Behandelter Abschnitt 2Mo 34
Doch hier müssen wir achtsam sein. Es ist ein großer Fehler, anzunehmen, dass die Verkündigung der göttlichen Güte in dieser Szene das Evangelium ist. Wir irren gewaltig, wenn wir in diesem Sinne zitieren: „der Güte bewahrt auf Tausende hin, der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt“ (V. 7), und dort aufhören. Gott hört hier nicht auf. Er fügt sofort hinzu: „aber keineswegs hält er für schuldlos den Schuldigen –, der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht an den Kindern und Kindeskindern, an der dritten und an der vierten Generation“ (V. 7). Es besteht kein Zweifel, dass es die Güte und die Barmherzigkeit Gottes sind; aber das gilt für ein Volk, das noch unter der Regierung des Gesetzes steht. Das ist das Besondere. Was wir hier finden, ist also nicht das reine Gesetz, sondern das Gesetz vermischt mit Barmherzigkeit und Güte und Langmut in der Regierung Gottes. Es ist seine herablassende Liebe und Geduld, die sich mit dem Gesetz verbindet. Das ist sein Charakter und der Grund, warum das hier erwähnt wird. Ohne sie hätte das schuldige Volk niemals verschont werden können, sondern hätte mit Wurzel und Zweig untergehen müssen, da erst durch sie eine neue Generation des Volkes Israel überhaupt in das Land kam. Hätte Er auf dem Boden des reinen Gesetzes gehandelt, wäre das nicht möglich gewesen! Sie waren schuldig und hätten ausgerottet werden müssen.
Nun ist diese Vermischung von Gnade und Gesetz das System, das Christen als das Christentum akzeptiert haben. Kein wahrer Gläubiger nimmt jemals den Boden des reinen Gesetzes an. Er nimmt ein gemischtes System an; er vermischt Gesetz und Gnade miteinander. Das ist es, was jetzt jeden Tag in der Christenheit geschieht. Das war der Zustand, in den die Kinder Israels hier hineingestellt wurden, und es war in gewissem Sinn eine sehr große Gnade für sie. Es ist nicht weniger ein Unglück für Christen, denn das, wozu sie in Christus berufen sind, ist weder das Gesetz, noch das gemischte System des Gesetzes, durchsetzt mit der gnädigen Fürsorge für die, die unter ihm stehen (die hätten verzehrt werden müssen, wenn das Gesetz allein geherrscht hätte), sondern die reine Gnade in Christus ohne das Gesetz. Zugleich erfüllt sich die Gerechtigkeit des Gesetzes umso mehr in denen, die „nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln“ (Gal 5).
Als Antwort auf Mose, der in seinen Forderungen vorprescht, sie aber dennoch nicht weniger der göttlichen Herrlichkeit als den Bedürfnissen des Volkes nach dem damals gegebenen Licht anpasst, schließt Gott einen Bund, der anders ist als der vorhergehende (V. 10). Mose hatte ihn als Herrn (Adonai) gebeten, „Herr, so ziehe doch der Herr mit in unserer Mitte – denn es ist ein hartnäckiges Volk – und vergib unsere Ungerechtigkeit und unsere Sünde, und nimm uns an als Eigentum“ (V. 9). So nutzte er die besondere Zuneigung, die Gott ihm erwiesen hatte, um sich unter das Volk zu stellen und sich der Gegenwart Gottes zu versichern, indem Er mit dem Volk ging, das sonst niemals das Land betreten konnte. Es war ein kühner Glaube, der in ungeheuchelter Liebe zum Volk und mit einem tiefen Empfinden für das wirkte, was Gott trotz aller Unzulänglichkeiten ist; doch seine größte Bitte gründet sich auf offenbarte Gnade und ist daher das genaue Gegenteil menschlicher Anmaßung.
Der Herr gibt dementsprechend Erhörung in Gnade und unternimmt für Israel etwas gegen die Kanaaniter, indem er Israel vor einem Bund mit den Bewohnern des Landes warnt und auf seiner eigenen Alleinherrschaft, seinen Festen, seinen Erstlingen und Erstlingsfrüchten, seinen Sabbaten, der Abwesenheit von Sauerteig und unschicklichen Wegen, der Frucht der List Satans unter den Heiden, besteht.
Dies wird bis zum Ende des Kapitels fortgesetzt, und zwar auf eine sehr beeindruckende Weise. Wir haben ein Bild, auf das sich der Apostel bezieht (2Kor 3), das das eben Gesagte bestätigt. Zum ersten Mal leuchtet das Angesicht Moses nach der Unterhaltung mit Gott. Es gab keine solche Auswirkung, als es nur um die zehn Gebote oder die Verordnungen ging, die mit dem Volk und dem Land verbunden waren. Doch nach den Mitteilungen der himmlischen Schatten und der Barmherzigkeit Gottes, die sich mit dem Gesetz vermischte, leuchtet das Angesicht Moses, und das Volk Israel konnte es nicht ertragen. Die Herrlichkeit Gottes, oder jedenfalls die Wirkung, seine Güte zu sehen, wurde ihnen zu nahegebracht. Er musste eine Decke auf sein Angesicht legen. Der Apostel benutzt dies, um zu zeigen, wie der verhüllte Mose, der zu dem Volk Israel spricht, das treffendste Bild für den tatsächlichen Zustand ist, in dem sie sich befanden (d. h. nicht einfach Gesetz, sondern mit gnädiger Fürsorge für das Volk vermischt). So steht der Zustand des Christen in deutlichem Gegensatz dazu. Für unsere Stellung ist das wahre Bild Moses, nicht wenn er zum Volk spricht, sondern wenn er in die Gegenwart Gottes hineinging. In ihm unverhüllt haben wir dort unser Bild, nicht im verhüllten Mose, noch weniger in Israel. Der Christ in seiner vollen Stellung wird nirgends vom Juden dargestellt. Gewisse Dinge, die Israel widerfahren sind, mögen Vorbilder für den Christen sein, aber mehr nicht. Was also dieses Bild betrifft, so wird unser Platz durch Mose dargestellt, als er den Vorhang abnimmt und der Herrlichkeit Gottes selbst gegenübersteht. Was für ein Platz für uns, und für uns jetzt! Sicherlich ist dies eine wunderbare Wahrheit und von der tiefsten Bedeutung. Wir sollten uns daran erinnern, dass wir jetzt himmlisch sind (1Kor 15), so wahrhaftig wie wir es jemals sein werden. Offensichtlicher werden wir bei der Wiederkunft Christi himmlisch sein, aber nicht mehr wirklich als jetzt. Ich spreche von unserer Beziehung und unseren Vorrechten. „Und wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen“ (1Kor 15,48). Nach und nach werden wir das Bild des Himmlischen tragen. Das ist eine andere Sache und nur eine Folge, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Für unser Inneres ist die große Veränderung eine Tatsache; für den Körper bleibt sie, bis der Herr kommt.