Behandelter Abschnitt Joh 3,19-21
Aber von einem solchen Schema findet sich weder hier noch sonst irgendwo in der Schrift eine Spur. Sie lehrt vielmehr ausdrücklich: „Denn so viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden … an dem Tag, da Gott das Verborgene der Menschen richten wird nach meinem Evangelium durch Jesus Christus“ (Röm 2,12-16). Die Lehre des Paulus schließt also die Annahme aus, dass jeder Ungläubige bereits unter dem Gesetz steht, was verständlicherweise bedeuten würde, dass er durch das Gesetz gerichtet wird, da das Gesetz nur diejenigen betrifft, die unter dem Gesetz stehen, während diejenigen, die es nicht haben, auf ihrem eigenen Grund behandelt werden. Damit stimmt die Sprache unseres Evangeliums völlig überein, die kein Wort über das Gesetz sagt, selbst wenn ein Lehrer des Gesetzes vor dem Herrn stand und nach dem ewigen Leben und der Erlösung fragte. Es ist allein eine Frage Christi.
Dies aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Denn jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht bloßgestellt werden; wer aber die Wahrheit tut, kommt zu dem Licht, damit seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott gewirkt sind (3,19–21).
Da nun das wahrhaftige Licht leuchtet – nicht mehr das Gesetz in Israel, sondern das in die Welt gekommene Licht –, gilt ein Kriterium, das für jeden Menschen entscheidend ist. Es geht um eine viel tiefere Frage als um den eigenen Zustand oder das Verhalten eines Menschen. Denn auch das ist bereits entschieden; der Mensch ist nicht mehr unter Bewährung, wie der Jude unter Gesetz war. Er ist verloren: Ob er nun Jude oder Heide ist, er ist gleichermaßen verloren. Es geht also darum, an Jesus, den Sohn Gottes und den Sohn des Menschen, zu glauben, der (wie wir zuvor gesehen haben) von Gott gesandt wurde, nicht weil Er bald kommen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten, sondern damit die Welt (nicht das auserwählte Volk jetzt, sondern die Welt trotz ihres Verderbens in seiner Gnade) durch Ihn gerettet wird. Das prüft einen Menschen durch und durch. Alles hängt also davon ab, an Ihn zu glauben. Wenn man nicht glaubt, ist man bereits gerichtet. Es ist nicht nur ein Versagen bezüglich der Pflicht, sondern ein Kampf gegen die Gnade und Wahrheit, die durch Jesus Christus geworden ist. Es bedeutet, das ewige Leben und die vollkommene Liebe Gottes in dem eingeborenen Sohn Gottes abzulehnen, dessen Namen man ungläubig nennt oder verächtlich macht.
Es ist völlig vergeblich, über den Mangel an Licht zu klagen. Genau das Gegenteil ist der Fall. „Dies aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse“ (V. 19). Das ist eine schreckliche Offenbarung ihres Zustandes! Das war leider unser Zustand, unsere völlig verdorbene Zuneigung, dass wir die Finsternis dem Licht vorzogen, und dies aus der schuldigsten Vernunft und einem schlechten Gewissen. Denn unsere Taten waren böse. Gewiss, die Posaune gibt keinen unsicheren Ton. Haben wir ihre klare Warnung über und unter dem Lärm dieser Welt gehört? Haben wir uns dem Urteil dessen unterworfen, der weiß, was im Menschen ist, nicht weniger als das, was in Gott ist? Oder sind wir noch ungebrochen in Selbstgerechtigkeit und Selbstüberheblichkeit? Wagen wir es, die Worte des Herrn anzufechten, die ernst und klar sind – zu klar, um sich zu irren? Wollen wir die Entscheidung bis zum großen weißen Thron aufschieben? Und was wird Er dann über den Unglauben urteilen, der Ihn gleichsam belügt? Denn kein Mensch, der diese seine Worte jetzt glaubt, würde bis dahin aufschieben, sondern sich sicher auf den werfen, der, wenn Er einmal der Richter ist, jetzt der Retter ist, und nichts anderes als ein Retter für den Verlorenen, der jetzt an seinen Namen glaubt.
