Behandelter Abschnitt Est 1
Einleitung
Im Buch Nehemia haben wir den letzten Blick, den die Schrift historisch auf den Überrest in Jerusalem wirft, der wegen seines Abfalls vom Herrn zurecht der Weltmacht unterworfen war, aber vorläufig für die Ankunft des Messias bewahrt wurde. Ach, wie wir wissen, verwarfen sie Ihn zu ihrer eigenen Verwerfung, die Berufung der Heiden folgte, bis die Barmherzigkeit die Juden am Ende des Zeitalters wieder aufnimmt und sie zu den Füßen Jesu, des Messias, in der Herrlichkeit niederlegen lässt, nach vielfältigen Gerichten, „und so wird ganz Israel errettet werden“ (Röm 11,26).
Hier haben wir historisch eine andere letzte Sicht im Buch Esther; sie geht in eine ganz andere Richtung, denn wir haben ein Bild der verborgenen Vorsehung, die niemals versagt, über die Juden zu wachen, während sie unter die Heiden zerstreut sind. Und das erklärt, warum es keine Einführung des Herrn oder sogar Elohims in diesem Buch gibt, was rationalistische Unwissenheit gegen seine göttliche Inspiration behauptet. Oh, welche Torheit, auf das zu hören, was diese Feinde Gottes (und damit in göttlichen Dingen auch des Menschen) über die Schrift sagen!
Wären ihre Gelehrsamkeit und ihr Können so groß, wie sie sich und ihre Schule einbilden, so nützt nichts als der Glaube für die wahre und geistliche Einsicht des Wortes Gottes. Denn ihr System, das den Glauben ausschließt, schließt auch Gott aus, und ist ein ständiges Aufschreien des Menschen in jeder Form. Es läuft gewiss darauf hinaus, dass die blinden Führer ihre blinden Anhänger in den Abgrund führen. Für den Glauben nun ist das Fehlen des Namens Gottes hier in unerwarteter, aber vorzüglicher Harmonie mit dem Buch, und sein Eindringen wäre nicht in vollkommener Übereinstimmung mit dem verborgenen Wirken für das Volk (öffentlich Lo-Ammi), das außerordentlich bewahrt wird, während seine Feinde vollständig vereitelt und niedergeworfen werden.
Das Buch ist von Anfang bis Ende das hochinteressante Zeugnis über den, der unsichtbar ist und nicht genannt wird, der aber nichtsdestoweniger sicher in dem nicht normalen Zustand der Gefangenschaft wirkt, indem Er durch scheinbar nichts, was über menschliche Mittel hinausgeht, die Rechtfertigung derer, die, so fehlerhaft das Volk auch war, Ihn insgeheim fürchteten, und die Katastrophe ihres Gegners herbeiführt, obwohl er im Besitz von sicheren und grenzenlosen Mitteln war, um ihre Vernichtung zu bewirken.1
So kurz das Buch auch ist, es ist voller überraschender Umstände, die seine Begebenheiten überfüllen und den am wenigsten sensiblen Leser vom ersten bis zum letzten Kapitel in seinen Bann ziehen. Ohne einen Hauch von Romantik gibt es einen Eindruck vom Leben im Persischen Reich zu jener Zeit. Doch obwohl es an der Oberfläche einzigartig und außergewöhnlich zu sein scheint, können wir darunter die konstante Geschichte der Schrift erkennen, den Krieg, der niemals aufhört, während der Mensch versucht wird in den Zeitaltern und Haushaltungen (die für die weisesten Zwecke von Ihm erlaubt sind, der sie in einem Moment beenden könnte) zwischen Ihm, der gut und gerecht ist, und der alten Schlange, dem Teufel. Und da es in dieser Welt ist, obwohl die Quellen außerhalb und in der Höhe liegen, sehen wir in diesem Buch auf der einen Seite den gottesfürchtigen Juden, der um jeden Preis Widerstand leistet und, nicht aus Stolz oder persönlichem Empfinden, sondern aus kompromissloser religiöser Treue, sich weigert, den Vertreter eines Volkes zu ehren, mit dem der Herr von frühester Zeit an geschworen hat, von Generation zu Generation Krieg zu führen (2Mo 17,16). In Mordokai und Haman wird hier die Frage aufgeworfen und der Triumph des auserwählten Volkes vorausgesagt; nicht weniger ist die Schande und der Fluch, die ohne Zweifel an dem herannahenden Tag, über ihre Feinde fallen werden. Wie Satan den Amalekiter zu seinem vernichtenden Hass gegen Gottes gefallenes Volk anstiftete, so wird Er, der sie trotz allem liebte, eine Feindschaft, die ohne Grund gegen den Gegenstand seiner offenkundigen Gunst begann, angemessen bestrafen.
