Das Modul behandelt folgende Themen:
Die große Drangsal und der Überrest
Mordokais Ehrung und Hamans Fall
Einführung
Dieses Buch der Bibel ist ein fast vergessenes, wenig gelesenes Buch, weil man nicht recht weiß, was es zu bedeuten hat. Auch der große Reformator D. Martin Luther hat es nicht verstanden und sagte, es «judezele» zu arg und enthalte zu viele jüdische Unarten, dass er dieses Buch lieber nicht in der Reihe der biblischen Bücher gesehen hätte. Aber die Ehrfurcht vor dem inspirierten Text veranlasste ihn, dasselbe in der Reihe der biblischen Bücher zu belassen. Die Zeit zum Verständnis für dieses Buch war damals noch nicht gekommen; es ist wie das Buch Daniel ein Buch, das für die letzte Endzeit bestimmt ist, und darum bis dahin verschlossen geblieben ist. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, wo der Heilige Geist beide Bücher aufschließt. Es würde ohne das Buch Esther eine wertvolle Perle in der Kette der biblischen Bücher fehlen, und wer den Sinn und die Schönheit desselben erfasst, für den wird sein Studium von außerordentlichem Segen sein.
Der Grund der Verkennung des Buches Esther liegt in seiner Besonderheit darin, dass in ihm Gottes Name kein einziges Mal vorkommt. Auch werden keine Stellen aus anderen Büchern der Heiligen Schrift erwähnt. Wir finden weder das geringste biblische Zeugniswort, noch z. B. die Erwähnung des Gesetzes, noch sonst einen religiösen Umstand, nicht einmal ein Gebet.
Der Name Israel fehlt ebenfalls, dagegen wird der jüdische Nationalismus sehr betont. Somit gleicht dieses Buch den anderen Büchern der Bibel ganz und gar nicht. Der Grund dieses auffälligen Unterschiedes liegt darin, dass diese Juden, anders als die unter Kores nach Jerusalem Zurückgekehrten, in der Gefangenschaft in Mesopotamien unter den Heiden geblieben sind, sowohl äußerlich als anscheinend auch innerlich von ihrem Land und dem Heiligtum Gottes wie von Seinem Dienst völlig losgelöst waren. Sie sind Lo-Ammi, d. h. Nicht-mein-Volk (Hos 1,5; Röm 9,25), Gott kann sich offiziell nicht zu diesem Volk bekennen, gemäß Seinem Wort in den Propheten Sacharja und Maleachi: „Kehrt um zu mir, so will ich zu euch umkehren.“ Denn solange das Volk nicht umkehrt, ist es Gott nicht möglich, seinerseits dies zu tun, sondern die dunkle, schwere Zeit muss bewirken, dass Sein irrendes Volk sich wieder zu Ihm findet.
Dennoch wirkt Gottes Hand verborgen hinter der Szene fort für die Seinigen, ohne dass es nach außen sichtbar wird; erst wenn das gewollte Ziel in Sicht ist, wird Gottes Führung offenbar. Dies finden wir öfter im Wort Gottes, wo dunkle Perioden, in denen Gott schwieg, Seine Leitung nur in besonderen, meist kleinen Umständen, zu finden ist, so z. B. in der Zubereitung Moses zum Führer des Volkes und beim Eintritt des Sohnes Gottes in diese Welt. Gerade dies zeigt auch das Buch Esther in besonderer Weise, indem durch das einfache Wörtlein „es gab sich“ eine Kette von Ereignissen zusammengefügt wird, worin deutlich die Hand Gottes zu erkennen ist, welche alles Geschehen zu dem von Ihm gewollten Ziel hinlenkt. Schritt für Schritt, von Kapitel zu Kapitel, entwickelt sich eine wunderbare Geschichte, die in ihrer symbolischen Bedeutung zur Offenbarung göttlicher Herrlichkeit in Seinem Volk hinführt.
