Behandelter Abschnitt 1Tim 1,8-11
Aber, ruft ein Möchtegern-Gesetzeslehrer, identifiziert nicht Römer 13,10 („so ist nun die Liebe die Summe des Gesetzes“) das Gebot hier doch mit dem „Gesetz“? Gerade das Gegenteil wird dadurch bewiesen: Denn der Christ, liebt in der neuen Natur, die ihn jetzt kennzeichnet, nicht als Forderung unter dem Gesetz, sondern als Ausströmen seines Lebens in Christus. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses; die Liebe ist also die Erfüllung oder volle Ergänzung des Gesetzes, aber dieses Ergebnis kommt dadurch zustande, dass er unter der Gnade und nicht unter dem Gesetz steht. Die Auslegung von zu vielen, Alten und Modernen, ist genau das Prinzip, das hier angeprangert wird. Ihre Unwissenheit, so der Apostel, ist vollständig. Sie verstehen weder das, was sie sagen, noch die Frage, über die sie so dogmatisieren. Während die Gnade den Missbrauch des Gesetzes aufdeckt und zurückweist, um den Menschen, so wie er ist, zu erdrücken und das Eingreifen der göttlichen Barmherzigkeit in Christus zu verdunkeln, rechtfertigt sie gleichzeitig ihren wahren Platz als eine Sache der geistlichen Erkenntnis, der sich alle Christen bewusst sind.
Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn jemand es gesetzmäßig gebraucht, indem er dies weiß, dass für einen Gerechten das Gesetz nicht bestimmt ist, sondern für Gesetzlose und Zügellose, für Gottlose und Sünder, für Unheilige und Ungöttliche, für Vaterschläger und Mutterschläger, für Menschenmörder, Hurer, Knabenschänder, Menschenräuber, Lügner, Meineidige und wenn etwas anderes der gesunden Lehre entgegen ist, nach dem Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes, das mir anvertraut worden ist (1,8–11).
Die Fabeln der menschlichen Phantasie waren böse und unfähig zu irgendeinem nützlichen Gebrauch. Die Wahrheit ist die Antwort auf die Nöte eines aufgewühlten Herzens und die Fragen eines geübten Gewissens; aber endlose Geschlechtsregister waren Unsinn und konnten nur Fragen aufwerfen.
Aber es gab noch eine andere und kaum wahrnehmbare Gefahr – den Missbrauch des Gesetzes Gottes durch den Menschen, der weithin und dauerhaft, und leider auch allzu oft gottesfürchtige Seelen, in die Irre geführt hat. Aber das ist nicht das Endziel des Gebotes Gottes, das im Glauben liegt, ebenso wenig wie das Ende des Gebotes an Timotheus. Und doch ist das Gesetz gut, wenn man es recht gebraucht. Haben die, die das Gesetz missbrauchen, das innere Bewusstsein, dass das Gesetz nicht für den Gerechten, sondern für den Gesetzlosen und Zügellosen und für andere Übeltäter gemacht ist? Ganz anders war ihre Vorstellung. Hierin, damals wie heute, verraten die Menschen ihre Unfähigkeit, Gottes offenbarte Gedanken zu erkennen. Das Gesetz handelt nicht mit dem Guten, sondern mit dem Bösen. Das Gesetz wurde erlassen, um zu erkennen, zu verurteilen und zu bestrafen. Das Gesetz hat nie einen „gerechten Menschen“ gemacht, noch weniger einen „guten“ Menschen, wenn man die Unterscheidung in Römer 5,7 zitieren darf. Es ist eine scharfe Waffe, um Übertreter zu verwunden und zu töten; es war nie dazu bestimmt, Motive der Rechtschaffenheit oder einen Wandel wahrer Rechtschaffenheit zu formen. Seine Vorzüglichkeit liegt darin, dass es das Böse nicht verschont; und der Mensch ist böse, und zwar von Natur aus. Nicht das Gesetz, sondern die Gnade rettet die Sünder. Nicht das Gesetz, sondern „die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, damit wir, die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus“ (Tit 2,11-13).
Hier wendet sich die Theologie von der Wahrheit ab, und selbst gute Menschen ignorieren die Quelle all dessen, was sie durch die Erlösung, die in Christus ist, und den Glauben, der sie so auf Gott vertrauen lässt, zu dem gemacht hat, was sie sind. Es spielt keine Rolle, dass der Apostel an anderer Stelle erklärt, dass durch das Gesetz Erkenntnis der Sünde kommt, dass es Zorn wirkt, dass es die Macht der Sünde ist, dass es ein Dienst des Todes und der Verdammnis ist, dass so viele, die unter seinen Werken sind, unter dem Fluch sind, dass es um der Übertretungen willen hinzugefügt wurde. Sie wollen, dass das Gesetz für die Gerechten als Lebensregel gegeben wurde, obwohl es die klare, unvermeidliche Schlussfolgerung aus den Worten vor uns ist, dass dies genau das ist, was der Apostel ausdrücklich im Blick auf das Gesetz leugnet. Es ist Christus, der vor allem durch den Glauben an dem Gläubigen wirkt. Daher braucht er das Wort Gottes als Ganzes in seinem Leben, und der Geist hilft ihm, es in der Praxis anzuwenden. Das ist das Geheimnis der wahren sittlichen Verhaltens des Christen, das in göttlicher Weisheit das Herz beständig mit dem Heiland verbindet und das geschriebene Wort zum ständigen Nachdenken, zum Trost und zur gewissenhaften Anwendung im Geist macht, aber alles im Sinne der wahren Gnade Gottes, in der wir stehen und zu der wir ermahnt werden. Denn solche übergroßen Vorrechte sind dazu bestimmt, unsere Abhängigkeit von Gott und unser Vertrauen auf seine Liebe Tag für Tag zu vertiefen.
