Behandelter Abschnitt Joh 11,45-54
So mächtig das Werk der Auferweckung des Lazarus auch war, wir sehen hier, wie überall, wie abhängig der Mensch von der Gnade ist. Die Sünde macht ihn zum Sklaven des Satans, so wenig er es auch ahnt. Sein Wille ist gegen Gott, in seiner Güte oder in seinem Gericht, in seinem Wort oder in seinen Werken; und je größer die Gnade ist, desto weniger mag er das, was seinen Gedanken so entgegengesetzt und für seinen Stolz so demütigend ist. Wenn auch viele beeindruckt waren und glaubten, so gingen doch einige mit ihrer Information boshaft zu den Feinden.
Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was er getan hatte, glaubten an ihn. Einige aber von ihnen gingen hin zu den Pharisäern und sagten ihnen, was Jesus getan hatte. Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer das Synedrium und sprachen: Was tun wir? Denn dieser Mensch tut viele Zeichen. Wenn wir ihn so gewähren lassen, werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und sowohl unseren Ort als auch unsere Nation wegnehmen. Ein Gewisser aber von ihnen, Kajaphas, der jenes Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts und überlegt auch nicht, dass es euch nützlich ist, dass ein Mensch für das Volk sterbe und nicht die ganze Nation umkomme. Dies aber sagte er nicht von sich selbst aus, sondern da er jenes Jahr Hoherpriester war, weissagte er, dass Jesus für die Nation sterben sollte; und nicht für die Nation allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte. Von jenem Tag an beratschlagten sie nun, ihn zu töten. Jesus nun wandelte nicht mehr öffentlich unter den Juden, sondern ging von dort weg in die Gegend nahe bei der Wüste, in eine Stadt, genannt Ephraim; und dort verweilte er mit den Jüngern (11,45–54).
Die Hohenpriester und die Pharisäer sind sofort in Alarmbereitschaft. Sie berufen den Rat ein; sie wundern sich über ihre eigene Untätigkeit angesichts der vielen Zeichen, die Jesus getan hatte; sie fürchten, dass Er, wenn man Ihn in Ruhe lässt, allgemein anerkannt werden könnte, und dass sie die Römer provozieren könnten, um sie zu vernichten, Kirche und Staat, wie man heute sagt. Wie bewegend ist es, die Macht Satans zu sehen, die diejenigen am meisten blendet, die den höchsten Platz im Eifer für Gott nach dem Fleisch einnehmen! Es war ihr verzweifelt böser Vorsatz, Ihn zu töten – ein ebenso verzweifelt ausgeführter Vorsatz, der zum Kreuz führte, in dem Er zum anziehenden Mittelpunkt für Menschen aller Klassen und Nationen und moralischen Zustände wurde; und es war ihre Schuld in dieser Hinsicht besonders, wenn auch nicht allein, die den Zorn „des Königs“ auf sie zog, der seine Truppen schickte, diese Mörder vernichtete und ihre Stadt niederbrannte (Mt 22,7). Alles gerechte Blut kam über sie, und ihr Haus ist bis zum heutigen Tag verwüstet, und das auch noch durch die gefürchtete Hand der Römer, die sie durch den Tod Jesu zu besänftigen suchten. Das ist der Weg und das Ende des Unglaubens.
Ja, es ist höchst ernst zu sehen, dass Gott am Ende diejenigen verhärtet, die sich lange gegen die Wahrheit verhärtet haben. So wird Er nach und nach den Menschen eine wirksame Kraft des Irrwahns senden, „damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit“, und das mit Recht, weil „sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet werden“ (2Thes 2,10-12). Er war es, der durch Bileam gegen seinen Willen redete, um sein Volk zu segnen, obwohl er von Balak beauftragt war, es zu verfluchen, und der danach nicht nur durch seine verderbliche List, sondern zu seinem eigenen Verderben bewies, wie wenig die Prophezeiungen damals von ihm selbst stammten. Er ist es, der jetzt durch Kajaphas spricht, dessen Hohepriesterschaft in jenem Jahr seinen Worten das offiziellere Gewicht gab. Nicht, dass es ein geordneter Zustand gewesen wäre, dass es solche Wechsel des Hohenpriesters gegeben hätte. Aber so war es die völlige Verwirrung, als der Sohn Gottes hierherkam; so vor allem, als Er sterben sollte. Kein Wunder, dass Gott, der lange schwieg, durch den Hohenpriester jenes Jahres sprach. Er ist souverän. Er kann sowohl Böses als auch Gutes gebrauchen – diese von Herzen, diese trotz ihrer selbst, und wenn ihr Wille darin ist, mit einem Sinn, der so böse ist wie sie selbst.
So war es auch hier, als Kajaphas sagte: „Ihr wisst nichts und überlegt auch nicht, dass es euch nützlich ist, dass ein Mensch für das Volk sterbe und nicht die ganze Nation umkomme“ (V. 49.50a). Er dachte nicht an Gott, sondern ohne Gewissen an sich selbst. Der Evangelist kommentiert dies, dass er es nicht aus sich selbst heraus sagte, „sondern da er jenes Jahr Hoherpriester war, weissagte er, dass Jesus für die Nation sterben sollte; und nicht für die Nation allein, sondern damit er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte“ (V. 50b.51). Im Herzen des Kajaphas war das eine prinzipienlose Gesinnung; im Geist war sie nicht nur höchst heilig, sondern drückte die Grundlage der Gerechtigkeit Gottes in Christus aus. Auf seinem Tod beruht die künftige Hoffnung Israels und die tatsächliche Sammlung der zerstreuten Kinder Gottes, der Versammlung. Von diesem Tag an wurden gemeinsam Maßnahmen ergriffen, um den Tod unseres Herrn herbeizuführen, der sich in die nördliche Wüste von Judäa zurückzog und dort eine Weile mit den Jüngern in der Stadt Ephraim blieb. Die Stunde war gekommen.