Behandelter Abschnitt Joh 13,23-30
Einer [aber] von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tisch in dem Schoß Jesu. Diesem nun winkt Simon Petrus, damit er frage, wer es wohl sei, von dem er rede. Jener aber, sich an die Brust Jesu lehnend, spricht zu ihm: Herr, wer ist es? Jesus antwortete: Der ist es, dem ich den Bissen, wenn ich ihn eingetaucht habe, geben werde. Als er nun den Bissen eingetaucht hatte, gibt er ihn Judas, Simons Sohn, dem Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr dann der Satan in ihn. Jesus spricht nun zu ihm: Was du tust, tu schnell! Keiner aber von den zu Tisch Liegenden verstand, wozu er ihm dies sagte. Denn einige meinten, weil Judas die Kasse hatte, dass Jesus zu ihm sage: Kaufe, was wir für das Fest nötig haben, oder dass er den Armen etwas geben solle. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er sogleich hinaus. Es war aber Nacht (13,23–30).
Petrus und Johannes werden oft zusammen gesehen. So winkt Simon Petrus hier in seiner Verlegenheit Johannes, der zu Tisch im Schoß Jesu lag; Johannes war kein anderer als dieser bevorzugte Jünger. Das kann aufgrund von Kapitel 19,26; 20,2; 21,7.20.24 nicht bezweifelt werden. Und wie wahrhaftig vom Geist, dass einer, der sich solcher Gunst erfreut, sich selbst beschreibt, nicht als Jesus liebend, obwohl er das in der Tat tat, sondern als von Ihm geliebt; und das auch noch als der Jünger, den Jesus liebte, wobei er seinen Namen zurückhält, da er hier und anderswo von geringer Bedeutung ist, obwohl er am Ende deutlich beschrieben wird, wo es nötig ist, und benannt wird, wo die Menschen die Urheberschaft leugnen könnten, wie sie es getan haben! Es ist die Vertrautheit mit Jesus, die Geheimnisse sammelt, aber sie zum Wohl anderer weitergibt. So wie er sich an die Brust Jesu lehnt, fragt Johannes, wer es ist; und der Herr antwortet, nicht nur mit Worten, sondern mit einem Zeichen, das auffallend Psalm 41,10 entspricht, wenn auch ein noch weitaus besonderes Zeichen der Vertrautheit.
In Judas’ Zustand verhärtete dieses Zeichen der Liebe nur das Gewissen, das schon lange durch geheime Sünden verhärtet war, die jeden Sinn für Liebe aus dem Herzen ausschlossen. Seine Vertrautheit damit, wie Christus den Fallstricken und Gefahren einer feindlichen Welt entkommen war, mag bei ihm den Eindruck geweckt haben, dass es auch jetzt mit seinem Meister so geschehen würde, während er selbst den Lohn für seinen Verrat ernten würde; und das Wissen um seine Gnade, ohne Herz dafür, mag ihn veranlasst haben, auf Barmherzigkeit zu hoffen, von der er nie wusste, dass sie den Schuldigsten verweigert wurde. Es kommt der Augenblick, wo die heilige Liebe für den unerträglich wird, der sie nie genossen hat; und die Sünde, die er vorzog, verblendete seinen Verstand und verhärtete sein Herz gegenüber dem, was sonst den Gefühllosesten beeindruckt hätte. „Und nach dem Bissen fuhr dann der Satan in ihn“ (V. 27). Der Teufel hatte es bereits in sein Herz gelegt, den Herrn zu überliefern; nun, nachdem er ohne Entsetzen und Selbstgericht das letzte Zeichen der Liebe seines Meisters empfangen hatte, trat der Feind auf. Bei dieser Bezeichnung mag es eine Irritation gegeben haben, die, wenn sie beibehalten wird, dem Teufel schon in gewöhnlichen Fällen Raum gibt; vielmehr aber bei dem, der mit der unfehlbaren Gnade gehadert und dadurch seine Herrlichkeit ganz vergessen hatte, da er für Gottes Natur und seine eigene Sünde immer unempfänglich gewesen war. „Jesus spricht nun zu ihm: Was du tust, tu schnell!“ (V. 27) – das heißt, schneller, als es seine Anmaßung vermuten ließ, die Zweifel der Jünger zu teilen oder sich dem anzuschließen, was ihnen auf dem Herzen lag. Niemals überlässt Gott den armen Menschen, wie elend und sündig er auch sein mag, dem Satan, bis er seine Liebe und Heiligkeit und Wahrheit, die sich vor allem im Herrn Jesus und in diesem Evangelium zeigt, zurückweist. Da kann Er durch Gericht verstocken und tut es auch, und das zum unwiederbringlichen Verderben, aber erst, nachdem das Herz sich gegen die Hinweise aus seine geduldigste Güte verhärtet hat. Dennoch ist die Verstockung durch Gericht eine reale Sache von Gottes Seite, was auch immer von denen behauptet werden mag, die nicht bereit zu sein scheinen, offen und vollständig das Wirken Gottes auf der einen und das des Satans auf der anderen Seite zuzulassen. Keinen Deut besser ist die gegenteilige Schule, die die ernste Tatsache der Verantwortung aus dem Gewissen zu verbannen scheint, sei es bei einem Menschen oder bei einem Christen, oder, wie hier, bei einem, der, obwohl in der ungeschützten Dunkelheit eines Menschen, dem Sohn Gottes, dem persönlichen Ausdruck des ganzen Lichts und der Liebe Gottes im Menschen, so nahekam.
Wir haben schon gehört, wie tief unser Herr die Sünde des Judas empfand, als der Augenblick näherkam und der Plan in seinem Herzen gefasst wurde. Nun ergeht das Urteil, das dem Heiland die Tür des Lebens für die Erde verschloss – des ewigen Zorns über Judas. Doch die Jünger sahen und hörten zu, ohne die Schrecklichkeit der damals anstehenden Probleme zu kennen. Nicht einmal Johannes durchdrang die Bedeutung der Worte, die bald für alle klar sein würden. Es ging nicht darum, das Nötigste zu kaufen, sondern ihren Herrn und Meister zu verkaufen; es war keine Vorbereitung auf das Fest, sondern das, worauf sie immer hingeschaut hatten, die Erfüllung der Gedanken und des Zieles Gottes, auch wenn es die Juden waren, die ihren eigenen Messias kreuzigten, durch die Hand gesetzloser Menschen. Es ging nicht darum, dass Judas den Armen etwas geben sollte. Das war das Letzte, was ihn beschäftigte, sondern dass Er, „da er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich würdet“ (2Kor 8,9). Es war die schlimmste Sünde eines Menschen, eines Jüngers; es war die unendliche Liebe Gottes, die sich beide im Tod des Herrn am Kreuz trafen; aber wo die Sünde überströmend war, war die Gnade noch viel überreichlicher (Röm 5,20).
Als Judas „den Bissen genommen hatte, ging er sogleich hinaus.“ Welche Finsternis ruhte von da an auf ihm! „Es war aber Nacht“ (V. 30), sagt unser Evangelist. Und diese Nacht vertiefte sich in ihren Schrecken über den Ungläubigen, der sein nicht wiedergutzumachendes Übel erst dann zu sehen begann, als es geschehen war, bis sie sich mit seinem Hinscheiden an seinen eigenen Ort schloss.