Behandelter Abschnitt Röm 10,14-15
Aber diese vorausgesagte weite Öffnung der Tür für jeden, „der irgend den Namen des Herrn anruft“, gibt Anlass zu einer neuen Entwicklung des Arguments. Da die Heiden den Namen des Herrn nicht anriefen, beginnt eine neue Vermittlung zu erscheinen, um sie aus dem Staub des Todes zu erwecken und ein solches Zeugnis zu geben, das ihre Herzen zu Ihm hinziehen sollte. Es wird von den Israeliten gebraucht werden, die auf der ganzen Erde unter den Heiden verstreut sind, wenn ihre Stunde der nationalen Wiederherstellung naht; aber der Geist wendet es hier, wie Er es zweifellos beabsichtigte, mit bewundernswerter Voraussicht auf die Heiden in der Zwischenzeit an. Sie müssen durch das Evangelium gerufen werden, um den Namen des Herrn zur Errettung anzurufen. Die Predigt ist also äußerst charakteristisch für die Wege Gottes, nicht unter dem Gesetz, sondern seit der Erlösung.
Wie werden sie nun den anrufen, an den sie nicht geglaubt haben? Wie aber werden sie an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Wie aber werden sie hören ohne einen Prediger? Wie aber werden sie predigen, wenn sie nicht gesandt sind? – wie geschrieben steht: „Wie lieblich sind die Füße derer, die das Evangelium des Guten verkündigen!“ (10,14.15).
Das Gesetz hat niemanden berufen. Es regelte die Wege des Volkes, dem es gegeben wurde. Und damit war eine Priesterschaft verbunden, die ihre geistlichen Angelegenheiten mit Gott abwickelte, indem sie sich Ihm im Heiligtum näherte und das Volk dort vertrat, sowohl mit Gaben als auch mit Opfern für die Sünden. Doch das Evangelium geht von einem ganz anderen Zustand der Dinge aus, in dem die Gnade Gottes kräftig wirkt, indem sie das gibt und bewirkt, was Ihm selbst entspricht, und zwar aufgrund des erwiesenen Verderbens nicht nur der Heiden, sondern auch der Juden durch die Verwerfung ihres eigenen Messias. Daher erstreckt es sich frei auf alle, nicht nur auf die Juden, sondern auch auf die Heiden; und wenn diese bedürftiger waren, erstreckte es sich auf sie umso nachdrücklicher. War die Schuld, war das Verderben wahllos? So ist es seine Barmherzigkeit; und das Evangelium das Zeugnis, das die Menschen aufruft, nicht ihre Pflicht zu tun, als Bestandteil des Lebens, sondern an den Herrn Jesus zu glauben, den Gott von den Toten auferweckt hat, zur Gerechtigkeit zu glauben und zur Errettung zu bekennen. So wird es nicht eine Frage des Gesetzes; denn damit war ein Jude selbst verdammt, und die Heiden wussten nichts davon, und wenn sie es wussten, konnten sie darin keine bessere Hoffnung finden als die Juden. Denn Errettung ist das, was ein verlorener Sünder braucht. Und da das Wort Gottes einen solchen Zustand als den seines eigenen Volkes aufzeigt, und Errettung daher ihr wahrer Mangel ist, so konnte nicht einmal ein Jude leugnen, dass die Heiden verlorene Sünder im vollsten Sinn sind. Würden sie dann leugnen, dass der Herr der Herr von irgendjemand oder von allen ist? Würden sie behaupten, dass Er arm sei, dass Er nicht reich genug sei, um der bedauernswerteste Not zu entsprechen, die Ihn anrufen würden? Sie könnten sich die Mühe ersparen, eine Frage zu lösen, die für Rabbiner vielleicht zu knifflig ist: Gott hatte sie vor langer Zeit selbst entschieden, als Israel immer schneller und tiefer in völlige Auflehnung gegen den Herrn abglitt. Er hatte die Befreiung mit der Anrufung seines Namens verbunden, nicht mit der Befolgung des Gesetzes, das die, die es hatten, in der Tat gebrochen hatten; und Er hatte es in so bedeutenden Worten verkündet, dass es jeden ermutigen und rechtfertigen konnte. Folglich beinhaltet das Handeln der Gnade ein Zeugnis, das von allen gehört und geglaubt werden soll, die seinen Namen anrufen; und dies wiederum von jemandem, der es predigt oder verkündet, der ordnungsgemäß von Gott gesandt ist.