Die Juden selber verstehen dieses Buch heute noch nicht; sie halten es für weniger heilig als die übrigen, weil der Name Gottes nicht darin vorkommt, obwohl sie es zur Zeit des Purimfestes – das zur Erinnerung an die Befreiung im Buch Esther eingesetzt wurde – mit allem Ernst lesen. Sie merken nicht, dass dieses Buch in symbolischer Sprache ihre heutige Lage unter den Völkern und das endliche Einschreiten Gottes für sie, also gerade das vermittelt, was sie heute brauchen und wonach der gläubige Jude so sehnlich ausschaut. Gott wird die endgültige und wahre Lösung ihrer Sache, der „Judenfrage“, finden. Noch sind ihre Augen gehalten, noch liegt auf ihrem Herzen die Decke Moses, so dass sie die Stimme Gottes nicht hören und die Herrlichkeit Gottes in den Schriften nicht erkennen, solange sie ihre Verstockung gegen Gott und seinen Messias nicht einsehen (Röm 10 bzw. Röm 10,3.21). Der Schlüssel dazu ist eben die Person ihres Messias, Jesus Christus, den sie noch nicht erkennen und darum über Seine Person noch immer im Dunkeln tappen. Erst wenn Seine Stunde gekommen sein wird, wird auch die von ihnen so ersehnte glückliche Zeit des Messiasreiches beginnen.
Als historische Erzählung berichtet Esther ein Stück aus der Geschichte des aus der Weltgeschichte bekannten Königs Xerxes I., 485 bis 465 v. Chr., der zwischen den Königen Darius I., Hysdaspes und Artasasta (Artaxerxes I.) regiert hat; sie würde also zeitlich zwischen Kapitel 6 und 7 des Buches Esra zu setzen sein. Alle Einzelheiten sind, so merkwürdig sie auch erscheinen, durch die archäologischen Ausgrabungen, die auch die Burg Susan zutage gefördert haben, durchaus bestätigt worden. Die welthistorischen, ja bedeutenden Ereignisse, die ein etwas anderes Bild dieses Königs ergeben, sind im Buch Esther nicht erwähnt; solche werden im Wort Gottes überhaupt nur insoweit berührt, als sie zur Geschichte der Wege Gottes mitwirken, wie z. B. des Kaisers Augustus‘ Volkszählung in der Geschichte der Geburt Jesu Christi; alles übrige ist nach dem Maßstab Gottes völlig belanglos. Kaum ein Buch der Bibel hat, so wie Esther, seiner merkwürdigen Eigenart wegen, so besonders viel Anlass zu Angriffen seitens der ungläubigen Kritiker gegeben; jedoch auch hier haben die Steine – wie der Herr Jesus vorausgesetzt hat – so laut der Erzählung als Wahrheit und Tatsache bezeugt, dass die Gegner völlig verstummen mussten.
Freilich, die gottgewollte symbolische Bedeutung der Esthergeschichte zu lesen und zu deuten, ist nur unter der Leitung des Heiligen Geistes möglich; denn nur Er vermag die verborgenen Gedanken Gottes offenbar zu machen und auszulegen. Von Seinem Finger geleitet, finden wir zuerst die Darstellung der Herrlichkeit Gottes des Allmächtigen (in der Person des Königs Ahasveros) und nachher den Kampf zwischen dem Sohn Gottes, Jesus Christus (Mordokai) und dem Erzfeind Satan (Haman) um das auserwählte Volk Israel und die Herrschaft über die Erde. Dieser Kampf hat zwar schon im Anfang der Schöpfung begonnen und sich durch die ganze Geschichte der Menschheit fortgesetzt. Das Buch Esther beschreibt davon die große Endphase, die letzte große Drangsal Jakobs und die endgültige Befreiung und das endliche Reich des Messias Jesus Christus. Die im Buch geschilderte Lage des Volkes der Juden ist somit ein genaues Vorbild derjenigen, in der sich die Juden heute befinden und der Ereignisse, die sich vor unseren Augen abspielen. Die Besprechung des Buches wird uns nähere Einzelheiten davon zeigen.
Charakter der Hauptpersonen
Nun möchten wir noch kurz den Inhalt des Buches, und den Charakter der Hauptperson zusammenfassen, mit den Worten von Dr. Rossier:
In einer Zeit, wo Gott Sein Angesicht Seinem Volk noch verbirgt, wird die Gemahlin aus den Nationen (die Christenheit) verstoßen, und die Jungfrau (Israel) nimmt ihren Platz ein im Herzen des Herrschers. Was ihre Herkunft betrifft, ist sie noch verborgen; sie wird Seine Gemahlin, um Königin der Nationen zu werden. Der Widersacher erweckt eine große Trübsal über das Volk, aber er wird von dem Befreier Israels besiegt, der von allen seinen Gütern Besitz ergreift, während ihn selbst das Los ereilt, das von ihm dem Gegenstand seines Hasses zugedacht war. Die jüdische Gemahlin wird als solche öffentlich anerkannt; die Feinde des jüdischen Volkes werden die Gegenstände der Rache, welche sie gegen die Juden ausüben wollten. Die Verwaltung des Reiches wird dem Mann anvertraut, der der Diener aller war, und der einst das Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude feierlich einweiht.
