Behandelter Abschnitt Joh 16,23-24
Der Herr fährt fort, noch ausführlicher den Segen und das Vorrecht darzulegen, das sich daraus ergeben würde, dass Er in den Himmel hingeht und ihnen so die Liebe des Vaters offenbart.
Und an jenem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Um was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben. Bis jetzt habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude völlig sei (16,23.24).
Es ist bekannt, dass die griechischen Wörter, die wir in Vers 23 mit „bitten“ übersetzen müssen, nicht dieselben sind; das erste (ἐρωτάω) drückt eher ein vertrautes Flehen aus, das zweite (αἰτέω) ein leises Bitten. Während unser Herr in diesem Evangelium oft das erstere verwendet, wenn Er den Vater im Namen der Jünger anfleht, verwendet Er niemals das zweite. Wie tief Er auch in der Gnade herabsteigen mag, Er ist immer der bewusste Sohn Gottes im Fleisch, aber nichtsdestoweniger eine göttliche Person; während Martha ihre geringe Wertschätzung seiner Herrlichkeit zeigt, indem sie annimmt, dass Er sich angemessen und erfolgreich nach der Art eines Bittstellers an Gott wenden könnte (Joh 11,22).
Aber es scheint zu stark zu sein, zu sagen, dass jeder kompetente Kenner zugibt, dass „ihr sollt bitten“ der ersten Hälfte des Verses nichts mit „ihr sollt bitten“ der zweiten zu tun hat; oder dass sich Christus im ersten auf den Wunsch der Jünger in Vers 19 bezieht, Ihn zu befragen. So Euthymius Z., wie auch die Vulgata und eine Menge Moderner von Beza bis Trench, darunter viele deutsche und britische Theologen. Aber obwohl das Wort ἐρωτάω im Neuen Testament oft vorkommt, und sogar in diesem Kapitel, mit dem gewöhnlichen klassischen Sinn von „fragen“ (interrogo), wird es genauso oft oder mehr für „bitten“ oder „anflehen“ und so weiter verwendet (rogo), wie in der LXX und damit wie unser englisches „ask“, das nicht weniger als „fragen“ oder „erfragen“ bedeutet. Das Befragen Gottes in alttestamentlicher Formulierung kommt in der Tat dem Gebet um eine Person oder Sache näher als einer Frage. Es scheint also, dass die Veränderung des englischen Wortes nicht die wahre Lösung ist, obwohl es oberflächlich betrachtet offensichtlich ist, und dass die früheren griechischen Kommentatoren der Wahrheit näher waren, außer Origenes, der, wie spätere Irrlehrer, die Stelle verdrehte, um die Angemessenheit des Gebets zu unserem Herrn zu leugnen, und damit den frühen Jüngern (Apg 1,24), Stephanus (Apg 7,59) und dem Apostel Paulus (2Kor 12,8) rundweg widersprach. In Angelegenheiten, die seinen Dienst und seine Versammlung betreffen, ist es nach der Schrift sogar angemessener, zu Ihm zu beten als zum Vater, an den wir uns instinktiv für alles wenden, was die Familie Gottes im Allgemeinen betrifft.
Der Herr deutet wirklich den großen Wechsel von der Zuflucht zu Ihm als ihrem Messias auf der Erde für jede Schwierigkeit an, nicht nur für Fragen, sondern für alles, was sie Tag für Tag brauchen könnten, zu jenem Zugang zum Vater, in den Er sie als der angenommene Mensch und verherrlichte Retter in der Höhe einführen würde. Bis die Erlösung bekannt ist und die Seele durch die Gnade in die Gerechtigkeit versetzt wird, haben sogar die Gläubigen Angst vor Gott und verstecken sich gleichsam hinter Christus. Sie nähern sich im Geist, wie es die Jünger tatsächlich taten, dem, der in Liebe vom Himmel herabkam, um sie zu segnen und mit Gott zu versöhnen. Aber sie wissen nicht wirklich, was es heißt, freimütig zum Thron der Gnade zu kommen, um Barmherzigkeit zu empfangen und Gnade zu finden zu rechtzeitiger Hilfe. Sie sind nicht in dem ausgeprägten Bewusstsein von Kindern vor ihrem Vater, die sich der Freiheit in Christus durch den Geist der Sohnschaft erfreuen.
Dies scheint mir also das zu sein, was der Herr den Jüngern mitteilt, was auf seine Auferstehung und seinen Weggang „an jenem Tag“ folgen sollte: ein Tag, der bereits gekommen ist, der Tag der Gnade, nicht der Herrlichkeit, es sei denn, wir gehen hinein in der Kraft dessen, der hinaufgegangen ist und den Geist gesandt hat, damit Er in uns ist. Er hatte ihnen bereits und vollständig gesagt, was der Geist der Wahrheit tun würde, um sie in die ganze Wahrheit zu führen (V. 12–15). Hier setzt Er den Zugang zum Vater für alles im Gebet an die Stelle der persönlichen Bitten an Ihn selbst als ihren Meister, der immer bereit ist, auf der Erde zu helfen. Es geht also nicht um die Erklärung, vom Geist so gelehrt worden zu sein, dass sie nichts mehr zu fragen brauchten, sondern darum, dass sie nicht mehr den bei sich hatten, an den sie sich bei jeder auftauchenden Schwierigkeit zu wenden pflegten. Der scheidende Sohn Gottes würde das Vertrauen des Herzens auf den Vater bewirken.