Es ist jedoch bemerkenswert, dass das Buch Esther, obwohl es in seinen historischen Ereignissen nicht über die vorläufigen Grenzen hinausgeht, die alle früheren Berichte der Gefangenschaft kennzeichnen, jene Knechtschaft gegenüber ihren heidnischen Herren voraussetzt, auf die abtrünnige Ungerechtigkeit das Volk Gottes reduziert hatte. Aber sogar in seiner extremsten Form, fern vom Land, dem Tempel, den Opfern und des Priestertums, zeigt es das sicherste Handeln der göttlichen Vorsehung zu ihren Gunsten gegen ihre Feinde, wie tödlich und mächtig sie auch sein mögen.
Wir haben auch eine vorbildliche Anweisung, die dem geöffneten Auge viel mehr bietet. Derjenige, der, obwohl verborgen und unerwähnt, nichtsdestoweniger alle Dinge nach seinem souveränen Willen wirkt, versäumt es nicht, sehr weit über den lebendigen Beweis der wachsamen Aufsicht, der zärtlichen Fürsorge und des Sturzes der scheinbar triumphierenden Bosheit hinauszugehen. Denn Vasti stellt in vorbildlicher Hinsicht keineswegs verhüllt den Glauben der Nationen vor. Sie wurde wegen ihrer Widerspenstigkeit gegen den obersten Herrscher beiseitegesetzt, und dies in dem, was Ihm so sehr am Herzen lag, der Darstellung ihrer Schönheit vor der Welt; und die Erfüllung der alten Verheißung liegt in der Berufung Esthers, der jüdischen Braut, zum Gegenstand seiner Liebe und zur Teilhaberin an seiner irdischen Herrlichkeit. Dies ist das Schema, das sich durch die Propheten als Ganzes zieht, wovon die Dinge, die hier vorhergesagt werden, offensichtliche Merkmale sind: der ewige Sturz der Herrschaft der Nationen durch göttliches Gericht; die Erhöhung des irdischen Objekts der Liebe des Herrn, wie es in den Psalmen und Propheten deutlich dargelegt wird, ganz zu schweigen von dem Lied der Lieder; und die Verwaltung für den großen König, die Mordokai als der Vorbild vom Herrn Jesus anvertraut wird.
Kapitel 1
Für einen Juden waren die Umstände unter dem Großkönig höchst unnormal. Die Anfangsszene ist, als ob Israel, wie der Name Gottes selbst, nicht einmal geflüstert würde. Allein der Glanz des silbernen Reiches, mehr scheinbar als wirklich, leuchtet. Äußerlich war es noch umfangreicher als zu der Zeit, als sein erster und größter Monarch regierte, der Eroberer Babylons, von dem der Herr fast zwei Jahrhunderte vor der Erfüllung der Vorhersage namentlich sagte: „Mein Hirte und der all mein Wohlgefallen ausführt, und zwar, indem er von Jerusalem sagen wird: Es werde aufgebaut!, und vom Tempel: Er werde gegründet!“ (Jes 44,28). Als Darius der Meder das Königreich erhielt, gab es 120 Provinzen; jetzt kamen sieben weitere hinzu (V. 1)., obwohl der Tag der gewaltigen Eroberungen vorbei war und man auf dem Thron saß, bereit, die Reichtümer der verborgenen Orte, die Schätze der Finsternis und des luxuriösen Genusses verschwenderisch zur Schau zu stellen.