In diesem Buch zieht Mordokai ganz besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich. Man kann an ihm zwei Arten der Ordnungen unterscheiden, einen sittlichen und einen amtlichen Charakter.
Sein sittlicher Charakter ist ein kostbares, treffendes Gemälde von dem des Heilandes. Seine zärtliche Liebe, das Zartgefühl seines Herzens, die innigen Zuneigungen zu seiner Familie, seine beständige Sorgfalt für die Waise – alles das fesselt unsere Aufmerksamkeit. Aber er ist ebenso bemerkenswert durch Gerechtigkeit und Geradheit, durch Mut und Entschiedenheit, sowie durch unerschütterliche Anhänglichkeit an das Wort Gottes. Indem er den Platz des Überrestes Israels einnimmt, weigert er sich nicht, ein Knecht zu sein, er, der als ein Großer vor aller Augen dargestellt werden sollte; dabei lehnt er es aber ab, vor dem Gegner das Haupt zu beugen, und widersteht dem Feind um den Preis seines Lebens. Er macht sich eins mit der höchsten Not seines Volkes und erduldet sie in seiner Seele, aber er ist geduldig in Hoffnung, und das ist der Triumph des Glaubens, wenn der Feind allmächtig ist und Gott Sein Angesicht verbirgt.
Sein amtlicher Charakter ist ebenso beachtenswert. Mordokai wacht am Tor des Königs und wird so der Retter der Nationen; er wird als solcher anerkannt in dem Augenblick, wo der satanische Gegner gestürzt wird. Er ist der Retter seines Volkes und trägt als Verwalter des Reiches, selbst die Zeichen des Königtums. Er macht sich einen gefürchteten Namen im Gericht und übt die Rache aus, aber nur als Vorspiel der Ruhe, und regiert in Gerechtigkeit. Er trifft die Einrichtungen zu der Freude und dem Jubel, die er seinem Volk verschafft hat. Er ordnet alles an in Gemeinschaft mit der jüdischen Gemahlin, seiner angenommenen Tochter, die über die Nationen herrscht und sein Interesse für sein Volk teilt. Er wird der Fürst der Könige der Erde, angenehm Gott und seinen Brüdern, ein großer Mann, und indem er seinem königlichen Charakter entsprechend in allem das Wohl seines Volkes sucht, führt er schließlich die Friedensregierung ein.
Er, das große vollkommene Gegenbild Mordokais, ist es, auf den der Geist Gottes im Buch Esther hinweisen will.
König Ahasveros
Ahasveros ist der persische Name des von den Griechen Xerxes I. genannten, weltgeschichtlich bekannten Königs von Persien, von dem Dan 11,2 berichtet: „Siehe, es werden noch drei Könige (nach Kores) in Persien aufstehen, und der vierte wird größeren Reichtum erlangen als alle; und wenn er durch seinen Reichtum stark geworden ist, wird er alles gegen das Königreich Griechenland aufreizen“. Eben dies wird nun hier im ersten Kapitel des Buches Esther näher ausgeführt. Das dritte Jahr seiner Regierung war gerade das, während welchem der unglückliche Feldzug gegen Griechenland beschlossen wurde. Dazu vor allem lud Ahasveros alle seine Grossen, Fürsten, Gouverneure der 127 Provinzen, Heerführer usw. zu sich, und dazu entfaltete er seinen ungeheuren Reichtum und Glanz, um sie gegen seine Kriegspläne recht willfährig zu machen. Darum dauerte das Mahl so lange Zeit, ein ganzes halbes Jahr, und die sieben Tage des Festes für das ganze Volk von Susan soll wohl des Königs Antwort auf die erreichte Zusage zum Krieg sein. Die berichteten Einzelheiten mögen merkwürdig erscheinen, entsprechen aber durchaus den persischen Gepflogenheiten und Anschauungen jener Zeit.