Daher die Feierlichkeit der Bekanntgabe ihrer neuen Quelle. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Um was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben“ (V. 23). Der Text unterscheidet sich in den Handschriften und anderen Autoritäten; aber die besten von ihnen haben „in meinem Namen“ nach der Zusicherung, dass der Vater geben wird, nicht nach den Gläubigen, die den Vater bitten, wie im gewöhnlichen Text, der jedoch von den alten Versionen am besten unterstützt wird. Es kann kein Zweifel bestehen, wie wir sogleich sehen werden, dass die Gläubigen durch den Wert der Offenbarung Christi ermutigt und berechtigt sind, ihre Bitten dem Vater vorzuziehen; aber wenn die ältere Lesart in Vers 23 richtig ist, haben wir die zusätzliche Wahrheit, dass Er in der Kraft dieses Namens gibt, was immer sie Ihn bitten werden. Wie gesegnet und ermutigend für die Gläubigen! Welche Freude für den Vater und welche Ehre für den Sohn! Die Verwerfung des Messias dient nur zu seiner größeren Herrlichkeit und zu besseren Segnungen für die Seinen.
Und das wird in Vers 24 fortgesetzt: „Bis jetzt habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude völlig sei.“ Die Bedeutung dieses Satzes kann kaum überschätzt werden: Ich meine damit nicht nur den Gebrauch des gesegneten Gebetes, das den Jüngern lange vorher gegeben wurde, sondern die umfassendere Frage ihrer bevorstehenden neuen Beziehung und ihrer Stellung durch die Erlösung und die Gabe des Geistes. Aus den Worten geht jedoch klar hervor, dass der Gebrauch dieses Gebets nicht bedeutet, den Vater im Namen Christi zu bitten. Die Jünger hatten zweifellos die Gewohnheit, es Tag für Tag zu gebrauchen; doch bis jetzt hatten sie nichts in seinem Namen gebeten. Nun, den Vater im Namen des Sohnes zu bitten, ist allein ein christliches Gebet im wahren und vollen Sinn. Diejenigen also, die darauf bestehen, auf das Gebet der Jünger zurückzugehen, verfehlen den neuen Platz, auf den der Herr hier alle setzt, die sein sind. Es mag ehrfurchtsvoll gemeint sein; aber ist es der Glaube, der wirklich in Gottes Gedanken eintritt und den Meister ehrt? Ich glaube nicht. Als ein Gebet, das zu gebrauchen war, als die Jünger nicht wussten, wie sie beten sollten, war es vollkommen; als Beispiel bleibt es immer voller Tiefen der Belehrung. Aber der Herr lässt sie jetzt, am Ende seines Weges hier auf der Erde, die Unzulänglichkeit des Grundes und des Gegenstandes ihrer früheren Bitten wissen und sagt ihnen, was ihr angemessener Charakter in der Zukunft durch den neuen Segen sein sollte, den sie durch die Erlösung und die Himmelfahrt erhalten haben.
Es wäre für die Jünger in der Vergangenheit unzeitgemäß und anmaßend gewesen, dem Vater zu nahen, wie es der Sohn tat, der ihnen in seiner Weisheit und Güte ein Gebet gab, das ihrem damaligen Zustand vollkommen angemessen war, als das Sühnungswerk noch nicht vollbracht und der Heilige Geist dementsprechend nicht gegeben war. Aber jetzt, wie wir schon so oft in diesem Zusammenhang gesehen haben, als Folge davon, dass Christus Gott auf der Erde durch seinen Tod verherrlicht hat und in die Höhe gegangen ist, würde der Heilige Geist kommen, um in und bei ihnen zu sein. Und das ist die große Folge im Blick auf Gott, wie wir schon viel im Blick auf das Heil gesehen haben: Sie sollten im Namen Christi bitten; und sie sind aufgerufen, zu bitten und zu empfangen, damit ihre Freude völlig sei. Das Leben in Christus würde sich in passenden Wünschen zeigen, denen der Heilige Geist sowohl Kraft als auch Einsicht verleihen würde; und gewiss würde der Vater mit einem solchen Grund und Motiv vor sich, wie der Sohn des Menschen, der sich um jeden Preis für seine Herrlichkeit hingegeben hatte, nichts von seiner Seite versäumen. Ihre Freude würde in der Tat völlig sein.