Aber jetzt, in Vers 36, haben wir eine andere Person, die abrupt in die Szene eingeführt wird.
Und der König wird nach seinem Gutdünken handeln, und er wird sich erheben und sich groß machen über jeden Gott, und gegen den Gott der Götter wird er Erstaunliches reden; und er wird Gelingen haben, bis der Zorn vollendet ist, denn das Festbeschlossene wird vollzogen (11,36).
Es wird uns nicht gesagt, wer er war oder woher er kam; aber der Charakter, der von ihm gegeben wird, die Szene, die er einnimmt, die Geschichte, in die der Geist Gottes in Verbindung mit ihm eintritt – all das verkündet nur zu deutlich, dass es der schreckliche König ist, der sich im Land Israel in persönlicher Feindschaft zum Messias Israels, dem Herrn Jesus, aufstellen wird. Er war es, von dem unser Herr sprach, als Er sagte, dass sie, wenn sie den ablehnen, der im Namen seines Vaters gekommen ist, einen anderen aufnehmen werden, der in seinem eigenen Namen kommt (Joh 5,43). Dies ist auch nicht die einzige Stelle in der Schrift, wo dieser falsche Christus oder vielmehr Antichrist (denn es gibt einen Unterschied zwischen den Begriffen) als „der König“ bezeichnet wird. Es gibt nicht nur verschiedene Hinweise auf ihn unter anderen Beinamen, sondern in der größten und umfassendsten Prophezeiung der Schrift stellt Jesaja, wie Daniel, „den König“ vor, als ob er sofort erkannt werden müsste. In Jesaja 30 haben wir einen Feind Israels, der „der Assyrer“ genannt wird. Zweifellos, wenn man die Geschichte betrachtet, war Sanherib ihr großes Oberhaupt zu jener Zeit. Aber er gab dem Geist Gottes nur die Gelegenheit, den zukünftigen und endgültigen Widersacher Israels hervorzubringen. Sein Fall wird uns hier vor Augen geführt. „Denn vor der Stimme des Herrn wird Assur zerschmettert werden, wenn er mit dem Stock schlägt. Und es wird geschehen, jeder Streich der verhängten Rute, die der Herr auf ihn herabfahren lässt, ergeht unter Tamburin und Lautenspiel; und mit geschwungenem Arm wird er gegen ihn kämpfen“ (Jes 30,31.32). Nach dem Ende dieses Sieges wird es für Israel eine übergroße Freude geben; statt des Zuges der Trauer, den die meisten Siege mit sich bringen, folgt ungeheuchelte Freude vor dem Herrn. Für den Feind wird es ein entsprechendes Elend geben.
Etwas noch Schrecklicheres und Unendlicheres als zeitliche Zerstörung kommt über den stolzen Feind. „Denn längst ist eine Gräuelstätte zugerichtet; auch für den König ist sie bereitet. Tief, weit hat er sie gemacht, ihr Holzstoß hat Feuer und Holz in Menge; wie ein Schwefelstrom setzt der Hauch des Herrn ihn in Brand“ (Jes 30,33). In der englischen Version gibt es in diesem Vers eine eigenartige Unklarheit, die von einem anderen bemerkt wurde. Auf den ersten Blick könnte es so aussehen, als ob der Assyrer und „der König“ ein und dieselbe Person wären. Die richtige Wiedergabe ist: „Auch für den König ist es bereitet“ – das heißt, Tophet ist für den Assyrer bereitet, aber außerdem auch für den König. Genau wie in unserem Abschnitt in Daniel haben wir den Assyrer oder König des Nordens auf der einen Seite und „den König“ auf der anderen. Auf beide wartet das gleiche schreckliche Ende. Aber ich beziehe mich jetzt nur darauf, um zu zeigen, dass der Ausdruck „der König“ in der Schrift nicht beispiellos ist und dass er sich auf eine berüchtigte Persönlichkeit bezieht, die die Juden in der Prophetie zu erwarten gelehrt wurden. Gott würde sie als gerichtliche Vergeltung für ihre Verwerfung des wahren Christus hingeben, um den Antichrist zu anzunehmen. Dieser ist „der König“. Er würde die königlichen Rechte des wahren Königs, des Gesalbten Gottes, für sich in Anspruch nehmen. Tophet wurde für den König des Nordens vorbereitet, und auch für „den König“.
Aber das ist noch nicht alles. In Jesaja 57 wird er ganz unerwartet vorgestellt. In Jesaja 55 werden uns die moralischen Eigenschaften gezeigt, die Gott in seinem Volk hervorbringen wird. Jesaja 57 zeigt uns den furchtbar ungerechten Zustand, der dann auch in Israel zu finden ist. An jenem Tag wird Gott nichts anderes mehr dulden als die Wirklichkeit. Formen der Frömmigkeit, die Unreinheit und Gottlosigkeit verdecken, werden vergangen sein. Da wird uns plötzlich „der König“ vorgestellt: „Und du zogst mit Öl zum König und vermehrtest deine wohlriechenden Salben; und du sandtest deine Boten in die Ferne und erniedrigtest dich bis zum Scheol“ (V. 9). Mit ihm zu tun zu haben, bedeutete, sich zum Scheol zu entwürdigen. Kein Wunder, dass die Gräuelstätte „auch für den König“ zubereitet wurde. Das zeigt, dass es vor den Augen Israels von Anfang an jemanden gab, den der Geist Gottes sie erwarten ließ, um in den letzten Tagen über das Land zu herrschen, der „der König“ genannt wird.
