Behandelter Abschnitt 4Mo 22
Die Erfolge, die den Kindern Israel zuteilwurden, beunruhigten einige ihrer Nachbarn, vor allem Moab; und das gibt Anlass zu einer auffälligen Episode in der Geschichte, die eine so ernste Frage aufwirft wie keine andere im vierten Buch Mose. Die Entsendung von Bileam durch Balak war ein völlig neues Element. Wir hatten die Gnade Gottes und seine Versorgung des Volkes; wir hatten den Unglauben des Volkes, mit Züchtigungen und Gerichten, nicht ohne die erneuten Erklärungen Gottes, dass Er auch ein solches Volk sicher in das gute Land bringen würde. Die Gnade allein konnte es, aber die Gnade würde es auch tun.
Aber es gab einen Feind, der uns noch nicht richtig vor Augen geführt wurde – die Macht Satans. Sie trat zunächst nicht in Erscheinung, aber schon bald spielt sie eine wichtige Rolle in dem großen Geschehen, das sich nun in diesem Kapitel zu entfalten beginnt. Satan kann den Platz eines Engels des Lichts und der Gerechtigkeit einnehmen: zwar nicht ausnahmslos, denn er hat andere Phasen, aber ganz besonders beim Volk Gottes. Andererseits gab es Material, das Satan nutzen konnte, denn das Volk war beständig untreu gewesen und hatte Gott oft und schwer entehrt. Die Frage war also: Würde Gott ein Volk aufrechterhalten, das sich der Übertretung seines eigenen Gesetzes schuldig gemacht hatte? Wenn ja, wäre das nicht eine Unehre für Ihn selbst? Was könnte Er sagen? Oder wie konsequent könnte Er Satan begegnen? Unmöglich, dass Satan in Wirklichkeit mehr auf Gerechtigkeit bedacht sein sollte als Gott selbst. Dennoch gab es eine nicht geringe Schwierigkeit in der Erscheinung, und zwar eine solche, die der menschliche Verstand niemals lösen kann. Wie sehr muss es jemanden, der das Volk liebte, gequält haben!
Aber es gibt ein einfaches und sicheres Mittel, um jede Schwierigkeit zu lösen. Wir kennen es in seiner ganzen Fülle; aber noch bevor es vollständig erklärt, bekannt und dargelegt wurde, gab es das Prinzip immer für den Glauben. Während der Unglaube Gott immer vergisst und sogar ausschließt, bringt der Glaube Ihn immer hinein. Und was auch immer die Schwierigkeit des Unglaubens sein mag, es ist offensichtlich, dass es für Gott überhaupt keine gibt. Obwohl also das Herz nicht verstehen mag, wie Gott seinen eigenen Charakter und sein ausdrückliches Wort und sein ernstes Urteil über die Sünde mit der Einführung eines solchen Volkes in das Land der Verheißung, auf dem sein Auge ständig ruht, in Einklang bringen will, sollte es nicht warten, bis es die Dinge versteht, sondern einfach glauben. Zu gegebener Zeit wird es sie sicherlich verstehen: nur hat es den Trost, dass das Verständnis geistlich und nicht natürlich ist, dass die Erkenntnis von Gott kommt und nicht von der Anmaßung des Menschen, für Gott zu denken und im Voraus zu bestimmen, wie die Dinge zu tun sind. Es ist unendlich erhabener, gleichsam hinter Ihm zu sein; in seinem Gefolge zu folgen; zu erleben, dass Er uns jeden Schritt des Weges zeigt; zu erleben, dass Er eine Schwierigkeit in ihrer Stärke hervortreten lässt, damit wir sehen können, wie herrlich Er alles regelt.
Das ist genau das, was bei der neuen Prüfung zum Vorschein kam, die vor uns gebracht werden soll. Balak ersuchte nicht nur die Hilfe Midians, noch ging es um die Kraft der Welt. Er selbst hatte das Bewusstsein, dass eine dem Menschen überlegene Macht herbeigeholt werden muss; aber er dachte nur an das, was er wusste – eine Macht, die für eine angemessene Gegenleistung die Lust des Menschen befriedigen und den Willen des Menschen zulassen würde. Doch der wahre Gott tritt unerwartet auf den Plan; denn wir müssen uns sorgfältig daran erinnern, dass Balak keine wirkliche Kenntnis über Gott hatte. Er dachte genauso wenig an den Herrn, wie König Saul Ihn verehrte, als er die Totenbeschwörerin von En-Dor befragte, ganz gleich, wie er den Namen Gottes gebrauchen würde. Außerdem hatte die Totenbeschwörerin selbst keinen Gedanken an den wirklichen Geist Samuels; denn ich brauche es euch nicht zu sagen, da ihr es zweifellos alle wisst, dass weder der Mensch noch der Teufel die geringste Macht über die Geister der Gerechten oder Ungerechten hat. Was die Ungerechten betrifft, so sind sie im Gefängnis (Hades) bis zum Tag des Gerichts; was die Gerechten betrifft, so braucht man nicht zu sagen, dass sie beim Herrn sind.
