Behandelter Abschnitt Hag 1,12-13
Es war der Herr, der ihre selbstsüchtigen Bemühungen zunichtemachte. Er hatte es mit dem Unglauben und der daraus resultierenden Vernachlässigung des zurückgekehrten Überrestes zu tun. Nicht, weil Er sie nicht liebte, sondern weil Er sie liebte. „Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er geißelt aber jeden Sohn, den er aufnimmt“ (Heb 12,6). Wenn der Herr es zulässt, dass Menschen ohne Zurechtweisung weggehen, ist das ein offensichtliches und sicheres Zeichen dafür, dass alle praktischen Bindungen zerbrochen sind – falls überhaupt jemals eine Bindung bestand –, dass Er sie nun verleugnet, jedenfalls für die Zeit. Daher waren gerade diese Züchtigungen, die die Juden erlitten, der Beweis, wenn auch von trauriger Art, dass sein Auge auf sie gerichtet war und dass Er ihre Nachlässigkeit Ihm gegenüber empfand und – natürlich in göttlicher Treue, aber doch in der Regierung – das Versagen seines Volkes in der Sorge um seine Herrlichkeit.
Dennoch segnete der Herr das Zeugnis seines Propheten Haggai zu dieser Zeit.
Und Serubbabel, der Sohn Schealtiels, und Josua, der Sohn Jozadaks, der Hohepriester, und der ganze Überrest des Volkes hörten auf die Stimme des HERRN, ihres Gottes, und auf die Worte des Propheten Haggai, so wie der HERR, ihr Gott, ihn gesandt hatte; und das Volk fürchtete sich vor dem HERRN. Da sprach Haggai, der Bote des HERRN, kraft der Botschaft des HERRN zum Volk und sagte: Ich bin mit euch, spricht der HERR (1,12.13).
Es ist, wie ich finde, überaus gnädig, zu sehen, wie Gott mit besonderer Sorgfalt für einen Tag der Schwachheit sorgt. Mir ist nicht bekannt, dass einer der Propheten zuvor der Bote des Herrn genannt wurde. Haggai ist der kleinste der Propheten nach der Gefangenschaft, was den Umfang betrifft, und der früheste von ihnen, was die Zeit betrifft. Doch er ist es, der berufen wurde, diesen besonderen Ehrennamen zu tragen. Die Menschen hätten ihn nie dafür ausgewählt. Einfache Kritiker würden, wenn sie ihre Gedanken über Haggai äußern, von ihm als dem zahmsten in Bezug auf den Stil, dem prosaischsten aller Propheten sprechen. Doch er war trotz alledem der Bote des Herrn. Die Weisheit der Menschen ist Torheit: „denn das Törichte Gottes [wie die Menschen meinen] ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen“ (1Kor 1,25). Gerade der Prophet, der sich auf die einfachste Weise mit den alltäglichsten Dingen befasst – der von ihren getäfelten Häusern und ihrer großen Aussaat und ihren durchlöcherten Beuteln spricht, nichts als die banalsten und gewöhnlichsten Aufforderungen, wie es scheinen mag, war der Bote des Herrn.
Ich bin überzeugt, dass es heute genau dasselbe Prinzip ist. Man sieht es in der bereits erwähnten Vorsorge unseres Herrn in Matthäus 18, wo Er die Jünger vor Ärgernissen warnt. Und wir wissen gut, wie wahr es war, dass das, was einst schön und kraftvoll und frei in seinem Fortschritt über die Verwüstung durch Wasser war, zerstört und in Stücke gebrochen worden ist. Wir wissen wohl, wie das einheitliche Zeugnis der Christenheit längst verschwunden und als insgesamt zum Sitz der Macht Satans geworden ist; dass nun das Zeugnis der Wahrheit höchst parteiisch ist und sogar das, was gesund und gut ist, verdreht ist, um dem Stolz des Menschen zu dienen, nicht der Herrlichkeit des Herrn in der Trennung von der Welt. Folglich sind die Umstände so, dass es unmöglich ist, den gegenwärtigen Zustand des Hauses Gottes zu verteidigen, um einem Ungläubigen, der seine stärksten Waffen aus dem groben Gegensatz der Christenheit zum Neuen Testament sammelt, zu überzeugen.