Was hätte man natürlich von denen erwarten können, die sich damit zufriedengaben, unter den Heiden zu leben, wo doch von der höchsten irdischen Autorität die Erlaubnis, ja, die Ermutigung zur Rückkehr in das Land der Verheißung verkündet worden war? Ein Überrest aus der Zerstreuung war mit dem Thronfolger Davids und dem Hohepriester zurückgekehrt, um den Tempel und die Stadt wieder aufzubauen und, für die, die Glauben hatten, den lang erwarteten Messias nach einem nun zum ersten Mal definierten Begriff zu erwarten. Die Scharen, die zurückblieben, konnten sich nicht auf das hohe Alter des Propheten von Hiddekel berufen. Aber wenn es ihnen an Eifer für die Dinge fehlte, die zum Sterben bereit blieben, so fiel Er, der nicht mit Namen genannt wird, als eine größere Gefahr Israel bedrohte, als ihre Väter je in der mörderischen Tyrannei Ägyptens kannten. Wie diese durch geheime Vorsehung, ohne ein Wunder, nicht nur abgewendet, sondern zur Vernichtung ihrer Feinde gewendet wurde, ist die Geschichte dieses Buches. Die Einzelheiten werden mit gleicher Einfachheit und anschaulicher Kraft berichtet, und die Hauptcharaktere sind ebenso gekonnt der Wahrheit entsprechend gehalten und gipfeln mit atemlosem Interesse im Untergang des Bösen und des Stolzes und in der Rechtfertigung der ohne Grund unterdrückten Gerechten. Daher der Grund eines Festes, das zu den ursprünglichen Festen des Gesetzes hinzukam, das seine eigene besondere Aufzeichnung des barmherzigen Eingreifens trug, an einem Tag, der so böse war, dass man alles, was das Vortrefflichste war und vom Glauben hochgehalten wurde, völlig zurückhielt. Denn wer kann mit Recht sagen, dass, wie ungehört das Bekenntnis auch sein mochte, der Glaube unwirklich war, der fastete und betete und auf Erlösung hoffte, wie wir in Kapitel 3 lesen? Wer außer einem Rationalisten könnte sie, die vor dem König flehte, mit rachsüchtigem Geist anklagen (Est 7,3‒5)? Dass die Verfolgten gerettet wurden, und die, die das Schwert suchten, durch das Schwert fielen, ist das, was vorhergesehen wurde und am Ende des Zeitalters noch triumphaler sein wird. Es ist natürlich, dass dem Feind dies alles missfällt und er es anprangert; aber Er, der diese Moral in der Vergangenheit gegeben hat, wird nicht versäumen, sie noch vollständiger zu erfüllen, wenn Er kommt, dessen Recht es ist, alles Unrecht zu richten.
Und es geschah in den Tagen des Ahasveros (das ist der Ahasveros, der von Indien bis Äthiopien über 127 Landschaften regierte), in jenen Tagen, als der König Ahasveros auf dem Thron seines Königreichs saß, der in der Burg Susan war, im dritten Jahr seiner Regierung, da gab er ein Gastmahl allen seinen Fürsten und Knechten und den Mächtigen von Persien und Medien, den Vornehmen und Fürsten der Landschaften vor ihm, als er den herrlichen Reichtum seines Königreichs und die glänzende Pracht seiner Größe viele Tage lang, 180 Tage, sehen ließ.
Und als diese Tage vollendet waren, gab der König allem Volk, das sich in der Burg Susan befand, vom Größten bis zum Kleinsten, ein Gastmahl von sieben Tagen im Hof des Gartens des königlichen Palastes. Weißes und purpurblaues Leinen war befestigt mit Schnüren aus Byssus und Purpur an silbernen Ringen und weißen Marmorsäulen; Polster aus Gold und Silber lagen auf einem Pflaster von Alabaster und Marmor und Perlmutt und schwarzem Marmor. Und man reichte das Getränk in goldenen Gefäßen, und die Gefäße waren voneinander verschieden; und königlichen Wein gab es in Menge, nach der Freigebigkeit des Königs. Und das Trinken geschah der Anordnung entsprechend ohne Zwang; denn so hatte der König allen Obersten seines Hauses angeordnet, dass sie tun sollten nach jedermanns Belieben.
Auch die Königin Vasti gab ein Gastmahl für die Frauen im königlichen Haus des Königs Ahasveros (V. 1–9).
Es ist ein anschauliches Bild irdischer Pracht, ohne einen Gedanken an Gott, ob wahr oder falsch. Nebukadnezar brachte eine Religion der niederen Art ein und versuchte, sie allen aufzuzwingen. Xerxes, denn er scheint es zu sein, der nun den hier verwendeten allgemeinen Königstitel besaß, zeigte sich, wie Daniel lange vorhersagte, „und der vierte wird größeren Reichtum erlangen als alle“ (Dan 11,2), dachte an niemand Höheren und gab sich einem anstößigen Schwelgen hin, umso mehr nach dem völligen Misserfolg seiner Invasion in Griechenland. Unter der weltlichen Erhabenheit bei so beispiellosen Anstrengungen sind Scham und Furcht zu erkennen, verbunden mit dem Wunsch, die Völker seines riesigen Herrschaftsgebietes zufriedenzustellen und die Erinnerung an eine fremde Schande zu tilgen, die verderblich sein könnte.