In der gesamten Schrift wird nicht nur zugegeben, sondern es wird darauf bestanden, dass der Christ verpflichtet ist, den Willen Gottes um jeden Preis zu tun, und niemals frei ist, das Fleisch zu befriedigen. Er ist geheiligt zum Gehorsam Jesu Christi nicht weniger als im Besprengen mit seinem Blut (1Pet 1,2). Selbstgefälligkeit ist der Dienst Satans. Aber das Gesetz ist nicht das Maß für den Willen Gottes für den Christen. Es war für Israel; aber wir, obwohl von Natur aus Israeliten, sind ihm durch den Leib Christi gestorben, damit wir einem anderen gehören – dem, der von den Toten auferweckt wurde, damit wir Gott Frucht brächten (Röm 7,4). Dies ist nun die Art der gottgewollten Freiheit vom Gesetz, um Gott mit einer Nähe, Fülle und absoluten Hingabe zu gehorchen, die ein Jude nicht kennt.
Kann irgendetwas weniger befriedigend, ja unnützer sein, als die gewöhnliche Behauptung der Geistlichen, dass Paulus es noch offenlässt, soweit die Schrift spricht, dass das Gesetz die Lebensregel der Christen sei, und dass er es einfach von der Rechtfertigung des Menschen ausschließen will? Nun ist es unbestreitbar, dass er in Römer 6 und 7 den christlichen Wandel und nicht den Glauben zur Rechtfertigung behandelt; und er legt dort fest, dass wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind, und dies als ein Prinzip des Handelns Gottes, dessen Ausdruck daher ohne Artikel gesetzt ist, um über das Gesetz hinauszugehen, obwohl er es völlig einschließt. Genauso ist es hier. Daher irrt Dean Alford, wenn er meint, dass Vers 9 nicht weiter geht als Vers 8, wo der Artikel steht. Es ist weder das noch ein, sondern Gesetz als solches; und das οὐ verneint so etwas wie ein Gesetz, das für einen Gerechten gegeben ist. Gegen die Frucht des Geistes, wie derselbe Apostel in Galater 5,23 sagt, gibt es kein Gesetz. Die allgemeine Form ist in allen Fällen mit oder ohne Präpositionen gemeint, wo der Artikel nicht ist. Winer hat die Leute durch seine Liste von Wörtern (Pt. iii. § 19), die wirklich unter die Regel fallen, irregeführt. Bischof Middleton war näher an der Wahrheit, obwohl er Präpositionen fälschlicherweise zur Ausnahme machte.
Es ist eine bloße Annahme, nicht nur grundlos, sondern gegen die Schrift gerichtet, dass das Gesetz sowohl für einen gerechten als auch für einen sündigen Menschen bestimmt ist, so dass „die Bedeutung der Apostel zweifellos (!) darin besteht, dass es nicht zum Zweck der Rechtfertigung des rechtschaffensten Menschen, der je gelebt hat, bestimmt wurde, sondern um die Bösen durch seine Drohungen und Strafen zu zügeln“ (Macknight’s Apostolical Epp. 512. Tegg, 1835). Dies untergräbt die Schrift, nicht ihre Auslegung. Auch Whitby ist nicht im Geringsten besser, der es als „Verdammung der Gerechten“ versteht. Rechtfertigung und Verdammnis kommen hier nicht in Frage, wo der Apostel von dem Ziel spricht, das mit dem Geben des Gesetzes verfolgt wird, und erklärt, dass es nicht für Gerechte, sondern für Sünder bestimmt ist.
Und ist es nicht schmerzlich lehrreich zu sehen, wie ein einmal eingeführter Irrtum zur Gottlosigkeit führt? Denn die, die so eifrig gegen die einheitliche Lehre des Neuen Testaments ankämpfen und den Christen unter das Gesetz als Lebensregel stellen, behaupten, dass er, wenn er sündigt, wie wir alle es zu oft tun, nicht unter seinem Fluch steht! Soll dies das Gesetz begründen oder aufheben? Wenn Christus gestorben ist und seinen Fluch getragen hat und auch wir mit Ihm gestorben sind und nun nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade stehen, dann bleibt die Wahrheit unangetastet, die Autorität des Gesetzes wird aufrechterhalten, und dennoch haben wir, die wir glauben, volle Befreiung. Wenn wir wirklich unter dem Gesetz wären, was unseren Wandel betrifft, müssten wir verflucht sein, oder man zerstört seine Autorität; wenn wir nicht unter dem Gesetz sind, ist die wahre Bestimmung für die Sünde Christi Fürsprache beim Vater, die uns durch die Waschung mit Wasser und dem Wort zur Buße bringt (1Joh 2,1).