Ich sage also, dass weder ein Mensch noch der Teufel Macht haben, sie hervorzubringen. Aber dann müssen wir bedenken, dass es eine Welt der geistigen Kräfte gibt, und der Mensch ist geneigt, das mit dem Wesen Gottes zu verwechseln, deren Kräfte den seinen überlegen sind. Diese sind jene verborgene Energie, die es geschafft hat, sich den Platz Gottes mit schlechtem Gewissen anzueignen – so viel verunreinigender als alles andere Böse, denn sie nennt sich Religion und hat sich zwischen den wahren Gott und den Menschen gestellt. Das ist die Quelle und der Charakter aller Abgötterei. Das ist ihr wahres Wesen vor Gott. Die äußeren Formen sind nur das Blendwerk. Die wahre Macht ist dämonisch; sie täuscht und zerstört.
Nun verkörpern diese Dämonen beständig, wen sie wollen. Sie mögen vorgeben, der Geist dieses oder jenes Menschen zu sein, aber sie sind nichts dergleichen; sie sind nicht mehr als Dämonen und nichts weniger. Sie täuschen die Menschen, indem sie ihr Misstrauen, ihre Begierden und Leidenschaften befriedigen, und unter anderem auch ihre Phantasie über Freunde und Verwandte, oder sie geben sich die ganze Zeit über auch als Gott, Engel und so weiter aus. Das ist es, was damals, wie seit der Sintflut, von Zeit zu Zeit geschah. Es ist nichts Neues, obwohl es den Menschen in diesen Tagen des Verfalls der Christenheit zweifellos vertrauter wird. Das sind leider Tage, die den Weg für eine noch schrecklichere Macht Satans hier auf der Erde am Ende dieses Zeitalters vorbereiten.
Aber Gott hat es nicht bei Dämonen und Betrügereien belassen; denn als Balak sich anmaßte, diese übermenschliche Macht anzuzapfen, um die Aussichten seines Volkes zu verderben, rief dies sofort den wahren Gott auf den Plan. Bileam redet in seiner heuchlerischen Art davon, den Herrn zu befragen. Auch das war schon immer so. Die, die am wenigsten mit Gott zu tun haben, reden oft am leichtfertigsten über Ihn. Und so war es auch schon früher, wie es jetzt ist. So steht geschrieben: „Und Gott kam zu Bileam und sprach: Wer sind diese Männer bei dir?“ (V. 9). Er war nicht erschrocken, denn er war an einen bösen Geist gewöhnt. Er wusste nur, dass die Macht, die zu ihm kam, der alte vertraute Geist war. Gott fing den Listigen in seinem eigenen Netz. Gerade hier zeigt sich die mächtige Kraft Gottes gegenüber jedem Widersacher, der es wagte, sich seinem Volk zu widersetzen. Auf die Frage an den Propheten, wer diese Männer seien, antwortet Bileam: „Balak, der Sohn Zippors, der König von Moab, hat zu mir gesandt: Siehe, das Volk, das aus Ägypten gezogen ist, es bedeckt die Fläche des Landes; komm nun, verwünsche es mir, vielleicht vermag ich gegen es zu kämpfen und es zu vertreiben. Und Gott sprach zu Bileam: Du sollst nicht mit ihnen gehen; du sollst das Volk nicht verfluchen, denn es ist gesegnet“ (V. 10–12).
Wir werden in der Folge sehen, wie erstaunlich der Weg Gottes war, auf diese Weise die Bemühungen des Satans gegen sich selbst zu wenden und diesen höchst bösen Bileam dazu zu bringen, ungewollt gegen alle seine Interessen zu handeln, aber in der mächtigen Hand Gottes das Werkzeug zu halten, um den Segen Gottes über sein Volk zu bestätigen, soweit es von Menschenhand getan werden konnte! „Und Bileam stand am Morgen auf und sprach zu den Fürsten Balaks: Zieht in euer Land; denn der Herr hat sich geweigert, mir zu gestatten, mit euch zu gehen“ (V. 13). Da kehrten die Fürsten zurück und sagten Balak, dass Bileam sich weigerte, mitzukommen. Balak, der nach dem, was der Mensch so gut weiß, nach seinem eigenen Herzen und seiner Erfahrung urteilt, schickt Fürsten, die ehrbarer sind als die anderen, die zu Bileam kamen, und sie sprachen zu ihm: „So spricht Balak, der Sohn Zippors: Lass dich doch nicht abhalten, zu mir zu kommen; denn sehr hoch will ich dich ehren, und alles, was du mir sagen wirst, will ich tun; so komm doch, verwünsche mir dieses Volk!“ (V. 16.17). Da sagt Bileam, teils mit der Schlauheit, die die besten Bedingungen sucht, teils auch von Gottes Hand gegen seine eigenen Gedanken gehalten: „Wenn Balak mir sein Haus voll Silber und Gold gäbe, so könnte ich nicht den Befehl des Herrn, meines Gottes, übertreten, um Kleines oder Großes zu tun. Und nun bleibt doch hier, auch ihr, diese Nacht, und ich werde erfahren, was der Herr ferner mit mir reden wird“ (V. 18.19). Aber auch hier beweist Bileam, dass sein ganzes Gerede über Gott nur ein Vorwand war und dass es keine Glaubensrealität geben konnte, sonst hätte er nie wieder nachgefragt. Der Glaube weiß, dass Gott nicht anklagt. Er ist weder ein Mensch, dass er lügen sollte, noch ein Menschensohn, dass er umkehren sollte.