Aber eine Kontrolle kam, und eine Finsternis wurde über alles geworfen, als man es am wenigsten erwartete, am Ende, nachdem die Fürsten und Adligen gefeiert worden waren, und die sieben Tage folgten für alle kleinen und großen Leute, die in Susan anwesend waren.
Am siebten Tag, als das Herz des Königs vom Wein fröhlich war, befahl er Mehuman, Bista, Harbona, Bigta und Abagta, Setar und Karkas, den sieben Hofbeamten, die vor dem König Ahasveros dienten, die Königin Vasti mit der königlichen Krone vor den König zu bringen, um den Völkern und Fürsten ihre Schönheit zu zeigen; denn sie war schön von Aussehen. Aber die Königin Vasti weigerte sich, auf das Wort des Königs zu kommen, das ihr durch die Hofbeamten überbracht wurde. Da erzürnte der König sehr, und sein Zorn entbrannte in ihm.
Und der König sprach zu den Weisen, die sich auf die Zeiten verstanden (denn so wurden die Angelegenheiten des Königs vor allen Gesetz- und Rechtskundigen behandelt; und die Nächsten bei ihm waren Karschna, Schetar, Admata, Tarsis, Meres, Marsna, Memukan, die sieben Fürsten von Persien und Medien, die das Angesicht des Königs sahen, die den ersten Sitz im Königreich hatten): Was ist nach dem Gesetz mit der Königin Vasti zu tun, dafür, dass sie das Wort des Königs Ahasveros durch die Hofbeamten nicht befolgt hat? Da sprach Memukan vor dem König und den Fürsten: Nicht an dem König allein hat sich die Königin Vasti vergangen, sondern auch an allen Fürsten und an allen Völkern, die in allen Landschaften des Königs Ahasveros wohnen. Denn das Verhalten der Königin wird zu allen Frauen hinausdringen, so dass ihre Männer verächtlich sein werden in ihren Augen, indem sie sagen werden: Der König Ahasveros befahl, die Königin Vasti vor ihn zu bringen, aber sie kam nicht! Und an diesem Tag schon werden die Fürstinnen von Persien und Medien, die das Verhalten der Königin erfahren haben, davon reden zu allen Fürsten des Königs; und es wird Verachtung und Zorn genug geben. Wenn es der König für gut hält, so gehe ein königliches Wort von ihm aus und werde geschrieben in die Gesetze der Perser und Meder, damit es nicht vergehe: nämlich dass Vasti nicht mehr vor den König Ahasveros komme und dass der König ihre königliche Würde einer anderen gebe, die besser ist als sie. Und wird man den Befehl des Königs, den er erlassen wird, in seinem ganzen Königreich hören – denn es ist groß –, so werden alle Frauen ihren Männern Ehre geben, vom Größten bis zum Kleinsten.
Und das Wort gefiel dem König und den Fürsten; und der König tat nach dem Wort Memukans. Und er sandte Briefe in alle Landschaften des Königs, in jede Landschaft in ihrer Schrift und an jedes Volk in seiner Sprache: dass jeder Mann Herr in seinem Haus sei und in der Sprache seines Volkes reden solle (V. 10‒22).
War die Forderung des Königs schon ungewöhnlich, so war die Weigerung der Königin eine nicht zu übersehende Schmähung. Die sieben Kämmerer wurden ordnungsgemäß beauftragt, ihr beizustehen; aber sie war widerspenstig, wo Nachgiebigkeit ihr keinen wirklichen Schaden zugefügt hätte, sondern alles, was an Tadel fällig sein könnte, auf ihren Herrn warf. Wie wahr ist es im Gegenbild, dass der Heide treulos und widerspenstig war, nach Eigenwillen strebte und es völlig versäumte, der Welt die Schönheit einer so begünstigten Person zu zeigen! Die Folge wird sein, wie hier, die Berufung Zions, eine Krone der Schönheit in der Hand des Herrn und ein königliches Diadem in der Hand ihres Gottes zu sein; wenn sie nicht mehr als verlassen und ihr Land nicht mehr als wüst bezeichnet werden wird, sondern sie wird „Mein Gefallen an ihr“ (Hephzi-Bah) und ihr Land „Vermählte“ (Beula) genannt werden (Jes 62,4).