In Bezug auf den persönlichen Charakter des Xerxes zeigt ihn die Weltgeschichte als einen echten orientalischen Despoten, der auch in einigen Zügen in Esther durchscheint, z. B. in seinem plötzlichen Jähzorn und seiner Unbeständigkeit, die ihn zum Spielball seiner Günstlinge machte und ihn dann nach ihrem Willen unbedenklich Zustimmung zur Hinschlachtung zahlreicher Menschen geben lässt. Aber auf seine Bedeutung als symbolische Figur hat dieser Charakter keinen Einfluss; er ist hier in seinen übrigen gemeldeten Eigenschaften ein Abbild Gottes, des Allmächtigen, selbst.
Ahasveros bedeutet: „Fürst der Erbschaft, welcher die Majestät hat“, als „Fürst der Fürsten“. Dies passt gut zu seinem ungeheuren Reich, welches nicht weniger als 127 Provinzen – sieben mehr noch als die seines Vaters – umfasste, von Indien bis Äthiopien reichend. Da Indien als das herrlichste Land der Erde gilt und Äthiopien „brennen“ bedeutet, haben wir in diesem Reich eine schwache Vorschattung Gottes als allmächtiger Herr des Weltalls, sowohl des Himmels als der Erde, dem alle Geschöpfe im Himmel wie auf Erden, aber auch die der Unterwelt, unterworfen sind. Unter dem persischen Weltreich – dem zweiten der Prophezeiung – bedeutete die Herrschaft des Königs nicht nur Ausübung von Macht, Gewalt und Willkür, sondern auch Vater des Volkes, das dem König nicht nur absolute Gefolgschaft zu leisten hatte, sondern auch alles zum glücklichen Leben empfing, was ja auch aus dem Esther-Bericht hervorgeht.
Die symbolischen herrlichen Materialien wie Gold, Silber, weißer Byssus, Purpur usw., welche die königliche Herrlichkeit zum Ausdruck bringen sollen, kennen wir ja auch als Symbole der göttlichen Herrlichkeiten. Was wir in diesen ersten Versen vom König lesen, ist im Grund die Selbstoffenbarung seiner Herrlichkeit, seines Reichtums, der kostbaren Pracht seiner Majestät, seiner Freigebigkeit und in Bezug auf den besonderen Anlass auch seiner politischen Pläne; denn das alles konnte ja nur geschaut und gehört werden, wenn der König dies alles selber kundgab. Auch das ist eine Abschattung Gottes, wie Er es uns in Seinem Wort kundgibt. Wir können ja ebenfalls von Ihm, Seiner Herrlichkeit, Seinem Wesen, Seiner Heiligkeit, Seinem Urteil über die Sünde, von Seinen Ratschlüssen und Absichten mit uns, was alles ja unendlich über unser Denken und Erfassen hinausgeht, nur Kenntnis erlangen, wenn Gott uns dies selber offenbart und hierin das Vorbild weit übertreffend – auch durch Seinen eigenen Heiligen Geist auftut und auslegt. (Vergleiche 1Kor 2).
Diese Feste des Königs und seine Freigebigkeit ohne Schranken entspricht der Gnade und Güte Gottes, die alle Menschen reichlich versorgt, sowohl Gute als Böse, und Seinem Willen und Ziel, sich mit seinem glücklichen Geschöpf freuen zu können. Auch im weiteren Verlauf des Buches finden sich Züge von Ahasveros, welche auf Gott, den Höchsten, hinweisen: Er gebietet selbstherrlich über Leben und Tod, sowohl Einzelner als ganzer Völker (Est 1,19; 3,10; 8,8; 9,14); seine Anordnungen dulden keinen Widerruf (Est 8,8); wenn er auf seinem Thron sitzt, darf niemand ungerufen nahen (Est 4,11 vergleiche 2Mo 33,19.20). Nur er kann Gnade walten lassen, selbst über das so unwiderrufliche Gesetz der Meder und Perser hinaus, und die Weigerung der Königin, dem Wunsch des Königs zu folgen, ist ein Staatsverbrechen, das Verurteilung zur Folge hat, gleichwie jede Sünde, ob klein oder groß, den Sünder von Gott völlig losreißt und die Lebensgemeinschaft mit Gott unmöglich macht. Alles dieses stempelt den König Ahasveros in dieser Erzählung zum Symbol Gottes selbst, wenn ja auch nur in gewissen Schranken.