Behandelter Abschnitt Jes 40,1-2
Ein spürbar anderer Teil der Prophezeiung beginnt nun und bildet das, was man den zweiten Band Jesajas nennen kann. Der Sturz von Königen und Völkern steht nicht mehr im Vordergrund, und wir beschäftigen uns auch nicht mehr wie zuvor mit den verschiedenen feindlichen Nationen, die Israel lange Zeit bedrängt und beunruhigt haben. Dafür steht, sehr passend eingeleitet, eine rührende Kontroverse zwischen Gott und seinem eigenen Volk. Wir blicken hier offensichtlich nicht auf Gottes Handeln nach außen; wir treten nach innen hinein. Sein Gericht beginnt wie immer am Haus Gottes: und zwar näher und gründlicher als derselbe Vorgang im Vorwort unserer Prophezeiung (Kap. 1). Man wollte mehr als Wege und Gerichte in der Vorsehung. Es gibt moralische Mängel und geistliche Missstände, die behoben werden müssen, wenn das Volk gottgemäß gesegnet werden soll; und was die Unterscheidung umso auffälliger macht, ist die Tatsache, dass wir Babylon in einem völlig anderen Aspekt wiederfinden werden als dem, den wir bisher gesehen haben, nicht so sehr in ihrem Aspekt weltlicher Pracht und Macht, sondern in ihrer traurigen Berühmtheit als Quelle und Bollwerk des Götzendienstes auf der Erde. Offensichtlich stimmt dies mit den Bitten Gottes an sein Volk überein und mit seiner deutlichen Entfaltung der Züchtigung, die Er wegen ihres Götzendienstes und noch schlimmerer Sünden auf geistlichem Gebiet über sie hereinbrechen ließ, wie wir sehen werden. So steht hier nicht politische, sondern die geistliche Bosheit vor uns, in die sie vom Feind hineingezogen worden waren, um sie in Opposition zu Gott selbst zu bringen.
Diese große Veränderung gibt Anlass zu einem ganz anderen Charakter der Offenbarung und sogar zu einem anderen Stil der Ansprache. „Tröstet euch, tröstet euch, mein Volk“ (V. 1), lässt uns gnädig das Ende von allem sehen. Am Anfang des Buches sprach der Geist Gottes Israel an, wie das Volk damals war, und bezeugte Gottes Gericht über ihre Schlechtigkeit und die Einführung der Herrlichkeit des Herrn. Auch hier war dasselbe Israel schuldig, und die göttliche Herrlichkeit soll sicher im Gericht sichtbar werden; aber bevor wir das völlige und erschütternde Bild dessen sehen, was sie in seinen Augen wirklich waren, beginnt Er mit untrüglichen Worten des Trostes. So würde das Herz jedes Gläubigen gleich zu Beginn mit der Gewissheit gestärkt werden, dass sie der Gegenstand göttlicher Barmherzigkeit waren, und umso besser würden sie es ertragen, zu hören, was der Herr ihnen über ihre schweren Fehler zu sagen hatte, die in sich selbst nicht anders als fatal sein konnten.
Das vorangegangene Kapitel bildete eine Art Bindeglied zu dem, was folgt; denn dort haben wir die Vorhersage ihrer Wegführung nach Babylon, das, wie schon oft bemerkt wurde, eine besondere Stellung einnimmt. Babylon, das den Anfang des großen Bildes von Daniel darstellt, wird auch zum Vorbild des letzten Vertreters der kaiserlichen Macht. Das goldene Haupt erhielt die Oberhoheit von Gott in einer direkteren Form als jede der anderen Mächte, die nur Nachfolger in der Linie waren. Die Gewährung der kaiserlichen Macht erfolgte unmittelbar vom Gott des Himmels an Nebukadnezar, der somit in gewissem Sinn das Bild vom Ersten bis zum Letzten verkörpert. Insbesondere der Fall Babylons kündigte den Sturz der Weltmacht auf der Erde an, die sich auf dem Verderben Judas, jetzt Lo-Ammi, erhob; das endgültige Gericht über das System der universellen Vorherrschaft, das damals begonnen hatte und, wenn nicht noch anhält, so doch nur verschoben war. Denn die durch das Bild vorgestellte Macht ist noch nicht von dem Stein getroffen worden (Dan 2,34) und wartet auf die Einführung einer neuen Ordnung, bevor sie für immer aufgelöst wird. Ihre Bestandteile sind zur Zeit in einem zerbrochenen Zustand; aber nach und nach werden sie sich wieder mit einer erstaunlichen und erneuerten Kraft zusammenfügen, die ihr letztes Haupt benutzen wird, um dem Herrn der Herren und König der Könige direkt zu widerstehen. Das zeigt uns Offenbarung 17 deutlich; denn das Gericht über Babylon und das Tier, wie es dort beschrieben wird, ist noch nicht vollzogen. Das alte Römische Reich, das von den gotischen Völkern zerstört wurde, konnte durch das Tier mit sieben Köpfen und zehn Hörnern nicht richtig dargestellt werden, ebenso wenig wie die heidnische Stadt der Hure, die vom Blut der Heiligen trunken ist, richtig entspricht. Was den Seher Johannes mit großem Erstaunen erfüllte, war das Geheimnis dessen, was behauptete, die Braut Christi zu sein, die auf dem Tier saß, die Mutter der Huren und noch mehr der Gräuel (oder Götzen) der Erde, und außerdem schuldig an solch einer blutigen Verfolgung der Jünger Christi.