Es scheint am natürlichsten, den „Präsidenten“ nicht an die letzte Stelle unter den sieben fürstlichen Staatsräten zu setzen, sondern daraus zu schließen, dass das Urteil gesucht wurde, beginnend mit dem Jüngsten, dessen Meinung sich in der vorgeschlagenen Frage so empfahl, dass alle sie sofort akzeptierten. Dementsprechend wurden Briefe verschickt, dass eine bessere als Vasti ihren Platz einnehmen sollte, und dass die Familienordnung in der Ehre des Hauptes in seinem eigenen Haus im ganzen Königreich stehen sollte.
1 Die Leser von Baxters Saint’s Res wissen, dass der Autor mit der Autorität von Sandys sagt, dass die Juden das Buch Esther auf den Boden warfen, weil der Name Gottes nicht darin stand. Aber J. G. Wolfii Biblio Heb 2:90 widerspricht und unterstellt die Tat, wo sie gewesen sein mag, als Ausdruck ihrer Abscheu vor Haman; denn das Buch wurde gewohnheitsmäßig in höchstem Maß verehrt, wie spät auch immer es in den Kanon gelangte. Luther irrte sich darüber ebenso wie über den Jakobusbrief. Die Interpolationen (Veränderungen literarischer Texte durch nachträgliche Einschübe und Zusätze) in der griechischen Version gaben ihm einen ungünstigen Aspekt für Athanasius und andere, die das Hebräische nicht kannten.↩︎
Behandelter Abschnitt Est 1
Einleitung
Das Buch Esther gehört zu den wenigen Teilen des Wortes Gottes, die durch das Fehlen seines Namens auffallen. Das hat viele überrascht: Die Juden selbst waren nicht in der Lage, es zu verstehen, und es gibt viele Christen, die nicht viel besser sind; so sehr, dass es für einige, besonders in diesen letzten Zeiten, zur Gewohnheit geworden ist, das Buch mit einem gewissen Maß an Misstrauen zu behandeln, als ob das Fehlen des Namens des Herrn ein berechtigter Verdacht wäre und als ob es nicht von Gott sein könnte, weil Gottes Name nicht darin vorkommt. Ich hoffe nun zu zeigen, dass es ein Teil der Vorzüglichkeit des Buches ist, dass der Name Gottes dort nicht vorkommt; denn es gibt Gelegenheiten, bei denen Gott seine Herrlichkeit verhüllt.
Es gibt keine Gelegenheit, bei der Er nicht wirkt, aber Er lässt nicht immer zu, dass man seinen Namen hört oder seine Wege sieht. Ich werde zeigen, dass es genau das ist, was der Charakter des Buches erfordert: Der Name Gottes kommt dort nicht vor; und dies wird daher, anstatt den Anspruch Esthers auf seinen Platz in den Heiligen Schriften zu schwächen, eher die Vollkommenheit der Wege Gottes zeigen, sogar in einer so außergewöhnlichen Tatsache wie dem Fehlen seines Namens in einem ganzen Buch.
Wir müssen also verstehen, was Gott sich vorgenommen hat. Und die Antwort ist diese: Er spricht hier von seinem alten Volk unter Umständen, in denen Er seinen Namen nicht nennen konnte, weil seine Stellung völlig außergewöhnlich war. Genaugenommen haben sie im Buch Esther überhaupt keine Stellung. Wir könnten das nicht genau über die Juden sagen, die gemäß dem Erlass, den Kyros der Perser ihnen in Erfüllung der Propheten gab, aus Babylon heraufgezogen waren. Es ist wahr, dass Gott selbst den Überrest nicht als „mein Volk“ bezeichnet. Indem er Nebukadnezar erlaubte, das Land des Hauses David und die Stämme, die noch immer treu zu ihm hielten, zu überrennen, nahm Gott ihnen ihren Anspruch für kurze Zeit, und dieser Anspruch ist ihnen noch nicht wiedergegeben. Dennoch ist er in sicherer Verwahrung. Er beabsichtigt, ihnen das Land ihres Erbes wiederzugeben; aber die Eigentumsurkunde ist vorläufig verschwunden. Er ist nicht verloren, sondern reserviert. Gott bewahrt sie heimlich für sie auf. Wenn der Tag der Rückführung Israels gekommen ist, wird Gott sie allmählich an ihren richtigen Platz und in ihre gebührende Beziehung bringen, und dann werden die Tage des Himmels auf der Erde kommen. Aber so weit war es noch lange nicht, auch nicht mit dem Überrest, der von Jerusalem heraufzog.