Die aufmunternde Ankündigung aus Jesaja 52,7 ist die Autorität, die hier zitiert wird; aber auch hier können wir die Weisheit des Zitats beobachten. Der Apostel zitiert nicht den letzten Teil des Verses: „der Rettung verkündigt, der zu Zion spricht: Dein Gott herrscht als König!“ Denn in Wahrheit zeigt sich nach dem richtigen Sinn der Prophezeiung genau das Gegenteil von jenem Tag bis heute. Die Tage der Rache waren für dieses Christus ablehnende Geschlecht gekommen, nicht die der Rettung für die heilige Stadt. Und Jerusalem wird immer noch von den Heiden zertreten, bis die Zeiten der Nationen erfüllt sind (Lk 21,24). Aber gewiss muss die Frohe Botschaft kommen, denn der Mund des Herrn hat es geredet; und wie schön, ja „wie lieblich sind auf den Bergen [die der Apostel nicht anführt] die Füße dessen, der frohe Botschaft bringt, der Friedens verkündigt, der Botschaft des Guten bringt, der Rettung verkündigt, der und zu Zion spricht: Dein Gott herrscht als König!“ Kein Staub wird ihre Füße anders als schön machen wegen der Frohen Botschaft, die sie mitbringen. Es ist nicht wie bei Nahum der Fall Ninives, auch nicht der Fall Babylons, denn von Babylon, als Bestrafender oder Bestrafte, ist nach Jesaja 48 nichts mehr zu hören.
Wir hören Jesaja in den Kapitel 49–57 in die noch ernstere Anklage eintreten, die der Prophet im Namen des Herrn gegen sein Volk erhebt, nicht wegen der Anbetung der Götzen, sondern wegen der Verwerfung des Messias. Doch hier haben wir die frohe Botschaft seiner verzeihenden und befreienden Barmherzigkeit, nachdem die tiefsten Abgründe der Rebellion erreicht sind. Der Apostel zeigt, dass das Evangelium in dieser wie in so vielen anderen Hinsichten das vorwegnimmt, was das reuige und wiederhergestellte Israel am letzten Tag von Gott empfangen wird, (und dürfen wir nicht hinzufügen?) wenn möglich in einer tieferen Form der Wahrheit. Denn die Gnade, wie wir sie in Christus kennen (sogar jenseits der irdischen Herrlichkeit, möge sie jemals so rein sein wie an jenem Tag), gibt die höchsten Beweggründe für die ernsthafte Verbreitung der guten Nachricht: Und wer wäre so geeignet, die Prophezeiung so anzuwenden, als jener unermüdliche Diener des Evangeliums, durch den hauptsächlich das Evangelium schon damals in der ganzen Welt gegenwärtig war und Frucht brachte und wuchs, wie wir in Kolosser 1 lernen?
Nein, die Wächter Jerusalems können noch nicht ihre Stimme erheben und gemeinsam singen; denn Jerusalem ist noch in der Hand des grausamen Feindes, und die Herzen der Juden sind noch unter einem noch tödlicheren Tyrannen. Aber Auge in Auge werden sie sehen, wenn der Herr Zion wiederherstellt, und die Wüsten Jerusalems werden ausbrechen und zusammen singen nach Zeiten der Verwüstung; denn der Herr wird endlich sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst haben, wenn Er seinen heiligen Arm vor allen Völkern entblößt, und alle Enden der Erde werden das Heil ihres Gottes sehen. Aber die Gnade Gottes ist nicht müßig und unwirksam. Zion bleibt in der Hand des Fremden, weil die Kinder Zions ihren göttlichen König nicht annahmen, sondern Ihn durch die Hand gesetzloser Heiden ans Kreuz schlugen, die sich von ihnen beeinflussen ließen und sich ihnen zu jener verhängnisvollen Tat anschlossen, aus der Gott die reichste Barmherzigkeit für beide hervorstrahlen ließ, wenn sie nur seine Botschaft beherzigten. Daher sendet er sein Evangelium aus (wie es in diesem Brief heißt), wie auch Paulus Gnade und Apostelamt zum Glaubensgehorsam unter allen Völkern im Namen Christi empfangen hatte.
