zu ziehen, die die Versammlung auf die Liste ihrer Fürsorge und Freigebigkeit setzen muss; und daher spricht er von vergangenem Leben und Wegen, nicht von zukünftigen Pflichten, die kleiner oder größer sind.
Es gibt also eine gewisse Abstufung bei denen, die beschrieben werden:
die Witwen im Allgemeinen
die Witwen in Wirklichkeit
die Witwen auf der Liste der besonderen Anerkennung der Versammlung
Aber keine Spur erscheint von einer organisierten, noch weniger von einer ordinierten Klasse von Witwen, wie sie danach existiert haben soll. Es gibt zunächst ein Alter, das für die Liste ausreichend fortgeschritten ist, unabhängig von irgendeiner behindernden Krankheit, die die jüngste Person, wenn sie mittellos ist, zu einer gnädigen Berücksichtigung empfehlen könnte. Als nächstes wird verlangt, dass sie die Frau eines Mannes gewesen sein muss. Damit kann man Lukas 2,36.37 vergleichen, obwohl es keinen direkten Bezug zu 1. Timotheus 3,2 hat, das folglich keine Illustration daraus ableitet.
Dann wird ihr allgemeiner Charakter in Bezug auf ehrbare Werke hervorgehoben. Das Aufziehen von Kindern (nicht unbedingt die eigenen) wird nicht vergessen, ebenso wie die Ausübung von Gastfreundschaft gegenüber Fremden. Selbst das allein würde nicht den christlichen Stempel tragen; und der Apostel fügt jene bescheidene Handlung hinzu, die von unserem Herrn selbst in Johannes 13 einer tieferen Bedeutung geweiht wurde – die Fußwaschung der Gläubigen; die sicher einen starken Impuls von jenem gesegneten Beispiel erhalten würde, obwohl sie leider in Tagen der Entartung zu Eitelkeit oder einem sektiererischen Abzeichen verkommt. Es folgt Hilfe für notleidende Menschen in jeder Form und allgemeiner Fleiß in allem, was aktive Wohltätigkeit erforderte. Witwen, von denen man wusste, dass sie so gelebt hatten, sollten von der Versammlung besonders in Erinnerung behalten werden, ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass sie mit kirchlichen Funktionen für die Zukunft ausgestattet werden sollten. Wenn man sich um sie kümmerte, würden sie sicher nicht aufhören, sich um andere zu kümmern: Gottesfürchtige und gütige Gewohnheiten ändern sich nicht so; und die Versammlung sollte solche Witwen nicht vernachlässigen, sondern ehren.
Jüngere Witwen hingegen sollte Timotheus abweisen – sicherlich was die Liste betrifft, von der wir gerade gehört haben, wie ältere sonst dafür geeignet sind; und vielleicht sogar noch allgemeiner. Der Apostel fügt einen Grund hinzu, der nicht verfehlen würde, auf den empfindsamen Geist des Arbeiters einzuwirken, den er anspricht. Es ist von großem Wert zu sehen, wie Christus und nicht moralische oder kluge oder persönliche Erwägungen die Gedanken des Apostels bewegen. So sollte es auch bei uns sein. Die jungen Witwen werden nach ihrer Beziehung zu Christus beurteilt. Vielleicht hätte man gerade von ihnen erwarten können, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung der Trauer empfinden, dass die Zeit knapp ist und dass die Form dieser Welt vergeht (1Kor 7,29-31). Aber sie verlieren Christus und sein Handeln mit ihnen aus den Augen und achten auf sich selbst. Statt zu versuchen, Ihm zu gefallen, werden sie üppig gegen Ihn und können nicht ruhen, ohne zu dem Stand zurückzukehren, der sich gerade für sie geschlossen hatte. Hier steht nichts von Gelübden oder Ämtern, sondern was aus einer jüngeren Witwe wurde, die auf Christus wartete, wie alle Gläubigen aufgerufen sind, auf Ihn zu warten.
Ein Versagen im Glauben hat ernste Folgen für solche, die den Namen des Herrn tragen. Andere mögen mehr durch ihren Charakter, ihren Wert für die gesellschaftliche Meinung oder andere, in der Welt übliche, minderwertige Motive zurückhaltend sein. Aber bekennende Christen, wenn sie einen wahren Standpunkt einnehmen und davon abweichen, fallen tiefer als andere; und keiner so sehr wie diejenigen, die sich auf ihre Treue berufen. Der Glaube allein hält die demütige Abhängigkeit vom Herrn aufrecht. Die, von denen der Apostel handelt, rutschen, nachdem sie die Frische des Glaubens abgelegt haben, immer tiefer. „Zugleich aber lernen sie, müßig zu sein, indem sie in den Häusern umherlaufen“ (V. 13a), das heißt, allgemein als Heilige bekannt zu sein; „nicht allein aber müßig, sondern auch geschwätzig und vorwitzig, indem sie reden, was sich nicht geziemt“ (V. 13b). Es ist ernst, aber wie wahr! War es nicht geboten und heilsam? Wie oft entsteht aus einem scheinbar kleinen Aufbruch ein großes Übel? Dem Wort Gottes zu glauben, bedeutet, gewarnt und durch die Gnade bewahrt zu werden.