Zweifellos kann ein geistliches Verständnis die Verwirrung durchschauen und darin eine Bestätigung der göttlichen Warnungen sehen, doch das hindert das nicht daran, was unter dem Deckmantel des Namens Christi die größte Schau und die höchsten Ansprüche hat, am weitesten von der Wahrheit Gottes entfernt zu sein. Folglich gibt es viele moralische Verwirrungen für einfache Menschen, die uns, wie ich denke, dazu bringen sollten, in der gegenwärtigen Zeit große Zartheit und Sorge für sie zu haben. Doch über allem steht dieser Trost, den Gott denen gibt, die Christus und die Versammlung lieben – seine besondere Voraussicht, für einen Tag der Schwierigkeiten und der Schwachheit vorzusorgen, an dem die Menschen mehr denn je getäuscht werden könnten. So ist es ein Beispiel für eben diese Vorsorge, wenn an manchen Orten buchstäblich nur zwei oder drei zum Namen des Herrn versammelt sein mögen, dass Er ausdrücklich vorhersagt: „da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20). Was fehlt da, wo Er ist? Oder ist es so, dass die gemischte Schar diejenigen, die es besser wissen und empfinden sollte, dazu verleitet, dieses als leichte Speise zu verabscheuen? Ist das Manna geschmacklos, und verleitet die alte Gewohnheit Ägyptens einige dazu, sich nach seinen Fleischtöpfen und seinem Knoblauch zu sehnen? Ich weiß nicht, wo wir seine Gegenwart eindrucksvoller und nachdrücklicher versprochen finden, als wenn seine Versammlung nur aus zwei oder drei, die zu seinem Namen versammelt sind, bestehen mag.
Ein ähnliches Prinzip sehen wir auch im Judasbrief. Der Untergang des christlichen Zeugnisses wird dort in einer krasseren und schrecklicheren Weise dargelegt als in irgendeinem anderen Teil des Neuen Testaments. „Wehe ihnen!“, sagt Jakobus, „denn sie sind den Weg Kains gegangen und haben sich für Lohn dem Irrtum Bileams hingegeben, und in dem Widerspruch Korahs sind sie umgekommen“ (V. 11). Doch gerade in diesem Brief heißt es: „Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben“ (V. 20). Nur hier im Neuen Testament wird unser Glaube allerheiligst genannt; und ich denke, dass der Grund, warum es dem Geist gefiel, einen solchen Begriff allein in diesem Zusammenhang zu verwenden, der war, sich vor der Tendenz zu hüten, den Glauben in Folge der Schwierigkeiten des Zustandes der Dinge und der Zeiten herabzusetzen. Die Menschen haben das unbestimmte Empfinden, dass die Christenheit in Verwirrung ist. Daher besteht die Versuchung in solchen Wirren immer darin, die unbeirrte Treue zum Willen des Herrn aufzugeben, wo er schwer zu befolgen ist und in jeder Hinsicht viel kostet. In einer Zeit der Lauheit müssen wir am meisten unnachgiebig an der Wahrheit Gottes festhalten. Das Einzige, woran wir kompromisslos festhalten sollten, ist der Name Christi. Wir sind nicht dazu berufen, für unseren eigenen Namen oder unsere Ehre oder irgendein irdisches Ziel oder eine Verbindung zu kämpfen; noch weniger sollten wir uns anderen widersetzen, es sei denn, um für seinen Namen zu kämpfen, der sowohl der ihre als auch der unsere ist.
Doch wir sind berufen, ohne Zögern und unbeugsam zu sein, wenn es um den Glauben geht. Deshalb werden sie aufgefordert, sich auf ihren allheiligsten Glauben zu erbauen, sich in der Liebe Gottes zu erhalten und die Barmherzigkeit des Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben zu erwarten (Jud 20). Sowohl der Ernst als auch der Trost eines solchen Wortes für Tage wie die unseren scheint mir nicht übertrieben zu sein. Nein, wir sollen nicht wie Laodizea werden. Auch sollen nicht sagen, weil der Glaube auf alle möglichen Arten angegriffen worden ist, dass deshalb Wahrheit, Heiligkeit und Liebe hoffnungslos sind. Es ist nicht so. „Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geist, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes“ (Jud 20.21). Wir sollen nicht mit dem Niedergang der Christenheit untergehen; wir sollen vielmehr durch die Gnade Gottes umso energischer aufstehen und, wenn wir sonst nichts zu rühmen haben, jedenfalls an dem Glauben der Auserwählten Gottes festhalten, der durch die Liebe wirkt. Wir sind es Christus und der Versammlung umso mehr schuldig wegen der Gefahr und der Schwierigkeit; nicht nun um unserer selbst willen, sondern um seiner selbst willen, der für uns gestorben ist und wiederkommt, um uns zu sich zu nehmen. Dann werden wir die Freundlichkeit seiner Anerkennung schmecken für alles, was wir an Schmach für seinen Namen erfahren haben mögen. Zweifellos ist alles wertlos, was sich nicht auf die Person des Sohnes Gottes gründet, der der Inhalt des Glaubens ist; und die einzige Prüfung ist, an Ihm unbeirrt festzuhalten.
Bewundernswert ist die Art und Weise, in der das Neue Testament für einen dunklen Tag vorsorgt, so dass ohne Anmaßung immer eine wirkliche Vorsorge für die Versammlung vorhanden ist. Lasst mich veranschaulichen, was ich meine. Gott sorgte in den apostolischen Tagen dafür, dass die heiligen Apostel das anerkennen sollten, was manche Menschen ungeordnet nennen, was aber wirklich vom Geist ist; und sicherlich sollten sie sich davor hüten, zu weit zu gehen, wenn es um Ihn geht. So forderte der Apostel in seinem Brief an die Thessalonicher die Gläubigen auf, die zu erkennen, die ihnen im Herrn vorstanden (1Thes 5,12.13). Wahrscheinlich waren sie selbst überrascht, dass der Herr so viel aus ihnen machen würde. So wird Haggai hier, wenn auch natürlich auf höherem Niveau, als Bote des Herrn bezeichnet. Jesaja und Hesekiel brauchten es nicht so sehr; Haggai schon. Die Erhabenheit Jesajas, der weitereichende Umfang und die tiefe Natur seiner Prophezeiungen sprachen zusammen mit Hesekiel für sich.
