Behandelter Abschnitt Joh 11,4-10
Als aber Jesus es hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tod, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde. Jesus aber liebte Martha und ihre Schwester und Lazarus. Als er nun hörte, dass er krank sei, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war.
Danach spricht er dann zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen! Die Jünger sagen zu ihm: Rabbi, eben suchten die Juden dich zu steinigen, und wieder gehst du dahin? Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag wandelt, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht wandelt, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist (11,4–10).
Der erste Anschein ist in dieser Welt immer gegen das Gute und Heilige und Wahre. Wer Anlass sucht gegen das, was von Gott ist, der findet leicht eine Entschuldigung für sein eigenes Böses. Und der moralische Gegenstand Gottes, wie sein Wort, prüft jeden Menschen, der damit in Berührung kommt. Hier also kannte der Herr das Ende von Anfang an, als Er sagte: „Diese Krankheit ist nicht zum Tod.“ Aber wer nach dem Anfang urteilen wollte, musste zwangsläufig falsch urteilen. Was hätte derjenige geurteilt, der Ihn sagen hörte „Lazarus, komm heraus!“ und sah, wie der Tote aus der Höhle des Gruft herauskam?
Die Auferstehung zeigt die herrliche Macht Gottes über alles andere. Sie hält den Menschen fest und soll ihn festhalten, der nur zu gut weiß, was Krankheit ist und wie hoffnungslos der Tod ihn von all seinen Aktivitäten abschneidet. Die Krankheit des Lazarus sollte also, gerade weil sie auf den Tod hinauslief, eine passende Gelegenheit zur Verherrlichung Gottes bieten, und das dadurch auch noch in der Verherrlichung seines Sohnes.
Es gibt solche, die sich daran erfreuen, was sie „die Herrschaft des Gesetzes“ nennen; aber was ist der Sinn solcher Gedanken oder Worte, wenn man sie auf den Prüfstein der Auferstehung anwendet? Beweist nicht die Auferweckung der Toten die Überlegenheit der Macht Gottes über das, was ein Gesetz ist, wenn es ein unveränderliches Los gibt, das dem sündigen Menschen hier auf der Erde bestimmt ist, das Gesetz des Todes? Denn gewiss ist nicht der Tod die Ursache der Auferstehung, sondern der Sohn ist es, der die Macht des Lebens ausübt. Er gibt Leben, wem Er will, denn Er ist Gott, aber als der Gesandte, der abhängige und gehorsame Knecht, ist Er zugleich Mensch. So war Jesus hier in dieser Welt, und das zeigte sich am deutlichsten, kurz bevor Er sein Leben für die Schafe hingab.
Aber der Mensch ist ein schlechter Richter der göttlichen Liebe, und selbst Gläubige lernen diese nur durch den Glauben. Jesus will, dass wir uns seiner Liebe anvertrauen. Denn das ist die Liebe, nicht dass wir Ihn geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt hat und es in seinem Sterben als Sühnung für uns bewiesen hat. Auch hier – wie bezeichnend ist das – sagt der Evangelist, dass Jesus Martha und ihre Schwester und Lazarus liebte, gerade vor der Erwähnung, dass Er zwei Tage an dem Ort blieb, wo Er war, nachdem die Botschaft kam. Wenn ein bloßer Mensch, der die Macht zu heilen hat, einen anderen, der krank ist, lieben würde, wie bald würde er den Kranken geheilt haben! Und Jesus hatte bereits in derselben Stunde seine Macht zu heilen gezeigt. Ganz gleich, wie groß die Entfernung dazwischen war oder wie bewusstlos der Leidende war, warum sprach Er nicht das Wort für Lazarus? Liebte Er den Hauptmann von Kapernaum und seinen Jungen, liebte Er den heidnischen Hauptmann und seinen Diener mehr als Lazarus? Sicherlich nichts dergleichen; aber es war zur Ehre Gottes, dass der Sohn Gottes gerade durch diese Krankheit verherrlicht wurde, die nicht aufgehalten wurde, sondern ihren Lauf nehmen würde.
Der Herr stand im Begriff, den toten Lazarus aufzuerwecken; und dies, obwohl es nicht den Anschein eines Gesetzes hatte, sondern vielmehr durch Gnade die Befreiung vom Gesetz des Todes. Wie wahrhaftig war das Ergebnis zur Herrlichkeit Gottes! Der Mensch hätte sofort gewirkt, wenn er gekonnt hätte. Er, der Gott war und liebte, wie es kein Mensch je getan hat, blieb zwei Tage, wo Er war, und sagte dann ruhig zu den Jüngern: „Lasst uns wieder nach Judäa gehen“ (V. 7). Sie wundern sich. Kannte Er nicht besser als sie den mörderischen Hass der Juden? Hatte Er ihre wiederholten Versuche, Ihn zu steinigen, vergessen? Warum schlug Er dann vor, wieder dorthin zu gehen? Er tat das, um den Willen seines Vaters zu erfüllen; und hier war ein Werk zu seiner Herrlichkeit zu tun. Sein Auge war gewiss immer ein einfältig, sein Leib voller Licht. „Jesus antwortete: hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag wandelt, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht wandelt, so stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist“ (V. 9.10). Wenn es der Wille des Vaters war, war es Tag; und wie Jesus nicht nur vom lebendigen Vater gesandt wurde, sondern um seinetwillen lebte, so ist Er für den Jünger das Licht und die Nahrung und der Beweggrund. Der bekannte Wille und das Wort Gottes ist das Licht des Tages; ohne das Licht zu sein, bedeutet, in der Nacht zu wandeln, und die sichere Folge ist, dass man anstößt. Wenn Christus vor uns ist, wird das Licht in uns sein, und wir werden nicht anstoßen. Mögen wir immer mehr auf sein Wort hören!