Am Ende des vorigen Kapitels spricht unser Herr, indem er die verlorenen Schafe des Hauses Israel vor Augen hat, in tiefem Mitleid von ihnen als von Schafen ohne einen Hirten. Was die Pharisäer wirklich waren, war völlig zum Vorschein gekommen: nicht nur das, was Er schon vorher wusste; sondern die Umstände ihrer völligen Ablehnung seiner selbst und ihres Hasses, die immer deutlicher hervortraten, brachten vor seinem Geist die Entblößung der Schafe Gottes hervor. Wenn ihr Geist unversöhnlich gegen Ihn war, in dem keine Sünde war, der Gottes eigener Sohn war, der Hirte Israels, was muss dann nicht das traurige Los derer sein, die Schwächen und Fehler hatten, die sie der Bosheit derer aussetzten, die sich nicht um sie kümmerten um Gottes willen, die den schärfsten und misstrauischsten Blick für alles Schwache und Törichte an ihnen hatten! Lasst uns immer an die Gnade des Herrn denken, dass selbst das, was an uns demütigend ist, nichts anderes als sein Erbarmen hervorruft.
Ich spreche jetzt nicht von der Sünde, sondern von dem, was schwach ist; denn Schwächen und Sünden sind zwei verschiedene Dinge. Wir wollen nicht das Mitleid des Herrn mit dem Bösen. Der Herr hat für unsere Sünde gelitten und ist dafür gestorben. Aber wir wollen Mitleid mit uns in unserer Unwissenheit, Schwäche, unserem Zittern und der Anfälligkeit für Ängste, Sorgen, Mühen: In all diesen Dingen, die uns hier leiden lassen, brauchen wir Mitleid. Und der Herr hat es völlig mit uns. Dies war auch bei Israel der Fall. Die Jünger waren sich des elenden Zustandes der Schafe nicht bewusst, doch Jesus fordert die Jünger in der Liebe seines eigenen Herzens auf, den Herrn der Ernte zu bitten, Arbeiter in seine Ernte auszusenden. Es war seine Ernte, und nur seine Arbeiter konnten sie einbringen. Aber gleich danach – und das ist bemerkenswert – zeigt Er, dass Er selbst der Herr der Ernte ist, und Er sendet Arbeiter aus. Das nächste Kapitel veranschaulicht dies und zeigt auf wunderbare Weise die Reichweite von Matthäus, der Ihn als den darstellt, der sein Volk von ihren Sünden erretten sollte – Emmanuel, Gott mit uns. Beachte die Umstände. Dies geschieht nach seiner Verwerfung durch Israel. Wir haben gesehen, dass sein Wirken, das sowohl voller Gnade als auch voller Macht war, voll zur Geltung kam und in der völligen Gleichgültigkeit Israels und dem Hass der religiösen Führer endete. In Kapitel 8 sehen wir das Volk und in Kapitel 9 seine Führer, die sich auf diese Weise getrennt voneinander offenbaren.
Nun zeigt Kapitel 10, dass Jesus als Herr der Ernte Arbeiter aussendet und diesen Vollmacht und Kraft gibt. Aber beachte, es ist immer noch in besonderer Verbindung mit Israel; und der Herr ist sich von Anfang an der Ablehnung durch Israel bewusst. Inzwischen ist es eine jüdische Mission der zwölf jüdischen Apostel zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Ich nehme das wörtlich und nicht so, als ob es von der Versammlung gesagt würde, von der nie von verlorenen Schafen gesprochen wird; doch die Schafe Israels in ihrem verwüsteten Zustand werden sehr treffend so beschrieben. Bevor die Versammlung zusammengebracht wird, brauchen wir einen Retter. Wir Heiden waren aus der Sicht unseres Evangelisten überhaupt keine Schafe, sondern Hunde (siehe Mt 15,26). Und nachdem wir in die Versammlung eingefügt worden sind, sind wir keine verlorenen Schafe und können es auch nicht sein. Von diesen Armen der Herde wird hingegen als verlorenen Schafen des Hauses Israel gesprochen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war das Werk noch nicht vollbracht, durch das sie in die bekannte Stellung der Errettung gebracht werden konnten.
Wiederum, als unser Herr sie aussendet, heißt es:
Und als er seine zwölf Jünger herzugerufen hatte, gab er ihnen Gewalt über unreine Geister, sie auszutreiben, und jede Krankheit und jedes Gebrechen zu heilen (10,1).