So wie der Apostel in 1. Korinther 7 zwar sein Urteil darlegt, kleidet er aber nicht alles in der Art eines Gebots (V. 25.40). So auch hier: „Ich will nun, dass jüngere Witwen heiraten, Kinder gebären, den Haushalt führen, dem Widersacher keinen Anlass der Schmähung wegen geben; denn schon haben sich einige abgewandt, dem Satan nach“ (V. 14.15). Das war sehr schmerzlich für jemand, der die Versammlung liebte. „So ist sie frei, sich zu verheiraten, mit wem sie will, nur im Herrn“ (1Kor 7,39).
Es scheint eigenartig, dass die englischen Versionen seit Tyndale nach „jüngere“ noch „Frauen“ eingefügt haben; denn es sind nur Witwen gemeint, wie Wiclif richtig wiedergegeben hat. Das Römische scheint genau zu sein, indem es weder das eine noch das andere ausdrückt; aber die griechische Form schließt die Notwendigkeit aus, Frauen hinzuzufügen, und der Zusammenhang ist entscheidend, dass der Apostel von keiner anderen als denen spricht, die ihre Ehemänner verloren hatten.
Wie anders als die Schrift ist das erzwungene Zölibat der Nonnen, ganz zu schweigen von den Mönchen und Priestern! Zu welchen sittlichen Ungeheuerlichkeiten, wie auch zu welchem Elend, hat dieser kühne Eingriff in Gottes Vorrecht seit Jahrhunderten Anlass gegeben! Und doch muss kein Zweifel daran bestehen, dass sie aus dem Wunsch nach gründlicher Frömmigkeit entstanden ist. Die gebührenden Grenzen sind in Matthäus 19,11.12 und in 1. Korinther 7 wie auch hier festgelegt. Der unverheiratete Zustand hat dort seine Vorteile, wo die Gnade den gebührenden inneren Zustand schenkt, der sicherlich zu den entsprechenden äußeren Umständen passt und zu einem solchen Leben und Dienst führt, wie wir es bei dem Apostel selbst sehen. Aber dies ist nicht allen gegeben, noch ist es des Menschen Wille, sondern der göttlichen Gnade. Macht es zum Gesetz, und die Gnade wird zerstört; und ein schnelles Ergebnis von Sünde, Schande und Elend verkündet die Weisheit der Wege Gottes und die Torheit der Christenheit. In der Anmaßung, es besser zu machen, sind sie gewohnheitsmäßig nicht nur in die Verletzung der allgemeinen Moral gefallen, sondern in unsägliche Schändlichkeit, bedeckt mit dem Schleier der Heuchelei, zum Verderben der Menschen und zum gegenwärtigen weltlichen Vorteil derer, deren unerschütterlicher Instinkt es ist, das Böse zu tun, damit das Gute komme, deren Urteil gerecht ist.
Die äußere Autorität für die kürzere Lesart (V. 16), πιστή (ﬡ A C F G P und so weiter, mit einigen alten Versionen und Vätern) ist so entschieden, dass sie die wichtigsten modernen Kritiker, die Revisoren und andere, überzeugt hat; aber der daraus resultierende Sinn ist seltsam und unbefriedigend. Warum sollte die Unterstützung oder Erleichterung einer jungen Witwe auf eine gläubige Frau in besonderer Weise geworfen werden? Entspricht dies der Nüchternheit, der Weitläufigkeit und der Weisheit der Heiligen Schrift? Dass ein gläubiger Mann oder eine gläubige Frau im Namen einer solch bedürftigen Verbindung angerufen werden sollte, ist sehr verständlich; und der Text, der dies zeigt, wird von D K L und den meisten Kursiven gegeben, mit einigen alten Versionen und Vätern. Die Anweisung in Vers 16 ist keineswegs eine bloße Wiederholung der in den Versen 4 und 8 niedergelegten Grundsätze. In dem früheren Fall (V. 4), wenn eine Witwe Kinder oder Nachkommen hatte, sollten sie, bevor andere mit Recht herangezogen werden konnten, fromme Fürsorge für ihre Familie als Gegenleistung für ihre Eltern erlernen; und dies wird (V. 8) als eine Pflicht der Versorgung durchgesetzt, die so eindeutig ist, dass ein Versäumnis darin als Verleugnung des Glaubens angeprangert wird, so jemand ist sogar schlimmer als ein Ungläubiger. Dann, nachdem wir eine Witwe beschrieben finden, die hier nicht einfach nur Respekt verdient, wie in Vers 5, noch Tadel, wie in Vers 6, sondern auf die Liste der Unterstützung der Versammlung gesetzt wird (wie in V. 9.10), werden wir mit der heiklen Frage, besonders für jemand wie Timotheus, der jüngeren Witwen konfrontiert, deren Gefahren dargelegt werden, beantwortet durch den Willen des Apostels über sie. Es folgt die Aufforderung an jeden gläubigen Mann oder jede gläubige Frau, die mit solchen in Verbindung steht, dass denen, die wirklich Witwen waren, Erleichterung gewährt werden sollte. Hier ist keine Rede von einem Skandal oder von Untauglichkeit für offizielle Aufgaben: In der Tat ist das Letztere nirgendwo, außer in der Vorstellung der Menschen jetzt oder in der Tat zu irgendeiner Zeit nach dem apostolischen Zeitalter.