Behandelter Abschnitt Joh 12,27-29
Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme aus dem Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn auch wiederum verherrlichen. Die Volksmenge nun, die dastand und zuhörte, sagte, es habe gedonnert; andere sagten: Ein Engel hat mit ihm geredet (12,27–29).
Er war das Leben und kam doch, um zu sterben; Er war Licht und Liebe und wurde doch verworfen und gehasst, wie es der Mensch nie zuvor gekannt hat und nie wieder tun wird. Die Realität seines Menschseins, die Herrlichkeit seiner Gottheit, hinderte Ihn in keiner Weise an seinem Leid; sein Sein, wer und was Er war, vollkommen in allem, gab Ihm nur die unendliche Fähigkeit, das zu empfinden und zu ergründen, was Er ertrug, nicht weniger, weil Er gekommen war, um es alles zu ertragen, und es nun in unmittelbarer Aussicht vor sich hatte, obwohl niemand außer Ihm selbst es sah. Er wäre nicht der vollkommene Mensch gewesen, wenn seine Seele nicht beunruhigt gewesen wäre, so dass Er empfand: „Was soll ich sagen?“ Er wäre nicht Gottes Sohn als Mensch gewesen, wenn Er nicht in der Verzweiflung seiner Seele gebetet hätte: „Vater, rette mich aus dieser Stunde!“, und ebenso wenig: „Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen“, gekrönt mit: „Vater, verherrliche deinen Namen!“ (V. 27.28). Er empfand die erste Bitte und drückte sie aus, was Ihm vollkommen entsprach, der unter solchen Umständen Mensch war; die zweite hinzuzufügen, war seiner würdig, der nicht weniger Gott als Mensch in einer ungeteilten Person ist; beides war Vollkommenheit in beidem, im Leid wie in der Freude, im Tod nicht weniger als im Leben. Der Vater erkennt das an und antwortet entsprechend.20
20 Augustinus und Hieronymus verwechseln dies mit Johannes 17,5, von dem es sich ganz und gar und nachweislich unterscheidet; aber wir dürfen von den sogenannten Vätern niemals geistliche Einsicht, manchmal nicht einmal allgemeine Rechtgläubigkeit, erwarten. Die spätere Stelle in unserem Evangelium ist die Bitte des Sohnes an den Vater, dass Er als der Auferstandene verherrlicht werden möge, bei der Vollendung seines Werkes, wie auch in Übereinstimmung mit den Rechten seiner Person, zusammen mit dem Vater selbst in der Herrlichkeit, die der Sohn zusammen mit Ihm hatte, bevor die Welt warDie vor uns liegende Stelle bezieht sich auf das, was in dieser Welt gerade geschehen war und noch geschehen würde; denn wie der Vater seinen Namen in der Auferstehung des Lazarus verherrlicht hatte, so würde Er es noch unendlich mehr in der Auferste-hung seines eigenen Sohnes tun. Die Modernen, wie beispielsweise Dekan Alford, scheitern in ihren dürftigen, unbestimmten und sogar fehlerhaften Gedanken daran, das Ziel genauso oder noch mehr zu erreichen als die Alten. Denn wie armselig ist es, uns zu sagen, dass διὰ τοῦτο = ἵνα σωθῶ ἐκ τῆς ὥρας ταύτης, dass ich vor dieser Stunde sicher sein könnte! – das heißt das Eingehen und Auskosten dieser Stunde, dieses Kelches, ist der ganz bestimmte Weg meiner Verherrlichung, oder, wie Meyer sagt, damit dein Name verherrlicht werde, was das Folgende vorwegnehmen soll. Es war wirklich zu sterben, wenn auch zweifellos zur Ehre des Vaters durch den Sohn. So weist wiederum ἐδόξασα auf etwas viel Bestimmteres hin als „in der bisherigen Offenbarung des Sohnes Gottes, so unvollkommen sie auch war (vgl. Mt 16,16.17); in allen alttestamentlichen Vorbildern und Prophezeiungen; in der Schöpfung und, ja (Augustinus), antequam facerem mundum“ (in Joan. 52,4). Schließlich geht die genaue Kraft verloren, wenn man das πάλιν als eine bloße Steigerung des δοξάζειν behandelt, statt eine deutliche und höhere Entfaltung jener Auferstehungskraft zu sehen, die den Sohn Gottes auszeichnet.↩︎