Behandelter Abschnitt Joh 11,17-29
Als nun Jesus kam, fand er ihn schon vier Tage in der Gruft liegen. Bethanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien weit; viele von den Juden aber waren zu Martha und Maria gekommen, um sie über ihren Bruder zu trösten. Martha nun, als sie hörte, dass Jesus komme, ging ihm entgegen. Maria aber saß im Haus. Da sprach Martha zu Jesus: Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben; aber auch jetzt weiß ich, dass, was irgend du von Gott erbitten magst, Gott dir geben wird. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Martha spricht zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tag. Jesus sprach zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du dies? Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll. Und als sie dies gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria heimlich und sagte: Der Lehrer ist da und ruft dich. Als aber diese es hörte, stand sie schnell auf und ging zu ihm (11,17–29).
Die Zeitspanne seit dem Tod und der Beerdigung wird sorgfältig angegeben, ebenso wie die Nähe des Ortes zu Jerusalem und die Anzahl der Juden, die sich in diesem Moment der Gesellschaft von Martha und Maria angeschlossen hatten, um sie in ihrem Kummer zu trösten. Gott ordnete alles als ein leuchtendes Zeugnis für seinen Sohn an. Denn Aischylos (Eum. 647) drückte nur die allgemeine Meinung der Heiden aus, selbst ein religiöser Heide, dass der Mensch, einmal gestorben, nicht auferstehen kann. Was hatte Gott für solche, die an Jesus glauben? Was hatte Jesus? Was ist Er anderes als die Auferstehung und das Leben? Es war nicht nur eine Frage des letzten Tages. Jesus war da, der den Tod und Satan bezwingen würde.
Wieder ging Martha Ihm, unverzüglich wie immer, wenn sie vom Kommen Jesu hörte, entgegen, während Maria im Haus sitzen blieb, mit einem tieferen Empfinden für den Tod, aber mindestens genauso bereit, zu gehen, wenn sie gerufen wurde. In der Zwischenzeit wartete sie, was der Herr durchaus wusste und schätze. Als Martha dem Herrn begegnet, bekennt sie seine Macht, den Tod abzuwenden, wenn Er dagewesen wäre. Sie erkennt Ihn als den Messias an; und daher weiß sie zuversichtlich, dass auch jetzt alles, was Er von Gott „erbitten“ mag, Ihm gegeben werden wird. Zweifellos meinte sie dies als einen starken Ausdruck ihres Glaubens. Aber dieser Irrtum sollte korrigiert werden, um eine unvergleichlich umfassendere Erkenntnis zu geben, dass der Herr jetzt kam, um Lazarus aufzuerwecken. Daher gebraucht sie im Blick auf den Herrn eine Sprache, die weit unter seiner wahren Beziehung zum Vater liegt: ὅσα ἂν αἰτήσῃ τὸν Θεόν [was irgend du von Gott erbitten magst]. Hätte sie ἐρωτήσῃ τὸν πατέρα [den Vater fragen] gesagt, wäre es passender gewesen. Es ist in Ordnung, αἰτέω von uns zu gebrauchen, denn die Stelle eines Bittenden oder Fragenden steht uns zu; aber das Wort der vertrauteren Forderung, ἐρωταω, passt zu Ihm. Das aber musste sie, obwohl sie gläubig war, erst lernen.
Als Jesus zu Martha sagt, dass ihr Bruder auferstehen wird, antwortet sie sogleich: „Ich weiß, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tag“ (V. 24). Aber der Herr war nicht hier, um bereits bekannte Wahrheiten zu lehren, sondern um das Unbekannte zu offenbaren, und das in der Herrlichkeit seiner eigenen Person. Deshalb sagte Jesus zu Martha: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (V. 25a), und zwar in dieser Reihenfolge, die auf den vorliegenden Fall genau anwendbar ist, da Lazarus gestorben und begraben war.
Er ist die Auferstehung nicht weniger als das Leben, und dies in der Fülle der Macht. „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du dies?“ (V. 25b.26). Es ist die Überlegenheit des Lebens in Christus über alle Hindernisse, die sich bei seinem Kommen zeigen wird. „Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden“ (1Kor 15,51.52) So heißt es im Blick auf die Ankunft des Herrn: „und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben“, ohne durch den Tod hindurchzugehen, „zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein“ (1Thes 4,16.17). So wird Er sich als die Auferstehung und das Leben erweisen: die Auferstehung, weil die gestorbenen Gläubigen sofort auferstehen und seiner Stimme gehorchen; das Leben, weil jeder, der lebt und an Ihn glaubt, in demselben Augenblick vom Leben verschlungen wird.
Dies stellt Martha auf die Probe. Auf die Frage des Herrn: „Glaubst du dies?“ kann sie nur die vage Antwort geben: „Ja, Herr, ich glaube [πεπίστευκα], dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll“ (V. 26.27). Das Wort enthielt zweifellos Wahrheit, aber keine wirkliche Antwort auf die Frage. Sie empfand das Unbehagen, das sogar Gläubige empfinden, die hören, was über ihre Verständnis hinausgeht; und sie denkt an ihre Schwester als jemand, die unvergleichlich besser versteht als sie selbst; und so ging sie unverzüglich davon, um zu lernen, und rief Maria heimlich und sagte: „Der Lehrer ist da und ruft dich“ (V. 28). Maria, als sie es hörte, steht schnell auf und kommt. Wie wertvoll der Ruf an ihr Herz!