Das Gesetz ist also „für Gesetzlose und Zügellose, für Gottlose und Sünder, für Unheilige und Ungöttliche, für Vaterschläger und Mutterschläger“ und so weiter bestimmt. Das sind die Paare in dieser dunklen Aufzählung menschlicher Verderbtheit: erstens die innere Quelle des Eigenwillens und seine offenere Widerspenstigkeit; zweitens die Pietätlosigkeit Gott gegenüber, schließlich die Bosheit des Menschen; drittens die Respektlosigkeit, schließlich die Gotteslästerung; viertens die unverschämte Gewalt gegen die Eltern, ohne bis zum Töten zu gehen (vgl. 2Mo 21,15). Denn dieses letzte Extrem leitet die allgemeine Gruppe ein, in der einer auf den anderen folgt: „Menschenmörder, Hurer, Knabenschänder, Menschenräuber (oder Entführer), Lügner, Meineidige, und wenn etwas anderes der gesunden Lehre entgegen ist“.
Wahrlich, das Gesetz ist ein Dienst der Verdammnis: Was kann dann zu Leben, Gerechtigkeit und dem Geist führen? Das Evangelium der Erlösung, das auf Christus und seinem Werk beruht, das allein im Glauben empfangen wird: „Das Gesetz ist aber nicht aus Glauben“ (Gal 3,12), wie wir aus der Heiligen Schrift wiederholen. Der Segen kann nicht von Christus getrennt werden; und der Segen ist aus dem Glauben, damit er nach der Gnade sei. Die also, die aus Glauben sind, deren Prinzip der Glaube ist, sind Söhne Abrahams und mit dem gläubigen Abraham gesegnet. Die, die vom Gesetz reden, mögen aus der Fülle ihres Herzens reden, wie sie es gewiss aus Mangel an Glauben tun, und zeigen niemals die guten Werke, nach denen sie rufen, sondern beweisen die Erbärmlichkeit, indem sie Christus verachten. Denn der Geist ist gesandt, um Christus zu verherrlichen; Er wird jemand niemals durch eitle Hoffnungen auf Besserung schmücken oder betrügen.
Aber der Apostel ist vorsichtig, den Schlusssatz hinzuzufügen: „nach dem Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes, das mir anvertraut worden ist“ (V. 11). Die frohe Botschaft darf nicht die Verwerfung des Menschen behaupten, die auf die stärkste Weise angenommen wird. Sie ist mit dem Guten für die schlimmsten Sünder beschäftigt, denn sie ist die Botschaft der Gnade von dem Gott, der in dem Sohn des Menschen verherrlicht wurde und der Ihn jetzt in sich selbst verherrlicht hat, bevor das Reich kommt, in dem Er seine Macht und Herrlichkeit vor allen Augen zeigen wird. Das Evangelium ist erst nach der erwiesenen Schuld und dem unabänderlichen Verderben der ganzen Menschheit an die ganze Schöpfung unter dem Himmel ergangen, so dass, da darin Gottes Gerechtigkeit offenbart wird aus Glauben zu Glauben, damit nicht ein solches zeitliches Gericht offenbart wird, wie wir es unter dem Gesetz sehen, sondern Gottes Zorn vom Himmel über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen (Röm 1,18).
Denn es ist das Evangelium der Herrlichkeit Gottes, nicht „das herrliche Evangelium“, wie es die Genfer Version zum Unglück der Autorisierten anführte, sondern, wie Wiclif, Tyndale und alle anderen, „das Evangelium der Herrlichkeit“. Das ist die Hoffnung, in der wir uns freuen, und das ist der Maßstab, an dem wir alles Böse messen und verwerfen sollen; ein Maßstab also, der angesichts der Herzenshärte des Menschen keine Kompromisse duldet, wie es das Gesetz tat, sondern der absolut intolerant ist gegenüber allem, was dem Wesen und der Gegenwart Gottes in der Höhe widerspricht. Und Gott wird nun als „der selige Gott“ offenbart, weil Er zu uns spricht, nicht in dem Feuer und der Finsternis und dem Unwetter und den noch schrecklicheren Worten des Sinai, sondern in der Fülle der Gnade und Wahrheit Christi, der Ihn auf der Erde verkündet hat und nun in den himmlischen Örtern sitzt, wo wir, die wir glauben, mit jeder geistlichen Segnung in Ihm gesegnet sind (Eph 1,3). Nachdem das Sühnopfer vollbracht und der Erlöser in die Herrlichkeit hinaufgefahren war, war Gott „selig“, in freier Liebe gegenüber den Verlorenen zu handeln; denn dann konnte die Gnade durch die Gerechtigkeit herrschen zum ewigen Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn (Röm 5,21).