Wie wir wissen, zeigt das Buch Esra, wie sie sich um den Altar Gottes bemühten und sein Haus bauten, und das Buch Nehemia zeigt, wie sie sich auszeichneten. Auch wenn sie ihren Anspruch verloren hatten, so hatten sie doch ihren Gott nicht verloren. Wenn Gott sie schon nicht sein Volk nannte, so nannten sie Ihn doch wenigstens ihren Gott. Der Glaube klammerte sich an das, was Gott für sie war, als Gott sie nicht sein Eigen nennen konnte. Deshalb bauten sie die Mauern Jerusalems, damit sein Volk auch in seiner Schwäche das Gefühl hat, von Ihm getrennt zu sein. Das hat ihr ganzes Leben geprägt, nicht nur ihr religiöses Leben. Esra befasst sich mit dem religiösen Leben: Nehemia betrachtet ihr ganzes, dem Herrn geweihtes Leben. Doch das Buch Esther zeigt eine ganz andere Sichtweise: Was wurde aus den Juden, die nicht nach Jerusalem hinaufzogen? Was wurde aus denen, die für den Aufbruch taub waren oder die Freiheit nicht schätzten, in das Land hinaufzuziehen, auf dem Gottes Augen ruhten und in dem Er seinen Namen ‒ seinen Sohn, den Messias ‒ und das Volk seiner Erwählung verherrlichen wollte, das dann in der Tat offensichtlich sein Eigentum war?
Das Buch Esther ist die Antwort auf diese Frage und zeigt uns, dass, als Gott sie in keiner Weise als sein Eigentum anerkennen konnte, ‒ und wo sie ihn auch nicht öffentlich als Eigentum betrachten konnten ‒, als es weder von Seiten Gottes noch von Seiten des Volkes ein Zeichen gab, ‒ wo der Name Gottes also völlig verborgen war und im ganzen Buch nicht ein einziges Mal genannt wird ‒, dennoch dort, wo all das ist, die Hand und das Wirken Gottes im Verborgenen zugunsten seines Volkes zu sehen ist, selbst in dem außergewöhnlichen Zustand, in dem es sich befinden kann. Das ist das Wesen des Buches, und das ist, glaube ich, die Lösung der Schwierigkeit, dass der Name Gottes darin nicht ein einziges Mal genannt wird. Wir werden eine reichliche Bestätigung dafür finden, worauf ich mich bezogen habe, wenn wir in das Buch schauen. Ich gebe nur einen kleinen Einblick in den Charakter des Buches, damit wir es umso mehr beachten, je mehr wir die verschiedenen Begebenheiten betrachten.
Kapitel 1
Wir tauchen sofort in ein bemerkenswertes Fest ein, das der König Ahasverus veranstaltete, der, wie ich annehme, in der profanen Geschichte als Xerxes bekannt ist. Ob es nun Xerxes oder Artaxerxes war, oder sogar ein anderer, der als die wahre Antwort auf diese Frage angeführt wurde, ist nicht von großer Bedeutung. Wir müssen uns daran erinnern, dass der Titel Ahasveros ein allgemeiner war, so wie der Pharao der allgemeine Titel in Ägypten war und Abimelech bei den Philistern; das heißt, dass es viele Pharaonen und viele Abimelechs gab. So gab es auch unter den Persern mehrere, die den Namen Ahasveros trugen. Welcher Ahasveros gemeint ist, ist eine Frage, die aber nicht von Bedeutung ist; sonst hätte Gott es uns gesagt. Ich vermute jedoch, dass es sich wirklich um Xerxes handelte, zum Teil aufgrund des Charakters dieses Mannes ‒ ein Mann mit ungeheuren Mitteln, grenzenlosem Reichtum, unermesslichem Luxus und Eitelkeit ‒ ein Mann, der auch von höchst willkürlichem und launischem Charakter war. Wir werden dies in seinem Verhalten gegenüber seiner Frau sehen; wir werden es auch in seinem Verhalten gegenüber den Juden sehen. Wir werden also die Geschichte eines bemerkenswerten Teils der Herrschaft dieses launenhaften Monarchen sehen; wenn es einen einzigen persischen König gab, von dem man annehmen konnte, dass er sich mit den Juden schwertat, dann war es dieser. Dareios war ein großer Bewunderer des Kyrus und folglich ein großer Freund der Juden. Xerxes war ein Freund von niemandem außer sich selbst. Er war einfach ein Mann, der lebte, um sich selbst zu gefallen und um seinen Geschmack und seine Leidenschaften zu befriedigen, entsprechend den reichlichen Mitteln, die die Vorsehung Gottes in seine Hände gelegt hatte, die er aber für seinen eigenen Luxus verschwendete, wie es leider die meisten Menschen tun.