In Unkenntnis über Gott hält Bileam die Boten auf diese Weise zurück; denn sein Herz liebte die angebotene Ehre und Belohnung. Er bittet sie, zu warten, damit er den Herrn erneut befragen kann. Hier tappt er wieder in die Falle seiner eigenen Begehrlichkeit: „Da kam Gott in der Nacht zu Bileam und sprach zu ihm: Wenn die Männer gekommen sind, um dich zu rufen, so mach dich auf, geh mit ihnen“ (V. 20). Nicht, dass dies seinem heiligen Willens entsprach; es war Gott, der mit dem Eigensinnigen nach seinem Eigensinn handelte. Das tut Er, wenn jemand keinerlei Glauben und auch kein einfältiges Auge hat. Er lässt zu, dass ein Mensch seinen eigenen blinden Machenschaften folgt. Das ist gerecht; und Gott geht dementsprechend so mit Bileam um. Wo Er Rechtschaffenheit sieht, begegnet Er dem zitternden Herzen und dem zögernden Verstand gnädig. Aber bei Bileam war es keine Frage des Zögerns. Da war der Eigenwille, und das auch noch angesichts des herrlichen Ausdrucks des Willens Gottes. Im Grunde genommen macht er sich nichts aus Gott oder seinem Wort. Ihm war deutlich gesagt worden, dass er das Volk nicht verfluchen, sondern segnen sollte; und doch wartet er mit keinem anderen Ziel, als, wenn es möglich wäre, die zu verfluchen, die Gott ihm zu segnen befahl. Da war nicht ein Funke Glauben, noch Gottesfurcht. Dementsprechend überlässt Gott ihn nun seinem eigenen Tun. Wenn er sich einem Götzen anschließen will, dann lass ihn in Ruhe, denn er will nicht gewarnt werden. Dass dies die wahre Moral ist, wird sehr deutlich gemacht; denn es heißt, als Bileam am Morgen aufstand und seinen Esel sattelte und mit den Fürsten Moabs ging: „Da entbrannte der Zorn Gottes“ (V. 22). Obwohl Gott also dem Unwissenden gesagt hatte, er solle unwissend sein, und dem Eigenwilligen, er solle gehen und seinen eigenen Willen tun, gab es eine ausdrückliche und ernste Warnung an den Propheten, dass er vor Gott fliehen würde (vgl. V. 12.22)
Dann folgt jene Begebenheit, von der das Neue Testament in 2. Petrus 2 berichtet, und ich vertraue darauf, dass niemand hier auch nur den kleinsten Hauch eines Verdachts zulassen wird, das anzuzweifeln. In Wahrheit waren die eingesetzten Mittel, wie immer, in göttlicher Weisheit genau auf den Fall abgestimmt. Ich gebe zu, dass es nicht üblich ist, dass Gott ein stummes Tier zum Reden bringt; aber waren diese Umstände hier üblich? War es nicht furchtbar demütigend, dass ein solches Tier den schuldigen Propheten zurechtweist? Aber gerade diese Tatsache war höchst bezeichnend: Es war ein Esel, der einen Mann zurechtwies, dem es nicht an natürlicher Intelligenz fehlte, und bald das Gefäß der schönsten Erklärungen von Seiten Gottes, aber nicht bevor das Tier, das er ritt, ihn vor seiner Torheit und Sünde warnte. Hierauf brauche ich nicht näher einzugehen.
Der Prophet durfte dann vom Engel des Herrn selbst erfahren, warum ihm alle diese Hindernisse in den Weg gelegt worden waren. Wie gnädig von Gott, einen Mann, der dem Verderben entgegeneilte, zögern und überlegen zu lassen, ob ihn etwas aufrütteln könnte! Aber nein, er war auf böse Wege festgelegt. Die Gesetzlosigkeit muss ihren elenden Weg bis zu einem nicht minder elenden Ende verfolgen.
Wie auch immer, er geht und trifft Balak, der ihn nach Kirjat-Chuzot führt. „Und Balak opferte Rind- und Kleinvieh und schickte davon Bileam und den Fürsten, die bei ihm waren. Und es geschah am Morgen, da nahm Balak Bileam und führte ihn hinauf zu den Höhen des Baal, und er sah von dort aus den äußersten Teil des Volkes“ (V. 40.41).