Auch darin sehen wir deutlich, wie das Wirken des Predigers mit dem Evangelium selbst verbunden ist. Wie entwürdigend und grundlos ist es, hier den Menschen so hinzustellen, als müsse er der Aussendende sein, wo es doch darum geht, nichts aus ihm zu machen und Gott in allen Dingen zu verherrlichen durch Jesus Christus, unseren Herrn! An keiner Stelle der Schrift wird gesagt, der Mensch solle den Prediger aussenden: Gott behält sich dieses Vorrecht in seinen eigenen Händen vor. Deshalb sagte unser Herr hier auf der Erde zu den Jüngern: „Die Ernte zwar ist groß, die Arbeiter aber sind wenige. Bittet nun den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte aussende. Und als er seine zwölf Jünger herzugerufen hatte, gab er ihnen Gewalt über unreine Geister, sie auszutreiben, und jede Krankheit und jedes Gebrechen zu heilen“ (Mt 9,37 - 10,1).
Er war Mensch und konnte beten und seine Jünger beten lassen. Doch Er war zugleich Gott, Emmanuel, Herr, Messias; und so konnte Er als Herr der Ernte das Gebet beantworten und tat es auch, indem er die Zwölf zu seinen Aposteln bestellte und sie zu ihrer Mission aussandte. Und wenn Er auch einmal gestorben wäre, so würde Er doch auferstehen und für immer leben, und noch immer gibt Er von oben herab den Menschen Gaben. Glaubt nicht der Lüge des Feindes, dass Er, weil Er unsichtbar ist, seine Vorrangstellung aufgegeben oder für einen Augenblick seine liebevolle Fürsorge aufgegeben hätte, indem Er alles zur Verfügung stellt, was für die Vervollkommnung der Heiligen, für das Werk des Dienstes und für die Auferbauung des Leibes Christi nötig ist (Eph 4). Andere, die sich in seinen Platz der Aussendung von Dienern des Evangeliums einmischen, sind nur Eindringlinge; und die, die sich so senden lassen, sind einwilligende Parteien (und wofür?) zur Entehrung ihres Herrn.
Sein Wille und sein Wort sind klar genug: Alles, was gewollt ist, ist ein einfältiges Auge in uns, das allein auf Christus gerichtet ist. Wir werden dann deutlich sehen, wie sehr dies alles seinen Namen betrifft, auch wenn es uns alles in dieser Welt kosten sollte. Zweifellos wird das Evangelium durch Menschen verkündigt, wenn auch wahrhaftig von oben gesandt: Nur steht es einem Menschen oder einer Anzahl von Menschen nicht zu, sich die Rechte des Herrn anzumaßen, der seinen eigenen Dienern seine Güter anvertraut, dem einen fünf Talente (einem anderen zwei, einem anderen eins, jedem nach seiner Fähigkeit). Bei seinem Kommen wird Er mit diesen Dienern abrechnen. Das ist die Lehre des göttlichen Wortes, wie sie in den Briefen dogmatisch dargelegt und sogar in den Gleichnissen des Heilandes beibehalten wird.
Wie falsch ist die Praxis der Christenheit. Wie hohl sind die Ausflüchte oder Entschuldigungen (man kann sie nicht mit Recht Auslegungen nennen) der Theologen! Warum verkaufen sie sich, um dieses Übel zu tun? Sind sie blind für die Ergebnisse, die vor allen anderen Augen klar sind? Beherzigen sie nicht die Warnungen im untrüglichen Wort Gottes vor noch schlimmeren Übeln, die bevorstehen?