Damit ist sogleich ein sehr wichtiger Hinweis auf Kapitel 11 gegeben. Wir sind bei der Zeit des Endes angelangt. Die Leere ist geschlossen – die lange dunkle Nacht der Zerstreuung Israels ist fast vorbei. Die Juden sind im Land. In welchem Zustand? Sind sie unter Christus? Ach nein, es gibt noch eine andere und schreckliche Begebenheit, die sich dort zuerst abspielen muss. „Der König“, von dem wir gelesen haben, ist dort, und der Kurs, den er verfolgt, ist genau das, was wir nach den Hinweisen des Heiligen Geistes erwarten können. „Der König wird nach seinem Gutdünken handeln“ (Dan 11,36). Ach, ist sich jemand von uns hinreichend bewusst, was für eine furchtbare Sache es ist, die Ausführenden unseres eigenen Willens zu sein? Hier sehen wir das entsprechenden Ende. Es war das erste große Merkmal der Sünde von Anfang an. Es ist das, was Adam tat, und der Fall der Welt war die unmittelbare Folge. Hier ist einer, der zu diesem Zeitpunkt der erhabenste und einflussreichste von Adams Söhnen zu sein scheint. Aber er handelt „nach seinem Willen“. Und es gibt nichts Schlimmeres. Sollen wir eine Geschichte wie diese ohne moralischen Gewinn für uns selbst lesen? Sollen wir vergessen, wie schlimm es ist, immer den eigenen Willen zu tun? Niemand soll annehmen, dass er, weil er in der Lage ist zu herrschen, nicht in dieser Gefahr steht. Nein, so ist es: Keine Sache macht einen Menschen so untauglich für eine gerechte Herrschaft wie die Unfähigkeit zu gehorchen. Es ist gut, zuerst zu wissen, was es heißt, unterworfen zu sein. Oh, möge das tief in unser aller Herzen schlagen, dass „der König“, der Antichrist, zuerst als jemand entlarvt wird, der seinen eigenen Willen tut. Mögen wir uns prüfen, wie weit wir unseren Willen suchen! – wie weit wir unter allen Umständen etwas tun oder zulassen, von dem wir nicht wünschen würden, dass es jeder auf dieser Welt sieht – vielleicht sogar die, die uns am nächsten stehen. Kennen wir nicht aus Erfahrung und Beobachtung die Schwierigkeit und Gefahr in diesen Dingen aus eigenem Herzen? Und doch gibt es nichts, was dem Christus, den wir kennengelernt haben, mehr widerspricht.
Wir sind geheiligt „zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“ (1Pet 1,1). Es ist nicht nur zur Segnung, zur Besprengung mit dem Blut, sondern auch zum Gehorsam Jesu Christi – zum gleichen Geist und Prinzip des Gehorsams; denn das ist die Bedeutung des Ausdrucks. Wir sind nicht wie die Juden, die unter das Gesetz gestellt wurden und deren Gehorsam den Charakter einer Verpflichtung hatte, unter Androhung der Todesstrafe dies und jenes zu tun. Wir sind bereits lebend für Gott, uns des Heils bewusst, in dem wir stehen, und erweckt, um die Schönheit des Willens Gottes zu sehen; denn sein Wille ist es, der uns gerettet und geheiligt hat (Heb 10,10). Das ist unsere Berufung und unser praktisches Tun hier auf der Erde. Christen haben, genau genommen, keine andere Aufgabe, als den Willen eines anderen zu tun. Wir müssen den Willen Gottes tun, nach dem Charakter des Gehorsams Christi – als Söhne, die sich am Willen des Vaters erfreuen. Es spielt keine Rolle, was wir zu tun haben. Es mag die natürliche tägliche Beschäftigung sein. Aber lasst uns nicht zwei Individuen aus uns machen – mit einem Prinzip in Geschäft oder Familie und einem anderen für die Versammlung und die Anbetung Gottes. Erlauben wir uns niemals einen solchen Gedanken! Wir haben Christus für alles und jeden Tag. Christus ist nicht nur ein Segen für uns, wenn wir zusammenkommen oder zum Sterben gerufen werden; sondern wenn wir Christus haben, haben wir Ihn für immer, und vom ersten Augenblick an sind wir befreit vom Tun unseres eigenen Willens. Das, was wir lernen, ist der Tod; aber er ist jetzt im Tod Christi weggetan. Wir sind erlöst, denn wir sind lebendig in dem Auferstandenen. Aber wozu sind wir befreit? Um den Willen Gottes zu tun. Wir sind geheiligt zum Gehorsam gegenüber Jesus Christus.
Was „den König“ betrifft, so haben wir in ihm das schreckliche Prinzip der Sünde, das immer am Werk war, aber hier alle Grenzen überschreitet. Der Augenblick ist gekommen, in dem Gott die Kontrollen in seiner Vorsehung aufheben wird, die Er bis zu diesem Zeitpunkt auf die Menschen gelegt hat, indem Satan erlaubt wird, alle seine Pläne zu verwirklichen; und das auch noch in dem Land, auf dem die Augen Gottes ständig ruhen.
Und der König wird nach seinem Gutdünken handeln, und er wird sich erheben und sich groß machen über jeden Gott, und gegen den Gott der Götter wird er Erstaunliches reden; und er wird Gelingen haben, bis der Zorn vollendet ist, denn das Festbeschlossene wird vollzogen (11,36).