Doch wenn das ewige Gericht kommt, ist es nicht wahr, dass es dann nur eine Frage des Unglaubens des Menschen ist. Aus dem göttlichen Bericht, der uns gegeben wird, erfahren wir, dass die Toten nach ihren Werken gerichtet werden. Es gibt zu keiner Zeit so etwas wie eine Erlösung aufgrund unserer Werke; für alle, die Christus ablehnen, wird es ein Gericht nach ihren Werken geben. Sie hatten den Heiland abgelehnt, sie hatten die Gnade Gottes durch Religiosität oder Irreligiosität, durch Widerstand oder Gleichgültigkeit verachtet. Sie werden nicht geschrieben gefunden im Buch des Lebens, sie werden gerichtet aufgrund dessen, was den Büchern geschrieben steht, nach ihren Werken. Sie werden in den Feuersee geworfen. Das ist der zweite Tod, das Ende aller, die die Finsternis mehr liebten als das Licht. Denn ihre Werke waren böse; ist ihr Gericht nicht gerecht?
Wie lautet die moralische Aussage des Herrn? „Denn jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht bloßgestellt werden“ (V. 20). Wie könnte so jemand dem Anteil der Heiligen am Licht entsprechen? Er hasst das Licht, das herabgekommen ist: Würde er dann dem Licht entsprechen oder es in der Höhe besser lieben? Er ist innerlich falsch und unehrlich und zieht es absichtlich und entschieden vor, in seinen Sünden fortzufahren, anstatt sich ihrer vollständigen Entdeckung durch das Licht zu unterwerfen, damit sie durch den Glauben an das Blut Christi ausgelöscht und vergeben werden können. Ist das die Wahrheit im inneren Menschen? Beweist es nicht vielmehr, dass solche, die Christus ablehnen, vom Teufel als ihrem Vater sind und ihre Begierden tun wollen, anstatt das Wort Gottes zu hören und sich seinem Sohn zu unterwerfen?
Andererseits: „Wer aber die Wahrheit tut, kommt zu dem Licht, damit seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott gewirkt sind“ (V. 21). Denn der Glaube der Auserwählten Gottes ist niemals kraftlos, sondern lebendig, er bringt nicht nur unter den Menschen sichtbare Ergebnisse hervor, sondern solche, die ihrer göttlichen Quelle und Sphäre entsprechen. Keiner macht mehr aus der Wahrheit oder der Erkenntnis Gottes als Johannes, der Schreiber dieses Evangeliums; keiner hat einen tieferen Abscheu vor dem Gnostizismus. Es ist Leben, ewiges Leben, dass man den Vater, den einzig wahren Gott, und Jesus Christus, den Er gesandt hat, kennt; aber sein Gebot ist ewiges Leben, wie unser Herr von sich selbst sagen konnte, der sich selbst gab, was Er sagen und was Er reden sollte (Joh 12,49.50).
Wenn wir diese Dinge wissen, sind wir gesegnet, wenn wir sie tun. Nicht gesegnet ist der vergessliche Hörer, der die Wahrheit nicht tut und nicht zum Licht kommt, sondern der, nachdem er sich selbst betrachtet hat, weggeht und sogleich alle Erinnerung an das verliert, was er war. Ist es nicht zu deutlich, dass seine Werke bestenfalls impulsiv und natürlich sind? Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zum Licht; er sucht darin zu wandeln, dem Licht gemäß, indem er seine inneren Gedanken und Gefühle, Motive und Gegenstände, Worte und Wege daran prüft. Die verwirklichte Gegenwart Gottes gibt seinen Werken ihren Glanz. Sie wurden offenkundig in Gott geschaffen. Sie tragen sein Bild und seine Unterschrift.
Wenn also alle, die in den Gräbern sind, die Stimme des Herrn hören und hervorkommen, dann ist es für die, die Gutes getan haben, eine Auferstehung zum Leben, für die, die Böses getan haben, eine Auferstehung zum Gericht (Joh 5,29). Im einen Fall gab es Leben, im anderen nicht. Wer das Wort des Heilands gehört und dem Gott geglaubt hat, der Ihn gesandt hat, hat das ewige Leben und tut daher das Gute. Wer den Sohn Gottes verwirft, hat keinen anderen Grund als den des Menschen und kann keine andere Macht haben als die des Satans; er hat den abgelehnt, der Gottes Weisheit und Macht ist. Er mag es nicht mögen, verloren zu sein und gerichtet zu werden; aber er verachtet den einzigen Weg der Erlösung, der jedem offensteht, den gekreuzigten Sohn des Menschen, den lebensspendenden Sohn Gottes. Er wird nicht in der Lage sein, sein Gericht nach und nach abzulehnen oder zu verachten.