Nun, er wird uns hier in jener Epoche des persischen Reiches gezeigt, als es nicht nur aus 120 Provinzen bestand, wie es der Fall war, als Darius der Meder und Kores der Perser regierten. Im Buch Daniel lesen wir, dass später sieben Provinzen durch Eroberung hinzukamen. Xerxes regierte also zu einer Zeit, als das persische Reich auf dem Höhepunkt seines Ruhmes und seiner Hilfsquellen stand, und er hatte den ganzen Prunk des Reiches um sich ‒ alle Mächtigen und Satrapen seines riesigen Reiches. Unter diesen Umständen rief er nach Vasti, die sich weigerte, zu kommen. Das provozierte den launischen und willkürlichen Herrscher. Vasti gehorchte dem König nicht. Sie weigerte sich entsprechend der besonderen Liebe zur Zurückgezogenheit, die persische Frauen auszeichnete. Sie weigerte sich, seine Wünsche zu erfüllen. Er wollte ihre Schönheit vor aller Welt zur Schau stellen, und sie lehnte ab. Daraufhin berät sich der König mit seinen Hofbeamten, und einer von ihnen wagt einen sehr kühnen Rat, nämlich die Entlassung Vastis. Dies ist also der erste große Schritt in der Vorsehung Gottes, der uns in diesem Buch vorgestellt wird, und alle bemerkenswerten Ereignisse folgen.
Das allein ist schon von größtem Interesse; aber es gibt noch mehr als das. Das Buch ist nicht nur ein Buch der geheimen Vorsehung Gottes, sondern Er konnte seinen Namen nicht für sein Volk nennen ‒ für die Juden in ihrer armen und zerstreuten Lage unter den Heiden; sondern es ist darüber hinaus vorbildlich für die großen Taten Gottes, die noch kommen werden, denn womit wird das Buch hauptsächlich eröffnet?
Die große heidnische Frau des großen Königs wird verworfen, und an ihre Stelle tritt eine Jüdin. Ich selbst kann nicht daran zweifeln, dass es das ist, was folgen wird, wenn die Heidin sich als ungehorsam erwiesen hat und darin versagt hat, ihre Schönheit zu zeigen, die im Zeugnis Gottes vor der Welt sein sollte. Kurz gesagt, es ist das, was jetzt geschieht; das heißt, in dieser Zeit ist der Heide der, der eine bestimmte Stellung vor Gott auf der Erde innehat. Der Jude ist, wie wir wissen, nicht der gegenwärtige Zeuge Gottes, sondern der Heide. Der Nichtjude hat völlig versagt. In der Sprache von Römer 11 heißt es, dass die Zweige des wilden Ölbaums ‒ die Heiden ‒ abgebrochen werden und die Juden wieder eingepfropft werden. Nun, Vasti ist die heidnische Frau, die wegen ihres Ungehorsams und ihres Versagens bei der Darstellung ihrer Schönheit vor der Welt beiseitegesetzt wird. Das ist es, was die Christenheit tun sollte. Die Heidin, sage ich, wird abgebrochen und entlassen, und der Jude wird eingeführt werden. Das ist es, was die Berufung Esthers zeigt. Sie wird die, die die Zuneigung des Großkönigs empfängt und Vasti verdrängt, die niemals wiederhergestellt wird. Aber ich mache diese Bemerkung nur am Rand, um den vorbildlichen Zusammenhang des Buches mit dem großen Ablauf der Ratschlüsse Gottes in der Schrift zu zeigen.