Aber bei Haggai war es nicht so, wie aus der abwertenden Einschätzung unserer Kritiker zu deutlich hervorgeht. Es gibt eine stille Vertrautheit in Haggais Mitteilungen zum größten Teil, die ihn dem Verdacht ausgesetzt hat, dass er nur ein guter Mann war, der sein Bestes unter den Umständen tut. Doch bis zu diesem Zeitpunkt wird er, und nur er, als der Bote des Herrn bezeichnet. Noch nie war jemand so sorgfältig unterstützt und sozusagen mit dem Schutz des Herrn inmitten von Widersachern versehen worden. Er wurde mit einem wahren Schutzpanzer um sich herum ausgesandt. Wurde er mehr ausgesetzt, war er auch mehr geschützt. Nach einem solchen Stil sorgte der Herr nicht nur in jenen frühen Tagen, als er die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenkte, dass diese Arbeiter, die dazu neigten, verachtet zu werden, im Herrn über sie waren.
Aber es gibt noch mehr Belehrung und Wert. Denn sicherlich brauchen wir in diesen Tagen kein neues Adressbuch; und wenn das damals der wahre Grundsatz war, so bleibt er jetzt nicht weniger wahr. Die Gläubigen in Thessalonich hatten keine Befugnis vom Herrn, um ihren Brüdern Autorität zu verleihen, was der Fall war, als der Apostel Älteste für die Brüder auswählte. Eine wahrhaft bewundernswerte Methode war es, die Gläubigen aufzufordern, das anzuerkennen, was Gott gewirkt hatte, wo keine apostolische Wahl getroffen werden konnte. Aber der Apostel macht es zu einer klaren Pflicht, geistliche Autorität in der Art der Führung zu besitzen, ohne etwas anderes. Wie wir gesehen haben, macht das inspirierte Wort sorgfältig auf ihre Stellung aufmerksam und hält sie eifersüchtig aufrecht. Wenn wir also, wie jetzt, die reguläre Einsetzung von Ältesten durch apostolische Autorität nicht haben können, können wir dankbar auf das zurückgreifen, was vorher und unabhängig davon wahr war. So weise und gnädig denkt der Herr an uns in dieser Zeit der Schwachheit und des Mangels und der Verführung.
Was entspricht denn heute einem Boten des Herrn? Der, der das Zeugnis Gottes zu seiner Ehre gebraucht, der unerschrocken daran festhält und doch beharrlich das Wohl des Volkes Gottes sucht, und der alle Verachtung und Ablehnung erträgt, und doch andere wie sich selbst mit der strahlenden Erwartung der Herrlichkeit und des Triumphes mit Christus bei seinem Kommen ermutigt. Aber der, der auf die trügerischen Hoffnungen der Welt und den eitlen Traum von der Verbesserung der Christenheit ausgeht, ist, denke ich, ein ganz anderer Bote. Sei dir einer Sache sicher: Keine Wahrheit nützt, wenn du nicht bereit sind, sie in die tägliche Praxis umzusetzen. Die Welt wird dich alles bewahren und sogar sagen lassen, wenn sie sieht, dass du nicht ernsthaft daran denkst, treu zu sein und sie so aufzufordern, es auch zu sein.
Dieser Bote hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Gesandten des Herrn, der das eine sagt und das andere tut, der die Welt anprangert und doch Vorteile für seine Familie sucht, der richtig urteilt und doch nicht daran denkt, seine Überzeugungen auszuleben. Ist das ein Leben, das einem göttlichen Zeugnis Wirkung verleiht? Er, der die lebendige Quelle der Wahrheit ist, ist auch der Heilige Geist. Was kann mehr dazu dienen, die Wahrheit zu zerstören, als die Unvereinbarkeit mit ihr in der Praxis?
Im Neuen Testament ist der Mensch Gottes ein treuer Diener der Gläubigen. Doch der Begriff ist keineswegs auf das Christentum beschränkt, sondern ist an sich ein vertrauter Ausdruck des Alten Testaments (Mann Gottes). Wir können darunter einen Gläubigen verstehen, der den moralischen Mut und die geistliche Kraft hat, sich mit den Interessen des Herrn einszumachen und den guten Kampf des Glaubens inmitten von Gefahren und Hindernissen jeder Art zu führen. Ein solches Zeugnis ist unvereinbar mit dem Nachgeben gegenüber menschlichen Prinzipien und dem Zeitgeist.