Babylon nimmt also einen besonderen Platz ein, da es die Macht von allen anderen war, die Jerusalem und das Haus Davids, aus dem der Erlöser Israels hervorgehen sollte, versklaven durfte. Nun wissen wir, dass der Sohn Davids tatsächlich gekommen ist, dass Er Israel vorgestellt und von ihnen verworfen wurde, dass Er den Tod am Kreuz erlitten hat und in den Himmel aufgefahren ist, wo Er seinen Platz eingenommen hat, nicht als Sohn Davids, sondern als der verworfene Sohn des Menschen, der der Sohn Gottes ist. Der Herr Jesus ist dort der große Hohepriester Gottes und auch das Haupt der Versammlung, Er sitzt zur Rechten Gottes, wo und von wo aus Er in Macht und Liebe handelt und herabsendet, was zum Wohl der Gläubigen und zur Gewinnung der Sünder durch das Zeugnis der Gnade Gottes hier auf der Erde nötig ist. Das ist es, was Christus jetzt tut, noch nicht in Erfüllung der Prophezeiungen über den Sohn Davids als solchen, noch nicht als König der Völker.
Daher muss jeder, der das Alte Testament ernsthaft untersucht, um die volle und klare Ankündigung dessen zu finden, was Christus jetzt beschäftigt, entweder diese Prophezeiungen als dunkel und unverständlich aufgeben, oder er muss sie falsch beschönigen und heftig verbiegen, um eine solche Anwendung als ihren vollen Umfang herauszuarbeiten. In Wahrheit beziehen sie sich auf die Zukunft, nicht auf die Gegenwart; und auf Israel, Gottes irdisches Volk, nicht auf die himmlische Versammlung, außer in bestimmten allgemeinen Grundsätzen oder besonderen Anspielungen auf die Zeit der Nationen, die die vorsehende Weisheit des Heiligen Geistes sorgsam einrichtete, um Gottes Widersacher zu verwirren. Dann gibt es Darstellungen Gottes auf moralische Weise, aus denen wir (wenn auch eher in Bezug auf Israel als auf uns selbst) für uns selbst das lernen können und sollten, was für uns hilfreich und ermutigend ist. Denn Gott ist gut und voll zärtlicher Barmherzigkeit zu Israel; und Er ist sicherlich nicht weniger voller Gnade zu uns. Wenn Er sein Volk liebt, das Er regieren wird, kann Er dann weniger die Kinder lieben, die Er jetzt durch Jesus Christus sich zu Söhnen gemacht hat? Es gibt zweifellos große Unterschiede zwischen den Gläubigen, die Er jetzt beruft, und denen, die im kommenden Zeitalter gesegnet werden sollen. Jetzt ist es seine Versammlung, der Leib Christi, die Kinder, die Er in die Stellung von Erben Gottes und Miterben mit Christus bringt. Israel wird die Verheißung erben, die den Vätern gegeben wurde; aber wir, wenn wir jetzt Christus angehören, sind Erben mit dem Erstgeborenen, Söhne, nicht bloß „der Väter“, sondern Gottes des Vaters.
Wenn wir so die Prophezeiungen studieren, nicht voreingenommen mit der vorgefassten Schlussfolgerung, uns selbst darin zu finden, sondern frei, die Worte so zu verstehen, wie sie geschrieben sind, und einfach die beabsichtigten Mitteilungen anzunehmen, von denen Gott hier spricht, kann nichts klarer oder sicherer sein. Hier ruft Er zur Einstimmung sein Volk zum Trost auf.
Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott. Redet zum Herzen Jerusalems, und ruft ihr zu, dass ihre Mühsal [oder Leiden] vollendet, dass ihre Schuld abgetragen ist, dass sie von der Hand des Herrn Zweifaches empfangen hat für alle ihre Sünden (40,1.2).